Danteperlen

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An jedem Monatsanfang veröffentlichen wir an dieser Stelle vier persönliche Buchempfehlungen, unsere Danteperlen, denen wir viel Aufmerksamkeit  wünschen.

Im Juli 2022 haben wir zum achten Mal die Danteperlen als schöne gedruckte Broschüre veröffentlicht mit einem prallen Jahr voller Lesetipps für Große und Kleine. Die Broschüren sind kostenlos bei uns erhältlich.

Hier finden Sie unsere aktuellen Danteperlen aus diesem Monat. Stöbern und frühere Empfehlungen lesen können Sie auf den Unterseiten.

... für Erwachsene
André Kubiczek: Nostalgia
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... für Erwachsene
James Baldwin: Kein Name bleibt ihm weit und breit
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... für Erwachsene
Sidik Fofana: Dünne Wände
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... für Erwachsene
Fred Vargas: Jenseits des Grabes
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André Kubiczek: Nostalgia

Rowohlt Berlin 2024, 399 S., € 25,-

Zusammenhänge logisch herzuleiten und für Fassbares und Unerklärliches Wörter zu finden. Damit wächst André als Kind einer DDR-Intellektuellenfamilie in Potsdam auf, bei der die Stasi durch den seltenen Telefonanschluss quasi mit am Küchentisch sitzt. Beim Vater stimmt die Herkunft, aber bei seiner Mutter passt nichts. Obwohl Sozialistin und gewordene DDR-Bürgerin sprengt sie als stilbewusste Laotin aus der Oberschicht jeden Rahmen. Schon als Kind registriert André seismographisch, wo und wie sie aneckt und was seine Eltern sich als Überlebensstrategien einfallen lassen.  Auch er verlässt meist mit tiefgezogener Kapuze das Haus. Ein Leben als Drahtseilakt, dem mit er mit List und Abnabelung zu begegnen versucht. Wie in einer dokumentarischen Zeitmaschine nimmt der Autor uns mit in seine eigene Kindheit und Jugend. Es bleibt aber nicht bei einem atmosphärisch genauen Erinnerungsroman. Mit einem Twist rückt Kubiczek die Perspektive seiner schwerkranken Mutter ins Zentrum, was ihr Lebensdilemma eindrücklich fühlbar macht. Da ist ganz viel Zartheit im Spiel. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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James Baldwin: Kein Name bleibt ihm weit und breit

Zum 100. Geburtstag von James Baldwin, übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Ijoma Mangold, dtv, 272 Seiten, 22 Euro.

Vor über 50 Jahren wurden James Baldwins Erinnerungen „No Name in the Street“ erstmals veröffentlicht, ein schneller, bruchstückhafter aber tiefgründiger, mal scharfer, mal zarter Ritt durch ein Leben als schwuler, schwarzer, amerikanischer Intellektueller. Jetzt wurden die Erinnerungen in einer neuen, diskriminierungssensiblen Übersetzung von Miriam Mandelkow neu herausgebracht. Die Erinnerungen beginnen in Harlem, New York, ganz kurz nur erzählt James Baldwin von seiner Familie, der Mutter, dem Stiefvater, mit dem es bekanntlich schwierig war, und seinen acht jüngeren Geschwistern. Auf diesen wenigen ersten Seiten offenbart sich der Blick, mit dem auf alle weiteren Ereignisse geguckt wird: ehrlich, radikal und schonungslos aber bisweilen liebevoll und fast zärtlich. James Baldwin reflektiert Machtverhältnisse und Rassismus, wenn er über Stationen in Paris, London, Hamburg, schreibt, von Begegnungen mit Martin Luther King, Malcom X und anderen Aktiven in der Bürgerrechtsbewegung erzählt (- ach, Pioniere -) oder über ein unbehagliches, weil die Entfremdung so groß geworden ist, Wiedersehen mit einem Freund aus Kindertagen nachdenkt. Er räumt auf mit grundlegend falschen (weißen) Annahmen, erzählt von einer – wie er im weiteren Verlauf ausführt – ihn tief verstörenden Reise in die Südstaaten, von einem dort noch mal ganz anders erlebten, weil segregierenden Rassismus, von der physisch spürbaren Angst beim Gang über ein Rollfeld. „Kein Name bleibt ihm weit und breit“ ist keine leichte Lektüre, aber eine sehr notwendige. (Katharina Bischoff)

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Sidik Fofana: Dünne Wände

Aus dem Amerikanischen Englisch übersetzt von Jens Friebe, Claassen, 256 Seiten, 23 Euro

Banneker Terrace ist eine Siedlung in Harlem, New York City. Die meisten Menschen hier kämpfen hart um ihren Lebensunterhalt, jeder Dollar ist schwer verdient und um jeden einzelnen geht es Monat für Monat beim Bestreiten der Miete. So manche*r Bewohner*in ist mit eben dieser schon im Rückstand – so wie Mimi, die eigentlich ganz gut um die Runden kommen könnte, aber ab und an wünscht sie sich eben ein kleines Stück Luxus. Der arbeitslose Swan, Vater ihres Kindes und hin und her gerissen zwischen der kleinkriminellen Lässigkeit seiner Kumpels und dem Wunsch, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, wohnt ebenfalls hier – er wiederum bei seiner Mutter. Ms Dallas schuftet in gleich zwei Jobs, als Schulbegleiterin und als Security-Assistenz am Flughafen, um das notwendige Einkommen für sich und Swan zu erwirtschaften. In acht dieser Art gekonnt miteinander verwobenen Episoden zeichnet Fofana ein detailreiches Bild der Menschen in der Siedlung. Für eine jede Person findet er einen ganz eigenen, kraftvollen wie sensiblen Erzählton, dem man quasi anhört, dass der Autor selbst in Brooklyn als Lehrer arbeitet und vermutlich viele persönliche Erlebnisse in seinen Erzählreigen hat einfließen lassen. Dabei kommt Fofanas Roman-Debüt bei aller thematischen Brisanz mit großer sprachlicher Leichtigkeit daher – Chapeau Jens Friebe! (Jana Kühn)

Fred Vargas: Jenseits des Grabes

Aus dem Französischen übersetzt von Claudia Marquardt, Limes, 526 Seiten, 26 Euro.

Lange hat man nichts mehr gehört von Inspektor Adamsberg und seiner Brigade criminelle des 13. Arrondissements in Paris. Doch das Wiedersehen mit der Belegschaft im Kommissariat ist nur von kurzer Dauer, denn eine Zeitungsmeldung erregt Adamsbergs Aufmerksamkeit und die Reise beginnt, diesmal in die Bretagne, in einen kleinen Ort namens Louviec, der irgendwo in der Nähe des realen Schlosses Combourg angesiedelt ist. Ein holzbeiniges Gespenst soll dort leben, dessen nächtliche Schritte immer dann durch die Gassen hallen, wenn ein Unheil kurz bevorsteht. Und genauso so kommt es: das Holzbein klappert, das Morden beginnt. Aber es wäre nicht Vargas, wenn hier nicht alles Mystische am Ende doch sehr fest auf bretonischem Boden stünde. Der Fall ist wie immer zunächst vertrackt. Adamsberg beschreibt das so: „Letzte Worte ohne erkennbaren Sinn, Schatten auf die man nicht treten darf… das Fehlen jeglichen Motivs.“ Bei Johan, dem Dorfschenk, speisen die Pariser Ermittler üppig mit den bretonischen Kollegen und versuchen die Dorfgemeinschaft zu entschlüsseln – auf die vertraute Art: Mercadet muss viel schlafen, die Retancourt zeigt einmal mehr, dass man sehr weise sein muss, um stark zu sein und am Ende sind es wieder einmal die Flöhe die den rechten Weg weisen.  Wie immer bei der Vargas ist diese kluge Milieustudie einer Dorfgemeinschaft, auch ein so gut gebauter Krimi, dass man ihn nur weglegt, um irgendwie, möglichst schnell in die Bretagne zu kommen. (Kerstin Follenius)

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