Mary Austin: Land des kargen Regens

Aus dem amerikanischen Englisch von Dieter Fuchs, mit einem Nachwort von Solvejg Nitzke, Matthes & Seitz 2023, 224 S., € 28,-

Der heiße Südwesten der USA zwischen Los Angeles, Arizona und Mexiko war die Wahlheimat von Mary Hunter Austin. Dieser kargen, großartigen Landschaft, ihren Pflanzen, Tieren und Menschen, fühlte sie sich zutiefst verbunden. In vierzehn Essays beschreibt sie mal die Wüste, mal die Berge der Sierra, mal ihre Bewohner und deren Geschichten, und immer tut sie dies als aufmerksam-sensible Beobachterin in einer lyrischen Sprache voller Anmut und Respekt, mit scharfem Blick für die Zusammenhänge der Natur. Nicht umsonst gilt sie als Pionierin der Umweltschutzbewegung (das Buch erschien 1903). Pflanzen, Tiere und Menschen sind für sie Teil eines großen Ganzen, in dem alles miteinander verbunden ist. Der Mensch gehört zur Natur, ist nicht unabhängig von ihr.
Aktueller könnte dieses schmale Band angesichts des Klimawandels kaum sein. Unvorstellbar, dass das Buch bisher noch nie ins Deutsche übersetzt wurde. Nun ist es zufällig fast zeitgleich sowohl bei Matthes Seitz in der wie immer von Judith Schalansky wunderschön gestalteten und mit vielen Anmerkungen versehenen Naturkunden-Reihe als auch bei Jung und Jung* erschienen. (Syme Sigmund)

*Unter dem Titel Wo wenig Regen fällt, übersetzt von Alexander Pechstein

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Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord

Aus dem amerikanischen Englisch von Klaus Bonn, leinengebunden im Schuber, mare 2023, 176 S., € 28,-

Henry Preston Standish ist ein Gentleman der alten Schule, stets elegant, sportlich und distinguiert. Und so erscheint ihm sein Fall von einem Ozeandampfer in den Pazifik zunächst als peinliches Missgeschick. „So etwas machte man nicht“. Nun treibt der junge, durchtrainierte Mann Stunde um Stunde im Wasser und macht sich Gedanken über seine Lage, sicher, dass dies eine äußerst erzählenswerte Anekdote aus seinem Leben sein wird. Doch an Bord wird sein Verschwinden lange, viel zu lange, nicht bemerkt, und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Dass eine derart tragische Konstellation einen überaus unterhaltsamen Roman ermöglicht, ist überraschend, doch Lewis hält meisterlich die Balance zwischen der immer auswegloser werdenden Situation, den illusorisch-selbstgefälligen – und sehr amüsant zu lesenden – Gedanken seines Protagonisten und der Beschreibung der Ereignisse an Bord, die ein Entdecken seines Verschwindens slapstickartig eins ums andere verzögern.
Erschienen ist das Buch im Original 1937. Es wurde hier erstmals ins Deutsche übertragen. (Syme Sigmund)

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Joachim Sartorius: Die Versuchung von Syrakus

mareverlag 2023, 192 S., € 20,-

Die uralte Stadt Syrakus, vor 2500 Jahren Schmelztiegel im Mittelmeerraum, liegt am südöstlichen Rand Siziliens am Ionischen Meer. Der Ätna, Griechenland und Nordafrika sind nah. Im historischen Zentrum auf der vorgelagerten schmalen Insel Ortigia, auf der sich die Antike in unzähligen Schichten niedergelagert hat, hat der Autor seit geraumer Zeit seinen zweiten Wohnsitz. Hier spürt der belesene Flaneur in ausgedehnten Streifzügen durch die Straßen, Märkte und Lokale den vielschichtigen Facetten der immer noch lebendigen Geschichte Syrakus nach. Sie ist tief im Bewusstsein der Bevölkerung verwurzelt, wie seine Gespräche mit Einheimischen anschaulich verdeutlichen. Künstler verarbeiten sie in ihren Gemälden, Adlige pflegen leidenschaftlich ihre Sammlungen antiker Gegenstände. Bei seinem Barbier, den Wirt*innen, einem Polizisten, einer Übersetzerin … gehört das Erinnern zu ihrem Alltag. Gleichzeitig gibt es die Gegenwart, die Bedeutungslosigkeit der Randexistenz, die vielen Probleme durch Verkehr, Armut, Immigration, Lethargie, aber auch die reichen Genüsse an guten Speisen und köstlichen Dolci, die Schönheit und Kraft des die Stadt umgebenden Meeres. Auch wenn wir nicht vor Ort sind, können wir mit diesem Buch diese besondere mediterrane Stadt erkunden, zwei Stadtpläne verschönern den literarischen Spaziergang. (Stefanie Hetze)

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Tamara Bach: Honig mit Salz

Carlsen 2023, 160 S., € 14, ab 12

Was könnte es schön sein in Griechenland, wenn sie mit ihrer Busenfreundin Elif hier wäre. Doch Ari ist mit ihren Eltern verreist, und ihre Mutter muss im Urlaub arbeiten. Papa findet das alles andere als lustig, verbringt die Zeit in der Strandbar und streitet mit Mama. Ari verzieht sich aufs Dach des Ferienhauses oder zieht allein los. Wenn man dreizehn ist, die Eltern peinlich sind und auch noch heimlich rauchen, sind dies „Scheiß Ferien, ein verkackter Urlaub“. Doch dann taucht dieser süße griechische Junge auf dem Platz auf und spricht Ari an. Vielleicht werden die Ferien ja doch noch zu dem ersehnten Abenteuer.
Tamara Bach beweist wieder einmal, dass sie sich wie kaum eine andere Autorin in ihre Leser:innen einzufühlen vermag. Der Moment zwischen Kindheit und Jugend, wenn der Blick auf die Eltern sich nach Außen verschiebt, die eigene Peergroup ins Zentrum rückt und das stundenlange Ausbleiben einer Antwort der Freundin einer Katastrophe gleichkommt – der Autorin gelingt es mit ihrer knappen, glasklaren Sprache, genau diesen Moment einzufangen. Eine rundum überzeugende Geschichte vom Beginn der Jugend, dem ersten Kuss und bisweilen unmöglichen Eltern. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Isabel Fargo Cole: Die Goldküste

Eine Irrfahrt. Matthes & Seitz 2022, 367 S., € 38,-

Isabel Fargo Coles Ururgroßvater versuchte sich Ende des 19. Jahrhunderts am amerikanischen Traum. Er war, wie es in der Familie hieß, „abgehauen“ ins ferne unwirtliche Alaska auf der Suche nach Gold. Der Goldrausch entpuppte sich als Falle, wie viele andere seiner Generation fiel er auf Gerüchte, auf Fakes, hinein, musste er also scheitern. Wenig hat sich in der Familie von seinem Schicksal und dem seiner Angehörigen überliefert. Und so nutzt die Autorin die Goldene-Hochzeitsreise mit ihren Eltern genau dorthin, nach
Alaska, zu reisen, um mehr zu erfahren. Während sie mit den Eltern an einer naturkundlichen geführten Gruppenreise teilnimmt und geleitet Kontakt mit der überwältigenden, durch die Klimakatastrophe beschädigten Landschaft, mit Bären, Mythen, Historie aufnimmt, begibt sie sich gleichzeitig auf eine innere Forschungsreise der Lektüren, Recherchen und Reflexionen, die sie tief in die Fantasien und Abgründe der amerikanischen Gesellschaft hineinführt. Wie beim wirklichen Reisen macht sie Umwege, trifft sie auf Unvorhergesehenes, fördert sie Erstaunliches zu Tage. So wird die Lektüre zu einem echten Abenteuer. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Gehen, Fahren, Fortbewegen

 

Überaus zahlreich sind die Möglichkeiten, sich fortzubewegen: zu Fuß, mit Hilfsmitteln, in Gedanken. . .

Die Bücher in unserem aktuellen Schaufenster regen an, zu laufen, zu fahren oder sich ganz entspannt zurückgelehnt im Zug fahren zu lassen – oder vielleicht doch in einem abenteuerlichen Eselskarren? Hier oder ganz woanders? Ganz bequem oder lieber doch mit Herausforderungen? Die Alternativen sind vielfältig und abwechlsungsreich, die Verlage bieten da eine riesige Bandbreite. Wir haben natürlich die schönsten und lesenswertesten Bücher für Sie und Euch und alle Reiseliteraturbegeisterten ausgesucht.

Wir wünschen gute Reisen!

Sommer satt!!

Unser aktuelles Schaufenster lädt ein, viel Zeit draussen zu verbringen. Zu schwimmen, zu spazieren, zu wandern, die lauen Nächte zu geniessen. Hier und Woanders, in der Stadt und in der Natur.

Mit Büchern von mare, Bohem, Haffmans, Aviva, Gerstenberg, Reprodukt und und und …

Zum Anschauen, Vorlesen, Selberlesen, Verreisen. Viel Vergnügen!

Georgi Gospodinov: Zeitzuflucht

Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann, Aufbau Verlag 2022, 342 S., € 24,-

Gaustine, ein rätselhafter Herr, der als Geriater arbeitet, macht in Zürich eine „Klinik für Vergangenheit“ auf. In der eigenartigen Struktur werden demente Patienten aufgenommen. Die Methode besteht in dem Versuch, das Gedächtnis der Patienten zu fördern, indem sie Zeit in Räumlichkeiten der Klinik verbringen, die genau wie ihnen vertraute Räume entsprechend der verschiedenen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eingerichtet sind. Die Idee wird sofort begrüßt, die Patienten vermehren sich, das Projekt wird immer ambitionierter…
Ein namenloser, hochsensibler Ich-Erzähler begleitet uns auf eine faszinierende Wanderung durch Städte, Länder und Zeiten und konfrontiert uns mit der Ungewissheit der Zukunft, indem er Satire, Nostalgie, Geschichte verbindet. Eine tiefgehende, tiefbewegende und vielseitige Lektüre, die der Leserin Tränen in die Augen treibt und die sie zwei Seiten später zum Lachen bringt. (Giulia Silvestri) Leseprobe

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A. Kendra Greene: Das Walmuseum, das Sie nie besuchen werden. Eine Reise nach Island

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer, Liebeskind 2022, 272 S., € 24,-

Wer weiß schon, dass das faszinierende dünnbesiedelte Island über 265 Museen verfügt, die meist aus einer privaten Sammelleidenschaft einer Person fernab der Hauptstadt entstanden und nun von rührigen Familienangehörigen als touristische Magnete weiter betrieben werden. Die Autorin des haptisch und visuell angenehmst gestalteten Reisebuchs besucht in Island ganz unterschiedliche und mehr oder weniger obskure Sammlungen wie Petras Steinmuseum, das Phallologische Museum, das historische Museum der Heringsära, das Museum für isländische Zauberei und Hexerei und viele andere. Dabei widmet sie sich nicht nur mit viel Emphase den teils skurrilen Exponaten, mehr noch interessieren sie die reizvollen Geschichten dahinter, die der Menschen, die meist sehr prekär lebten und dennoch aus ihren mit Begeisterung betriebenen privaten Sammlungen in die Öffentlichkeit gerieten. Die isländische Leidenschaft für Geschichten und abseitig scheinende Phänomene überträgt sich mühelos bei der Lektüre dieses außergewöhnlichen Reisebuchs. (Stefanie Hetze)

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Somerville & Ross: Durch Connemara

Mit dem Eselskarren in Irland. Aus dem Englischen und Herausgegeben von Elvira Willems. AvivA 2022, 160 S., € 20,-

Im Jahr 1890 beschließen zwei toughe Ladies aus dem irischen Landadel mit Pferd und Karren durch ihre Heimat zu fahren. Die beiden Frauen müssen einige Hindernisse überwinden, bis es endlich losgeht mit Picknickkorb, Revolver, großem Regenschirm und statt des Pferds einer eigenwilligen Eselin. Und dann nehmen sie uns mit zu einer abwechslungsreichen entschleunigten Reise quer durchs irische Connemara. Sie trotzen Wind, Regen und Hunden, verfahren sich und finden nicht immer ein Gasthaus. Sehr direkt, voller Selbstironie schildern sie ihre Erlebnisse, verknüpfen Begegnungen mit der Bevölkerung scharfzüngig mit historischen Ereignissen. Unter dem Namen Somerville & Ross bildeten die Cousinen 2. Grades Violet Martin und Edith Somerville ein eingespieltes Arbeitsteam als Reiseschriftstellerinnen. Zusammen formulierten sie Artikel und Bücher, die Edith mit ihren Illustrationen anreicherte. Ihre Biografien und vieles Mehr lassen sich in dem ausführlichen Nachwort von Elvira Willems nachlesen, sie geht auch der offenen Frage der Art der Beziehung der beiden nach. Very charming! (Stefanie Hetze) Leseprobe

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