Lauren Groff: Die weite Wildnis

Aus dem amerikanischen Englischen von  Stefanie Jacobs, Claassen 2023, 288 S., € 25,-

Es sind die ganz frühen, eiskalten Morgenstunden, als sich das Mädchen Lamentatio aus einem Fort englischer Siedler in Nordamerika davonschleicht. Vor ihr liegt nicht weniger als Die weite Wildnis mit all ihren Gefahren. Doch mehr noch als Dunkelheit, Kälte und Einsamkeit fürchtet das Mädchen die Menschen, vor denen sie flieht bzw. ihren oder gar ihre mit Sicherheit beauftragten Verfolger. Schlimmes muss ihr widerfahren sein, man ahnt es lange nur. Von nun an wechseln sich Mut und Entdeckerfreude ab mit Verzweiflung und Schmerz. Für Lamentatios Kampf ums Überleben findet Lauren Groff einen überaus packenden Erzählton, der ihre existenziellen Erfahrungen fast physisch erlebbar macht – selten habe ich so mit einer Protagonistin mitgefiebert. Lamentatios in Rückblenden erzählte Erinnerungen sowie ihre im wandernden Selbstgespräch immer kritischer gestellten Fragen an Gott und die Welt gehen jedoch weit über das Genre des Abenteuerromans hinaus. Lauren Groff schlägt meisterhaft einen Bogen zu gesellschaftlichen Themen und Debatten, die heute von größter Aktualität sind. Sie verknüpft Elemente des Nature Writing, des historischen, des feministischen, des politischen Schreibens zu einem schlicht umwerfenden Roman. (Jana Kühn) Leseprobe

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Britta Teckentrup: Ein Fest von Obst und Früchten

Jacoby & Stuart 2023, 160 S., durchgehend farbig illustriert, € 29,-

Ihre Erinnerungen an den üppigen Garten ihrer Großmutter voller Himbeeren, Kirschen und Quitten inspirierte die Künstlerin, sich intensiv mit Früchten zu befassen. Dabei entdeckte sie erstaunliche botanische Zusammenhänge, die im Alltag ganz anders wahrgenommen werden. Botanisch gesehen sind z.B. Gurken Früchte, während Bananen als Beeren klassifiziert werden. Doch überfrachtet Teckentrup ihr Buch nicht mit solchen botanischen Spezifika. Im Vordergrund stehen die Früchte, ihr Nutzen, ihre Geschichte und das, was wir geschmacklich, kulturell und mythologisch mit ihnen verbinden. Neben Gedichten, Redensarten und Kuriosa sind es vor allem die Bilder im Stile der alten niederländischen Meister, die ihr Buch zu einem einzigartigen ästhetischen Genuss machen und immer wieder betrachtet werden wollen. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Cal Flyn: Verlassene Orte

Enden und Anfänge in einer menschenleeren Welt. Aus dem Englischen von Milena Adam, Matthes & Seitz 2023, 343 S., € 34,-

Der 100. Band der von Judith Schalansky herausgegebenen Naturkunden ragt selbst unter den Titeln dieser besonderen Reihe heraus. Die preisgekrönte schottische Essayistin vollführt in ihrem Buch einen Spagat, denn sie entdeckt und beschreibt Naturphänomene, die es nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht geben dürfte. Ihr Interesse gilt Orten und Landstrichen, die schwer durch Klimakrisen, Kriege und Katastrophen kontaminiert und eigentlich unbewohnbar sind. Meist mussten die Menschen sie von einem Moment auf den anderen räumen und ihre Häuser samt Inventar sich selbst überlassen. Leer und verfallen begannen diese zerstörten Landschaften und Gebäude ein neues Eigenleben, siedelten sich allmählich Gräser, Bäume, Wälder zwischen aufbrechendem Asbest und Beton an, kamen zuhauf Tiere in die menschenfreien Zonen. Ein Paradox entsteht weltweit in diesen verlassenen Gegenden, eine neue resiliente Artenvielfalt, die, so scheint es, mit Verseuchtem besser klarkommt als mit der menschlichen Existenz. Die auf ihren Erkundungsreisen beobachteten gleichzeitig faszinierenden wie irritierenden Vorkommnisse brechen herkömmliche Gedankenraster auf. Was für eine außergewöhnliche Reise! (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Pari Thomson: Greenwild – Die Jagd nach dem Wunderlicht

Aus dem Englischen von Maren Illinger, illustriert von Elisa Paganelli, Fischer SAUERLÄNDER 2023, 380 S., € 17,90, ab 10

Daisys Mutter, eine erfolgreiche Journalistin, verschwindet auf einer Recherchereise im Amazonas-Gebiet. Sie selbst kann sich in letzter Minute vor grimmigen Verfolgern in den Londoner Botanischen Garten retten. Dort öffnet ihr eine geheimnisvolle Pforte den Weg nach Greenwild, einer fantastischen Welt voller wundersamer Pflanzen – vor allem voller Grüner Magie. Und offensichtlich kannte ihre Mutter diese Welt, war selbst eine Botanistin. Und: “Botanistin zu sein, bedeutet vor allem, darüber nachzudenken, was wir für die Natur tun können – und nicht nur, was sie für uns tun kann.” Daisy macht sich auf die Suche nach ihrer Mutter und erlebt zahlreiche Abenteuer, die bei aller Fantasie viele Anknüpfungspunkte in unserer Welt haben und en passant für den Schutz der Einzigartigkeit von Natur- und Pflanzenwelt sensibilisieren. Fesselnder Auftakt einer magisch-botanischen Trilogie in schönster Buchgestaltung, Teil II kommt schon im Herbst – wir sind gespannt! (Jana Kühn) Leseprobe

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Mary Austin: Land des kargen Regens

Aus dem amerikanischen Englisch von Dieter Fuchs, mit einem Nachwort von Solvejg Nitzke, Matthes & Seitz 2023, 224 S., € 28,-

Der heiße Südwesten der USA zwischen Los Angeles, Arizona und Mexiko war die Wahlheimat von Mary Hunter Austin. Dieser kargen, großartigen Landschaft, ihren Pflanzen, Tieren und Menschen, fühlte sie sich zutiefst verbunden. In vierzehn Essays beschreibt sie mal die Wüste, mal die Berge der Sierra, mal ihre Bewohner und deren Geschichten, und immer tut sie dies als aufmerksam-sensible Beobachterin in einer lyrischen Sprache voller Anmut und Respekt, mit scharfem Blick für die Zusammenhänge der Natur. Nicht umsonst gilt sie als Pionierin der Umweltschutzbewegung (das Buch erschien 1903). Pflanzen, Tiere und Menschen sind für sie Teil eines großen Ganzen, in dem alles miteinander verbunden ist. Der Mensch gehört zur Natur, ist nicht unabhängig von ihr.
Aktueller könnte dieses schmale Band angesichts des Klimawandels kaum sein. Unvorstellbar, dass das Buch bisher noch nie ins Deutsche übersetzt wurde. Nun ist es zufällig fast zeitgleich sowohl bei Matthes Seitz in der wie immer von Judith Schalansky wunderschön gestalteten und mit vielen Anmerkungen versehenen Naturkunden-Reihe als auch bei Jung und Jung* erschienen. (Syme Sigmund)

*Unter dem Titel Wo wenig Regen fällt, übersetzt von Alexander Pechstein

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Wilhelm Bode: Hasen – Ein Portrait

Matthes & Seitz 2023, Reihe Naturkunden, mit zahlreichen Abbildungen, 159 S., € 22,-

Hasen haben – das wissen wir alle – zu Ostern Hochkonjunktur. Aber auch während des restlichen Jahres bietet dieses kleine, wie immer im Rahmen der Naturkunden äußerst ansprechend gestaltete Buch viel Interessantes zu entdecken.
Wieso schlägt der Hase Haken? Wie schnell kann er rennen? Woher stammt eigentlich die Figur des Osterhasen? Warum war der Hase das heilige Tier der Aphrodite? Und was hat die Geschichte „Der Hase und der Igel“ mit dem Konflikt zwischen Feudalherren und Kleinbauern Mitte des 19. Jahrhunderts zu tun? Diese und viele andere unterhaltsam-überraschende Fakten über den neugierigen und wendigen Bewohner unserer Felder und Wiesen lassen sich hier erlesen. Und wenn wir demnächst einmal das Glück haben sollten, einem Hasen über den Weg zu laufen, werden wir ihn nach dieser Lektüre sicher mit neuem Auge hinterherschauen, wie er mit großen Sätzen davonspringt. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Ambra Edwards: Pflanzenjäger

Wie exotische Pflanzen in unsere Gärten kamen. Aus dem Englischen von Anke Albrecht, Gerstenberg 2022, 304 S., € 40,-

Unvorstellbar, wie unsere Parks, Gärten und Straßen aussähen, auf welche Nahrungsmittel, Kräuter und Arzneien wir verzichten müssten, hätte es nicht die Menschen gegeben, die in ferne Kontinente reisten, große Strapazen auf sich nahmen und zum Teil ihr Leben riskierten, um möglichst viele unbekannte Pflanzen in anderen Teilen der Welt aufzuspüren. Sie beschrieben, zeichneten, sammelten, vermehrten gefundene Pflanzen und Samen und schickten sie an Botaniker und Pflanzenverrückte in ihre Heimaten! Hortensie, Ginkgo, Blauregen, Tee, Pfingstrose, Kaffee, Paranuss, um nur wenige zu nennen… Die abenteuerlichen Geschichten, wie sie entdeckt, oft illegal mit vielen Tricks erbeutet und verschickt wurden, wer sich an ihnen bereicherte, wie Politik mit ihnen gemacht wurde, werden mitreißend erzählt. Immer wieder thematisiert die Autorin, die auf die reichen Sammlungen und Expertisen der Königlichen Botanischen Gärten von Kew zurückgreifen konnte, dabei die kolonialistischen und kriminellen Aspekte des Pflanzenraubs. Gleichzeitig haben die wagemutige Entdeckerlust dieser Sammler:innen, zu denen auch Frauen wie Maria Sibylla Merian gehörten, unendlich zur Biodiversität beigetragen. Bestaunt kann diese Vielfalt, Pracht und Schönheit in den farbigen botanischen Illustrationen werden. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Jesse Goossens: Unser wildes Zuhause

Tiere im hohen Norden. Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart, mit Illustrationen von Marieke Ten Berge, Aladin 2022, 88 S. im Großformat, € 20,-, ab 5 und für alle

Was gibt es in diesem tollen großformatigen Buch nicht alles zu entdecken! Vom Basstölpel über das Eurasische Gleithörnchen und den Pottwal bis zum Schopfalk und dem Walross kommen 33 Tiere hier zu Wort. Ja, zu Wort, denn jedes Tier erzählt selbst von sich, davon wie es aussieht, wie es lebt und was es Besonderes kann – der Gelbschopflund zum Beispiel sammelt bis zu 62 Fische gleichzeitig in seinem Schnabel – und auch, wie sehr und auf welche Weise es durch den Einfluss des Menschen und den Klimawandel bedroht ist.
Begleitet wird jede der unterhaltsam-informativen Doppelseiten durch wunderschöne Illustrationen – meist kolorierte Linoldrucke – der Autorin, die allein schon das Buch zu einem wahren Kunstwerk machen.  (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Nicola Davies & Laura Carlin (Illustr.): Ein Baum ist ein Anfang

Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn, Aladin 2022, 48 S., € 15,-, ab 5 & für alle

Schmutziges graues Pflaster, abweisende Steinmauern, Zäune, Industriebauten, schäbige Gebäude, ungeschützt vor Kälte, Wind und Hitze. Eine junge Diebin stiehlt den Menschen ihr bisschen Etwas. Das ist auf den ersten Blick kein übliches Entree für ein Bilderbuch. Doch gerät das Mädchen an eine alte Frau, die ihre schwere Tasche vor der Diebin so lange festhält, bis sie ihr ein seltsames Versprechen, „sie zu pflanzen“ abnimmt.  Mit der Tasche, in der sie Geld und Essen vermutet, rennt das Mädchen weg. Doch es sind nur Eicheln, grün, vollkommen und so viele, dass sie begreift, welchen Schatz sie da in den Händen hält. Und sie beginnt, in all das Graue und Harte die Eicheln zu setzen. Ganz langsam verändern sich die Illustrationen, macht das Grün etwas mit dem Raum und den Menschen, den Tieren. Die Bilder werden farbiger, heiterer, abwechslungsreicher, längst hat sich der Radius der jungen Aktivistin ausgedehnt.  Das überraschende Ende macht noch mehr Mut. Zum Immer-Wieder-Anschauen. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Bernd Brunner: Von der Kunst, die Früchte zu zähmen. Eine Kulturgeschichte des Obstgartens

Knesebeck Verlag 2022, 288 S., € 22,-

Wohlschmeckende Früchte werden überall in der Welt geschätzt und an den unterschiedlichsten Orten angebaut: auf dem Fensterbrett, in Schrebergärten, Streuobstwiesen, industrialisierten Plantagen. Doch wie war das früher? Wie fingen die Menschen an, Obstbäume zu kultivieren, wann bildeten sich die verschiedenen Formen an Obstgärten heraus und wurden sie als beglückende Orte verstanden? Diese anregende Kulturgeschichte geht weit zurück zu den Anfängen, als vor Millionen von Jahren Tiere für die Verbreitung von Früchten sorgten und unsere ersten Vorfahren Wildfrüchte naschten und allmählich realisierten, dass sie sie anbauen konnten. Traumhaft schöne Oasengärten werden vorgestellt, frühe Ziergärten, legendäre Klostergärten, Gärten von Herrschern, Gärten in den unterschiedlichsten Regionen wie in den Tropen oder in der nördlichen Hemisphäre. Wohltuend sind die Beziehungen zwischen Menschen und ihren selbst geschaffenen Paradiesen. Das überträgt sich unwillkürlich bei der Lektüre dieses mit seinen 100 farbigen Illustrationen wunderschönen kleinen Buchschatzes. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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