Guy de Maupassant: Stark wie der Tod

Mit Illustrationen von Jim Avignon, übersetzt von Caroline Vollmann, Edition Büchergilde 2013, 296 S., € 24,95

(Stand März 2021)

stark_wie_der_tod_danteperle_dante_connectionWer unsere Plauderstunde mit dem Berliner Pop-Art-Künstler Jim Avignon zur 16. Langen Buchnacht in der Oranienstraße verpasst hat, dem sei hier nun noch einmal ganz offiziell dieser Klassiker der französischen Gesellschaftsliteratur aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert wärmstens ans Herz gelegt – zum Selberlesen oder auch als wunderschönes Geschenk. In all den Genrebeschreibungen Guy de Maupassants der damaligen Pariser Noblesse, Salon- und Künstlerwelt ist dieser Roman nämlich vor allem eine zeitlos anmutende, gänzlich unmoralistische Geschichte über die Liebe, das Alter und das Reifen wie Altern der Liebe im endlosen Prozess des Infragestellens der eigenen Person und des Anderen. Maupassant überrascht mit seinen wertfreien Beobachtungen, die das sensible Porträt und Psychogramm einer sich immer dramatischer zuspitzenden ménage à trois zwischen der Gräfin Any de Guilleroy, ihrem geheimen Geliebten, dem Maler Olivier Bertin, und Anys Tochter Anette bilden. Mit den famosen Illustrationen von Jim Avignon erhält der Text darüberhinaus eine komplett neue und obendrein beglückende Ebene, welche die Zeitlosigkeit des Textes wunderbar hervorhebt. (Jana Kühn) Leseprobe

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Daniela Krien: Muldental

(Graf Verlag 2014), Neuausgabe Diogenes Verlag 2020, 240 S.,  € 22,-

(Stand März 2021)

Muldental – der kleine Ort Muldental ist nirgens und doch überall in der heutigen sächsischen Provinz. Die zehn Geschichten dieses Buches handeln alle  – irgendwie – von Menschen aus Muldental, Menschen, die im Leben nicht das bekommen haben, was sie sich erhofft hatten, nicht weiter wissen, mit dem Leben nicht zurecht kommen. Sie handeln von dem Mann, der erst die Arbeit und dann seine Frau verliert und schließlich vor dem Supermarkt als Alkoholiker endet oder von den jungen, gut ausgebildeten Müttern, denen die Prostitution als eine machbare Option erscheint, um der finanziellen Misere zu entkommen. Sie handeln von den Abgehängten, den “Wendeverlierern”, den Gescheiterten und Verzweifelten. Nein, wohlfühlen kann man sich nicht bei der Lektüre, das soll man auch nicht. Die Protagonisten kämpfen, wollen nicht untergehen, auch wenn sie eigentlich schon 10 Meter unter der Wasseroberfläche schwimmen, trotzen stoisch den Verhältnissen – oder haben längst aufgegeben. Daniela Krien überzeugt dabei mit einer kargen, unsentimentalen Sprache, die nachwirkt. Ein starkes Buch über die Randfiguren unserer Gesellschaft, nicht leicht zu verdauen, aber unbedingt lesenswert. (Syme Sigmund)

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Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah

Aus dem Englischen von Anette Grube, (S. Fischer Verlag 2014), 608 S., Fischer TB  € 14,-

(Stand März 2021)

21-adichie_americanahIfemelu und Obinze verlieben sich noch während ihrer Schulzeit in Lagos. Eine überraschende Entschlossenheit füreinander verbindet das selbstbewusst kluge Mädchen mit dem etwas draufgängerisch beliebten Jungen. Die lähmende Perspektivlosigkeit in Nigeria lässt Ifemelu schließlich ihre Heimat verlassen: sie studiert in den USA. Jahre später verlässt auch Obinze das Land und lebt illegal in London. Einfühlsam und bewegend begleitet Adichie ihre Protagonisten auf den sehr unterschiedlichen Lebenswegen. Ifemelu schreibt einen Aufsehen erregenden und kritischen Blogg zum Thema als Schwarze in den USA zu leben und den damit einhergehenden alltäglichen Rassismus. Obinze erfährt viel Demütigung, wird abgeschoben und steigt final zu einem erfolgreichen Geschäftsmann in Nigeria auf. Nach vielen Jahren treffen die beiden in Lagos wieder aufeinander, und alles und nichts ist, wie es vorher war. Ein politisches, ein anregend nachdenkliches, auch ein romantisches, vor allem ein mitreißendes Buch! (Jana Kühn)

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Holger Teschke: Heringe

Matthes & Seitz 2014, Reihe Naturkunden, Hrsg. von Judith Schalansky, 119 S., € 20,-

(Stand März 2021)

heringe_danteperle_dante_connectionDem Fisch, dem wir heute meist nur traurig in einem Brötchen oder einer Konserve begegnen, ist der neue Band der Naturkunden gewidmet: dem Hering. Der Autor, auf Rügen aufgewachsen und ehemals Maschinist auf Fischerkuttern, porträtiert den kleinen Fisch, der einst Geschichte machte. Heringe galten als Silber des Meeres, entschieden über Reich und Arm in der Wirtschaft Nordeuropas, machten mit ihren Lauten, den „Heringsfürzen“, Politik. Doch Teschke wendet sich vielen weiteren Aspekten des Herings zu, Fakten wie seine Schwarm-intelligenz, aber auch den vielen Mythen, die sich um ihn ranken. So schön, wie das silbergraue Buch mit seinen ausgewählten Abbildungen gestaltet und ausgestattet ist, müssen in vorindustrieller Fischereizeit die kilometerbreiten und langen Heringsschwärme gewesen sein, die, wenn die Sonne auf sie fiel, das Meer zum Leuchten brachten. (Stefanie Hetze)
Podcast „Heringe umschwärmen mit Holger Teschke“

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Sarah Schmidt: Eine Tonne für Frau Scholz

Verbrecher Verlag 2014, 217 s., € 19,-

(Stand März 2021)

Layout 1Es ist verdammt ruhig geworden im Leben von Nina Krone: Häuser werden nicht mehr besetzt wie in den Achtzigern, sondern – wenn auch unsaniert – per Mietvertrag bewohnt, ein schmales, aber doch regelmäßiges Einkommen ist vorhanden, die Kinder sind erwachsen und ausgezogen, die befreundeten Akademikerpaare langweilen schlicht und nicht einmal Drogen taugen mehr zum großen Rausch und Taumel. Wann ist das alles nur so klein geworden? Desillusion pur! Doch mit der Kontaktaufnahme zur störrischen Nachbarin Frau Scholz, dem Kinderwunsch des schwulen Schluffi-Sohns und dem anstehenden Filmprojekt der Karriere-Tochter überschlagen sich plötzlich wieder die Ereignisse. Sarah Schmidt beobachtet ihre Protagonisten sehr genau und mit viel Witz, dreht dabei auf bis zur rabenschwarzen Komödie und bleibt dennoch ihren schrulligen Kreuzbergern herzlich zugewandt. Ein Großstadt- und Familienroman und eine amüsant kluge Lektüre nicht nur, aber besonders für alle von hier! (Jana Kühn) Leseprobe

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Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther

Suhrkamp 2014, 285 S., € 19,95, TB Ausgabe € 10,-

(Stand März 2021)

vielleicht_esther_danteperle_dante_connectionKatja Petrowskaja macht sich auf die Suche nach Ihren jüdischen Vorfahren, forscht in Österreich, Polen und der Ukraine nach Spuren von Rosa, Ozjel, Anna oder eben Esther und stößt dabei stets an die Grenzen dessen, was noch erfahrbar ist, wenn es die Menschen, die man hätte fragen können nicht mehr gibt, wenn nur “Erinnerungsfetzen, zweifelhafte Notizen und Dokumente in fernen Archiven” bleiben. Die 1970 in Kiew geborene und aufgewachsene Autorin fühlt sich “der Geschichte ausgeliefert”, folgt Hypothesen, fragt nach, verzweifelt an den Tücken der Internet-Suchmaschine und arroganten Telefonistinnen, stößt auf immer neue Versionen der gleichen Geschichte, verirrt sich in Archiven, gibt nicht auf, macht überraschende Entdeckungen und spinnt so nach und nach ein Gewebe aus Geschichten, in denen sich Gegenwart und Vergangenheit überlagern und vernetzen, in denen das Deutsch von Petrowskaja dank ihres gleichsam frischen Blicks auf diese Sprache neu und hoch literarisch-poetische Glücksmomente fern aller literarischen Konventionen zaubert und man am Ende des Buches auf viel mehr von dieser ganz besonderen Autorin hofft, die für ein Kapitel aus “Vielleicht Esther” verdientermaßen den Ingeborg-Bachmann-Preis 2013 gewonnen hat. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Aus dem amerikanischen Englisch von Rainer Nitsche. Transit 2014, nur noch als E-Book bestellbar, € 17,99

(Stand März 2021)

Umschlag_Nairobi_heat.inddEin überraschendes Wechselspiel zwischen den USA und Afrika, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Gut und Böse  ist in einem rasanten neuen Krimi zu entdecken: In einer amerikanischen Provinzstadt wird eine junge blonde Weiße tot auf den Stufen eines Hauses gefunden. Tatverdächtig ist ein kenianischer  schwarzer Professor, ein Held im Kampf gegen den Völkermord in Ruanda und Aushängeschild für eine Menschenrechtsstiftung. Ermittler ist der Afroamerikaner Ishmael, der schnell erkennt, dass er mit der Lösung des Falls nur in Nairobi weiterkommt. Ishmael, der noch nie im Land seiner Vorfahren gewesen war und in Nairobi als  Amerikaner als reicher weißer Mann gilt, dringt zusammen mit seinem kenianischen Kollegen tief ein in ein schmutziges Geflecht aus Gewalt, Intrigen und Korruption. Er entdeckt die kriminellen Machenschaften hinter der Hilfsorganisation, die  einträglich vom schlechten Gewissen der Welt lebt, hört dort aber bei weitem nicht auf zu ermitteln. Was Nairobi Heat so außerordentlich  macht, ist, wie Mukoma wa Ngugi immer wieder gesellschaftliche und moralische Gewissheiten umstößt und trotz aller Gewalt und allen Elends einen Eindruck von Lebendigkeit  hinterlässt, der Lust macht auf mehr spannende Literatur aus dem urbanen Afrika.  Hoffentlich wird die Fortsetzung Black Star Nairobi bald in Deutschland erhältlich sein! (Stefanie Hetze) Zur Leseprobe

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Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis

Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Mit einem Vorwort von Edmund de Waal und einem Nachwort von Sigrid Löffler. Zsolnay Verlag 2014, 336 S., € 19,90

(Stand März 2021)

donnerstags_bei_kanakis_danteperle_dante_connectionEdmund de Waal („Der Hase mit den Bernsteinaugen“)  hat jetzt einen Roman seiner Großmutter Elisabeth herausgegeben, einer hochgebildeten, aber zeitlebens unveröffentlichten Autorin aus der Ephrussifamilie, die aus Wien vertrieben und enteignet wurde.
“Donnerstags bei Kanakis“ spielt im Wien der Nachkriegszeit. Noch ist die Stadt unter amerikanischer Besatzung, längst haben die alten Mächtigen, die Nazis, Adeligen, Jesuiten, Immobilien- und Antiquitätenhändler ihre Terrains zurückerobert und fest abgesteckt. In diese geschlossene Gesellschaft lässt Elisabeth de Waal mehrere Menschen mit ihren Hoffnungen und Absichten eintreten, so einen jüdischen vertriebenen Wissenschaftler, einen schwulen Wiener Griechen, im Exil zu enormem Reichtum gekommen, eine halb von österreichischem Adel abstammende  junge Amerikanerin. Wie sie versuchen, anzuknüpfen, anzukommen, ja gar Recht zu erhalten, wird in einem vielschichtigen Tableau vorgestellt. Diese Erzählstränge erzeugen ein dichtes Stimmungs- und Gesellschaftsbild aus dem engen Wien der fünfziger Jahre, das für die Rückkehrer aber trotz allem Heimat und Sehnsuchtsort ist. Ihrer Zerrissenheit, ohne Bitterkeit viele Stimmen gegeben zu haben, macht die Lektüre heute zu einem großen Gewinn. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Gaito Gasdanow: Ein Abend bei Claire

Aus dem Russischen von Rosemarie Tietze. Hanser 2014, 192 S., € 17,90, TB dtv € 9,90

(Stand März 2021)

Gasdanow_24471_MR.inddNach “Das Phantom des Alexander Wolf” liegt nun der 1930 erschienene, stark autobiographisch gefärbte Debutroman Gasdanows erstmals auf deutsch vor. Die Liebe zu Claire, die der Autor nach zehn Jahren Trennung im Pariser Exil wiedertrifft, bildet die Rahmenhandlung zur Beschreibung einer Kindheit und Jugend im vorrevolutionären Russland. Der junge Kolja empfindet das Leben als sinnlose Abfolge von Ereignissen und Begegnungen, er tut sich schwer, Erlebnis- und Gedankenwelt, innere und äußere Existenz zu trennen. Der Wunsch seine “eigenartige Taubheit” zu überwinden lässt ihn auf Seiten der weißen Armee in den Krieg ziehen und schließlich auf der Flucht vor den siegreichen Bolschewiki nach Frankreich emigrieren. Kunstvoll erzählt, mit einer – von Rosemarie Tietze wunderbar übersetzten – Sprache großer Tiefe und poetischer Intensität, entfaltet sich dem Leser die illusionslose Sicht auf eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Daniel Woodrell: In Almas Augen

Aus dem Englischen von Peter Torberg, Liebeskind 2014, 192 S., € 16,90

(Stand März 2021)

40-woodrell_almasaugen“Wenn ich alles auspacke, was ich über die Explosion in der Arbor Dance Hall weiß, dann gibt es Lynchmorde von hier bis St.Louis.”, sagt Sheriff Adderly. Und nicht nur er schweigt lieber zur Tragödie des Sommers 1929, bei der 42 Menschen zu Tode kommen, viele schwer verletzt werden und ein ganzer Ort in stumme Trauer fällt. Wie zäher Nebel hängt das Schweigen über der kleinen Stadt. Nur Alma hört nicht auf unbequeme Fragen zu stellen. Sie hat ihre Schwester in den Flammen verloren und sucht jahrzehntelang nach den Schuldigen –  macht sich unbeliebt, verliert ihre Arbeit, ihre Söhne, wird eingewiesen und ausgegrenzt. Ihrem Enkel wird sie schließlich berichten, was sie weiß. Stück für Stück nur, aus vielen Perspektiven und mit jeder Seite fesselnder eröffnet Woodrell den Blick auf die wahren Geschehnisse. Dabei erzählt er in vielen kleinen, fast skizzenhaften Episoden ein großes amerikanisches Kleinstadtpanorama im Wandel des letzten Jahrhunderts. (Jana Kühn). Leseprobe

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