Teodor Cerić: Gärten in Zeiten des Krieges

Reiseberichte aus Europa. Herausgegeben von Marco Martella. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel, Liebeskind 2024, 120 S., € 20,-

Gärten sind seit jeher Orte des Innehaltens und der Regeneration. Opulente Bücher über berühmte repräsentative Gartenanlagen versuchen, die Sehnsucht nach der Schönheit geordneter Natur zu stillen. Ganz zart kommt dagegen ein kleines Buch daher, das zudem das alles andere als beschauliche Wort „Kriege“ im Titel führt, aber eindrücklich Gärten vorstellt, die eher nicht zum Kanon gehören und im Verborgenen liegen. Beschrieben werden sie von einem Erzähler, einem aus Sarajewo geflüchteten Literaturstudenten,  dem sie bei seinem Umherirren durch Europa Halt und manchmal Arbeit geben. Und der sich inspirieren lässt von ihren Besonderheiten und ergründet, wie aus Träumen, mögen sie noch so übertrieben sein, Gärten entstehen. So sucht er den Garten Derek Jarmans direkt neben einem Atomkraftwerk auf oder Samuel Becketts hinter einer mit Scherben bestückten Mauer biologische Gartenwüste oder erforscht die Geschichte eines sogenannten Schmuckeremiten in einem englischen Landschaftspark. In Graz, in einem hinter Mauern versteckten Hof voller Farne, endet seine Odyssee. Er kehrt zurück, um einen eigenen Garten anzulegen, hat dabei aber schon seinen Leserinnen und Lesern ein literarisches Kleinod hinterlassen, das zur gedanklichen Kontemplation einlädt – und zu Überlegungen zur Mitwirkung des Herausgebers Marco Martella. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Stefanie Sargnagel: Iowa – Ein Ausflug nach Amerika

Mit korrigierenden Fußnoten von Christiane Rösinger. Rowohlt 2023, 304 S., € 22,-

Ein privates liberales College in einer amerikanischen Kleinstadt in the Middle of Nowhere hat die Autorin erstaunlicherweise eingeladen, die privilegierten Studierenden dort in Creative Writing zu unterrichten. Zur Verstärkung nimmt sie ihre Tourfreundin, die 30 Jahre ältere Künstlerin Christiane Rösinger mit, die auf dem Campus auch ein Konzert geben soll. Sie kommen in einem großen Haus der Uni mit nur einem Sofa und einem Fernsehsessel (die Coverabbildung!) unter, müssen sich miteinander sortieren und gleichzeitig dieses seltsame Amerika des Mittleren Westens erkunden. Teilweise zu Fuß, ein Unding, ziehen sie los, wenn sie sich denn endlich aus ihrer Bequemlichkeit und ihrer Künstlerinnen-WG aufgerafft haben. Lakonisch vergleicht Sargnagel ihre Beobachtungen und Erlebnisse vom bizarren Amerika mit ihren Bildern und Erwartungen im Kopf, die Rösinger immer wieder knochentrocken und lebenserfahren kommentiert. Dieser ständige Dialog der zwei Künstlerinnen, die an ganz unterschiedlichen Punkten im Leben stehen, macht den besonderen Reiz dieser Reiseerzählung aus, das gegenseitige Reden, Necken und Kritisieren von spöttisch bis liebevoll. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Kim Chakanetsa & Mayoba Alawi: Afrika

Kreuz und quer durch einen bunten Kontinent. Aus dem Englischen von Margot Wilhelmi, Gerstenberg 2023, 96 durchgehend farbige S., € 26,-, ab 10 für alle

Edel und geheimnisvoll lockt der schöne Einband, ihn aufzuschlagen. Innen geht es gleich weiter mit grafischen Mustern und Symbolen, einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis und grundlegenden Infos, die zu einer Reise durch die Regionen und Länder des vielseitigen Kontinents einladen. In Texten und Bildern werden historische Ereignisse, verschiedenste Kulturen, unterschiedlichste Menschen, Sprachen, Landschaften, Schlüsselfiguren und Vorbilder sowie regionale Besonderheiten spotlightartig vorgestellt. Da kommt ebenso Traditionelles zur Sprache wie die Verwendung modernster Technik. Kinder, Jugendliche und Erwachsene erfahren durch die konzentrierten Texte der simbabwischen Autorin und die coolen Bilder des nigerianischen Illustrators jede Menge Interessantes und Wissenswertes über diesen vielschichtigen vitalen Kontinent. Die Flaggen aller Länder, ein Glossar und Register runden dieses herausragende Sachbuch für die ganze Familie ab. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Cal Flyn: Verlassene Orte

Enden und Anfänge in einer menschenleeren Welt. Aus dem Englischen von Milena Adam, Matthes & Seitz 2023, 343 S., € 34,-

Der 100. Band der von Judith Schalansky herausgegebenen Naturkunden ragt selbst unter den Titeln dieser besonderen Reihe heraus. Die preisgekrönte schottische Essayistin vollführt in ihrem Buch einen Spagat, denn sie entdeckt und beschreibt Naturphänomene, die es nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht geben dürfte. Ihr Interesse gilt Orten und Landstrichen, die schwer durch Klimakrisen, Kriege und Katastrophen kontaminiert und eigentlich unbewohnbar sind. Meist mussten die Menschen sie von einem Moment auf den anderen räumen und ihre Häuser samt Inventar sich selbst überlassen. Leer und verfallen begannen diese zerstörten Landschaften und Gebäude ein neues Eigenleben, siedelten sich allmählich Gräser, Bäume, Wälder zwischen aufbrechendem Asbest und Beton an, kamen zuhauf Tiere in die menschenfreien Zonen. Ein Paradox entsteht weltweit in diesen verlassenen Gegenden, eine neue resiliente Artenvielfalt, die, so scheint es, mit Verseuchtem besser klarkommt als mit der menschlichen Existenz. Die auf ihren Erkundungsreisen beobachteten gleichzeitig faszinierenden wie irritierenden Vorkommnisse brechen herkömmliche Gedankenraster auf. Was für eine außergewöhnliche Reise! (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Mary Austin: Land des kargen Regens

Aus dem amerikanischen Englisch von Dieter Fuchs, mit einem Nachwort von Solvejg Nitzke, Matthes & Seitz 2023, 224 S., € 28,-

Der heiße Südwesten der USA zwischen Los Angeles, Arizona und Mexiko war die Wahlheimat von Mary Hunter Austin. Dieser kargen, großartigen Landschaft, ihren Pflanzen, Tieren und Menschen, fühlte sie sich zutiefst verbunden. In vierzehn Essays beschreibt sie mal die Wüste, mal die Berge der Sierra, mal ihre Bewohner und deren Geschichten, und immer tut sie dies als aufmerksam-sensible Beobachterin in einer lyrischen Sprache voller Anmut und Respekt, mit scharfem Blick für die Zusammenhänge der Natur. Nicht umsonst gilt sie als Pionierin der Umweltschutzbewegung (das Buch erschien 1903). Pflanzen, Tiere und Menschen sind für sie Teil eines großen Ganzen, in dem alles miteinander verbunden ist. Der Mensch gehört zur Natur, ist nicht unabhängig von ihr.
Aktueller könnte dieses schmale Band angesichts des Klimawandels kaum sein. Unvorstellbar, dass das Buch bisher noch nie ins Deutsche übersetzt wurde. Nun ist es zufällig fast zeitgleich sowohl bei Matthes Seitz in der wie immer von Judith Schalansky wunderschön gestalteten und mit vielen Anmerkungen versehenen Naturkunden-Reihe als auch bei Jung und Jung* erschienen. (Syme Sigmund)

*Unter dem Titel Wo wenig Regen fällt, übersetzt von Alexander Pechstein

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Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord

Aus dem amerikanischen Englisch von Klaus Bonn, leinengebunden im Schuber, mare 2023, 176 S., € 28,-

Henry Preston Standish ist ein Gentleman der alten Schule, stets elegant, sportlich und distinguiert. Und so erscheint ihm sein Fall von einem Ozeandampfer in den Pazifik zunächst als peinliches Missgeschick. „So etwas machte man nicht“. Nun treibt der junge, durchtrainierte Mann Stunde um Stunde im Wasser und macht sich Gedanken über seine Lage, sicher, dass dies eine äußerst erzählenswerte Anekdote aus seinem Leben sein wird. Doch an Bord wird sein Verschwinden lange, viel zu lange, nicht bemerkt, und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Dass eine derart tragische Konstellation einen überaus unterhaltsamen Roman ermöglicht, ist überraschend, doch Lewis hält meisterlich die Balance zwischen der immer auswegloser werdenden Situation, den illusorisch-selbstgefälligen – und sehr amüsant zu lesenden – Gedanken seines Protagonisten und der Beschreibung der Ereignisse an Bord, die ein Entdecken seines Verschwindens slapstickartig eins ums andere verzögern.
Erschienen ist das Buch im Original 1937. Es wurde hier erstmals ins Deutsche übertragen. (Syme Sigmund)

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Joachim Sartorius: Die Versuchung von Syrakus

mareverlag 2023, 192 S., € 20,-

Die uralte Stadt Syrakus, vor 2500 Jahren Schmelztiegel im Mittelmeerraum, liegt am südöstlichen Rand Siziliens am Ionischen Meer. Der Ätna, Griechenland und Nordafrika sind nah. Im historischen Zentrum auf der vorgelagerten schmalen Insel Ortigia, auf der sich die Antike in unzähligen Schichten niedergelagert hat, hat der Autor seit geraumer Zeit seinen zweiten Wohnsitz. Hier spürt der belesene Flaneur in ausgedehnten Streifzügen durch die Straßen, Märkte und Lokale den vielschichtigen Facetten der immer noch lebendigen Geschichte Syrakus nach. Sie ist tief im Bewusstsein der Bevölkerung verwurzelt, wie seine Gespräche mit Einheimischen anschaulich verdeutlichen. Künstler verarbeiten sie in ihren Gemälden, Adlige pflegen leidenschaftlich ihre Sammlungen antiker Gegenstände. Bei seinem Barbier, den Wirt*innen, einem Polizisten, einer Übersetzerin … gehört das Erinnern zu ihrem Alltag. Gleichzeitig gibt es die Gegenwart, die Bedeutungslosigkeit der Randexistenz, die vielen Probleme durch Verkehr, Armut, Immigration, Lethargie, aber auch die reichen Genüsse an guten Speisen und köstlichen Dolci, die Schönheit und Kraft des die Stadt umgebenden Meeres. Auch wenn wir nicht vor Ort sind, können wir mit diesem Buch diese besondere mediterrane Stadt erkunden, zwei Stadtpläne verschönern den literarischen Spaziergang. (Stefanie Hetze)

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Tamara Bach: Honig mit Salz

Carlsen 2023, 160 S., € 14, ab 12

Was könnte es schön sein in Griechenland, wenn sie mit ihrer Busenfreundin Elif hier wäre. Doch Ari ist mit ihren Eltern verreist, und ihre Mutter muss im Urlaub arbeiten. Papa findet das alles andere als lustig, verbringt die Zeit in der Strandbar und streitet mit Mama. Ari verzieht sich aufs Dach des Ferienhauses oder zieht allein los. Wenn man dreizehn ist, die Eltern peinlich sind und auch noch heimlich rauchen, sind dies „Scheiß Ferien, ein verkackter Urlaub“. Doch dann taucht dieser süße griechische Junge auf dem Platz auf und spricht Ari an. Vielleicht werden die Ferien ja doch noch zu dem ersehnten Abenteuer.
Tamara Bach beweist wieder einmal, dass sie sich wie kaum eine andere Autorin in ihre Leser:innen einzufühlen vermag. Der Moment zwischen Kindheit und Jugend, wenn der Blick auf die Eltern sich nach Außen verschiebt, die eigene Peergroup ins Zentrum rückt und das stundenlange Ausbleiben einer Antwort der Freundin einer Katastrophe gleichkommt – der Autorin gelingt es mit ihrer knappen, glasklaren Sprache, genau diesen Moment einzufangen. Eine rundum überzeugende Geschichte vom Beginn der Jugend, dem ersten Kuss und bisweilen unmöglichen Eltern. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Isabel Fargo Cole: Die Goldküste

Eine Irrfahrt. Matthes & Seitz 2022, 367 S., € 38,-

Isabel Fargo Coles Ururgroßvater versuchte sich Ende des 19. Jahrhunderts am amerikanischen Traum. Er war, wie es in der Familie hieß, „abgehauen“ ins ferne unwirtliche Alaska auf der Suche nach Gold. Der Goldrausch entpuppte sich als Falle, wie viele andere seiner Generation fiel er auf Gerüchte, auf Fakes, hinein, musste er also scheitern. Wenig hat sich in der Familie von seinem Schicksal und dem seiner Angehörigen überliefert. Und so nutzt die Autorin die Goldene-Hochzeitsreise mit ihren Eltern genau dorthin, nach
Alaska, zu reisen, um mehr zu erfahren. Während sie mit den Eltern an einer naturkundlichen geführten Gruppenreise teilnimmt und geleitet Kontakt mit der überwältigenden, durch die Klimakatastrophe beschädigten Landschaft, mit Bären, Mythen, Historie aufnimmt, begibt sie sich gleichzeitig auf eine innere Forschungsreise der Lektüren, Recherchen und Reflexionen, die sie tief in die Fantasien und Abgründe der amerikanischen Gesellschaft hineinführt. Wie beim wirklichen Reisen macht sie Umwege, trifft sie auf Unvorhergesehenes, fördert sie Erstaunliches zu Tage. So wird die Lektüre zu einem echten Abenteuer. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Gehen, Fahren, Fortbewegen

 

Überaus zahlreich sind die Möglichkeiten, sich fortzubewegen: zu Fuß, mit Hilfsmitteln, in Gedanken. . .

Die Bücher in unserem aktuellen Schaufenster regen an, zu laufen, zu fahren oder sich ganz entspannt zurückgelehnt im Zug fahren zu lassen – oder vielleicht doch in einem abenteuerlichen Eselskarren? Hier oder ganz woanders? Ganz bequem oder lieber doch mit Herausforderungen? Die Alternativen sind vielfältig und abwechlsungsreich, die Verlage bieten da eine riesige Bandbreite. Wir haben natürlich die schönsten und lesenswertesten Bücher für Sie und Euch und alle Reiseliteraturbegeisterten ausgesucht.

Wir wünschen gute Reisen!