Eva Rottmann: Kurz vor dem Rand

Jacoby & Stuart 2023, 204 S., € 16,-, ab 14

Ari fühlt sich am wohlsten, wenn sie auf ihrem Skateboard steht und das vertraute Rollgeräusch jede ihrer Bewegungen begleitet. Ganz schön ist es auch in dem etwas seltsamen Tech-Laden, den ihr alleinerziehender Vater Bob betreibt, und in dem ihre Freunde Jasin, Lou und Teddy gerne vorbeischauen. Doch eigentlich treffen sich immer alle im Skaterpark. Als einziges Mädchen, das nicht nur staunend am Rand sitzt, hat Ari dort ein festes Standing und den Ruf als verdammt coole Skaterin. In den Osterferien poppt plötzlich Tom in einem irren Tempo auf den Platz – und scheinbar ebenso in die Herzen aller Jugendlichen. Nur Ari zeigt sich wenig beeindruckt von seinem Style und seinen Skateboardtricks. Doch in nur zwei Wochen fegt es mehr als diese eine Gewissheit davon. Eva Rottmann erzählt davon mit viel Einfühlungsvermögen als Rückblick aus Aris Tagebuch. Ganz beiläufig werden dabei große und gesellschaftsrelevante Fragen zu beispielsweise Geschlechterrollen oder dem Umgang mit psychischen Krankheiten verhandelt. Dabei scheut Rottmann weder dialogstarke Jugendsprache noch Skaterslang und liest sich keine Spur anbiedernd, sondern glaubwürdig, zugewandt und enorm spannend obendrauf. (Jana Kühn) Leseprobe

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Sarah Crossan: Toffee

Wie Glücklichsein von außen aussieht. Aus dem Englischen von Beate Schäfer, Hanser 2023, 352 S., € 19,-, ab 14

Allison ist von zu Hause abgehauen, sie hat es mit ihrem gewalttätigen Vater nicht mehr ausgehalten. Als sie sich im Schuppen der alten Marla versteckt, und diese sie für ihre Jugendfreundin Toffee hält, nimmt Allison diese Rolle an – zunächst nur, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Doch langsam spinnt sich ein zartes Band zwischen der dementen Frau und dem 15-jährigen Mädchen. Denn Allison/Toffee nimmt Marla ernst, gibt ihr wieder Glück und Zuneigung, die sie von ihrem kalten Sohn und der regelmäßig vorbeischauenden Sozialarbeiterin nicht bekommt. Und auch Marla hilft Allison auf ihre ganz eigene Art, wieder Halt und Zuversicht im Leben zu finden.
Sahrah Crossan hat diesen Roman in freien Versen geschrieben, die von Beate Schäfer mit großem Sprachgefühl ins Deutsche übertragen wurden. Dabei fließt der Text doch gut lesbar, lässt uns aber immer wieder innehalten, wie schwebend, gebannt von leiser Poesie. Ein ganz besonderes Buch, das berührt, ohne jemals auch nur in die Nähe von Kitsch zu geraten, und dem viele junge Leser zu wünschen sind. (Syme Sigmund) Leseprobe

Hörprobe, gelesen von Nina Hrdina

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Britta Teckentrup: Die Schaukel

Prestel 2023, 160 S., € 25,-, ab 5 und für alle

Schaukeln macht richtig Spaß. Es kann hoch hinaus gehen, beinahe himmelhoch lässt es sich fliegen, aber auch das Fallen ist nahe. Und dann sind noch die anderen, die auch alle gerne schaukeln wollen. . . Die Künstlerin Britta Teckentrup hat eine Schaukel oberhalb eines Meeres gezeichnet und Jahre voller Freuden, Begegnungen und Stimmungen an diesem besonderen Ort festgehalten, der sich ständig verändert. Kindern kommen zum Toben und Spielen, Jugendliche zum Flirten und Nachdenken, Erwachsene zum Nachdenken und gesellig Sein. Tiere begegnen sich dort, das Wetter, die Tageszeiten ändern sich, auch nagt die Zeit an ihr. Pflanzen und Gestrüpp wuchern sie zu, bis ein Vater, der sich an diese Schaukel aus seiner Kindheit erinnert, sie mit seinem Kind wieder davon befreit. Menschen kommen hinzu und reparieren sie, bis endlich wieder auf ihr geschaukelt werden kann! Ein stimmungsvolles illustriertes Buch zum immer wieder Anschauen, Gedanken nachzuhängen und miteinander über das Leben zu philosophieren. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Chantal-Fleur Sandjon: Die Sonne so strahlend und Schwarz

Thienemann 2023, 384 S., € 17,-, ab 14 für alle

Eigentlich ist die 17-jährige Schwarze Berlinerin Nova hart trainierende Rollschuhläuferin, doch hat ihr misshandelnder Stiefvater ihr einen Arm gebrochen und ihr nicht nur den Sport unmöglich gemacht. Doch jetzt startet eine neue Zeit. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Halbbruder kann sie nach häuslicher Gewalt und Frauenhaus in einer neuen Wohnung endlich zur Ruhe kommen, traut sie sich sogar hinaus in den neuen Kiez, lernt den queeren Felix* kennen und verliebt sich blitzartig in die schwarz leuchtende Akoua. Eine aufregende lesbische Coming-of-Age-Geschichte beginnt mit vielen Up’s und Downs, nicht nur in der Beziehung der beiden jungen Frauen. Rassismus und Sexismus sind leider omnipräsent. Doch so viel sei verraten, ihre Liebe, ihre Ressourcen und ihre Community sind stark. Das alles wäre schon genug für einen fantastischen empowernden Roman, doch hat Chantal-Fleur Sandhon durch die Form, die sie gewählt únd bravourös ausgeführt hat, eine wirkliche Perle geschaffen. Nova erzählt ihre Geschichte in Versen, die sich vortasten, tänzeln, kreisen, vibrieren, anhalten, Luftsprünge machen. Das ist atemberaubend zu lesen und auch optisch ein Genuss. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Tamara Bach: Honig mit Salz

Carlsen 2023, 160 S., € 14, ab 12

Was könnte es schön sein in Griechenland, wenn sie mit ihrer Busenfreundin Elif hier wäre. Doch Ari ist mit ihren Eltern verreist, und ihre Mutter muss im Urlaub arbeiten. Papa findet das alles andere als lustig, verbringt die Zeit in der Strandbar und streitet mit Mama. Ari verzieht sich aufs Dach des Ferienhauses oder zieht allein los. Wenn man dreizehn ist, die Eltern peinlich sind und auch noch heimlich rauchen, sind dies „Scheiß Ferien, ein verkackter Urlaub“. Doch dann taucht dieser süße griechische Junge auf dem Platz auf und spricht Ari an. Vielleicht werden die Ferien ja doch noch zu dem ersehnten Abenteuer.
Tamara Bach beweist wieder einmal, dass sie sich wie kaum eine andere Autorin in ihre Leser:innen einzufühlen vermag. Der Moment zwischen Kindheit und Jugend, wenn der Blick auf die Eltern sich nach Außen verschiebt, die eigene Peergroup ins Zentrum rückt und das stundenlange Ausbleiben einer Antwort der Freundin einer Katastrophe gleichkommt – der Autorin gelingt es mit ihrer knappen, glasklaren Sprache, genau diesen Moment einzufangen. Eine rundum überzeugende Geschichte vom Beginn der Jugend, dem ersten Kuss und bisweilen unmöglichen Eltern. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Ilaria Jovine e Roberto Mariotti, illustrazioni di Marco Cabras: Volo senza grido

La lotta di Licia Pinelli. Becco Giallo 2021, pp. 128, dai 14 anni, ca. € 24,-

Licia Pinelli è ancora molto giovane quando perde il marito Giuseppe. La sua morte arriva all’improvviso e in circostanze poco chiare: Giuseppe Pinelli muore infatti in seguito al suo arresto, nel dicembre del 1969, precipitando da una finestra della questura di Milano, dove da pochi giorni è detenuto in attesa di un giudizio. Pinelli è ritenuto responsabile della strage di Piazza Fontana e si parla di suicidio, Giuseppe infatti è un militante anarchico e sugli anarchici cadono i primi sospetti. Licia affronta il lutto, la solitudine, alleva da sola due bambine, ma soprattutto lotta per ottenere dignità e giustizia e lo fa per quarant’anni, con forza e lucidità. Questa emozionante Graphic Novel narra la triste vicenda della famiglia Pinelli dal punto di vista della signora Licia, che si fa portavoce delle vicende di tante persone divenute vittime di un sistema politico ingiusto e discriminatorio e comunque capaci di continuare a lottare con coraggio e determinazione. (Giulia Silvestri)

Voglio ordinarlo!

Anna Woltz: Nächte im Tunnel

Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, Carlsen 2022, 222 S., € 16,-, ab 14

Die Autorin hat für ihren Roman um die Erwartungen dreier Jugendlicher an ihr Leben eine Extremsituation gewählt: In London suchten 1940 die Menschen in Massen in U-Bahnschächten Schutz vor den deutschen Bomben. Voll ist es, alle kämpfen um Schlafplätze, so auch die 14jährige Protagonistin Ella und ihre Familie. In der Schlange will der charmant-abgerissene Jay Ellas Behinderung gewinnbringend ausnutzen (sie hinkt als Folge einer Polioerkrankung). Er verwirrt Ella, zumal die Dritte im Tunnel, die filmstarschöne reiche Quinn, die von zuhause abgehauen ist, sich auch für ihn interessiert. Quinn, die vor nichts Angst zu haben scheint, unterstützt aber auch ihre neue Freundin . . . Vor all die persönlichen Befindlichkeiten schiebt sich jedoch mit aller Macht das gewaltige Kriegsgeschehen. Anna Woltz hat die historischen Fakten raffiniert beiläufig eingebaut, was die dramatische Spannung um die Protagonist:innen kaum aushaltbar steigert. Nächte im Tunnel ist ein Ausnahmeroman um die Bedeutsamkeit, nicht wegzuschauen bei anderen und bei sich. Und immer für die eigenen Träume einzustehen auch trotz absolut widriger Umstände. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

Gespräch mit der Autorin

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Osamu Okamura, David Böhm & Jirí Franta (Ill.): Die Stadt für alle

Aus dem Tschechischen von Lena Dorn, Karl Rauch 2022, 176 S., € 25,-, ab 10 für alle

Mittlerweile lebt mehr als die Hälfte der Menschen weltweit in Städten, Tendenz nach oben offen. Städte sind faszinierende Orte der zwischenmenschlichen Begegnungen auf relativ begrenztem Raum.  Gleichzeitig bergen sie äußerst viel Konfliktpotential, widersprechen sich scheinbar die Bedürfnisse und Interessen unterschiedlichster Gruppen, verändern sich rasant. Ganz viele Fragen und Aspekte kommen da zusammen, die dieses hochspannende Sachbuch alles andere als trocken aufwirft. Denn neben den informativen knappen Texten visualisieren die Abbildungen auf geniale Weise, wie Städte funktionieren, welche Probleme und Chancen sie haben. Die Künstler haben unzählige Modellbauten aus Karton, die wie charmant selbstgemacht aussehen, so raffiniert arrangiert und fotografiert, dass der vielfältige Kosmos Stadt allein durch das Betrachten der Doppelseiten unmittelbar erfahrbar wird. Diese Bilder animieren, selbst mit Papier und Pappe loszulegen, sich miteinander auszutauschen über eigene Vorstellungen übers Zusammenleben jetzt und in der Zukunft.  (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Vitali Konstantinov: Alles Geld der Welt

Gerstenberg 2022, 80 S., € 26,-, ab 10

Durchaus vergnüglich, dabei aber vor allem sehr informativ geht es in diesem Sachbuch zu, das viel Geschichte und viele Geschichten erzählt. Der noch im Odessa der UdSSR, in der heutigen Ukraine geborene und seit 1996 in Deutschland lebende Comiczeichner und Illustrator Vitali Konstantinov hat schon in zahlreichen Büchern bewiesen, dass er hervorragend in der Lage ist, fachlich, sachlich und historisch komplexe Zusammenhänge zeichnerisch zu veranschaulichen. Auch wenn eine jede Seite in Alles Geld der Welt auf den ersten Blick wahnsinnig wuselig wirkt, entpuppt sie sich bei genauerer Betrachtung  als virtuos durchdachtes Tableau, das eine wahrhafte Flut an Informationen gekonnt bündelt. Vom Muschelgeld zur Kryptowährung – so der Untertitel des Sachbuches – erzählt in kurzen Comic Stripes, Infografiken und Landkarten Entwicklung, Geschichte und Wandel des Geldes. Es erklärt seine Funktion als Wertaufbewahrungs- und Wertübertragungsmittel. Und erläutert finanzpolitische Prozesse wie Währungsunionen. Und falls das jetzt trocken klingen sollte – man legt dieses Buch kaum wieder aus der Hand so unterhaltsam und lehrreich ist es. (Jana Kühn)
Blick ins Buch

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Davide Morosinotto: Shi Yu

Aus dem Italienischen von Claudia Panzacchi, Thienemann 2022, 512 S., € 20,-, ab 13

(La più grande, Rizzoli 2020, ca. € 18,-)

Davide Morosinotto ist der aktuell wohl erfolgreichste italienische Jugendbuchautor. Auch in Deutschland war er bereits für den Kinder- und Jugendliteraturpreis nominiert. Seine Werke zeichnen sich durch viel sprachliches Einfühlungsvermögen, enorme Spannungsbögen, eine aufwändige Gestaltung und – ganz beiläufig – jede Menge vermitteltes Wissen aus. Seine Figur der “Shi Yu” ist inspiriert von der historisch belegten Zheng Yisao (1785-1844), einer Piratin der südchinesischen Meere, die eine Flotte von 1.000 Schiffen und um die 80.000 Menschen befehligte – alles in allem eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Morosinotto erzählt ihre beeindruckende Lebensgeschichte als märchenhaftes Epos und spannenden Martial-Arts-Roman. Vom überlieferten Leben der Zheng Yisao wählte er den Anfang (das von Piraten geraubte Mädchen), die Mitte (sie wird zur Anführerin) und das Ende – das hier nicht verraten sei. So, wie es die chinesischen Märchenerzähler vor langer Zeit machten, nahm er sich die künstlerische Freiheit, ihr Leben von einer wahren Geschichte in eine Legende zu verwandeln. Spannend, lehrreich & empowernd! (Jana Kühn)

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