Übersetzt aus dem Amerikanischen Englisch von Maren Illinger
Fischer Sauerländer 2025, 528 Seiten, 19,90 Euro
Jake möchte am liebsten verschwinden, er denkt, dass er viel zu viel Platz einnimmt. Deswegen versucht er so wenig wie möglich zu essen und so viel Sport wie möglich zu machen, um so viel abzunehmen, wie nur irgendwie geht. Um ihm zu helfen, schicken seine Eltern ihn in eine Klinik, in der seine Essstörung behandelt werden soll. Doch die Gruppentherapien und die Therapeutin lassen die Stimme nur noch lauter werden, die ihm einbläut niemandem zu vertrauen und allen vorzuspielen sich zu bessern, um schnell wieder nach Hause zu können.
Durch die besondere Versform, in der das Buch geschrieben ist, mit immer wieder wechselnden Schriftarten und Schriftgrößen, fühlt es sich so an, als wäre man in Jakes Kopf und würde die Gedanken und Gefühle, die er erlebt, sehen. Dadurch kann man sich gut in das Buch reinfühlen. Auf den einzelnen Seiten ist wenig Text und deshalb ist das Buch trotz seiner Dicke sehr schnell zu lesen. Besonders interessant ist die Entwicklung von Jake. Man beobachtet ihn bei jedem Schritt der Therapie und seiner Magersucht.
Meiner Meinung nach eine klare Empfehlung, da diese Thema ein sehr wichtiges ist. Der Autor litt als Jugendlicher selbst an einer Essstörung und dadurch kann er den Leser*innen gut verständlich machen, was bei dieser Krankheit passiert, auch wenn man selbst in keinster Weise davon betroffen ist. Es scheint in gewisser Weise plausibel wie Jake sich verhält. (Lotte, Schülerpraktikantin, 15 Jahre)
Davide Morosinotto: Der Sohn des Meeres
Übersetzt von Cornelia Panzacchi, Thienemann, 368 Seiten, 18 Euro, ab 12
Der Sohn des Meeres ist ein packender, historischer Jugendroman, der anschaulich aus antiken Zeiten und von der Entstehung Venedigs erzählt. Der kriegerische Angriff der Hunnen reißt den jungen Schweinehirten Pietro aus seinem ärmlichen Familienalltag. Groß und kräftig, wie er ist, wird er, ein halbes Kind noch, als Soldat eingezogen, um seine Heimatstadt Ateste zu verteidigen. Im Heerestross erkennt er eines Tages ungläubig Justina, die Tochter seines ehemaligen Arbeitgebers. Ihre Anwesenheit und Identität müssen unbedingt geheim bleiben, und bald schon ist es nicht nur dieses Geheimnis, das die beiden Jugendlichen verbindet. Morosinottos neuestes in Deutschland erschienenes Buch – eine Trilogie, die in 2025 fortgesetzt wird – führt zu seinen heimatlichen Wurzeln in Norditalien, genauer gesagt in die heute Venetien genannte Region. Er stammt selbst aus Este und die wie immer umfassenden Recherchen zum Buch brachten ihm seine Heimatstadt samt deren Schauplätze und Protagonist*innen noch einmal anders näher. (jk)
Für alle, die an die Kraft der Freund*innenschaft glauben
Annika Scheffel: Alle Farben von Licht, Carlsen, Bohem, 480 Seiten, 17 Euro, ab 14
Alles ist Rio viel zu viel. Der Sommer, die Hitze, die Freund*innen, die Erwartungen, die Trauer, die Angst, das Vermissen. Seit einem Jahr ist seine Zwillingsschwester tot und alle, auch er selbst, denken, dass es jetzt doch mal besser werden muss. Tut es aber nicht. Dann trifft Rio auf Franz, mit dem sich alles zwar nicht leichter, aber weniger einsam anfühlt. Mit Verlust, Trauer und Depression hat sich Annika Scheffel schwere Themen vorgenommen, die hier wunderbar zart und leicht und ziemlich kitschfrei erzählt werden. (kb)
Eva Rottman: Fucking fucking schön
Jacoby & Stuart 2024, 176 Seiten, 16 Euro
Fucking Fucking schön der Autorin Eva Rottmann umkreist das erste Mal, oder besser die vielen unterschiedlichen ersten Male des Coming of Age aus der Sicht von 12 Teenagern. Aus Gesprächen mit Schüler*innen hat die Autorin Themen, Fragen und Bilder ausfindig gemacht, die sie in zehn erzählten Kapiteln verdichtet. Jeder Text umkreist dabei sehr assoziativ und doch immer greifbar konkret ein Thema – Queerness, Lust oder Netzpornos zum Beispiel, aber auch Flüchtigeres wie atemloses Verliebtsein, Zweifel, Scham oder Reue. Die einzelnen Episoden stehen für sich, sind aber durch immer wieder aufscheinende, dünne rote Fäden miteinander verbunden. Rottmann ist auch Theaterautorin was man den Texten anmerkt – lebendig, sprachintensiv und mit dem Ohr ganz nah dran an der Zielgruppe, szenisch erzählt und aufgebaut. Tatsächlich kann man das Oeuvre Rottmanns als einen Organismus lesen, in dem Figuren und Orte ganz beiläufig immer wieder auftauchen. Deshalb Achtung – Spoileralarm! Wer die Vorgängergeschichten von Eva Rottman – Mats und Milad und Kurz vor dem Rand, übrigens gerade mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet – noch nicht kennt, liest einige Details nicht linear. Das macht aber nichts, denn es ist nahezu egal aus welcher Richtung man die Welt Eva Rottmanns betritt: es macht Fucking fucking Spaß. (Kerstin Follenius)
Nilsson, Frida: Martin & Jack
Illustriert von Torben Kuhlmann, übersetzt von Friederike Buchinger, Gerstenberg 2024, 376 Seiten, 22 Euro.
In ihrem neuen Roman für Kinder erzählt Frida Nilsson aus einem Schweden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ohne sich komplett an historische Tatsachen zu halten, besonders was Hunde betrifft. Einerseits agieren sie wie Menschen, andererseits führen sie in einem buchstäblichen wie übertragenen Sinne ein Hundeleben – gesellschaftlich geächtet und allerseits herabgewürdigt. Zu Beginn schuften Martin und Jack, Pflegekind und bediensteter Hund, schon viele Jahre zusammen auf dem Hof eines strengen und unerbittlichen Bauern. Erst als der Bauer den altersschwachen Jack verstößt, schließt sich der Junge dem Hund an und flieht – auch weil Jack Martin endlich Details über seinen vermeintlich verschwundenen Vater verrät. Schnell stoßen neue Gefährten zur Reisegruppe, allerdings ebenso Verfolger, denn, so liest man es in allen Zeitungen: Der Hund hat den Jungen entführt! Frida Nilsson ist es erneut wunderbar gelungen, ihre Figuren mit charakterlicher Tiefe voller Grauzonen zu erzählen. Martin & Jack ist historischer Abenteuerroman und große Parabel über bis heute und weltweit ungeklärte Ungerechtigkeiten und verhandelt en passant Fragen zu Freundschaft und Wahlverwandtschaft. Ein großer Wurf und tiefgründiger Schmöker! (Jana Kühn)
Andrej Bulbenko & Marta Kajdanowskaja: Elektrizität und Himmelsfische
dtv 2024, 192 Seiten, aus dem Russischen von Olga Radetzkaja und Henriette Reisner, ab 12
Ein schwerhöriger Großvater hinterm Steuer, der unentwegt die falsche Abfahrt nimmt. Die Großmutter auf dem Beifahrersitz schimpft, vom Opa konsequent mit N-Ä-Ä-Ä-Ä übertönt. Die Mutter auf der Rückbank, eingeklemmt zwischen Taschen, dem Vater und den beiden Kindern wüsste einen Weg – es ist aber ohnehin vergeblich, denn die Familie steht im Stau. Nichts bewegt sich. Was klingt wie der Beginn einer turbulenten Urlaubsgeschichte ist in Wirklichkeit jedoch etwas ganz anderes. Die Familie ist auf der Flucht. Ihre Heimatstadt steht unter Beschuss und die Großeltern haben entschieden, zu evakuieren. Die Enge des Autos ist schwer zu ertragen für die 14jährige Marzia, die dem Familienkäfig entflieht und zur Erzählerin wird. Sie findet messerscharfe Worte für ihre Wut über das Unvermögen der Erwachsenen, ihr all das nicht erspart zu haben. Das ukrainische Autor*innenduo, ein bekannter Schriftsteller und eine 15jährige Schülerin, ist ein phantastisch gutes Gespann. Beide haben je eigene Fluchterfahrungen und wissen, an welchen Stellen sie innehalten und das nicht Auserzählte Bilder aufruft, die noch sehr lange nachwirken, ohne je die Leichtigkeit zu verlieren. Grandios übersetzt und rhythmisiert. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden und vor allem eine Geschichte über Krieg, Flucht und Heimatlosigkeit aus einer bislang unerzählten Perspektive. Technisch meisterhaft, voller Humor und tief. Ein Buch für unbedingt alle ab 12. (Kerstin Follenius)
Maja Nielsen: Der Tunnelbauer
Gerstenberg 2024, 192 S., € 14,- , ab 13
Achim hält es nicht mehr aus, er muss raus aus Ost-Berlin, wo nach dem Bau der Mauer 1961 der Druck auf regierungskritische Personen nochmals deutlich größer geworden ist. Seine Familie, zahlreiche Freund*innen und vor allem Chris, seine Freundin, lässt er zurück – nicht ohne jedoch zu versprechen, zumindest zu versuchen, einige von ihnen nachzuholen. In West-Berlin angekommen wird Achim einer der mutigen Tunnelbauer, die 70 unterirdische Gänge gruben, um Menschen aus Ost-Berlin die Flucht zu ermöglichen. Ganze zehn Stunden dauerte das erste Treffen von Maja Nielsen mit dem Zeitzeugen Joachim Neumann, dessen Geschichte(n) sie für ihren historischen Jugendroman verarbeitet. Mit ihren Recherchen hat sie sich buchstäblich in die Stadt- und DDR-Geschichte gegraben, verdeutlicht aber genauso anschaulich die individuelle und brisante Situation der dazugehörigen Menschen. Ihre Biographien erzählt Maja Nielsen phänomenal verdichtet in einem vergleichsweise schmalen Band, der Dank des versiert gesetzten Spannungsbogen, auch heute, 35 Jahre nach dem Mauerfall, viele Jugendliche berühren wird. (Jana Kühn) Leseprobe
R.J. Palacio: Pony
Wenn die Reise deines Lebens lockt, mach dich auf den Weg. Aus dem Amerikanischen von André Mumot, Hanser 2024, 304 S., € 19,-, ab 12
Es geht alles ganz schnell. Nachts werden Silas und sein Vater, die weit abgeschieden auf einer Farm leben, von Pferdegetrappel geweckt. Bewaffnete Männer bedrohen sie und entführen Silas Vater, einen hochspezialisierten Kollodium-Nassplatten-Fotografen und Erfinder. Angeblich nur für eine Woche, aber Silas traut ihnen nicht und will ihnen nach. Sein imaginärer Freund Mittenwool will ihn aufhalten, aber als ein Pony mit einem merkwürdigen Gesicht auftaucht, kennt Silas trotz seiner Ängste vor dem dichten Wald und dem Unbekannten, das ihn erwartet, keinen Halt. Begleitet von seinem imaginären Freund und dem Pony, zu dem er schnell eine enge Verbindung spürt, begibt sich der Junge auf eine spannende aufwühlende Reise. Er, der Halbwaise und besonders sensibel ist, begegnet im Wald einem alten Marshall, einem Sheriff samt Kompagnon, den Gangstern und vielen Gespenstern und Schatten der Vergangenheit. Die Autorin schont dabei weder den Protagonisten noch ihre LeserInnen, es geht um das kriegerische Amerika des 19. Jahrhunderts. Doch Silas Feinfühligkeit und Wachheit samt der magischen Unterstützung durch Mittenwool und Pony tragen ihn. Palacio schenkt uns mit „Pony” eine faszinierende Abenteuergeschichte, die sie mit anspielungsreichen Daguerreotypien, Zitaten und einem ausführlichen Nachwort zu einem herausragenden Jugendroman geschaffen hat. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch
Andreas Langer: Schneekinder
Ueberreuter 2023, 352 S., € 16,-, ab 11
Jorlands König führt Krieg. Lange schon sind alle Erwachsenen entweder an die Front oder zum Hilfsdienst geschickt worden. In abgelegenen Bergdörfern leben nur noch wenige Alte und Kinder. Als in einem Bergwerk eine Bodenspalte geöffnet wird, steigen von dort giftige schwarze Schwaden auf und plötzlich drängen riesige steinerne Gestalten donnernd nach draußen. Die erst halbwüchsigen Bergarbeiter fliehen in das nächstgelegene Dorf und schließen sich einem Tross aus vor allem Kindern und Jugendlichen an. Eher wider Willen wird die 14jährige Elin zur Anführerin der Flüchtenden auf ihren beschwerlichen, tief verschneiten Pfaden. Sehr atmosphärisch beschreibt Andreas Langer die unwegsamen Winterlandschaften und lässt sie bildstark an Islands unberührte Natur erinnern. Genauso spannend wie die zahlreichen gefährlichen Abenteuer der Schneekinder ist jedoch zu lesen, wie es Elin gelingt, die unterschiedlichen Charaktere sehr verschiedenen Alters immer wieder in der Gruppe zusammenzuhalten. Welche Wesenszüge kitzeln Ausnahmesituationen heraus? Wieviel Moral bleibt übrig, wenn der Hunger groß ist? Solcherart Fragen stellt Andreas Langer seinen jungen Protagonist*innen zwischen den Zeilen. Damit gelingt ihm ein vielschichtiges, packendes Abenteuer perfekt für lange Winterabende. (Jana Kühn) Leseprobe
Kathrin Wolf, Isabel Kreitz (Illustr.): In einem alten Haus in Berlin
Gerstenberg / Stiftung Stadtmuseum Berlin 2023, 64 S., Großformat, € 28,-
Die wichtigsten Momente der letzten 150 Jahre deutscher Geschichte, aus Kinderperspektive erzählt anhand der Bewohner eines großen Mietshauses mitten in Berlin und ergänzt duch kindgerechte historische Erläuterungen. Beginnend 1871 geht es durch Kaiserreich, Kriege und Wirtschaftswunder bis in die heutige Zeit, wandeln sich Einrichtungen und Bewohner. Die großen wimmelbildartigen Illustrationen laden zum Eintauchen ein und lassen Historisches begreifbar und lebendig werden. Ein Buch für die ganze Familie zum Schauen und Sich-Vertiefen. (Syme Sigmund) Blick ins Buch