Lila Azam Zanganeh: Der Zauberer. Nabokov und das Glück

Aus dem Englischen von Susan Urban, mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos, Edition Büchergilde – Weltlese 2015, 220 S., € 22,95

(Stand März 2021)

20_zanganeh_nabokov_buchhandlung_dante_connection_danteperleSchmetterlingsjäger, Wortkünstler, Weltenerschaffer – Lila Azam Zanganeh heftet sich in „Der Zauberer“ an die Fersen Vladimir Nabokovs, legt Fährten hinein in sein Werk und in sein Leben, spürt Motiven und Mustern, Prägungen und unterirdischen Verbindungslinien nach. Kindheit in verzauberten russischen Gärten, erste Lieben, Vera Nabokov, Flucht, Exil, Berlin, Amerika. Die ersten Gedichte, die auf Russisch geschriebenen Romane, die großen englischen Werke. Das sind einige der äußeren Stationen. Doch mit ihren genau gesetzten Mosaikstücken umkreist die Autorin etwas, das letztlich nicht greifbar ist: den Kern des Schreibens und des Lesens, das Eigenleben und die eigene Zeit der Fiktion, deren Gewebe aus geschärftem Bewusstsein und Sprachspiel. Ein ungewöhnlicher Abenteuerbericht und eine echte Liebeserklärung, die teilweise in ihrer Begeisterung dick aufträgt, aber ebenso leise Töne findet, und auf jeden Fall mitreißt und überzeugt. Und Lust macht, Nabokov wieder zu lesen oder neu zu entdecken. (Judith Krieg) Leseprobe

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Silvia Bovenschen: Sarahs Gesetz

S. Fischer 2015, TB 2018, 256 S., € 10,-
(Stand April 2021)

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Seit vier Jahrzehnten leben die Malerin Sarah Schumann und die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen in enger Verbundenheit, lange in räumlicher Distanz, seit die dreizehn Jahre  ältere Sarah Schumann einen Neuanfang in einer neuen gemeinsamen Wohnung anregte, zusammen in Berlin. Sarah Schumann kümmert sich um den Haushalt, ihr Gesetz gilt, ist jedoch nicht wirklich unumstößlich. Versprochen haben die beiden einander nichts, ihre Liebe ist von Respekt und Zwiesprache geprägt. Bovenschen porträtiert ihre eher wortkarge Freundin in ganz unterschiedlichen Miniaturen, befragt sie aus Anlaß des Buches, schreibt von sich selbst, von Schumanns Bildern, von den ungleichen Herkunftsfamilien, der extremen Kindheit der Älteren (Krieg, Flucht), von ihren Arbeiten und vor allem, wie sie einander begegnen. Dabei wahrt sie Diskretion, ist humorvoll und verknüpft das Porträt ihrer Freundin mit eigenen Erinnerungen und Erfahrungen. So entsteht ein berührendes Ensemble, das Einblick in die Vielfalt des Austauschs der beiden Frauen und ihrer Gedankenwelten gibt, aber auch das intellektuelle Klima vieler Jahre Bundesrepublik spiegelt. (Stefanie Hetze)

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Ralf Rothmann: Im Frühling sterben

Suhrkamp 2015, 234 S., € 19,95, TB 2016, € 11,-
(Stand April 2021)

36_rothmann_fruehlingAls tragisch bezeichnete die Antike Situationen, in denen die unausweichliche Notwendigkeit besteht, so zu handeln, dass etwas Verhängnisvolles passiert. Ralf Rothamanns Buch ist in diesem klassischen Sinn ein tragischer Roman. Er versucht, das Kriegstrauma des eigenen Vaters aufzuarbeiten, der mit 17 zusammen mit seinem besten Freund Fiete noch 1944 zwangsrekrutiert und an die Front geschickt wurde. Als Fiete desertiert und gefasst wird, wird Walter ins Erschießungskommando beordert und steht vor der Entscheidung, abzudrücken oder selbst erschossen zu werden. Sein Vater hat nie über seine Erlebnisse gesprochen. Rothmann beschreibt die Schrecken des Krieges mit einer beklemmend dichten, schockierend direkten und gleichzeitig hochpoetischen Sprache. Er hat einen großartigen Antikriegsroman geschrieben, der unter die Haut geht und noch lange nach der Lektüre im Leser Spuren hinterlässt. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Dorothy Baker: Zwei Schwestern

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum. Mit einem Nachwort von Peter Cameron. dtv 2015, TB 2017, 280 S., € 10,90
(Stand April 2021)

16_baker_schwesternEine Wiederentdeckung und Neuübersetzung des Romans aus dem Jahr 1962, der klassisch beginnt: Cassandra fährt zur Hochzeit ihrer eineiigen Zwillingsschwester Judith nach Hause. Doch schon ihre Stopps zum Trinken machen klar, dass sie sich alles andere als freut. Um jeden Preis will sie diese Eheschließung verhindern, schließlich ist Judith auf dem Weg, eine berühmte Musikerin zu werden und gehört vor allem ihr allein. Auf der isolierten Ranch erwarten sie nur Judith, der Vater und die Großmutter, ihre Mutter, eine Schriftstellerin, lebt nicht mehr. Kompromisslosigkeit und sich selbst ganz und gar treu zu bleiben, zeichnet diese elitäre Familie aus. Widersprüche umgehen sie mit Rückzug. Mit der Ankunft Cassandras und später des Bräutigams platzt das heikle familiäre Gleichgewicht, nimmt Fahrt auf und steigert sich dank der Kunst Dorothy Bakers zu einem großen existentiellen Drama. Carson McCullers schrieb: “. . .einfach brillant.” Dem ist nichts hinzuzufügen. (Stefanie Hetze)

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Andor Endre Gélleri: Die Grosswäscherei

Aus dem Ungarischen von Timea Tankó.Mit einem Nachwort von Timea Tankó. Guggolz Verlag 2015 240 S., € 22,-

(Stand März 2021)

13_gelleri-die-grosswaescherei-danteperle-buchhandlung-dante-connection-berlinSchauplatz dieses Romans ist die Budapester Großwäscherei Phönix. Hier schuften jede Menge Menschen tagaus tagein inmitten von Dämpfen, Chemikalien und kochendem heißem Wasser. Sie heizen, färben, waschen, bügeln was das Zeug hält und entfernen mit hohem physischem Einsatz all die dreckigen Hinterlassenschaften der wohlhabenderen Gesellschaft. „Gedankt“ wird ihnen mit Hungerlöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen. Kein Wunder tun sie es ihrem Arbeitgeber, dem Wäschereibesitzer Taube, selbst ein Aufsteiger, nach und tricksen einander nach Leibeskräften aus. Was jetzt wie ein Sozialdrama aus der Arbeitswelt klingt, erhält durch die bildmächtige kraftvolle Sprache Gelléris, der tief in die Gefühlswelten und Ängste seiner Protagonisten eindringt, einen ungeheuren Sog, sozusagen einen literarischen Schleudergang, rasant übersetzt von Timea Tankó. Andor Endre Gelléri veröffentlichte „Die Großwäscherei“ 1931 im Alter von nur 24 Jahren. Ein Trüffelfund des Guggolz-Verlags. (Stefanie Hetze)

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Shumona Sinha: Erschlagt die Armen!

Aus dem Französischen von Lena Müller, Edition Edition Nautilus 2015, 127 S. € 18,–, TB dtv 2019, € 10,90
(Stand April 2021)

11_sinha_arme_buchhandlung_dante_connection_danteperle Es ist ein Moment außer Kontrolle, als eine junge Frau einem Mann in der U-Bahn eine Flasche über den Kopf zieht. Darüberhinaus brisant ist das Szenario, da der Mann ein dunkelhäutiger Asylbewerber ist und sie, ebenso dunkelhäutig, als Übersetzerin in einer Asylbehörde arbeitet. Im Kommissariat muss sie sich erklären und anhand dieser Verhöre erzählt Sinha vom zermürbenden Alltag in der Asylbehörde, wo immer wieder Elend als offiziell unzureichend bewertet wird und Lebensgeschichten deshalb mittels Lügen zu glaubwürdigen, politisch begründeten Fluchten werden müssen … sollen. Tun sie aber nicht. Und so gerät die junge Übersetzerin zwischen die Fronten und reibt sich auf: an den Ansprüchen an sie auf moralische Unterstützung und Forderungen nach falschen Übersetzungen auf der einen Seite, an den grundsätzlichen Unterstellungen falscher Übersetzungen auf der anderen. Sinha hat selbst in Frankreich als Übersetzerin in einer Asylbehörde gearbeitet. Nach Erscheinen von Erschlagt die Armen! wurde sie dort entlassen. Sie weiß, wovon sie schreibt und sie findet wunderbare, ja poetische Sprachbilder dafür. Ein Roman, der die Unzulänglichkeiten eines unmenschlichen Systems vor Augen führt und sehr wütend macht! (Jana Kühn) Leseprobe

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Serhij Zhadan: Mesopotamien

Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, Juri Durkot und Sabine Stöhr, Suhrkamp Verlag 2015, 262 S., € 22,95, TB 2017, € 12,-
(Stand April 2021)

39_zhadan_mesopotamienNeun Geschichten von neun Männern erzählt uns Serij Zhadan, Männern mit verlebtem Aussehen und alten Narben, mit Trainingsanzügen und Lackschuhen, die sich nach Liebe sehnen, große Träume hegen und meist nur bei Sex und Alkohol landen. Doch eigentlich erzählt Zhadan in all diesen Geschichten vor allem von seiner Heimatstadt Charkiv, die auf Hügeln zwischen zwei Flüssen liegt. Es ist eine verfallende, melancholische Welt, die uns hier begegnet, voll maroder Technik, billiger Gaststätten und Staub aufwirbelnder Winde. Die Protagonisten bewegen sich zwischen verlassenen Lagerhallen, und roten Ziegelmauern über denen ein tiefhängender Mond sein bleiches Licht verströmt. Und all dies wird mit einer so poetischen Sprache erzählt, dass man oft inne hält, ein bestimmtes Bild auf sich wirken zu lassen, bis der Schlussteil ganz zu Lyrik wird, die das Vorhergegangene ergänzt und den Leser vollends in den Bann der spröden, schönen Sprache schlägt. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Tomas Espedal: Wider die Kunst

Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, (Matthes & Seitz Berlin 2015), 191 S., Suhrkamp TB, € 10,-

(Stand März 2021)

Ein Mann, allein in einem Haus, auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Mutter ist gestorben und kurz darauf die Mutter seiner Tochter, jetzt lebt er mit der 15-jährigen allein, kann sie nicht trösten und sich nicht. Furchtbar weiß und bösartig schwarz sind die Farben in ihm und in der eiserstarrten Welt vor seinem Fenster. Er schreibt, arbeitet am Schreiben, verzagt, verzweifelt. Er schreibt – von seinen Großeltern, seinem Vater, seiner Mutter, seiner Herkunft, vom Muttersein und Vaterwerden – und über sich, sein Schreiben. Und langsam schreibt und lebt er sich ins Leben zurück. Ein Buch voller Poesie und voller Brüche, schroff und sanft zugleich. Ein berührendes Buch über das Leben und die Erinnerung, über Veränderungen und wie alles doch weiter geht – wie in einem anderen, neuen Leben – und wie der Trauer doch wieder das Gefühl von Glück folgen kann, wenn man heim kommt und spürt, dass man froh ist, zu Hause zu sein. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Jean Rhys: Die weite Sargassosee

Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Walitzek. Schöffling 2015, 232 S., € 21,95, dtv TB € 10,90

(Stand März 2021)

32_rhys_sargassoseeJamaica zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Antoinette, Tochter eines Plantagenbesitzers und ehemaligen Sklavenhalters, lebt nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter allein und abgeschieden auf dem Gut. Ein paar Angestellte sind geblieben, doch der vormalige Reichtum und das Ansehen sind Vergangenheit. Die beiden werden gemieden, angefeindet. Die weißen Inselbewohner belächeln die Armut, die Schwarzen nennen sie “weiße Kakerlaken”. Hässliche Gerüchte und Halbwahrheiten sind im steten Umlauf. Als junge Frau wird Antoinette schließlich in einer Art Hochzeitskauf mit  dem jungen Engländer Mr. Rochester verheiratet. Das frischvermählte Paar zieht auf ein paradiesisches Anwesen am Meer, wo jedoch binnen kürzester Zeit eine Ehehölle entsteht. Missverständnisse, Ängste, Voodoo und Alkohol treiben das Paar nicht nur auseinander, sondern in rasend blinden Hass. Rhys erzählt aus beiden Perspektiven von zwei Menschen, die kaum verschiedener sein könnten und einander schlicht nicht verstehen. Wer Charlotte Brontës “Jane Eyre” gelesen hat, wird die Protagonisten wieder erkennen, denn Jane Rhys gibt der bei Brontë überaus unsymphatisch, lediglich als wahnsinnig beschriebenen jamaikanischen Ehefrau Rochesters eine Stimme, endlich auch ihre Version der Geschichte zu erzählen. Herzzerreißend  – ein wunderbarer moderner Klassiker in neuer Übersetzung! (Jana Kühn)

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Dana Grigorcea: Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit

Dörlemann 2015, 220 S., € 22,00

(Stand März 2021)

Grigorcea-US-Final.inddBukarest im flimmrig-heißen Sommer. Über allem liegt der intensive Geruch der Lindenblüten, die an den Schuhsohlen kleben. Victoria, nach Jahren in der Schweiz wieder zurück in Rumänien, erlebt als Angestellte einen Banküberfall. Freigestellt zur “Traumaverarbeitung” nutzt sie die freie Zeit, tief in ihre Kindheitserinnerungen einzutauchen und mit dem Heute zu vergleichen. Sie streift durch ihr altes Viertel in der Innenstadt, das das Zentrum der Nomenklatura, aber auch der Überbleibsel alter mondäner Familien ist. Wie in einem Palimpsest überlagern sich die Schichten von Vergangenheit und Gegenwart. Sie trifft Menschen von damals, Jugendfreunde, frühere Liebhaber, Nachbarn und hört ihre Geschichten, Lieder, Witze und was aus ihnen geworden ist. Treffpunkte sind Gartenlauben, Bars und zum Teil riesige dekadente Wohnungen.  “Wie aus der Zeit gefallen” fühlt sich die Protagonistin, doch hinter der Folie dieser vielen scheinbar malerisch-skurrilen Begegnungen schlummert viel Brisanz, kriegt die Frage nach der Schuldlosigkeit aus dem Titel Bedeutung. Dana Grigorcea erhielt 2015 beim Bachmannwettbewerb den 3sat-Preis.  (Stefanie Hetze)

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