Ernst Dronke: Berlin

Reich illustriert mit historischen Aufnahmen, Portraits, Stadtansichten und Karikaturen aus der Vormärz-Publizistik. Die Andere Bibliothek 2019, 416 S., € 58,-

(Stand März 2021)

Dronke BerlinjpgDer Jurastudent Ernst Dronke fährt 1843 mit dem Zug nach Berlin und steigt am erst vor zwei Jahren eröffneten Anhalter Bahnhof aus, der bereits von Dienstmännern, Polizisten, sich so verhohlen wie offen anbietenden Mädchen wimmelt. Er promoviert an der Friedrich-Wilhelms-Universität, heute Humboldt-Universität, verfasst Polizei- und Gerichtsreportagen sowie scharfsinnige Betrachtungen über alle Gesellschaftsschichten. Doch bereits 1845 wird er aus Berlin verwiesen und nach der Publikation seines Reportagebandes „Berlin“ wegen Beleidigung des Königs und des Polizeipräsidenten zur Festungshaft verurteilt.
Denn Dronkes historische Reportage „Berlin“ ist nicht nur ein großstädtisches Sittenbild, sondern auch eine sozialkritische Bestandsaufnahme des biedermeierlichen Berlins, und beschreibt die sozialen Verwerfungen in Preußen. Nun könnte man denken: Schnee von gestern! Doch irgendwie erscheinen viele Texte vertraut: „Das Leben der Hauptstadt, so geräuschvoll und bewegt es ist, gönnt sich nur wenige Stunden der Ruhe. Das Rasseln der Wagen verhallt erst gegen Morgen; einzelne Tritte später Nachtvögel schlendern wohl auch dann noch über die Trottoirs, aber im Allgemeinen ist es ruhig, ungefähr zwei bis drei Stunden lang. Um fünf öffnen sich die Läden und einzelne Arbeiter ziehen nach den Fabriken oder Arbeitsplätzen. …“
Dronke beschrieb vor 175 Jahren den Anbruch der Moderne, doch manches scheint sich bis heute nicht geändert zu haben. Stehen wir also noch am Anfang? Es ist mehr als spannend, diese reich illustrierte Prachtausgabe (wieder-) zu entdecken. (Hans-Ulrich Pollack) Blick ins Buch

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Wir sind wieder ausgezeichnet für unsere Leseförderung!

Zum 15. Mal in Folge haben wir das Gütesiegel Berlin-Brandenburg für Leseförderung erhalten!

Als ganz besondere Kinderbücher empfehlen wir unsere Vielfaltsperlen, die wir vor allem für das Kita- und Grundschultlter ans Herz legen möchten. Und auch unsere Danteperlen sind nach Büchern für Kinder und Jugendliche sortiert – viel Freude beim Stöbern!

 

Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst

S. Fischer Verlag 2020, 352 S., € 21,-, TB 2022, € 13,-

(Stand September 2022)

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Die Icherzählerin ist Mitte dreißig und hat oft viel Angst. Als Schwarze in Deutschland hat sie Schlimmes erlebt. Ihre Mutter war zu DDR-Zeiten Punk und tut sich schwer mit dem Leben. Ihr Vater verließ die Familie sehr früh und ging zurück nach Angola. Ihr Zwillingsbruder hat sein Leben beendet. Die Großmutter, zu der sie als einzige Angehörige den Kontakt hält, steht weit rechts. Glück erlebt die namenlose Protagonistin in Städten wie Berlin und New York oder in Ländern wie Marokko und Vietnam, vor allem aber durch die Menschen, für die sie sich selbst entscheidet.
In einem der originellsten Debuts der letzten Zeit schreibt Olivia Wenzel über Herkunft, Diskriminierung, Privilegien, die Suche nach Stabilität, Identität und Beziehungen. Dafür hat sie ein außergewöhnliches Format gewählt. Der erste und der dritte Teil des Romans besteht aus Dialogen zwischen einer fragenden Stimme und der Protagonistin, während im mittleren Teil Assoziationen, Bilder und Erinnerungen fein miteinander verwebt werden. So entsteht ein vielstimmiger Raum, in dem die Autorin uns auf eine rasante und überraschende Serpentinenfahrt einlädt. (Giulia Silvestri)

Leseprobe

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Literarische Matinee im Obermaier

DER SALON ÜBER VERÄNDERUNG

Gemeinsam mit dem Salon Obermaier laden wir zur literarischen Matinee ein.

Marlen Pelny und Stephan Lohse geben in ihren jüngsten Büchern Anlass, genauer hinzuschauen auf Ereignisse und Erfahrungen, die ein ganzes Leben (sogar: ganze Leben) unerwartet in eine andere Richtung lenken können.Wir sind mit Ereignissen konfrontiert, die Sehnsüchte provozieren, mit Ereignissen, die Trauer auslösen, Schmerz verdienen und Trost spenden. Wir sitzen mittendrin.

Wann? Sonntag, 10. Dezember ab 11.30 Uhr
Wo? OBERMAIER. Restaurant-Salon

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Juri Andruchowytsch: Die Lieblinge der Justiz

Parahistorischer Roman in achteinhalb Kapiteln. Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr, Suhrkamp Verlag 2020, 299 S., € 23,-

(Stand März 2021)

AndruchowytschDie Lieblinge der Justiz – das sind Mörder, Verbrecher und ihre Verbrechen. Das sind ein dichtender Räuber des 17. Jahrhunderts, ein verliebter stalinistischer Killer-Spion oder ein kommunistischer Revolutionär. Das sind aber auch ein Krämer, der einen Magier um ewige Jugend bittet, ein betrügerischer Mönch, der mit dem Teufel paktiert oder ein unglückseliger Bauer, der so abstoßende Züge trägt, dass ihm jede Untat zugetraut wird. Juri Andruchowytsch erzählt von ihnen, ihren Taten und wie ihnen der Prozess gemacht wird, berichtet von Liebe, Mord und Verrat, vermischt Fakten mit Fiktion und präsentiert ganz nebenbei ein sowohl haarsträubendes als auch (überraschenderweise) ironisch-amüsantes Panorama von 400 Jahren ukrainischer Geschichte. Die mal leicht-kuriosen, mal bitterernsten und schwer erträglichen Geschichten, in denen sowohl die Tragik der Delinquenz, die Frage nach Sinn und Unsinn von Strafe und die Verbrechen der jeweils herrschenden Justiz selbst in den Fokus rücken als auch die über die Jahrhunderte immer gleiche blutrünstige Sensationslust der Massen und ihre unausrottbaren Vorurteile bloßgestellt werden, halten auch der heutigen Gesellschaft den Spiegel vor und erinnern daran, nichts unhinterfragt zu lassen. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Monique Truong: Sweetest Fruits

Aus dem Englischen von Claudia Wenner, C.H. Beck Verlag 2020, 347 S., € 23,-

(Stand März 2021)

truongDer Journalist und Reiseschriftsteller Lafcadio Hearn wurde 1850 auf der griechischen Insel Lefkas geboren. Sein irischer Vater war dort als britischer Militärarzt stationiert, seine Mutter war Griechin. In Irland und England in Internaten aufgewachsen ging er als junger Mann nach Amerika und später – nach verschiedenen Reisen unter anderem in die Karibik – nach Japan, wo er sein Sehnsuchtsland fand, die Tochter eines Samurai ehelichte und 1904 verstarb. Hugo von Hofmannsthal trauerte bei der Nachricht seines Todes um die „unvergleichliche Stimme“, Stefan Zweig rühmte den „überschwebenden Glanz“ seiner Beschreibungen. Monique Truong zeichnet sein Leben durch die intensiven Stimmen dreier Frauen nach – seiner Mutter, seiner afroamerikanischen Ehefrau, von der er nach wenigen Jahren wieder geschieden wurde, sowie seiner japanischen Gattin, mit der er drei Kinder hatte. So entfaltet sich nach und nach ein vielschichtiges Bild dieses außergewöhnlich sensiblen und poetischen Mannes und seiner Suche nach Zugehörigkeit. Zur erweiternden Lektüre sei der gleichfalls bei C.H. Beck erschienene Band mit Reportagen „Vom Lasterleben am Kai“ empfohlen. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Sabine Lemire & Rasmus Bregnhøi: Mira #kuss #kunst #familie

Aus dem Dänischen von Franziska Gehm. Klett Kinderbuch 2020, 99 S., € 15,-, ab 10
(Stand März 2021)

Lemire_Sabine_Mira_kuss-kunst-familie_Danteperle_Dante_ConnectionMira, für alle, die sie noch nicht kennen, ist im Zwischendrinalter. Sie bastelt gerne und lebt mit ihrer Mama und deren Freund Joakim zusammen. Ihr Papa hat eine eigene Familie und Mira somit einen kleinen Bruder. Das ist manchmal alles ziemlich kompliziert für Mira und manchmal auch super, weil sie hin- und herpendeln kann. Ihr Zuhause ist aber mit Mama und Joakim, es ist ein besonderes cooles, nämlich ein Hausboot. Noch cooler ist ihre Nachbarin Liva, die ihre Freundin ist, immer geniale Ideen hat und beim Sammeln Tolles findet. Im dritten Band, der auch ganz unabhängig zu lesen ist, gründen Mira, Liva und ihre Freunde Karla und Louis einen Kunstclub, der sie ganz schön auf Trab bringt. Und dann fangen Miras Brüste an zu wachsen und ihre peinliche Mutter will sie und ihre Freundin unbedingt über die Menstruation aufklären. Dabei passiert so viel Wichtigeres, sie lernt Jonas kennen, Livas süßen Cousin.
Ganz nah kommen die Leser*innen dieser charmant-tiefgründigen Graphic Novel den Gefühlen, Nöten und Freuden eines Mädchens, das gerade den relativ sicheren, da vertrauten Hafen der Kindheit verlässt und sich in viele neue Abenteuer stürzt! Super für Kids in dem Alter und sozusagen Fortbildung für Erwachsene. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Thomas Harding und Britta Teckentrup: Sommerhaus am See

Das Bilderbuch. Aus dem Englischen von Nicola T. Stuart, Jacoby & Stuart 2020, 48 S.,  € 15,-, ab 8
(Stand März 2021)

Am Ufer des Glienicker Sees am Rande Berlins steht ein hübsches Holzhaus. Beim ersten Blick würde man nicht meinen, dass ein solch kleines Gebäude so viel erlebt hat. Das Haus wurde von den Urgroßeltern Thomas Hardings vor fast hundert Jahren gebaut. Zusammen mit ihren vier Kindern verbrachten sie dort eine unbeschwerte Zeit. Bald mussten sie aber wegziehen, nachdem die Nazis die Macht übernommen hatten.
Danach wurde es von sehr unterschiedlichen Familien bewohnt, aber früher oder später verließen alle das Haus. Viele Jahre und politische Systeme später betritt Thomas Harding einen kleinen Weg im Wald am See, und findet tatsächlich ein kleines verlassenes Haus, das wie das seiner Urgroßeltern aussieht und das sich mit einem uralten Schlüssel öffnen lässt… Genau das ist es!
Dieses toll und eindrucksvoll illustrierte Buch erzählt hundert Jahre deutscher Geschichte. Das Haus mit seinen wechselnden Bewohner*innen steht wie ein Symbol für das 20. Jahrhundert und ist jetzt eine Begegnungsstätte für alle. (Giulia Silvestri)

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Raimund Petschner: Kurze Entfernung aus dem Gespräch

PalmArtPress 2019, 187 S., € 24,-

(Stand März 2021)

FRONTCOVER_25.10.18_FINAL.inddIn einer unveröffentlichten Miniatur über das Verfassen von Miniaturen schreibt Petschner: „Im dickleibigen Entwicklungsroman des Lebens tauchen magische Kürzestkapitel auf, magisch und zugleich alltagsweltgesättigt, weltzustandsbewußt.“ Miniaturen gehen von Kleinbeobachtungen aus, von dem, was Auge und Ohr im Vorbeigehen einsammeln und im Kopf irgendwo so verstauen, daß es eines Tages den Verfasser, die Verfasserin zu einem kurzen Text anstößt. Zur Miniatur wird dieser Text, wenn Beschreiben und Nachdenken auseinander hervorwachsen, ja ineins fallen. In einer Petschnerschen Miniatur etwa erinnert sich nach Jahrzehnten ein Mann, wie er als Kind die Mutter eines Mitschülers in einem elenden Bach baden sah, eine „munter sich selbst bespritzende (…) Frau, wenngleich darunter – nicht darüber – etwas wie eine Maske saß : heilloser Schmerz, gefrorener Gram.“ Am Ende, nach weiteren wenigen Zeilen der Beschreibung, heißt es schließlich, in dem Elfjährigen habe bald danach ein leiser Verdacht zu arbeiten begonnen, „es seien die Mütter etwas unglaublich anderes als kleine praktische Nutzfahrzeuge“. Dieses Nachdenken über das erinnerte Bild in Gestalt wiederum eines Bildes hat Frank Heibert in einer tell-Besprechung des Buches seinerseits bildhaft beschrieben als „schwingende Bewegung vom Alltagsdetail zur existenziellen Unendlichkeit (und zurück)“. Beeindruckend ist die Leichtigkeit, mit der man als Leserin/Leser dieser schwingenden Bewegung folgen kann – vermutlich wegen des rhythmus- und spannungsreichen Satzflusses. Man wird von ihm gleichsam an die Hand genommen und durch den stark verdichteten Stoff geführt, der bildreich ist bis in die Wortfindungen hinein: „Plastikleerguttraurigkeit“, „Zauberkoinzidenzen“, „Cleanizismus“, „ein dunkles Stimmenschiff“, „im Ruckelrasewagen Welt“. Miniaturen sind Einzeltexte, und sie sind zugleich „Kürzestkapitel“ eines Ganzen. Die Ganzheit, ja Geschlossenheit von Kurze Entfernung aus dem Gespräch garantieren wiederkehrende Themen und Motive und nicht minder Petschners Blick und sein Stil. Großverlage schrecken vor der Publikation von Kurz- und Kürzestprosa zurück, weil das Lesepublikum Romane verlange. Catharine Nicely, die Verlegerin der deutsch-englischsprachigen PalmArtPress, engagiert sich für alle Arten von „minimals“ und praktiziert mit ihrem Kunst und Literatur verflechtenden Verlag möglicherweise generell etwas ähnliches wie Petschner mit seinen Miniaturen: die Feier des Mosaiks, die Aufforderung an den Leser/die Leserin, mit den Leerräumen zwischen den Steinen zu hantieren. Petschner selbst schreibt in einer seiner Miniaturen über das vermeintliche Zurückschrecken vor kurzen Formen des vermeintlich romanfixierten Publikums: „Man fürchtet das Elend der Zerstreuung und erlebt, lässt man sich auf das Kleinstückige ein, oft nur eine Stärkung der bogenschlagenden und gestaltbildenden Kräfte.“ (Eveline Passet) Leseprobe

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Katja Gehrmann & Constanze Spengler: Seepferdchen sind ausverkauft

Moritz Verlag, 48 S., € 14,-, ab 5
(Stand März 2021)

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Der alleinerziehende Vater sitzt am Schreibtisch und muss bald schon ein Projekt abgeben, doch das Kind langweilt sich und lässt ihm keine Ruhe. Nur mit halbem Ohr zuhörend erlaubt er schließlich die Anschaffung eines Haustiers. Nur wird – nach einer ganzen Reihe Bilderbuchseiten voll schön-schräger Ideen – aus der anfänglich einen Wüstenrennmaus eine ganze Horde der unterschiedlichsten Tiere.
Schon vor Corona war Homeoffice für viele Alltag. Seit einigen Wochen wissen nun alle Familien mit Kindern von den Herausforderungen, die das mit sich bringt. Dieses wunderbar lustige Bilderbuch erzählt mit sehr viel (tröstlichem) Humor davon. (Jana Kühn)

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