Maria Bakhareva, Anna Desnitskaya (Illustr.): Märkte in aller Welt

Aus dem Russischen von Thomas Weiler, Gerstenberg 2023, 80 S., € 26,-, ab 8

In Zeiten gigantischer Supermärkte und Lieferservices nach Hause sind Orte, an denen Menschen sich treffen, um Lebensmittel direkt zu verkaufen und einzukaufen, für Kinder oft Terra incognita. Dieses großformatige wimmelige Sachbilderbuch, das neben zwei Märkten in Hamburg und München, berühmte Märkte, Basare und Hallen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten vorstellt, lädt Kinder und Erwachsene ein, sich mit allen Sinnen in das vielfältige Marktgeschehen zu stürzen. Jede Menge Lebensmittel gibt es zu entdecken, Rezepte regen zum Kochen und Ausprobieren neuer Gerichte und Gaumenfreuden ein. Ein paar Begriffe in den verschiedenen Sprachen lassen sich lernen, Preise für Obst, Snacks usw. einordnen, die verschiedensten Einkaufsgewohnheiten anschauen – kurzum ein pralles tolles Buch, in dem es viel zu entdecken gibt und Lust macht, selbst einmal einen Wochenmarkt zu besuchen und / oder in der Gruppe sich über die Märkte, die die Kinder kennen, auszutauschen. Blick ins Buch

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Joachim Sartorius: Die Versuchung von Syrakus

mareverlag 2023, 192 S., € 20,-

Die uralte Stadt Syrakus, vor 2500 Jahren Schmelztiegel im Mittelmeerraum, liegt am südöstlichen Rand Siziliens am Ionischen Meer. Der Ätna, Griechenland und Nordafrika sind nah. Im historischen Zentrum auf der vorgelagerten schmalen Insel Ortigia, auf der sich die Antike in unzähligen Schichten niedergelagert hat, hat der Autor seit geraumer Zeit seinen zweiten Wohnsitz. Hier spürt der belesene Flaneur in ausgedehnten Streifzügen durch die Straßen, Märkte und Lokale den vielschichtigen Facetten der immer noch lebendigen Geschichte Syrakus nach. Sie ist tief im Bewusstsein der Bevölkerung verwurzelt, wie seine Gespräche mit Einheimischen anschaulich verdeutlichen. Künstler verarbeiten sie in ihren Gemälden, Adlige pflegen leidenschaftlich ihre Sammlungen antiker Gegenstände. Bei seinem Barbier, den Wirt*innen, einem Polizisten, einer Übersetzerin … gehört das Erinnern zu ihrem Alltag. Gleichzeitig gibt es die Gegenwart, die Bedeutungslosigkeit der Randexistenz, die vielen Probleme durch Verkehr, Armut, Immigration, Lethargie, aber auch die reichen Genüsse an guten Speisen und köstlichen Dolci, die Schönheit und Kraft des die Stadt umgebenden Meeres. Auch wenn wir nicht vor Ort sind, können wir mit diesem Buch diese besondere mediterrane Stadt erkunden, zwei Stadtpläne verschönern den literarischen Spaziergang. (Stefanie Hetze)

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Vincenzo Latronico: Die Perfektionen

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull, Claassen Verlag 2023, 128 S., € 22,-

(Le perfezioni, Bompiani 2022, ca. € 20,50)

Anna und Tom haben ihr Hobby zum Beruf gemacht und ziehen aus ihrer als provinziell empfundenen italienischen Heimat als freischaffende Webdesigner in den 2000er Jahren nach Berlin. Hier sind die Mieten noch billig, es schlägt der Puls der Zeit, da wollen sie dazugehören. So reihen sie sich ein in die Menge der Expats dieser Stadt. Kontakt mit Deutschen haben sie kaum, ihre Freunde sind Spanier, Portugiesen oder Amerikaner, es wird englisch gesprochen, wo die Mauer verlief ist nicht von Interesse. Das Leben zwischen Instagram und Berghain, Arbeitstagen im Café und Aperitif an der Spree, Kunstgalerien und Karaoke im Mauerpark hat vor allem eins zu sein – durchdesignt und fotogen.
Doch die Stadt wandelt sich, die Arbeit verliert ihre Faszination, immer mehr ihrer Bekannten gehen „zurück nach Hause“, neue, jüngere Leute drängen nach und unmerklich, doch immer drängender schleicht sich ein Unbehagen in das scheinbar so perfekte Leben.
Vincenzo Latronico hat eine Geschichte über Träume und Enttäuschungen geschrieben, eine mit Klischees spielende Parabel über unser von den Bildern der sozialen Medien bestimmtes Leben und die Suche nach einer immer brüchigeren und selteneren Authentizität. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Natalie Bayer / Mark Terkessidis (Hg.): Die postkoloniale Stadt lesen

Historische Erkundungen in Friedrichshain-Kreuzberg. Verbrecher Verlag 2022, 352 S., € 20,-

Nicht alle sind über die Spuren des Kolonialismus informiert, gerade nicht über solche, die in den zentralen Bezirken Berlins, Kreuzberg und Friedrichshain, in denen viele von uns wohnen und arbeiten, zu finden sind. In diesem wissenschaftlichen Essayband befassen sich mehrere Autor*innen mit historischen Persönlichkeiten sowie auch mit bestimmten Orten der Hauptstadt, die eine Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte gespielt haben und auf die eine oder andere Weise das Stadtbild geprägt haben. Es wird untersucht, wie der Kolonialismus noch in der Gegenwart anwesend ist. Nach dieser Lektüre wird ein Spaziergang am Spreeufer, oder das Betrachten des alten Schildes der ehemaligen Oranien-Apotheke am Oranienplatz anders. Ein spannender, trotz wissenschaftlicher Form zugänglicher Überblick über einen zu oft unbekannten Teil der Geschichte unserer Stadt. (Giulia Silvestri) Leseprobe

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சிந்துஜன் வரதராஜா (Sinthujan Varatharajah) / مشترى هلال (Moshtari Hilal): Englisch in Berlin

Ausgrenzungen in einer kosmopolitischen Gesellschaft. Wirklichkeit Books 2022, 136 S., € 15,-

Mittlerweile kennt das jede*r: In einem Café in Kreuzberg sitzen und überall im Raum wird Englisch gesprochen, sogar die Kellner*innen lassen alle auf Englisch bestellen. Jemanden etwas fragen und als Antwort hören „Sorry, I don’t speak German“. An einer Diskussion teilnehmen, auf der Bühne wird nur Englisch gesprochen und nicht gedolmetscht. Ist Englisch aber nicht inklusiv? Nicht unbedingt oder zumindest nicht nur, behaupten Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah in ihrem gerade in Buchform erschienenen Live-Gespräch (ursprünglich auf Instagram durchgeführt). Berlin gilt schon längst als weltoffene, multikulturelle Metropole: In unserer Stadt werden mehrere Sprachen gesprochen, Imbisse und sogar Supermärkte aus vielen verschiedenen Ländern sind in vielen Bezirken zu finden, verschiedene Kulturen können sich im Kunstbereich sowie auch im Alltagsleben treffen und miteinander mischen. Inwiefern darf eine Sprache, die u.a. eine lange Geschichte von Kolonisation und Unterdrückung mitbringt, alle anderen Sprachen überwiegen? (Giulia Silvestri)

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Claude McKay: Banana Bottom

Aus dem Amerikanischen von Heddi Feilhauer, ebersbach & simon 2022, 320 S., € 24,-

Bita Plant ist im jamaikanischen Dorf Banana Bottom geboren und aufgewachsen. Nach einer schwierigen Kindheit wird ihr von den Pastoren Malcolm und Priscilla Craig geholfen, nach England auszuwandern, wo sie sieben Jahre lang im Internat ausgebildet wird. Bei ihrer Rückkehr nach Jamaika muss sie feststellen, dass ihr kulturelles Erbe mit der neu erworbenen Lebensweise in Konflikt steht. Dennoch fängt sie an, ihr Heimatland wiederzuentdecken und die Pläne, die ihre Pflegeeltern für sie haben, lösen sich in Luft auf … Humorvoll und scharfsinnig, wird diese charmante Coming-of-Age-Geschichte in einer schönen, sanften Prosa erzählt. Durch intensive Dialoge und empfindsame Beschreibungen der karibischen Landschaften und des Landlebens zeigt der Autor ein zweifelloses Talent, die inneren Mechanismen und die Sehnsüchte der menschlichen Seele zu zeigen. Claude McKays „Banana Bottom“ war ein Vorbild für Zora Neale Hurstons 1937 erschienenen Roman „Vor ihren Augen sahen sie Gott“. Es wurden bisher keine Bücher des Autors ins Deutsche übersetzt. Eine großartige Entdeckung! (Giulia Silvestri)

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Berlin ist eine Reise und Hierbleiben wert

Unser aktuelles Ladenschaufenster verschönt allen, die in diesen Sommertagen nach Berlin gereist sind, und allen, die in ihrer eigenen Stadt geblieben sind, das Hiersein.

Mit anregenden Büchern zum Lesen, Anschauen und Konsultieren. Den wunderbaren Berlinschachteln von Astrid Rave, die sie als Unikate in Handarbeit fertigt, und mit denen sie mit viel Witz Berlin in seinen schönen und hässlichen Facetten kommentiert. Und mit dem  druckfrischen Postkartenbuch von Seltmann Publishers, „100 Places in Berlin“, das die Leere in der Stadt auf die Spitze treibt und bekannte und unbekannte Ansichten Berlins menschenleer abbildet.

Dazu alte und neue Berlinliteratur für die Erwachsenen, spannende Bücher für Kids, die in der Hauptstadt spielen, Stadtführer, Berlinkrimis, Klassiker aus früheren Zeiten. Entdecken und erleben Sie auf vielfältigen Wegen die ungewöhnlich leere Stadt neu.

Viel Spaß dabei!

 

 

 

 

 

Elin Wägner: Die Sekretärinnen

Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Ecco Verlag 2022, 176 S., € 20,-

Stockholm, Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum des Romans steht die Icherzählerin Pegg. Ohne jede familiäre Unterstützung und stattdessen mit Verantwortung für ihren jüngeren Bruder muss sie zusehen, wie sie überhaupt im Leben klarkommt, finanziell und in der Liebe. Mehr als einen leider schlecht bezahlten Bürojob findet sie nicht. Ihre Rettung ist ein Sofaplatz in einer Frauen-WG, in der sie zusammen mit ihren drei Mitbewohnerinnen das Unerhörte wagt, trotz Armut als Frau selbstbestimmt und genussvoll zu leben. Es macht riesigen Spaß, diesen Debütroman zu lesen. Er ist flott und spritzig geschrieben. Mit Nonchalance, aber mit umso mehr Nachdruck flicht die Autorin wichtige Themen wie sexuelle Belästigung oder ungleiche Arbeitsbedingungen in Peggs, Babys, Evas und Emmys Erlebnisse und Gespräche ein. Ein Roman, heute immer noch aktuell, obwohl er 1908 erstmals in Schweden erschien. Wunderbar, dass dieser moderne Klassiker feministischer Literatur nach weit über 100 Jahren hier wieder zugänglich ist. Und das Cover von Hilma af Klint passt besonders schön! (Stefanie Hetze)

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Gianfranco Calligarich: Der letzte Sommer in der Stadt

Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Zsolnay Verlag 2022, 208 S., € 22,-
(L’ultima estate in città, Bompiani, ca. € 17,50)

In Italien eine sensationelle Wiederentdeckung des 1973 erschienenen Romans, hierzulande erstmals zu entdecken: der aufsehenerregende Rom-Roman, in dem die Stadt mit ihren Plätzen, Hügeln, Kirchen und Bars, mit dem Tiber und der Nähe zum Meer eine entscheidende Rolle spielt. Leo Gazzara, ein junger, gutaussehender Mailänder, schnorrt sich durch, lässt sich treiben in der Stadt, in der Anfang der 70er die Kulturszene noch das vergangene Dolce Vita bemüht, während sich längst die 68er auswirken und Hippies sich in den angesagten Bars der Piazza Navona breitmachen. Eine flirrende Unruhe durchzieht den Roman, Leos nächtliche Streifzüge durch all die angesagten Orte, das Flirten, Reden und Trinken, die Eskapaden zu verschlossenen Strandvillen in Ostia bringen keine Erfüllung. Seine Liebesgeschichte mit einer schönen depressiven Venezianerin läuft ins Leere, vielleicht haben sie nur den richtigen Augenblick verpasst. Diese Atmosphäre von Melancholie ist ganz fein, ganz beiläufig erzählt und wirkt dadurch umso stärker. Natalia Ginzburg hatte damals dem Manuskript zu einem Verlag verholfen, zum Glück! (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Somerville & Ross: Durch Connemara

Mit dem Eselskarren in Irland. Aus dem Englischen und Herausgegeben von Elvira Willems. AvivA 2022, 160 S., € 20,-

Im Jahr 1890 beschließen zwei toughe Ladies aus dem irischen Landadel mit Pferd und Karren durch ihre Heimat zu fahren. Die beiden Frauen müssen einige Hindernisse überwinden, bis es endlich losgeht mit Picknickkorb, Revolver, großem Regenschirm und statt des Pferds einer eigenwilligen Eselin. Und dann nehmen sie uns mit zu einer abwechslungsreichen entschleunigten Reise quer durchs irische Connemara. Sie trotzen Wind, Regen und Hunden, verfahren sich und finden nicht immer ein Gasthaus. Sehr direkt, voller Selbstironie schildern sie ihre Erlebnisse, verknüpfen Begegnungen mit der Bevölkerung scharfzüngig mit historischen Ereignissen. Unter dem Namen Somerville & Ross bildeten die Cousinen 2. Grades Violet Martin und Edith Somerville ein eingespieltes Arbeitsteam als Reiseschriftstellerinnen. Zusammen formulierten sie Artikel und Bücher, die Edith mit ihren Illustrationen anreicherte. Ihre Biografien und vieles Mehr lassen sich in dem ausführlichen Nachwort von Elvira Willems nachlesen, sie geht auch der offenen Frage der Art der Beziehung der beiden nach. Very charming! (Stefanie Hetze) Leseprobe

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