Maja Nielsen: Der Tunnelbauer

Gerstenberg 2024, 192 S., € 14,- , ab 13

Achim hält es nicht mehr aus, er muss raus aus Ost-Berlin, wo nach dem Bau der Mauer 1961 der Druck  auf regierungskritische Personen nochmals deutlich größer geworden ist. Seine Familie, zahlreiche Freund*innen und vor allem Chris, seine Freundin, lässt er zurück – nicht ohne jedoch zu versprechen, zumindest zu versuchen, einige von ihnen nachzuholen. In West-Berlin angekommen wird Achim einer der mutigen Tunnelbauer, die 70 unterirdische Gänge gruben, um Menschen aus Ost-Berlin die Flucht zu ermöglichen. Ganze zehn Stunden dauerte das erste Treffen von Maja Nielsen mit dem Zeitzeugen Joachim Neumann, dessen Geschichte(n) sie für ihren historischen Jugendroman verarbeitet. Mit ihren Recherchen hat sie sich buchstäblich in die Stadt- und DDR-Geschichte gegraben, verdeutlicht aber genauso anschaulich die individuelle und brisante Situation der dazugehörigen Menschen. Ihre Biographien erzählt Maja Nielsen phänomenal verdichtet in einem vergleichsweise schmalen Band, der Dank des versiert gesetzten Spannungsbogen, auch heute, 35 Jahre nach dem Mauerfall, viele Jugendliche berühren wird. (Jana Kühn) Leseprobe

Video-Interview mit dem Zeitzeugen Joachim Neumann

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R.J. Palacio: Pony

Wenn die Reise deines Lebens lockt, mach dich auf den Weg. Aus dem Amerikanischen von André Mumot, Hanser 2024, 304 S., € 19,-, ab 12

Es geht alles ganz schnell. Nachts werden Silas und sein Vater, die weit abgeschieden auf einer Farm leben, von Pferdegetrappel geweckt. Bewaffnete Männer bedrohen sie und entführen Silas Vater, einen hochspezialisierten Kollodium-Nassplatten-Fotografen und Erfinder. Angeblich nur für eine Woche, aber Silas traut ihnen nicht und will ihnen nach. Sein imaginärer Freund Mittenwool will ihn aufhalten, aber als ein Pony mit einem merkwürdigen Gesicht auftaucht, kennt Silas trotz seiner Ängste vor dem dichten Wald und dem Unbekannten, das ihn erwartet, keinen Halt. Begleitet von seinem imaginären Freund und dem Pony, zu dem er schnell eine enge Verbindung spürt, begibt sich der Junge auf eine spannende aufwühlende Reise. Er, der Halbwaise und besonders sensibel ist, begegnet im Wald einem alten Marshall, einem Sheriff samt Kompagnon, den Gangstern und vielen Gespenstern und Schatten der Vergangenheit. Die Autorin schont dabei weder den Protagonisten noch ihre LeserInnen, es geht um das kriegerische Amerika des 19. Jahrhunderts. Doch Silas Feinfühligkeit und Wachheit samt der magischen Unterstützung durch Mittenwool und Pony tragen ihn. Palacio schenkt uns mit „Pony” eine faszinierende Abenteuergeschichte, die sie mit anspielungsreichen Daguerreotypien, Zitaten und einem ausführlichen Nachwort zu einem herausragenden Jugendroman geschaffen hat. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Andreas Langer: Schneekinder

Ueberreuter 2023, 352 S., € 16,-, ab 11

Jorlands König führt Krieg. Lange schon sind alle Erwachsenen entweder an die Front oder zum Hilfsdienst geschickt worden. In abgelegenen Bergdörfern leben nur noch wenige Alte und Kinder. Als in einem Bergwerk eine Bodenspalte geöffnet wird, steigen von dort giftige schwarze Schwaden auf und plötzlich drängen riesige steinerne Gestalten donnernd nach draußen. Die erst halbwüchsigen Bergarbeiter fliehen in das nächstgelegene Dorf und schließen sich einem Tross aus vor allem Kindern und Jugendlichen an. Eher wider Willen wird die 14jährige Elin zur Anführerin der Flüchtenden auf ihren beschwerlichen, tief verschneiten Pfaden. Sehr atmosphärisch beschreibt Andreas Langer die unwegsamen Winterlandschaften und lässt sie bildstark an Islands unberührte Natur erinnern. Genauso spannend wie die zahlreichen gefährlichen Abenteuer der Schneekinder ist jedoch zu lesen, wie es Elin gelingt, die unterschiedlichen Charaktere sehr verschiedenen Alters immer wieder in der Gruppe zusammenzuhalten. Welche Wesenszüge kitzeln Ausnahmesituationen heraus? Wieviel Moral bleibt übrig, wenn der Hunger groß ist? Solcherart Fragen stellt Andreas Langer seinen jungen Protagonist*innen zwischen den Zeilen. Damit gelingt ihm ein vielschichtiges, packendes Abenteuer perfekt für lange Winterabende. (Jana Kühn) Leseprobe

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Kathrin Wolf, Isabel Kreitz (Illustr.): In einem alten Haus in Berlin

Gerstenberg / Stiftung Stadtmuseum Berlin 2023, 64 S., Großformat, € 28,-

Die wichtigsten Momente der letzten 150 Jahre deutscher Geschichte, aus Kinderperspektive erzählt anhand der Bewohner eines großen Mietshauses mitten in Berlin und ergänzt duch kindgerechte historische Erläuterungen. Beginnend 1871 geht es durch Kaiserreich, Kriege und Wirtschaftswunder bis in die heutige Zeit, wandeln sich Einrichtungen und Bewohner. Die großen wimmelbildartigen Illustrationen laden zum Eintauchen ein und lassen Historisches begreifbar und lebendig werden. Ein Buch für die ganze Familie zum Schauen und Sich-Vertiefen. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Kim Chakanetsa & Mayoba Alawi: Afrika

Kreuz und quer durch einen bunten Kontinent. Aus dem Englischen von Margot Wilhelmi, Gerstenberg 2023, 96 durchgehend farbige S., € 26,-, ab 10 für alle

Edel und geheimnisvoll lockt der schöne Einband, ihn aufzuschlagen. Innen geht es gleich weiter mit grafischen Mustern und Symbolen, einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis und grundlegenden Infos, die zu einer Reise durch die Regionen und Länder des vielseitigen Kontinents einladen. In Texten und Bildern werden historische Ereignisse, verschiedenste Kulturen, unterschiedlichste Menschen, Sprachen, Landschaften, Schlüsselfiguren und Vorbilder sowie regionale Besonderheiten spotlightartig vorgestellt. Da kommt ebenso Traditionelles zur Sprache wie die Verwendung modernster Technik. Kinder, Jugendliche und Erwachsene erfahren durch die konzentrierten Texte der simbabwischen Autorin und die coolen Bilder des nigerianischen Illustrators jede Menge Interessantes und Wissenswertes über diesen vielschichtigen vitalen Kontinent. Die Flaggen aller Länder, ein Glossar und Register runden dieses herausragende Sachbuch für die ganze Familie ab. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Eva Rottmann: Kurz vor dem Rand

Jacoby & Stuart 2023, 204 S., € 16,-, ab 14

Ari fühlt sich am wohlsten, wenn sie auf ihrem Skateboard steht und das vertraute Rollgeräusch jede ihrer Bewegungen begleitet. Ganz schön ist es auch in dem etwas seltsamen Tech-Laden, den ihr alleinerziehender Vater Bob betreibt, und in dem ihre Freunde Jasin, Lou und Teddy gerne vorbeischauen. Doch eigentlich treffen sich immer alle im Skaterpark. Als einziges Mädchen, das nicht nur staunend am Rand sitzt, hat Ari dort ein festes Standing und den Ruf als verdammt coole Skaterin. In den Osterferien poppt plötzlich Tom in einem irren Tempo auf den Platz – und scheinbar ebenso in die Herzen aller Jugendlichen. Nur Ari zeigt sich wenig beeindruckt von seinem Style und seinen Skateboardtricks. Doch in nur zwei Wochen fegt es mehr als diese eine Gewissheit davon. Eva Rottmann erzählt davon mit viel Einfühlungsvermögen als Rückblick aus Aris Tagebuch. Ganz beiläufig werden dabei große und gesellschaftsrelevante Fragen zu beispielsweise Geschlechterrollen oder dem Umgang mit psychischen Krankheiten verhandelt. Dabei scheut Rottmann weder dialogstarke Jugendsprache noch Skaterslang und liest sich keine Spur anbiedernd, sondern glaubwürdig, zugewandt und enorm spannend obendrauf. (Jana Kühn) Leseprobe

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Sarah Crossan: Toffee

Wie Glücklichsein von außen aussieht. Aus dem Englischen von Beate Schäfer, Hanser 2023, 352 S., € 19,-, ab 14

Allison ist von zu Hause abgehauen, sie hat es mit ihrem gewalttätigen Vater nicht mehr ausgehalten. Als sie sich im Schuppen der alten Marla versteckt, und diese sie für ihre Jugendfreundin Toffee hält, nimmt Allison diese Rolle an – zunächst nur, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Doch langsam spinnt sich ein zartes Band zwischen der dementen Frau und dem 15-jährigen Mädchen. Denn Allison/Toffee nimmt Marla ernst, gibt ihr wieder Glück und Zuneigung, die sie von ihrem kalten Sohn und der regelmäßig vorbeischauenden Sozialarbeiterin nicht bekommt. Und auch Marla hilft Allison auf ihre ganz eigene Art, wieder Halt und Zuversicht im Leben zu finden.
Sahrah Crossan hat diesen Roman in freien Versen geschrieben, die von Beate Schäfer mit großem Sprachgefühl ins Deutsche übertragen wurden. Dabei fließt der Text doch gut lesbar, lässt uns aber immer wieder innehalten, wie schwebend, gebannt von leiser Poesie. Ein ganz besonderes Buch, das berührt, ohne jemals auch nur in die Nähe von Kitsch zu geraten, und dem viele junge Leser zu wünschen sind. (Syme Sigmund) Leseprobe

Hörprobe, gelesen von Nina Hrdina

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Britta Teckentrup: Die Schaukel

Prestel 2023, 160 S., € 25,-, ab 5 und für alle

Schaukeln macht richtig Spaß. Es kann hoch hinaus gehen, beinahe himmelhoch lässt es sich fliegen, aber auch das Fallen ist nahe. Und dann sind noch die anderen, die auch alle gerne schaukeln wollen. . . Die Künstlerin Britta Teckentrup hat eine Schaukel oberhalb eines Meeres gezeichnet und Jahre voller Freuden, Begegnungen und Stimmungen an diesem besonderen Ort festgehalten, der sich ständig verändert. Kindern kommen zum Toben und Spielen, Jugendliche zum Flirten und Nachdenken, Erwachsene zum Nachdenken und gesellig Sein. Tiere begegnen sich dort, das Wetter, die Tageszeiten ändern sich, auch nagt die Zeit an ihr. Pflanzen und Gestrüpp wuchern sie zu, bis ein Vater, der sich an diese Schaukel aus seiner Kindheit erinnert, sie mit seinem Kind wieder davon befreit. Menschen kommen hinzu und reparieren sie, bis endlich wieder auf ihr geschaukelt werden kann! Ein stimmungsvolles illustriertes Buch zum immer wieder Anschauen, Gedanken nachzuhängen und miteinander über das Leben zu philosophieren. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Chantal-Fleur Sandjon: Die Sonne so strahlend und Schwarz

Thienemann 2023, 384 S., € 17,-, ab 14 für alle

Eigentlich ist die 17-jährige Schwarze Berlinerin Nova hart trainierende Rollschuhläuferin, doch hat ihr misshandelnder Stiefvater ihr einen Arm gebrochen und ihr nicht nur den Sport unmöglich gemacht. Doch jetzt startet eine neue Zeit. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Halbbruder kann sie nach häuslicher Gewalt und Frauenhaus in einer neuen Wohnung endlich zur Ruhe kommen, traut sie sich sogar hinaus in den neuen Kiez, lernt den queeren Felix* kennen und verliebt sich blitzartig in die schwarz leuchtende Akoua. Eine aufregende lesbische Coming-of-Age-Geschichte beginnt mit vielen Up’s und Downs, nicht nur in der Beziehung der beiden jungen Frauen. Rassismus und Sexismus sind leider omnipräsent. Doch so viel sei verraten, ihre Liebe, ihre Ressourcen und ihre Community sind stark. Das alles wäre schon genug für einen fantastischen empowernden Roman, doch hat Chantal-Fleur Sandhon durch die Form, die sie gewählt únd bravourös ausgeführt hat, eine wirkliche Perle geschaffen. Nova erzählt ihre Geschichte in Versen, die sich vortasten, tänzeln, kreisen, vibrieren, anhalten, Luftsprünge machen. Das ist atemberaubend zu lesen und auch optisch ein Genuss. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Tamara Bach: Honig mit Salz

Carlsen 2023, 160 S., € 14, ab 12

Was könnte es schön sein in Griechenland, wenn sie mit ihrer Busenfreundin Elif hier wäre. Doch Ari ist mit ihren Eltern verreist, und ihre Mutter muss im Urlaub arbeiten. Papa findet das alles andere als lustig, verbringt die Zeit in der Strandbar und streitet mit Mama. Ari verzieht sich aufs Dach des Ferienhauses oder zieht allein los. Wenn man dreizehn ist, die Eltern peinlich sind und auch noch heimlich rauchen, sind dies „Scheiß Ferien, ein verkackter Urlaub“. Doch dann taucht dieser süße griechische Junge auf dem Platz auf und spricht Ari an. Vielleicht werden die Ferien ja doch noch zu dem ersehnten Abenteuer.
Tamara Bach beweist wieder einmal, dass sie sich wie kaum eine andere Autorin in ihre Leser:innen einzufühlen vermag. Der Moment zwischen Kindheit und Jugend, wenn der Blick auf die Eltern sich nach Außen verschiebt, die eigene Peergroup ins Zentrum rückt und das stundenlange Ausbleiben einer Antwort der Freundin einer Katastrophe gleichkommt – der Autorin gelingt es mit ihrer knappen, glasklaren Sprache, genau diesen Moment einzufangen. Eine rundum überzeugende Geschichte vom Beginn der Jugend, dem ersten Kuss und bisweilen unmöglichen Eltern. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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