Alberto Vigevani: Ein kurzer Spaziergang

Aus dem Italienischen von Marianne Schneider, Friedenauer Presse 2021, 76 S., € 16,-
(La breve passeggiata, Sellerio 2021, ca. € 17,50)
(Stand Mai 2021)

Unscheinbar kommt dieser schmale Band daher, sehr hübsch gestaltet, das raue Papier des Einbands liegt gut in der Hand – und unscheinbar beginnt auch der Text, ergeht sich der Icherzähler doch in Erinnerungen an seine Hochzeitsreise Ende der dreißiger Jahre, in denen ein überdimensionierter Schrankkoffer zu skurrilen, harmlos-amüsanten Szenen Anlass bietet.
Doch der Koffer ist ein Geschenk von Tante Jole und Onkel Giorgetto, und so führt uns Alberto Vigevano, der leise Meister der kleinen Form, unmerklich auf eine andere Spur, die Erinnerung an dieses herzenswarme ältliche Paar von schlichtem Gemüt wird zu einer Reise in die dunkelsten Winkel des 20. Jahrhunderts, denn die Familie ist jüdisch und Onkel und Tante nicht agil genug, nach Einmarsch der Deutschen die Flucht in die Schweiz zu ergreifen. Ihre Spur verliert sich in Auschwitz, der Erzähler erfährt nach dem Krieg durch einen Überlebenden vom letzten Spaziergang des Onkels, der durch einen Zufall dem Gefängnis in Mailand entkommt und freiwillig zurückkehrt, um seine Frau nicht allein den zu erwartenden Schrecken zu überlassen.
Nur eine kurze Novelle, knapp zwei Stunden Lesezeit, und doch verfügen die mit leisem, nie sentimentalem Ton beschriebene Menschlichkeit und Courage Giorgettos über die Kraft, gegen Gewalt, Faschismus und Vergessen ein Zeichen zu setzen. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Ulrike Draesner: Schwitters

Penguin Verlag 2020, 480 S., € 25,-, TB Oktober 2021, € 12,-

(Stand Oktober 2021)

59136772nKurt Schwitters, hannoverischer Künstler, Sprachspieler, Dadaist, Erschaffer des MERZ-Baus und der Ursonate, floh 1937 vor den Nationalsozialisten erst nach Norwegen und dann, 1940, nach England. Nach den auf das Überleben ausgerichteten Jahren von Flucht, Krieg und der steten Angst vor einer Abschiebung nach Deutschland, tritt in der Nachkriegszeit, da der Entschluss zum Bleiben gefallen ist, die Mühsal des Verstehens und Aneignens der doch so fremden, anderen Kultur in den Vordergrund. Neben der für den Dichter so schmerzlichen Sprachbarriere, verlangen ungekannte „Immerschon“-Regeln, gewöhnungsbedürftige Ess- und Trinkgewohnheiten (Tee mit Milch zu jeder Tages- und Nachtzeit) sowie ein schmerzliches Vermissen des Eigenen, eine anhaltende innere Zerrissenheit, einen kontinuierlichen Kraftakt.
Schwitters Leben steht hier emblematisch für die Schwierigkeiten eines jeden Exils, hilft beim Verstehen der Situation eines jeden Flüchtlings, ob 1940 oder heute. Dass Ulrike Draesner einen Ton findet, der literarisch und sprachkünstlerisch das schwittersche Innen- und Erleben miterfühlbar macht, sich mit diesem ent- und verwickelt und dabei einen fast hypnotischen Klangsog entfaltet, macht dieses Buch zu einem lang nachwirkenden Leseerlebnis. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Minna Rytisalo: Lempi, das heißt Liebe

Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat, Hanser Verlag 2018, 224 S., € 21,-, dtv TB € 10,90

(Stand März 2021)

LempiDer junge Bauer Viljami kehrt Ende des Zweiten Weltkriegs nach Hause ins finnische Lappland zurück. Er ist voller Verzweiflung, denn er weiß, dass seine geliebte Frau Lempi ihn nicht erwartet – sie ist tot. Fast wie von Sinnen gibt er sich den Erinnerungen an ihr gemeinsames Glück hin, das nur einen Sommer währte. Doch Elli, die Magd, und Sisko, Lempis Zwillingsschwester, erzählen jeweils von einer ganz anderen Frau und von ihrer eigenen Sicht auf die Geschichte. Wer war Lempi wirklich? Liebevolle Ehefrau, falsche Schlange oder lebenshungrig-naive Kaufmannstochter? Und ist sie wirklich tot oder zusammen mit einem der abziehenden deutschen Soldaten verschwunden, den neugeborenen Sohn zurücklassend? Nach und nach entfaltet sich ein vielschichtiges, ja brüchiges Bild der jungen Frau und ihres Lebens, eingebettet in die Wirren des Krieges, voll emotionaler Wucht und stiller Momente, eindringlich, tragisch und poetisch. (Syme Sigmund) Leseprobe

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