Marta Palazzesi: Feder und Kralle

Übersetzt von Cornelia Panzacchi, Thienemann, 272 Seiten, 15 Euro, ab 10

In ihrem Heimatland Italien ist Marta Palazzesi längst keine Unbekannte mehr . Für „Nebbia” wurde sie 2019 mit der höchsten Auszeichnung für italienische Kinder- und Jugendliteratur, dem Premio Strega Ragazzi, ausgezeichnet. Ihr gerade in Deutschland erschienener Roman Feder und Kralle spielt im Jahre 1914 in Valencia. Amparao, sie tagsüber ein Falke, und Tomás, er nachts ein Panther, begegnen einander zuerst in großer Skepsis, um schließlich gemeinsam das Geheimnis ihrer rätselhaften Kindheit und Herkunft zu lösen. Palazzesi, die in Valencia Architektur studiert hat, beschreibt die Stadt ausgesprochen atmosphärisch und anschaulich. Dass sie ebenso lange als Übersetzerin von Drehbüchern gearbeitet hat, merkt man ihrem geradezu filmischen Schreibstil an. Und Dank der intensiven Zusammenarbeit mit der Illustratorin verleihen die stimmungsvollen Bilder der Geschichte um zwei jugendliche Tierwandler eine wirkmächtige Ebene mehr. Ein historisch fantastisches Abenteuer, das sicher auch hierzulande viele Kinder begeistern wird. (Jana Kühn)

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Kristina Andres: Zicke Zacke Igelkacke

Moritz, 64 Seiten, 12 Euro, ab 8

Die Brüder Matti und Janne verbringen ihre Herbstferien zum ersten Mal ohne Eltern bei ihrer Tante Olga. Für den jüngeren Bruder sind es die ersten Schulferien überhaupt. Der ältere Bruder, gerade mal in der zweiten Klasse, hat die Aufgabe, auf das Aussteigen am richtigen Bahnhof zu achten. Bestens angekommen geht es zu Olgas abgelegen Haus am Waldrand, und so stehen nun naturnahe und erholsame Tage an. Doch schon am zweiten Tag vertraut eine Nachbarin Olga zwei Igeljunge zur Pflege an. Winzig sind sie, viel zu klein, um schon allein auf der Welt zu sein. Olga, Matti und Janne kümmern sich mit viel Fürsorge um die beiden Tierwaisen. Wie viel da zu tun, auf was alles zu achten ist! Die Igelkinder werden zum Tierarzt gebracht, ihre Kacke wird weggeräumt, tagsüber und nachts werden sie gefüttert – ja geradezu hingebungsvoll aufgepäppelt. So fliegen die Ferien nur so dahin. Könnte sein, es sind die besten! Kristina Andres beschreibt und zeichnet detailgenau und mit liebevoller Beobachtungsgabe die Ernsthaftigkeit und Freude, mit der Kinder Verantwortung für sich und andere übernehmen – wenn man sie denn lässt.  (Jana Kühn)

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Nilsson, Frida: Martin & Jack

Illustriert von Torben Kuhlmann, übersetzt von Friederike Buchinger, Gerstenberg 2024, 376 Seiten, 22 Euro.

In ihrem neuen Roman für Kinder erzählt Frida Nilsson aus einem Schweden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ohne sich komplett an historische Tatsachen zu halten, besonders was Hunde betrifft. Einerseits agieren sie wie Menschen, andererseits führen sie in einem buchstäblichen wie übertragenen Sinne ein Hundeleben – gesellschaftlich geächtet und allerseits herabgewürdigt. Zu Beginn schuften Martin und Jack, Pflegekind und bediensteter Hund, schon viele Jahre zusammen auf dem Hof eines strengen und unerbittlichen Bauern. Erst als der Bauer den altersschwachen Jack verstößt, schließt sich der Junge dem Hund an und flieht – auch weil Jack Martin endlich Details über seinen vermeintlich verschwundenen Vater verrät. Schnell stoßen neue Gefährten zur Reisegruppe, allerdings ebenso Verfolger, denn, so liest man es in allen Zeitungen: Der Hund hat den Jungen entführt! Frida Nilsson ist es erneut wunderbar gelungen, ihre Figuren mit charakterlicher Tiefe voller Grauzonen zu erzählen. Martin & Jack ist historischer Abenteuerroman und große Parabel über bis heute und weltweit ungeklärte Ungerechtigkeiten und verhandelt en passant Fragen zu Freundschaft und Wahlverwandtschaft. Ein großer Wurf und tiefgründiger Schmöker! (Jana Kühn)

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Charlotte Müller: Claras Weg

Kunstanstifter 2024, 56 S., € 24, ab 5

Claras Schulweg führt sie auf dem Fahrrad durch eine Großstadt – schnell gibt sich Berlin zu erkennen, doch was sie sieht und erlebt lässt sich mühelos auf andere Städte übertragen. Manchmal gibt es viel Verkehr, es finden sich kuriose Straßennamen, kleine Grünflächen sind Oasen der Erholung, man begegnet sogar erstaunlich vielen Wildtieren. Gemeinsam mit Clara und ihrer Mama erkunden wir Berlin im Wandel der Jahreszeiten – denn Clara radelt Sommer wie Winters und manchmal so schnell wie ein Blitz. Charlotte Müllers Auqarellbilder sind detailreich wie stimmungsvoll und machen Lust, die Stadt auf zwei Rädern zu erkunden. Ein wunderschönes Wimmelbuch, ein Berlin-Buch, eine Großstadtgeschichte für große & kleine Fahrradfans! (Jana Kühn) Blick ins Buch

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Kristin Roskifte: Alle reisen

Übersetzt von Maike Dörries, Gerstenberg, 64 S., 20 Euro, ab 5

Nach dem großen Erfolg von Alle zählen ist nun mit Alle Reisen ein ebenbürtiger, zweiter Band der norwegischen Künstlerin Kristin Roskifte erschienen, der nach dem gleichen Prinzip des Zählens und Erzählens, des Suchens und Entdeckens, des Vor- und Zurückblätterns funktioniert. Menschen träumen von Reisen, sie bereiten sie vor. Reisen finden in der Fantasie statt oder in der Erinnerung. Sie führen zu Aussichtspunkten, einmal um die Ecke oder in die weite Welt – manchmal auch in eine Buchhandlung. Die zahlreichen Geschichten des wiederum opulenten und in seinem Personal ausgesprochen vielfältig gestalteten Bildbandes bleiben in Text und Bild offen und laden regelrecht ein, weitergesponnen zu werden. Bilderreisen können nämlich ganz hervorragend im Kopf stattfinden. Ein Füllhorn schier endlos angeregten Bilderbestaunens, wir sind wieder große Fans! (Jana Kühn)  Blick ins Buch

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Selma Noort: Das kleine Haus am Fluss

Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, Gerstenberg 2024, 208 S., € 16,- , ab 9

Eine wirkliche Entdeckung nicht nur dieses Frühjahrs oder dieses Leipziger Buchmessen Gastlandauftritts ist dieser Familien-Roman. Ich nenne ihn so, weil ich ihn für eine perfekte Familienlektüre halte, der am besten alle gemeinsam lauschen. Vielleicht auch, weil es den einen oder anderen Moment gibt, für den ich manchen Kindern Begleitung wünsche, um die Geschehnisse einzuordnen. Aber von vorn, denn alles beginnt mit einem wortwörtlich großen Knall: Ein Laster rast in ein kleines Haus, genau in das Schlafzimmer von Juss. Der Junge wird schwer verletzt geborgen und hier beginnt in Rückblenden die Erzählung eines Sommers, gleichzeitig die Geschichte einer Großfamilie, die in ihrem Zusammenhalt beglückt. Fünf kleine Häuser stehen da am Fluss, in denen mehrere Familien, Onkel, Tanten und Großeltern leben. Da wird füreinander gesorgt und eingestanden, gestritten und sich vertragen, sich vertraut und verziehen. Zwischen Juss und seine Cousine Amber passt kein Blatt Papier, so unzertrennlich verbringen sie die Tage – bis eben besagter Unfall passiert … Das Happy-End sei hier vorweggenommen! (Jana Kühn) Leseprobe

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Antje Bones, Nele Palmtag (Illustr.): Hast du Zeit?

Hanser 2024, 24 S., € 16,-, ab 5

Zeit – hinter den nur vier Buchstaben verbirgt sich ein riesiges Abstraktum, das sich Kindern nur langsam erschließt. Leuchtende Farbstiftzeichnungen erzählen ihnen in diesem rundum wunderschönen Bilderbuch einen Tag aus dem Leben einer quirligen Familie. Der Trubel am Morgen, die Radfahrt am Nachmittag, das Gartenfest bei Oma. Den Bildern beigestellt sind Fragen, die verschiedene Facetten von Zeit beleuchten. Hat man Zeit? Oder wie nimmt man sie sich? Wann ist gleich? Wann sofort? Was sind Pünktlichkeit, Ewigkeit, Lebenszeit? Diese großen und kleinen Fragen werden mit weiteren, liebevoll detailreichen Vignetten alltagsnaher Szenen bebildert. Nicht weniger als Philosophie für Kinder verheißt dies viel gemeinsame Bilderbuchzeit auf der Suche nach Antworten! (Jana Kühn) Blick ins Buch

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R.J. Palacio: Pony

Wenn die Reise deines Lebens lockt, mach dich auf den Weg. Aus dem Amerikanischen von André Mumot, Hanser 2024, 304 S., € 19,-, ab 12

Es geht alles ganz schnell. Nachts werden Silas und sein Vater, die weit abgeschieden auf einer Farm leben, von Pferdegetrappel geweckt. Bewaffnete Männer bedrohen sie und entführen Silas Vater, einen hochspezialisierten Kollodium-Nassplatten-Fotografen und Erfinder. Angeblich nur für eine Woche, aber Silas traut ihnen nicht und will ihnen nach. Sein imaginärer Freund Mittenwool will ihn aufhalten, aber als ein Pony mit einem merkwürdigen Gesicht auftaucht, kennt Silas trotz seiner Ängste vor dem dichten Wald und dem Unbekannten, das ihn erwartet, keinen Halt. Begleitet von seinem imaginären Freund und dem Pony, zu dem er schnell eine enge Verbindung spürt, begibt sich der Junge auf eine spannende aufwühlende Reise. Er, der Halbwaise und besonders sensibel ist, begegnet im Wald einem alten Marshall, einem Sheriff samt Kompagnon, den Gangstern und vielen Gespenstern und Schatten der Vergangenheit. Die Autorin schont dabei weder den Protagonisten noch ihre LeserInnen, es geht um das kriegerische Amerika des 19. Jahrhunderts. Doch Silas Feinfühligkeit und Wachheit samt der magischen Unterstützung durch Mittenwool und Pony tragen ihn. Palacio schenkt uns mit „Pony” eine faszinierende Abenteuergeschichte, die sie mit anspielungsreichen Daguerreotypien, Zitaten und einem ausführlichen Nachwort zu einem herausragenden Jugendroman geschaffen hat. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Anete Melece: Der stibitzte Schlaf

Aus dem Lettischen von Matthias Knoll, Verlag Antje Kunstmann 2023, 32 S., 16,- €, ab 3

Es ist Schlafenszeit. Papa liest Stella noch etwas vor, doch nach einer, zwei – nein neun (!) Geschichten ist Stella immer noch nicht müde. Da ruft Papa schnell mal beim Schlaflieferservice an. Der versichert jedoch, schon eine Portion Schlaf geliefert zu haben, ja, auch an die richtige Adresse. Wo ist der Schlaf gelandet? Papa und Stella suchen mithilfe der Detektive Nilpferd und Flamingo in der ganzen Wohnung nach ihm. Sie suchen in allen Zimmern, im Bad in der Badewanne, in der Küche auf dem Herd und im Flur – hat vielleicht der Staubsauger den Schlaf einfach weggesaugt? Am Ende stellt sich natürlich heraus, wer den Schlaf stibitzt hat, doch das wird hier nicht verraten.
In knalligen, mit Filzstift und Aquarellfarben gemalten Bildern, erzählt Anete Melece, die schon mit „Der Kiosk“ ihre Begabung unter Beweis gestellt hatte, diese Suche voll witziger Details, die nicht nur Kindern, sondern auch den hier bestimmt nicht einschlafenden Vorlesenden riesigen Spaß macht. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Mirjam Oldenhave: Jakob und der Berg der vergessenen Dinge

Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, Coppenrath 2023, 208 S., € 16,-, ab 6

Jakob und sein Vater Ed haben einen unkonventionellen Lebensstil. Sie wohnen in einem kleinen Haus auf Rädern, das sie am liebsten da aufstellen, wo es ihnen gut gefällt und Platz dafür ist. Leider passt das vielen Leuten nicht, weshalb sie oft umziehen müssen. Zuletzt parken sie ihr mobiles Häuschen neben dem großen Plunderberg. So manche*r würde ihn Müllberg nennen, aber für den fantasievollen  Jakob ist es das Paradies! Der geschickte Junge findet hier jede Menge zwar ramponierte, auf jeden Fall aber noch gut brauchbare Dinge: ein Kanu, einen Kinderwagen, eine Kleiderpuppe. Vielleicht lässt sich der Motor einer Waschmaschine ausbauen? Doch dann führen viele verflixte Zufälle, vor allem aber die Vorurteile der Erwachsenen dazu, dass Jakobs Vater ins Gefängnis muss. Mirjam Oldenhave stellt ihrem Protagonisten eine nicht weniger smarte Freundin und zahlreiche, nicht nur charakterstarke Helfer zur Seite. Mit viel erzählerischem Geschick hat sie eine aufregende wie berührende, feinsinnige wie urkomische Geschichte erdacht, die in aller Beiläufigkeit große Themen wie Voreingenommenheiten oder das gängige Konsumverhalten in Frage stellt. Wie sich die cleveren Kids  mutig durch die Welt der Erwachsenen tricksen ist ein spannender Vorlesespaß für die ganze Familie. (Jana Kühn)

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