Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen

Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, Hanser 2014, 176 S., € 17,90, Fischer TB  € 9,99

(Stand März 2021)

Pariser Bürgerliche. Keiner sticht heraus. Yasmina Rezas neuer Roman hat viele Protagonisten, die in einem Erzählreigen kurzer Episoden aufeinander treffen, auseinander gehen und immer wieder zusammen finden. Sie sind miteinander verwandt, sie sind befreundet, sie kennen sich nur vom Sehen oder über drei Ecken. Sie lieben und vertrauen einander, betrügen und langweilen sich trotzdem. Sie haben es geschafft, sind beruflich erfolgreich – und immer wieder einsam in all ihrer Verbundenheit. Vielleicht mag man den einen oder die andere lieber. Vertraut und bekannt kommt einem so manches vor – denn nichts Menschliches ist Reza fremd. Sehr genau schaut sie hin und jede noch so kleine Gefühlsregung leuchtet sie schonungslos aus. Das ist manchmal bitter, macht aber auch jede Menge Spaß – denn die kleinen und großen Dramen des Alltags werden mit Rezas erzählerischer Distanz und Ironie herrlich vorgeführt. (Jana Kühn)

Leseprobe

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Sabahattin Ali: Die Madonna im Pelzmantel

Aus dem Türkischen von Ute Birgi. Mit einem Nachwortz von Maike Albath,  Jubiläumsausgabe Dörlemann 2013, 272 S., € 19,-, Ullstein TB 12,-

(Stand März 2021)

Jubeledition-US-5.inddSabahattin Ali wurde 1907 geboren, aufgrund seines sozialkritischen Engagements immer wieder verhaftet und 1948 auf der Flucht ins Exil an der bulgarischen Grenze wahrscheinlich vom türkischen Geheimdienst erschossen.  Heute gilt er als Großmeister der türkischen Prosa. Von 1928 bis 1930 studierte er in Berlin und hier – in den wilden Zwanzigern- spielt auch dieser Roman, eine ergreifende, feinfühlige Liebesgeschichte zwischen einem jungen, schüchternen, verträumten Türken, der in Berlin weilt, um zu studieren, und einer selbstbewussten, sehr modernen jüdischen deutschen Künstlerin, ein leise melancholisches Melodram voller Poesie und sprachlicher Kraft, ein Juwel, das dank der Übersetung von Ute Birgi jetzt endlich auch auf deutsch zu entdecken ist. (Syme Sigmund)

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Joanna Bator: Wolkenfern

Aus dem Polnischen von Esther Kinsky, (Suhrkamp 2013) 499 S., Suhrkamp TB 2014, € 11,99
(Stand April 2021)

„Wolkenfern“, das ist für Dominika – schon bekannt aus Bators Roman „Sandberg“ – alles, was außerhalb von Pjaskowa Gora, dem Viertel des trist-provinziellen polnischen Bergbaustädtchen liegt, in dem sie aufgewachsen ist. Ein Sehnsuchtsort, je weiter weg, desto besser. Und so kehrt sie nach der Genesung von einem Autounfall auch nicht mit Ihrer Mutter nach Hause zurück, sondern bricht auf, von der „BeErDe“ nach New York und London und darüber hinaus. Verwoben mit Dominicas Schicksal sind die Geschichten vieler anderer Figuren, ein farbenreiches, schwindelerregendes, gekonnt fabuliertes Kabinett skurriler Persönlichkeiten und Geschehnisse, die bis in die Zeit deutscher Besatzung hineinreichen. Da begegnen uns liebenswerte, gastfreundliche „Teetanten“, ein verstörend abstoßender Frisör, ein Fotograf, der in seine Fotografien den Tod kommen sieht oder auch die großherzige Grazynka, die vielen Männern aus Mitleid ihre Liebe schenkt. Und durch alles zieht sich die Geschichte des Nachttopfs von Napoleon. Bator macht süchtig. Bitte mehr davon!! (Syme Sigmund)

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Olivia Manning: Abschied von der Unschuld

Aus dem Englischen von Susann Urban, Büchergilde 2013, 272 S., € 22,95

(Stand März 2021)

Jerusalem, 1945 kurz vorm Ende des Zweiten Weltkriegs der vierzehnjährige Felix kommt nach dem Tod seiner Mutter bei  einer weitentfernten bigotten Verwandten unter. Statt dem elternlosen Jungen Wärme und Halt zu geben, interessiert sich Miss Bohun rein für die pekuniären Aspekte seines Aufenthalts. Kalt und gierig nimmt sie auch ihre anderen  Pensionsgäste aus, allesamt Flüchtlinge und Versprengte, die versuchen, das was von ihrem Leben übriggeblieben ist,  beieinander zu halten. Dem Jungen bleibt als Halt nur eine Siamkatze. Dann zieht eine faszinierende junge Witwe ein, die Miss Bohun Paroli bietet und in die Felix sich verliebt.
Völlig unsentimental lotet Olivia Manning die feinen Nuancen  des Gefühlslebens eines Heranwachsenden in einer  Atmosphäre des komplett Provisorischen aus. Wahrlich eine Entdeckung aus lija Trojanows „Weltlese. Lesereisen ins Unbekannte“! (Stefanie Hetze)

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J.M. Coetzee: Die Kindheit Jesu

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag 2013, 252 S., € 21,99, Fischer TB 2019, € 12,-

(Stand März 2021)

coetzee-kindheit-jesu_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergNein, es ist natürlich keine Heilandsbiographie oder Weihnachtsgeschichte, auch wenn der Roman voller biblischer Erzählbilder steckt. Wirklich auf den Punkt zu bringen, was genau Coetzee erzählt, ist schwierig – aber es begeistert! Ein Mann und ein Kind kommen als Bootsflüchtlinge in einem fremden Land an, das sie mit einer labyrinthischen Bürokratie, Spanisch-Sprachkursen und neuen Namen empfängt: Von nun an heißen sie Simon und David. Die Flüchtlinge, eine aktuelle Parallele? Ja bestimmt, doch ist die Geschichte in einer nicht näher benannten Zeit erzählt, in der die Menschen für Simon spürbar anders ticken. Sie lieben leidenschaftslos, sie philosophieren über das Sein des Stuhls und schildbürgern grandios, ohne ihr neues Leben im neuen Land zu hinterfragen. Wie zum Trotz liest Simon David aus dem Klassiker Don Quijote vor und findet schließlich eine neue Mutter für David – die kommt zum Sohn fast wie Maria zum Kinde, worauf die drei gemeinsam nach Novella aufbrechen. Dann doch eine Art heilige Familie? Ein Roadmovie ist es also auch? Ja und noch viel mehr! (Jana Kühn)

Leseprobe

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Per Olov Enquist: Das Buch der Gleichnisse

Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt, Hanser 2013, 224 S., € 18,90, TB Fischer € 11,99

(Stand März 2021)

Enquist_24330_MR1.indd„Ein Liebesroman“, so lautet der Untertitel von Per Olov Enquists neuem Buch. Und wenn der Begriff „Roman“ hier auch nicht recht zu passen scheint, so ist es doch in der Tat ein Buch über die Liebe, wenngleich nicht im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, mit Szenen und Gedanken fern von Klischees. Ebenso ist es ein Buch über die anderen großen Fragen des Lebens, über Menschen und Dinge, die prägen, über Bindung und Freiheit, über den Tod, über Religion und über die Frage, was das alles zu bedeuten hat. Über die Literatur selbst, über die Frage, ob das Erzählen, die Sprache einen Halt geben können, ein Muster spannen, eine Bedeutung erschaffen können, die stützt angesichts der gnadenlosen menschlichen Endlichkeit. Während er dies fragt, erschafft Enquist ein ebensolches Netz, das trägt und auch tröstet: weniger einen Roman als eine Meditation, geformt aus einprägsamen Figuren, Motiven, Bildern, Sprachrhythmus, die den autobiographisch grundierten Kosmos des Vorgängerbuches „Ein anderes Leben“ auf neue, verdichtete und konzentrierte Weise aufgreift. Keine einfache Lektüre, aber eine, die beschenkt. (Judith Krieg)

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Terézia Mora: Das Ungeheuer

Luchterhand Literaturverlag 2013, 688 S., € 22,99, TB Ausgabe, € 11,99

(Stand März 2021)

mora-ungeheuer_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDarius Kopp, der Mora-Lesern schon bekannte, einfach gestrickte Gemüts- und Genussmensch, versinkt nach dem Selbstmord seiner Frau Flora in tiefer Trauer. Um nach einer geeigneten Grabstelle für die Asche seiner Frau zu suchen, macht er sich – zunächst von Floras ungarischer Herkunft und sodann vom Zufall geleitet – auf in Richtung Osteuropa, wo es ihn bis nach Georgien verschlägt. Diesem teils feinsinnig-melancholischen, teils komisch-absurden Roadmovie stellt Mora – parallel gedruckt – Aufzeichnungen Floras gegenüber, aus denen ihre schwere, von ihrem Mann nicht bemerkte Depression spricht. Damit erhält Kopps Reise eine weitere, tiefere Ebene, die uns in menschliche Abgründe schauen lässt. Moras sprachliche Kraft, ihr gekonntes Changieren zwischen verschiedenen Erzählperspektiven und ihr unverwechselbarer Ton machen das Buch zu einem großen, lange nachwirkenden Leseerlebnis. (Syme Sigmund)

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John Williams: Stoner

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben, dtv 2013, 352 S., € 18,-, tb dtv 2014, € 10,90

(Stand März 2021)

williams-stoner_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergWilliam Stoner, Sohn armer Farmer, entdeckt an der Universität seine Leidenschaft für Literatur und wird schließlich Professor. Sein Leben bleibt melancholisch geprägt von seiner Nicht-Zugehörigkeit zu den etablierten gebildeten Schichten und der “besseren” Gesellschaft. Er hat kaum Freunde, von seiner bäuerlichen Herkunft entfremdet er sich immer mehr, seine Frau entpuppt sich als eiskalt und neurotisch bis zur Bösartigkeit, seine über alles geliebte Tochter entgleitet ihm und der Streit mit einem Kollegen führt zu einem Bruch in seiner beruflichen Karriere. Eine Liebesaffäre bringt großes Glück, scheitert jedoch an der moralistischen Gesellschaft. Und doch findet Stoner am Ende seines Lebens zu innerer Ruhe, die ihn sein Leben akzeptieren lässt.
Sprachlich brillant erzählt und von Anfang bis Ende stimmig, war der 1965 publizierte Roman lange vergessen und wurde 2007 zu Recht als „ernsthafter, wunderschöner und berührender“ großer Klassiker der amerikanischen Literatur wiederentdeckt. (Syme Sigmund)

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Donald Ray Pollock: Knockemstiff

Aus dem Englischen von Peter Torberg, Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2013, 256 S-, € 18,90, tb Heyne 2015, € 9,99

(Stand März 2021)

pollock-knockemstiff_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergKnockemstiff ist ein trostloses Kaff im US-Bundesstaat Ohio. Was für ein rauher Wind dort weht, versteht man bereits mit der ersten Erzählung, in der ein Vater seinem Sohn brutal vermittelt, wie wichtig es ist, mit aller Gewalt seinen Mann zu stehen. Mit den nachfolgenden Erzählungen entwickelt sich ein deutlicheres Bild der Kleinstadt und es schließt sich ein Kreis aus Drogen, Krankheiten, Armut, Missbrauch und immer wieder Gewalt. In aller Unerträglichkeit der Normalität, der alltäglichen Geschehnisse – das Schlimmste an Knockemstiff ist die Perspektivlosigkeit. Kein Licht am Ende des Tunnels, aus Knockemstiff kommt keiner raus – auch nicht die, die es versuchen. Und warum sollte man das dann gelesen haben? Weil Pollocks knochentrockene Sprache einen packt und nicht mehr loslässt. Knockemstiff legt man nicht zur Seite … (Jana Kühn)

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Jamaica Kincaid: Die Autobiografie meiner Mutter

Aus dem Englischen von Christel Dormagen, Unionsverlag 2013, 220 S., € 10,95

(Stand März 2021)

kincaid-die-autobiografie-meiner-mutter_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergXuela Claudette Richardson erzählt in hohem Alter ihr Leben, welches für sie gleichzeitig das Leben der Mutter ist, die bei ihrer Geburt starb, wie auch das Leben ihrer Kinder, gegen deren Leben sie selbst sich immer wieder entschieden hat. Das hochintelligente Mädchen wächst ohne Zuwendung auf der karibischen Insel Dominica auf, die geprägt ist von gesellschaftlichen, vor allem rassistischen Hierarchien. Liebe kennt und verspürt sie nur für sich selbst. In großer Distanz lebt sie zu den Menschen, die ihr begegnen. Und in ebensolcher sprachlichen Distanz und schonungslosen Klarheit reflektiert sie über die Lebensbedingungen in einer Welt, die vom Erbe der Kolonialzeit gezeichnet ist. Der Ton ist kühl wie sinnlich, verstörend und voller poetischer Eindringlichkeit, die immer wieder Lese- und Sinnpausen herausfordert.

Eine der bedeutendsten Stimmen der karibisch-amerikanischen Literatur, die es zu (wieder)entdecken gilt! (Stefanie Hetze)

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