Danteperlen

image006

An jedem Monatsanfang veröffentlichen wir an dieser Stelle vier persönliche Buchempfehlungen, unsere Danteperlen, denen wir viel Aufmerksamkeit  wünschen.

Im Mai 2020 haben wir zum sechsten Mal die Danteperlen als schöne gedruckte Broschüre veröffentlicht mit einem prallen Jahr voller Lesetipps für Große und Kleine. Die Broschüren sind kostenlos bei uns erhältlich.

Hier finden Sie unsere aktuellen Danteperlen aus diesem Monat. Stöbern und frühere Empfehlungen lesen können Sie auf den Unterseiten.

... für Erwachsene
Alba de Céspedes: Aus ihrer Sicht
» Empfehlung lesen

... für Erwachsene
Ulrike Draesner: die Verwandelten
» Empfehlung lesen

... für Erwachsene
Aron Boks: Nackt in die DDR
» Empfehlung lesen

... für Kinder
Noemi Schneider & Golden Cosmos (Illustr.): Ludwig und das Nashorn
» Empfehlung lesen

 

Alba de Céspedes: Aus ihrer Sicht

Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Mit einem Nachwort von Barbara Vinken. Insel Verlag 2023, 637 S., € 28,-

(Dalla parte di lei, Mondadori, ca. € 19,50)

Ein Roman ohne Wenn und Aber erzählt aus der Perspektive einer jungen Frau. Alessandra wächst in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Rom der Dreißigerjahre auf. Für Mädchen und Frauen, die noch eine Art von Begehren ausleben möchten, sind im patriarchalen faschistischen Italien, wie die Autorin minutiös schildert, eigentlich nur zwei Rollen vorgesehen: als anständige ihrem Mann unterworfene Ehefrau oder als verpönte Konkubine. Alessandra, die wie ihre aus der Art geschlagene Mutter, einer Künstlerin, die einen Suizid begeht, einen Mann lieben will, ohne von diesem geknechtet zu werden, nimmt einen langen Weg der Rebellion auf sich. Äußerlich angepasst verfolgt sie trotz aller Widerstände kompromisslos ihr Ziel, für sich und ihre leidenschaftlichen Wünsche als Frau zu kämpfen. Der Preis dafür ist hart, doch die Protagonistin bleibt ganz bei ihrer Sicht und dokumentiert sie auch als Niederschrift. Gnadenlos entlarvt De Céspedes die ausweglosen frauenfeindlichen Verhältnisse im Italien der Dreißiger/Vierziger Jahre. Selten wurde in der Literatur so haarscharf und unbestechlich der Finger auf die Wunde der Genderungerechtigkeit gelegt. (Stefanie Hetze) Leseprobe

Die Übesetzerin Karin Krieger spricht über den Roman

Das bestelle ich!

Ulrike Draesner: die Verwandelten

Penguin 2023, 608 S., € 26,-

Dass Kriegskinder ihre Traumata bis in die dritte Generation weitergeben, ist der breiteren Öffentlichkeit seit den erfolgreichen Büchern von Sabine Bode „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel“ bekannt. Ulrike Draesner verarbeitet das Thema nun in einem beeindruckenden, vielstimmigen und sprachmächtigen Roman.
Alissa wird in einem Heim des nationalsozialistischen „Lebensborn“ geboren, mit fünf Jahren von einem wohlhabenden nationalsozialistischen Paar adoptiert und wächst als Gerhild auf. Dass sie die Tochter der Köchin Adele aus Breslau ist, die vom Hausherren geschwängert wurde, entdeckt sie erst im hohen Alter.
Ihre Halbschwester Renate erfährt Ende des Krieges die Vergewaltigung durch russische Soldaten und verwandelt sich in Walla, um zu vergessen und im nun polnischen Breslau/Wrocław bleiben zu können.
Erst als ihrer beiden Töchter Kinga und Dorota – Nebelkinder, im Schweigen aufgewachsen –  einander begegnen, lösen sich die düsteren Spuren der Vergangenheit in einer möglicherweise klareren Zukunft auch für Kingas Adoptivtochter Flummy, „Krieg und Nachkrieg entkommen. Vielfach verwurzelt“.
Ulrike Draesner, die als Lyrikerin mit der Sprache virtuos zu wirken versteht, gibt den „Verwandelten“ eine Stimme. In Zeit- und Personenwechseln – mal spricht Alissa im Alter, mal als kleines Mädchen, mal Kinga oder Doro, mal Reni, ihre Mutter Else oder Adele – entfaltet sich ein überaus beeindruckendes Panorama weiblicher Lebenserfahrungen im 20. Jahrhundert. (Syme Sigmund) Leseprobe

Das bestelle ich!

 

Aron Boks: Nackt in die DDR

Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat. Harper Collins 2023, 400 S., € 24,-

Wenn ich heute auf mein Kunstgeschichtsstudium zurückblicke, dann fällt mir keine Vorlesung ein, in denen Künstler*innen der DDR auch nur erwähnt worden wären. Mehr als verwundert habe ich 2009 im Martin Gropius Bau die Ausstellung „60 Jahre, 60 Werke – Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 2009“ besucht, in der kein*e einzig*er Künstler*in der DDR oder Ostdeutschlands vertreten war. Willi Sitte war mir dennoch selbstredend ein Begriff – gilt er doch aufgrund seiner Regierungs- und Parteinähe als der umstrittenste Künstler der DDR.
Die nun von seinem Urgroßneffen verfasste Biografie sei all jenen ans Herz gelegt, die vielleicht weniger kunsthistorisch bewandert, aber dennoch gesellschaftspolitisch und historisch interessiert sind. Aron Boks Erzählton in Nackt in die DDR ist erfrischend unakademisch und persönlich – erzählt er doch in weiten Zügen neben der stetig politisch durchzogenen Künstlerkarriere eben auch seine Familiengeschichte. Das macht den besonderen Reiz dieses ausführlichen Streifzugs aus, der mit Sittes Geburtsort im heutigen Tschechien beginnt und vor allem die Lebensgeschichte von Boks Urgroßvater Franz Sitte mit der des berühmten Bruders verknüpft. Boks Biografie liefert bei aller Bekanntheit seines Urgroßonkels einen weiteren dringend notwendigen Baustein einer Neubetrachtung und Bewertung von Künstler*innen aus der DDR, deren Werke mit dem Mauerfall fast vollständig aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. (Jana Kühn)

Das bestelle ich!

Noemi Schneider & Golden Cosmos (Illustr.): Ludwig und das Nashorn

Eine philosophische Gute-Nacht-Geschichte. NordSüd 2023, 40 S., € 18,-, ab 4 und für die ganze Familie

Genial dieses hinreißende Bilderbuch! In seinem nur von einer schwachen Lampe beleuchteten Zimmer entdeckt ein Kind neben sich auf dem Bett ein riesiges freundlich-dreinblickendes Nashorn. Der Vater glaubt nicht, dass ein Nashorn im Kinderzimmer sei und versucht, dies zu beweisen, indem er überall nachschaut und seiner Ansicht nach auch keines findet. Doch sein Sohn Ludwig und die das Buch anschauenden Kinder wissen es besser und entdecken sofort die vielen Nashornverstecke. Ludwig versucht, seinem begriffsstutzigen Papa auf die Sprünge zu helfen, der immerhin einsieht, dass der Mond da ist, obwohl sie ihn in diesem Moment nicht sehen können. Doch beim Nashorn Fehlanzeige, da bleibt er stur.
Inspiriert von Ludwig Wittgensteins Philosophie hat Noemi Schneider eine einfache wie komplexe Geschichte verfasst, die einlädt, schon mit den Jüngsten über das, was ist oder sein kann, zu debattieren. Die leuchtenden Bilder aus dem nächtlichen Kinderzimmer des Siebdruckkünstlerduos Golden Cosmos, einfach eine Augenweide, regen an, noch mehr zu entdecken. Ein riesiger Spaß zum immer wieder Anschauen und darüber Sprechen! (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

Das bestelle ich!