Alberto Vigevani: Ein kurzer Spaziergang

Aus dem Italienischen von Marianne Schneider, Friedenauer Presse 2021, 76 S., € 16,-
(La breve passeggiata, Sellerio 2021, ca. € 17,50)
(Stand Mai 2021)

Unscheinbar kommt dieser schmale Band daher, sehr hübsch gestaltet, das raue Papier des Einbands liegt gut in der Hand – und unscheinbar beginnt auch der Text, ergeht sich der Icherzähler doch in Erinnerungen an seine Hochzeitsreise Ende der dreißiger Jahre, in denen ein überdimensionierter Schrankkoffer zu skurrilen, harmlos-amüsanten Szenen Anlass bietet.
Doch der Koffer ist ein Geschenk von Tante Jole und Onkel Giorgetto, und so führt uns Alberto Vigevano, der leise Meister der kleinen Form, unmerklich auf eine andere Spur, die Erinnerung an dieses herzenswarme ältliche Paar von schlichtem Gemüt wird zu einer Reise in die dunkelsten Winkel des 20. Jahrhunderts, denn die Familie ist jüdisch und Onkel und Tante nicht agil genug, nach Einmarsch der Deutschen die Flucht in die Schweiz zu ergreifen. Ihre Spur verliert sich in Auschwitz, der Erzähler erfährt nach dem Krieg durch einen Überlebenden vom letzten Spaziergang des Onkels, der durch einen Zufall dem Gefängnis in Mailand entkommt und freiwillig zurückkehrt, um seine Frau nicht allein den zu erwartenden Schrecken zu überlassen.
Nur eine kurze Novelle, knapp zwei Stunden Lesezeit, und doch verfügen die mit leisem, nie sentimentalem Ton beschriebene Menschlichkeit und Courage Giorgettos über die Kraft, gegen Gewalt, Faschismus und Vergessen ein Zeichen zu setzen. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Karin Schumacher: Füchse – Ein Portrait

Matthes & Seitz 2020, Reihe Naturkunden, 159 S., mit zahlreichen Abbildungen, € 22,-

(Stand März 2023)

Füchse„Der Fuchs ist immer mehr als er selbst“ lautet einer der Schlüsselsätze dieses schmalen Buches. Karin Schumacher hat den Rotpelz in diesem neuen Band der kleinen und feinen, von Judith Schalansky herausgegebenen und gestalteten Naturkundenreihe aus den verschiedensten Blickwinkeln unter die Lupe genommen und plaudert unterhaltsam sowie fundiert sowohl vom Leben dieses uns mittlerweile auch in der Stadt häufig begegnenden und doch so undurchschaubaren Tieres, als auch von dem Bild, das wir Menschen uns von ihm im Laufe der Jahrhunderte gemacht haben. Sie steigt mit einer Jägerin zur Fuchsbeobachtung auf einen Hochsitz, besucht eine der wenigen noch existierenden Pelzwerkstätten, erzählt von der schon im Neolithikum betriebenen Fuchsjagd und von der Bedeutung des Pelzes im Wandel der Zeiten, berichtet von Japanischen Fuchsgeistern, dem Fuchs bei Aesop und Goethe sowie in der Kinderliteratur und untersucht das relativ neue Phänomen des Stadtfuchses.
Ein ausgesprochen interessanter natur- und kulturgeschichtlicher Streifzug auf den Spuren dieses geschmeidigen, mal bewunderten, mal misstrauisch beäugten „Hundes mit Katzensoftware“. (Syme Sigmund)
Podcast „Füchse im Dunkeln aufspüren mit Katrin Schumacher“

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Florian Werner: Schnecken

Matthes & Seitz 2015, Reihe Naturkunden, 151 S., € 20,-

(Stand März 2023)

werner_schneckenVielseitig und widersprüchlich ist das Bild, das wir von der Schnecke haben. Langsam ist sie, doch wussten wir dass sie sogar springen kann, um schneller voran zu kommen (der sogenannte “Schneckengalopp”)? Wir ekeln uns vor ihr, und doch gilt sie als Delikatesse und ist das Schneckenhaus ein Bild der perfekten Form, der absoluten Schönheit. Werner erzählt auf höchst unterhaltsame Weise von Schneckenrennen und Schneckensex, von Schneckenschleim und Schneckenfarmen, von Welterschaffungsmythen, in denen Sonne und Mond aus zwei Schnecken hervorgingen, und christlichen Deutungen, in denen das Tier zum einen als Verkörperung der Todsünde Trägheit, zum anderen als Symbol der Muttergottes und der unbefleckten Empfängnis gilt. Dass der schmale Band wie alle Bücher dieser Reihe wieder sehr schön gestaltet ist – mit geprägtem Einband und wundervollen historischen Illustrationen -, macht ihn rundum zum lohnenswerten Kleinod. (Syme Sigmund)
Podcast „Schnecken auf die Schleimspur kommen“ mit Florian Werner

Trailer zum Buch

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Tomas Espedal: Wider die Kunst

Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, (Matthes & Seitz Berlin 2015), 191 S., Suhrkamp TB, € 10,-

(Stand März 2021)

Ein Mann, allein in einem Haus, auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Mutter ist gestorben und kurz darauf die Mutter seiner Tochter, jetzt lebt er mit der 15-jährigen allein, kann sie nicht trösten und sich nicht. Furchtbar weiß und bösartig schwarz sind die Farben in ihm und in der eiserstarrten Welt vor seinem Fenster. Er schreibt, arbeitet am Schreiben, verzagt, verzweifelt. Er schreibt – von seinen Großeltern, seinem Vater, seiner Mutter, seiner Herkunft, vom Muttersein und Vaterwerden – und über sich, sein Schreiben. Und langsam schreibt und lebt er sich ins Leben zurück. Ein Buch voller Poesie und voller Brüche, schroff und sanft zugleich. Ein berührendes Buch über das Leben und die Erinnerung, über Veränderungen und wie alles doch weiter geht – wie in einem anderen, neuen Leben – und wie der Trauer doch wieder das Gefühl von Glück folgen kann, wenn man heim kommt und spürt, dass man froh ist, zu Hause zu sein. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Caspar Henderson: Wahre Monster

Ein unglaubliches Bestiarium. Matthes & Seitz Naturkunden 2014, 349 S., € 38,-

(Stand März 2021)

Axolotl, Krake, Mensch, Muräne, Wasserbär … viele reale Lebewesen sind sonderbarer, als jede Fantasie sie sich ausmalen könnte. Nach dem Vorbild mittelalterlicher Kompendien erkundet dieses faszinierende Bestiarium die verblüffende Vielfalt der Schöpfung zwischen Erde, Himmel und Tiefsee und berührt dabei die großen Fragen der Menschheit nach dem Ursprung des Lebens und den Auswirkungen des technischen Fortschritts. Geistreich und inspirierend zu lesen und wunderschön gestaltet.
Blick ins Buch

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Esther Kinsky: Am Fluß

Matthes & Seitz 2014, 386 S., € 22,90

(Stand März 2021)

50-kinsky_flussAm Rande des äußersten nordöstlichen Zipfels Londons, da wo die Grenzen der Megastadt sich zerfasern und mit einer beginnenden Flußlandschaft vermischen, streift die Erzählerin in ausgedehnten ziellosen Spaziergängen umher. In dieser bizarr-schönen Halbwildnis entdeckt sie viel Verlassenes, Aufgegebenes, Angeschwemmtes. Sie betrachtet, fotografiert und erinnert. Ereignisse aus ihrer Kindheit tauchen auf. Wesentlich für die Einzelgängerin sind ihre Beobachtungen und Begegnungen mit ihren Nachbarn, den in ihrer Londoner Straße lebenden Einwanderern, aber auch prägende Erlebnisse an anderen Flüssen aus ihrer Vergangenheit. Wer sich auf Esther Kinskys mäanderndes Erzählen einlässt, auf ihre poetischen Beschreibungen des Marschlands, der Vögel, der Ziegel und all der anderen menschlichen Hinterlassenschaften, nimmt teil an einem zutiefst faszinierenden Lesespaziergang. (Stefanie Hetze)

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