Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben, dtv 2016, 480 S., TB 2017, € 12,90
(Stand April 2021)
Es beginnt mit einem Brief Cäsars, der seinen Großneffen Gaius Octavius schätzt und fördert. Doch kurz darauf ist der Herrscher einem Attentat zum Opfer gefallen. Was wird nun aus dem jungen, ehrgeizigen Großneffen, der eigentlich der Philosophie und Gelehrsamkeit zuneigt? In fiktiven Briefen, Tagebucheinträgen und Dokumenten zeichnet Williams das Leben und die Persönlichkeit des uns heute als Augustus bekannten Gaius Octavius nach, seinen Weg zur Macht, der ihn als Menschen verändert, seine lange Regierungszeit mit ihren politischen Verschiebungen, schließlich seinen Tod. Es ist großartig, wie Williams umkreist, was und wie es gewesen sein könnte und dabei den verschiedenen Figuren, Freunden, Familienmitgliedern, Zeitgenossen, Gegnern Augustus‘ eine sehr lebendige Stimme verleiht. Sofort gerät man hinein in den Sog einer bewegten Zeit, die der unsrigen so fern liegt und von der doch so viele Verbindungslinien zu uns führen. (Judith Krieg)

Wenn den Autor und Keramikkünstler Edmund de Waal etwas packt, lässt er nicht mehr davon ab und geht den Dingen auf den Grund. Fasziniert ist er von Porzellan als hartem schönem Material und von der trügerisch reinen Farbe Weiß, die Komponenten seiner eigenen ausgeklügelten Kunstwerke. Immer präsent ist die gnadenlose andere Seite, die Kämpfe um die Porzellanherstellung, die Arbeitsbedingungen, die Instrumentalisierung des Porzellans durch die Machthaber und nicht zuletzt seine Zerbrechlichkeit. Quer durch die Jahrhunderte und rund um den Globus reist de Waal auf den Spuren seiner Obsession, auf die sich einzulassen ungemein mitreißende Lektüre verspricht.
Neukölln polarisiert zwischen absolut angesagt und komplett verschrieen, dazwischen ist meist nicht viel. Wer aber ein differenzierteres Bild gewinnen und viele Facetten dieses so riesigen und unterschiedlichen Berliner Bezirks kennenlernen möchte, begebe sich am besten im M41 mit diesem unterhaltsamen und faktenreichen Stadtführer auf Erkundung der Sonnenallee und ihres Umfelds und lasse sich überraschen. Nicht nur für Auswärtige ein großer Gewinn.
Florenz, Rom, Neapel – Henry James besuchte sie immer wieder sehr gern, Venedig, die einzigartige Stadt aus Licht, Wasser und Kunst, liess ihn jedoch nicht los. Seine Passion für die Lagunenstadt schlug sich in fünf virtuosen Essays nieder, in denen er ihren Zauber einzufangen suchte. Ortheil reichert James Texte mit vielen Hintergrundinformationen an. Karten, kleine Stiche und historische Fotografien, das praktische kleine Format, handschmeichlerisches Papier und der angenehme Leineneinband machen „In Venedig“ überdies zu einem hinreißenden Reisebegleiter im Kopf oder vor Ort.
Die Küche der USA ist eine Küche der Eingewanderten und sie lebt von deren vielfältigen Einflüssen. Da mischen sich feurig scharfe Gewürze aus Mexiko mit neuenglischen Traditionen und südamerikanische Süßkartoffeln treffen auf englische Pastinaken. Chicago Style Pizza kann thin, stuffed oder deep sein. Und jüdische Knishes waren wohl das erste Streetfood überhaupt – wo? natürlich in New York. Auch der 5. Band dieser vegetarischen Reihe ist wieder ein leckerer Volltreffer!

Manchmal würden wir am liebsten ein Buch anders einschlagen, wenn das Cover völlig in die Irre führt. Dies ist so ein Fall. Margherita Giacobino erzählt in ihrem neuen Roman gänzlich unsentimental die Geschichte ihrer Familie, die nur mit großer Anstrengung und enormem Erfindungsreichtum einem Leben aus Armut, Entbehrung und Ausgeschlossensein entkommen konnte. Das war vor 100 Jahren im Piemont nichts Ungewöhnliches, doch das Besondere an dieser Familie ist, dass Frauen hier das Zepter fest in den Händen hielten und die grundlegenden Entscheidungen für die Familie trafen. Giacobinos Vorfahrinnen sind wirkliche Akteurinnen, natürlich sind sie sich nicht einig und versuchen nach allen Regeln der Kunst, das dicke Mädchen für sich einzuspannen. Dieses Kind gräbt Jahrzehnte später als gestandene Erwachsene in ihren Erinnerungen, befragt Verwandte, deutet alte Fotos und Materialien um und verbindet all diese Elemente zu einem großen Familienroman, in dem sie einige unverwechselbare italienische Matriarchinnen feiert. (Stefanie Hetze)
Die Liebe im Kaukasus ist eine komplizierte, selten romantische Angelegenheit. Da wird vermittelt, verhandelt, bezahlt. Familiäre, politische und religiöse Machenschaften spielen eine weit größere Rolle als Gefühle – was nicht heißt, das sich keine Dramen abspielen. Schlussendlich ist die Liebe wohl eher als Heiratsmarkt zu bezeichnen, ähnlich korrumpiert wie alle anderen Lebensbereiche auch. Insofern geht es in diesem Roman weit weniger um die eine Liebe zwischen Patja und Marat, sondern vielmehr um den Hauch an Haltung und Weltoffenheit, den die beiden Mittzwanziger aus Moskau in die kaukasische Heimat bringen und das Durcheinander, was sie damit erzeugen. Alissa Ganijewa hat ein ausgesprochen unterhaltsames, mit absurder Situationskomik gespicktes, dennoch kritisch informatives Gesellschaftsbild einer Region zwischen Tradition und Moderne gezeichnet, die nicht nur an ihren Widersprüchen zu zerbrechen droht. Auch aufgrund des formidablen Showdowns wärmstens empfohlen! (Jana Kühn)
Als Nachrichtenoffizier zog der Brite Norman Lewis im Herbst 1943 mit der US-Armee in das soeben befreite Neapel ein. Ein Jahr verbrachte er hier und schrieb in dieser Zeit ein Tagebuch, in dem er seine Erlebnisse und Eindrücke festhielt. Seine hervorragenden Italienischkenntnisse ermöglichten es ihm, in engen Kontakt mit der Bevölkerung zu treten. Lewis begegnet dieser ihm fremden Welt voller Anteilnahme und Zuneigung, und beschreibt als aufmerksamer Beobachter Szenen voller Not, Lebenshunger und typisch neapolitanischer „Furbizia“, der Kunst, mit Schläue, Improvisationskunst und List das Leben zu meistern. So entstand ein äußerst interessantes, teils amüsantes, teils bedrückendes Dokument dieser so faszinierenden Stadt auf der Schwelle zwischen archaischer Tradition und Moderne. (Syme Sigmund)