Delphine Perret: Björn und die weite Welt

Aus dem Französischen von Tobias Scheffel, Sauerländer 2020, 64 S., € 12,-, ab 4
(Stand März 2021)

Perret_dominique_Björn-und_die_weite_Welt_Danteperle_Dante_ConnectionManchmal ist weniger viel, viel Mehr!
Björn ist ein sympathischer Bär, der gerade aus seinem mehrmonatigen Winterschlaf erwacht ist, sich reckt, kurz wäscht und die Welt um sich herum inspiziert. Hat sich in der Zeit etwas verändert? Er trifft auf die Schildkröte und den Dachs, die auch Winterschlaf gehalten haben, spaziert mit ihnen durch den Wald. Björn stößt sich an einem Ast, es regnet Kirschblüten. Andere Tiere, die im Winter so manches erlebt haben, kommen dazu, Björn tritt willentlich gegen den Baum, damit es Blüten auf alle regnet. Dass es im Sommer weniger Kirschen geben wird, spielt im Moment keine Rolle.
Mit wenigen Worten und scheinbar ganz leicht hingezauberten Schwarz-Weiß-Skizzen auf dem schönen gelben Papier erzählt Dominique Perret von großen Entdeckungen und mehr oder weniger realen Ausflügen in die weitere Umgebung. Was passiert wohl, wenn die Tiere ein Handy finden oder der Bär mit seiner menschlichen Freundin in ein Schwimmbad geht? Viel Spaß beim Vorlesen ist garantiert mit dieser minimalistischen humorvollen Verehrung vorm großen Pu. (Stefanie Hetze)

Leseprobe

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Anete Melece: Der Kiosk

Atlantis Verlag 2020, 40 S., € 16,-, ab 5
(Stand März 2021)

Melece_Anete_Der_Kiosk_Danteperle_Dante_ConnectionOlga, eine ziemlich rundliche Frau, hat sich in ihrem kleinen bunten Kiosk, der mitten in einer grauen Stadt steht, eingerichtet. Sie kennt ihre Kundinnen und Kunden genau, verkauft ihnen Zeitschriften, Getränke, Süßigkeiten und schwatzt mit ihnen. Abends schließt sie die Läden und macht es sich, so gut es geht, in der Enge auf ihrem Sessel gemütlich. Sie träumt vom Reisen, von Sonnenuntergängen am Meer, von all dem, was nicht geht, da sie ihren Kiosk nicht mehr verlassen kann. Da geschieht etwas, das sie mitsamt ihrer Behausung gehörig in Bewegung bringt und sie ihre Träume verwirklichen läßt!
Diese schöne befreiende Phantasie, die uns allen derzeit besonders wohltut, hat sich die lettische Künstlerin  Anete Melece in einem farbensprühenden leuchtenden kraftvollen Bilderbuch ausgemalt. Es gibt so viel zu schauen für die Kinder, der Kiosk von draußen und drinnen, die unterschiedlichsten Menschen, das städtische Leben, Freizeit am Meer und immer wieder Olga und ihre Gefühle. Großformatige Bilder wechseln dynamisch mit kleinen Comicszenen ab, es gibt winzige Details und Landschaften aus der Vogelperspektive. Die handgeschriebenen kurzen Texte sind auf den Punkt gesetzt. Das alles zusammen ist nicht von ungefähr großes Kino. Der Ursprung für „Der Kiosk“ ist ein Animationsfilm der Künstlerin, die in  ihrem Bilderbuch Olgas Geschichte zum Teil anders erzählt und es  darüberhinaus als greifbares Objekt einsetzt. Das Kioskfenster ist ausgeschnitten, Kinder können mit dem Buch Kiosk – und was ihnen sonst noch einfällt – spielen. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch
Der Film

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Ernst Dronke: Berlin

Reich illustriert mit historischen Aufnahmen, Portraits, Stadtansichten und Karikaturen aus der Vormärz-Publizistik. Die Andere Bibliothek 2019, 416 S., € 58,-

(Stand März 2021)

Dronke BerlinjpgDer Jurastudent Ernst Dronke fährt 1843 mit dem Zug nach Berlin und steigt am erst vor zwei Jahren eröffneten Anhalter Bahnhof aus, der bereits von Dienstmännern, Polizisten, sich so verhohlen wie offen anbietenden Mädchen wimmelt. Er promoviert an der Friedrich-Wilhelms-Universität, heute Humboldt-Universität, verfasst Polizei- und Gerichtsreportagen sowie scharfsinnige Betrachtungen über alle Gesellschaftsschichten. Doch bereits 1845 wird er aus Berlin verwiesen und nach der Publikation seines Reportagebandes „Berlin“ wegen Beleidigung des Königs und des Polizeipräsidenten zur Festungshaft verurteilt.
Denn Dronkes historische Reportage „Berlin“ ist nicht nur ein großstädtisches Sittenbild, sondern auch eine sozialkritische Bestandsaufnahme des biedermeierlichen Berlins, und beschreibt die sozialen Verwerfungen in Preußen. Nun könnte man denken: Schnee von gestern! Doch irgendwie erscheinen viele Texte vertraut: „Das Leben der Hauptstadt, so geräuschvoll und bewegt es ist, gönnt sich nur wenige Stunden der Ruhe. Das Rasseln der Wagen verhallt erst gegen Morgen; einzelne Tritte später Nachtvögel schlendern wohl auch dann noch über die Trottoirs, aber im Allgemeinen ist es ruhig, ungefähr zwei bis drei Stunden lang. Um fünf öffnen sich die Läden und einzelne Arbeiter ziehen nach den Fabriken oder Arbeitsplätzen. …“
Dronke beschrieb vor 175 Jahren den Anbruch der Moderne, doch manches scheint sich bis heute nicht geändert zu haben. Stehen wir also noch am Anfang? Es ist mehr als spannend, diese reich illustrierte Prachtausgabe (wieder-) zu entdecken. (Hans-Ulrich Pollack) Blick ins Buch

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Sasha Filipenko: Rote Kreuze

Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer, Diogenes 2020, 288 S., € 22,-, TB 2021, € 12,-

(Stand November 2021)

rote-kreuze-9783257610109Der junge, in der Trauer um seine früh verstorbene Frau gefangene Alexander zieht nach Minsk und trifft auf seine 91-jährige neue Nachbarin, die ihm zunächst gehörig auf die Nerven geht, ihn dann aber mit der Erzählung ihres Lebens in den Bann schlägt. Tatjana Alexejewna arbeitete ab den 30er Jahren als Fremdsprachensekretärin für das NKID, das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, in Moskau. Als ihr Mann im zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft gerät und sie seinen Namen auf einer geheimen Liste entdeckt, die sie übersetzen soll, ist ihr klar, dass dies ihr und sein Verhängnis sein kann, denn Kriegsgefangene galten als Volksverräter, ebenso ihre Angehörigen. In ihrer Not trifft sie eine folgenschwere Entscheidung…
Sasha Filipenko hat die in Genf archivierte Korrespondenz zwischen dem Internationalen Roten Kreuz und der Sowjetregierung während des Zweiten Weltkriegs eingesehen und teils als Originaltexte, teils als Handlungsgrundlage in den Roman eingearbeitet. Dabei ist ihm ein gut lesbares und historisch fundiertes Stück Literatur gelungen, über die Zeit des stalinistischen Terrors und die Schicksale derer, die in seine Mühlen gerieten, über Unterdrückung und Erinnerungskultur. (Syme Sigmund)

Leseprobe

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Aktuelle Ausstellung in der O45: Das Friedenstier

DAS FRIEDENSTIER (dtv)

Gemeinsam für den Frieden – Künstler*innen setzen ein Zeichen. Friedenstauben kennt jeder. In diesem Buch versammeln sich zudem geflügelte Kängurus, Wildschweine, Dackel, Kröten, Elefanten und viele weitere Tiere, um sich für mehr Frieden einzusetzen. Dazu gibt es Gedanken, Gedichte und Geschichten, die Hoffnung auf eine friedlichere Welt machen.

Wir zeigen eine Auswahl der Friedenstiere u.a. von Friederike Ablang, Marie Geissler, Anke Kuhl, Eva Muggenthaler und Yves Kervoelen.

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Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst

S. Fischer Verlag 2020, 352 S., € 21,-, TB 2022, € 13,-

(Stand September 2022)

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Die Icherzählerin ist Mitte dreißig und hat oft viel Angst. Als Schwarze in Deutschland hat sie Schlimmes erlebt. Ihre Mutter war zu DDR-Zeiten Punk und tut sich schwer mit dem Leben. Ihr Vater verließ die Familie sehr früh und ging zurück nach Angola. Ihr Zwillingsbruder hat sein Leben beendet. Die Großmutter, zu der sie als einzige Angehörige den Kontakt hält, steht weit rechts. Glück erlebt die namenlose Protagonistin in Städten wie Berlin und New York oder in Ländern wie Marokko und Vietnam, vor allem aber durch die Menschen, für die sie sich selbst entscheidet.
In einem der originellsten Debuts der letzten Zeit schreibt Olivia Wenzel über Herkunft, Diskriminierung, Privilegien, die Suche nach Stabilität, Identität und Beziehungen. Dafür hat sie ein außergewöhnliches Format gewählt. Der erste und der dritte Teil des Romans besteht aus Dialogen zwischen einer fragenden Stimme und der Protagonistin, während im mittleren Teil Assoziationen, Bilder und Erinnerungen fein miteinander verwebt werden. So entsteht ein vielstimmiger Raum, in dem die Autorin uns auf eine rasante und überraschende Serpentinenfahrt einlädt. (Giulia Silvestri)

Leseprobe

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Literarische Matinee im Obermaier

DER SALON ÜBER VERÄNDERUNG

Gemeinsam mit dem Salon Obermaier laden wir zur literarischen Matinee ein.

Marlen Pelny und Stephan Lohse geben in ihren jüngsten Büchern Anlass, genauer hinzuschauen auf Ereignisse und Erfahrungen, die ein ganzes Leben (sogar: ganze Leben) unerwartet in eine andere Richtung lenken können.Wir sind mit Ereignissen konfrontiert, die Sehnsüchte provozieren, mit Ereignissen, die Trauer auslösen, Schmerz verdienen und Trost spenden. Wir sitzen mittendrin.

Wann? Sonntag, 10. Dezember ab 11.30 Uhr
Wo? OBERMAIER. Restaurant-Salon

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James Baldwin: Giovannis Zimmer

Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Sasha  Salzmann. dtv 2020, 208 S., € 20,-, TB neu März 2024, € 12,-

(Stand März 2024)

„Giovannis Zimmer“ ist das vierte Buch von James Baldwins das in einer Neuübersetzung erscheint. Und wieder ein Buch wie ein Schlag in die Seele, der tief in die Unzulänglichkeiten und Begrenzungen menschlichen Daseins blicken lässt. David, ein junger homosexueller weißer Amerikaner auf Europareise in Paris, beginnt eine heftige Liebesaffäre mit dem jungen, lebensgierigen Giovanni. In kurzen Wochen genießen sie ihre Liebe, ihre Körper und nähern sich auch intellektuell an. Vor den Anfeindungen ihrer Umwelt schützen sie sich, soweit dies in einer offen homophoben Gesellschaft möglich ist. Als Davids Verlobte Hella aus Spanien zurückkehrt, wendet sich dieser von Giovanni ab und stürzt ihn in tiefe Verzweiflung.
Baldwin beschreibt die berührende Liebesgeschichte zwischen den beiden jungen Männern schnörkellos und ohne rührseligen Kitsch. Fast zwangsläufig führt Davids Trennung von Giovanni direkt in eine Katastrophe. Wie in seinen anderen Büchern greift Baldwin wieder ein Thema auf, das den Blick auf Unterdrückung und Gewalt lenkt. Die Geschichte weist aber weit über die Ursachen der gesellschaftlichen Gewalt hinaus. Sie legt offen, welche Verheerungen die Homophobie in den Opfern selbst anrichtet und diese zu Tätern werden lässt. David kann zu seiner wahren Natur nicht stehen, zu groß ist die Angst vor der gesellschaftlichen Ächtung. Damit stürzt er alle Menschen, die ihm etwas bedeuten, in Verzweiflung. Stehst du nicht zu dir, deiner Natur, deiner Liebe, stehen am Ende Unglück und Vernichtung. Ein überzeugendes Plädoyer dafür, sich zu erkennen und zu akzeptieren, egal wie feindlich deine Umwelt ist. Ein Meisterwerk – freuen wir uns auf weitere Neuauflagen! (Torsten Sigmund) Leseprobe

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Paul Scraton: Am Rand. Um ganz Berlin

Aus dem Englischen von  Ulrike Kretschmer. Matthes & Seitz 2020, 220 S., 10 Farbfotos, € 22,-

(Stand März 2021)

Scraton_Paul_Am_Rand_um_ganz_Berlin_Danteperle_Dante_ConnectionFlaneure wie Franz Hessel oder Walter Benjamin haben der Stadt Berlin immer wieder literarische Denkmäler gesetzt, sich jedoch auf das pulsierende Zentrum fokussiert. Der britische Wahlberliner Paul Scraton widmet sich dem ganz Anderen, dem Entlegenen, für das sich eigentlich niemand interessiert. 10 Wanderungen rund um Berlins Stadtgrenze in den unwirtlichen grauen Monaten Januar bis März hat der Landschaftshistoriker unternommen, ist immer am Rand der ehemaligen Grenze durch Gewerbegebiete, Wohnsiedlungen, Wälder und Brachen gelaufen, vorbei an Baustellen, Gleisen, Zäunen, Gedenktafeln. Er trifft auf Menschen und Geschäftigkeit, aber auch auf völlig verlassene Gelände, Leere und Stillstand. Faszinierend ist es zu lesen, wie sich große entscheidende Ereignisse der Geschichte und Rolle Berlins auch an den sich zerfasernden Rändern der Stadt niederschlagen und widerspiegeln. Der äußerst belesene Autor (was für ein Literaturverzeichnis!) verschmilzt sein erstaunliches Wissen, seine Offenheit und seinen geschärften Blick fürs Wesentliche in scheinbar nebensächlichen Details zu einer spannenden Erkundung dessen, was uns umgibt. Sein Buch ist eine wunderbare Einladung, es ihm nachzutun. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Ayşe Bosse: Pembo

Halb und halb macht doppelt glücklich! Mit Illustrationen von Ceylan Beyoğlu. Carlsen 2020, 272 S., € 10,-, TB 2022, € 5,99, ab 9

(Stand September 2022)

PemboAyşe Bosse ist bisher eher als Autorin sehr berührender Bücher für Kinder und Jugendliche zum Thema Tod in Erscheinung getreten. Hier zeigt sie sich nun von einer ganz anderen Seite. Sensibel und mit viel Humor erzählt sie von Pembo, die aus einem türkischen Dorf am Meer nach Hamburg ziehen muss. Pembo ist damit gar nicht einverstanden, aber ihr türkischer Vater hat die Gelegenheit, das Geschäft seines verstorbenen Onkels zu übernehmen und ihre deutsche Mutter will nochmal studieren. Es geht nicht alles glatt mit diesen Elternplänen, doch Pembo weiß die Familienpleite auch mit Hilfe neuer Freunde zu verhindern. Ein modernes Großstadt-Märchen, das durch die zarten, ausdrucksstarken Tuschezeichnungen von Ceylan Beyoğlu sehr schön ergänzt wird. Und als Bonbon gibt es am Anfang jeden Kapitels einen Mini-Türkisch-Kurs. (Jana Kühn) Leseprobe

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