Anna Woltz: Gips

… oder wie ich versuchte an einem Tag die Welt zu reparieren. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, TB Carlsen 2019, € 5,99, ab 10
(Stand März 2021)

woltz-gips-carlsen-dante-perlie-buchladen-kreuzberg Anna Woltz erzählt in „Gips“ in aller Direktheit und mit viel Feingefühl von der 12jährigen Fitz, deren Eltern sich gerade getrennt haben. Ab jetzt soll sie zusammen mit ihrer kleinen Schwester Bente und einer Hin- und Hertasche zwischen zweimal Zuhause pendeln und sogar noch Verständnis für diese neue Situation zeigen. Fitz zerspringt fast vor Unglauben, Wut und Verzweiflung darüber. Ein Fahrradunfall bringt die geschiedene Familie im städtischen Krankenhaus erneut zusammen, und Fitz wünschte, so eine kaputte Liebe könnte man für ein paar Wochen in heilenden Gips legen. Alles wieder gut? Leider nein. Aber das Krankenhaus scheint dennoch ein verheißungsvoller Ort der Liebe und des Verliebens zu sein, fast wie in den Fernsehserien – und sogar für Fitz. Mit ihrem Vorgängerbuch „Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess“ sorgte Anna Woltz auch in Deutschland schon für viel Furore und wurde dafür u.a. mit dem Luchs Juli 2015 und dem Lesekompass 2016 ausgezeichnet. Ähnliches möchte ich schon jetzt für ihren neuen Roman vorhersagen. (Jana Kühn)

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Petina Gappah: Die Farben des Nachtfalters

Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky, Arche 2016, 352 S., € 22,-, TB 2017, € 12,-
(Stand April 2021)

petina-gappah-die-farben-des-nachtfalters-danteperle1-150x251Petina Gappah hat für ihren ersten Roman eine Protagonistin gewählt, die in kein soziales Raster passt und in einer Gesellschaft, die durch Kolonialismus, Apartheid, Korruption und Autokratie geprägt ist, überall aneckt und die demnach die extremste aller Strafen, die Todesstrafe, erwartet. Memory ist als Albino eine weiße Schwarze. Sie kennt die gegensätzlichsten Milieus. Ihre  Kindheit hat sie arm und in einer Familie ohne Verwandte und Ahnen verbracht, ihre Jugend bei einem reichen weißen Farmer. Sie ist hochgebildet und sitzt nun in dem berüchtigsten Knast Simbabwes. Hier schreibt sie um ihr Leben und kommt beim Erinnern den eigenen Widersprüchen und denen ihrer Mitmenschen auf die Spur. Und dies in einer vielstimmigen mitreißenden Sprache, die Klischees und Schwarzweißdenken aufbricht! (Stefanie Hetze)

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Jane Gardam: Eine treue Frau

Aus dem Englischen übersetzt von Isabel Bogdan, Hanser 2016, 272 S., € 21,90, TB dtv 2017, € 10,90
(Stand April 2021)

Gardam_25074_MR.inddAm Anfang steht ein Antrag: Edward Feathers, erfolgreicher Richter der Krone in Hongkong, bittet Elizabeth, Betty, um ihre Hand und sie nimmt an. Doch kaum hat sie diese Entscheidung getroffen, tritt der zweite wichtige Mann ihres Lebens auf, Terry Veneering, der auch vor Gericht Erzrivale ihres zukünftigen Mannes ist. Veneering wird ihre große Liebe, sie entwickelt auch eine besondere Beziehung zu seinem Sohn Harry, doch wird sie diese Liebe nie leben und Edward nie verlassen. Gemeinsam erleben sie schließlich auch den Niedergang der Welt, wie sie sie kannten, das British Empire im Fernen Osten, die beiden Welten die sie als „Raj Waisen“ auf zerrissene Weise in sich vereinen: Eddie Feathers ist als Kind in Malaysia aufgewachsen, Betty in China. Der Roman verwebt Lebens- und Liebesgeschichten auf verschiedenen Zeitebenen, von der Jugend bis zum Alter, spannt ein buntes Panorama an Figuren und Szenarien in England und Asien auf, erzählt von tiefen Enttäuschungen, von Menschen, die dennoch Halt finden und dies auf eine leichtfüßige Weise, mit viel Witz und einem scharfen Blick für die Stärken und Schwächen, die Vielschichtigkeit der Figuren, die nie ganz das sind, was sie scheinen. „Eine treue Frau“ bezieht sich auf den Vorläufer „Ein untadeliger Mann“, kann jedoch auch unabhängig davon gelesen werden. Welchen der beiden Romane man auch zuerst liest, man möchte seine Figuren nicht mehr missen und wird sicherlich zum zweiten greifen und sich auf die Übersetzung des letzten Bandes der Trilogie freuen. (Judith Krieg) Leseprobe

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Deborah Feldman: Unorthodox

Eine autobiographische Erzählung. Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Ruzicska. Secession 2016, TB btb 2017, 284 S., € 10,-
(Stand April 2021)

15_feldmann_unorthodoxDie Autorin Deborah Feldman entstammt einer orthodoxen Familie, die einer starren chassidischen Sekte in Williamsburg, Brooklyn, angehört und insbesondere das Leben ihrer Mädchen und Frauen streng eintaktet und  massregelt. Selbst in der Privatschule muss Jiddisch gesprochen werden, Frauen, die sich ihre langen Röcke mit Nadeln (!) an den Beinen feststecken, werden als Vorbild hochgehalten, tabu sind Bücher & alles, was Jugendlichen Spaß macht. Und doch gibt es in dieser geschlossenen reglementierten Welt zumindest für das Mädchen Devoiri kleinste Schlupflöcher, die sie mit ganzer Energie zu nutzen weiss. Sie ist, absolut ungewöhnlich, ein Einzelkind und lebt bei den Großeltern. Ihre Großmutter, deren gesamte eigenen Familie in den Konzentrationslagern ermordet wurde, überlässt sie mental sich selbst, erzählt ihr aber immerhin von einem früheren nicht-orthodoxen Leben in Ungarn und singt sogar manchmal die alten Lieder. Das ist das Schöne an dieser autobiograhischen Erzählung, Deborah Feldman schreibt trotz aller Kritik am Fundamentalismus differenziert von Menschen mit ihren vielen Facetten, auf die sie sich bis zu einem bestimmten Punkt einlassen musste/wollte (?). Das hat ihre persönliche Befreiung sicher nicht gerade erleichtert, macht die Leküre aber umso lohnenswerter und spannender. (Stefanie Hetze)

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Lucia Berlin: Was ich sonst noch verpasst habe

Stories. Aus dem amerikanischen Englisch von Antje Rávic Strubel, Arche Literatur Verlag 2016, 384 S., € 22,99, TB dtv 2017, € 12,90
(Stand April 2021)

3_berlin_wasEine Entdeckung! Lucia Berlins in kleinen Auflagen erschienene Erzählungen waren in den USA aus dem Bewusstsein der litterarischen Öffentlichkeit verschwunden, sind nun triumphal wiederentdeckt und toll übersetzt. Im Prinzip erzählt die Autorin in den Stories ihr von krassen Gegensätzen geprägtes Leben, von desaströsen familären Beziehungen, Alkoholismus, Armut, Missbrauch, aber auch von Vitalität, Wiederaufstehen, der Kraft des Humors. Ihre Protagonistinnen sind wie sie Einzelkämpferinnen, alleinerziehende Mütter, die sich als Krankenschwestern, Lehrerinnen, Putzfrauen in den USA und Lateinamerika durchschlagen. Waschsalons, Notaufnahmen, Schnapsläden, der öffentliche Nahverkehr bilden die Settings für ihre Außenseitergeschichten. Was sie aber auszeichnet, ist ihre unmittelbare Sprache, die tiefen Verletztheiten ihrer Figuren nachspürt, dabei jedoch immer das Absurde, Unerwartete aufscheinen läßt. (Stefanie Hetze)
Mehr über die außergewöhnliche Lucia Berlin

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Donatella Di Pietrantonio: Bella mia

Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Verlag Antje Kunstmann 2016, € 18,95
(Bella mia, Einaudi 2018, ca. € 16,50)
(Stand April 2021)

17_di-pietrantonio-bella-mia-dante-connection-danteperle2009 wurde die süditalienische Stadt L´Acquila durch ein Erdbeben fast völlig zerstört. Der versprochene Wiederaufbau ist auch aufgrund von Korruption und mafiösen Einflüssen bis heute nicht erfolgt. Für die  obdachlos gewordene Bevölkerung ist das Leben in den eilig hochgezogenen Behelfsunterkünften nach Jahren des Wartens zum Dauerzustand geworden.
Caterina, die Ich-Erzählerin, ihre Mutter und Marco, Caterinas Neffe, der bei dem Erdbeben seine Mutter, die Zwillingsschwester von Caterina, verlor, leben zusammen in einer kleinen Wohnung, jeder in seiner ganz eigenen Trauer gefangen. Mit großem Einfühlungsvermögen, ohne Pathos und mit zartem Fingerspitzengefühl erzählt Di Pietrantonio wie die drei wieder ins Leben zurückfinden, Zuversicht, Liebe und den Glauben an eine mögliche Zukunft für sich zurückerobern. Der Text wurde von Maja Pflug mit viel Sprachgefühl kongenial ins Deutsche übersetzt. Ein Buch, das  in all seiner Tragik Mut zum Leben macht. (Syme Sigmund)

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Mehrnousch Zaeri-Esfahani: 33 Bogen und ein Teehaus

Peter Hammer Verlag 2016, 148 S., € 14,90, TB Carlsen 2018, € 6,99, ab 12
(Stand März 2021)

1985 verließ Mehrnousch Zaeri-Esfahani mit ihrer Familie den Iran, der nach der Islamischen Revolution und mit dem Beginn des 1. Golfkriegs zum stetig bedrohlicheren Lebensort wurde. In dem Jugendroman „33 Bogen und ein Teehaus“ hat sie ihre Kindheitserinnerungen nun literarisch verarbeitet. Anschaulich berichtet sie von den verschiedenen Etappen: ihrem Aufwachsen in Isfahan unter immer brisanteren Lebensumständen, der Ausreise in die Türkei, dem Visaantrag für die DDR, um nach verschiedenen Orten in Westdeutschland endlich in Heidelberg eine neue Heimat zu finden. Auch wenn diese Geschichte so bereits vor 30 Jahren stattgefunden hat, erinnern doch die bürokratischen Hürdenläufe und Schilderungen von mangelhaften Notunterkünften geradezu absurd an die aktuelle und leider sehr reale Situation. In aller Klarheit und ohne erzählerische Schnörkel macht Mehrnousch Zaeri-Esfahani die Situation einer Flucht, das Gefühl des Kein-Zuhause-Habens für jugendliche Leser nachfühlbar. (Jana Kühn)

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David Garnett: Dame zu Fuchs

Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch, Dörlemann 2016, 180 S., € 17,-, TB btb 2017, € 9,-
(Stand April 2021)

Garnett-Fuchs-original-uc.inddDas junge Glück des Ehepaars Tebrick nimmt eine jähe Wendung, als Mrs. Tebrick sich auf einem Spaziergang unversehens in eine Fähe verwandelt. Ihr Mann ist erschüttert, doch erkennt er sogleich seine Gemahlin in dem Tier und nimmt sich ihrer voller Liebe an. Die Angestellten entlässt er unter einem Vorwand und kümmert sich allein um das Wohlergehen seiner Frau. Diese ist zunächst wirklich ein Mensch in Tiergestalt, sie möchte sich ankleiden, spielt mit ihm abends Karten und lauscht seinem Klavierspiel. Doch nach und nach gewinnt die neue Natur in ihr die Überhand, bis sie mit einem Fuchs im Wald eine neue Familie gründet. Wie Garnett diese schleichende Verwandlung zu beschreiben vermag ist zugleich tragisch anrührend und höchst unterhaltsam. Mr. Tebrick verzweifelt daran, dass seine Frau sich immer mehr von ihm entfernt, und findet doch stets einen Weg, sie auch weiterhin zu akzeptieren und zu lieben. Erzählt wird in diesem kurzen, 1922 erschienenen und nun in wunderschöner Gestaltung vom Dörlemann-Verlag wiederaufgelegten Roman nicht einfach eine skurrile Begebenheit, sondern eine Geschichte von Liebe und Abhängigkeit, von der Suche nach der eigenen Natur in einer zutiefst von gesellschaftlichen Zwängen dominierten Zeit. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Luna Al-Mousli: Eine Träne. Ein Lächeln. Meine Kindheit in Damaskus

Deutsch-Arabisch. Mit Illustrationen der Autorin. Erweiterte Sonderausgabe Weissbooks 2016,128 S., € 14,-
(Stand April 2021)

Bis zu ihrem 14. Lebensjahr hat Luna Al-Mousli in einer liberalen bürgerlichen Großfamilie in Damaskus gelebt. Das quirlige Familienleben, der Pool im jasminduftenden Garten, die Soldaten vor der nahegelegenen amerikanischen Botschaft und der strenge Schulalltag bildeten ihre Koordinaten. In vierundvierzig Prosaminiaturen wird ein ganzer Kosmos eines Kindheitslebens aufgetan. Neben unbeschwerten Erinnerungen an wichtige Momente und Rituale erzählt Al-Mousli von Einschüchterung und Unterdrückung. Mit wenigen Worten erzeugt sie Bilder von einem Leben in Damaskus, das es nicht mehr gibt. Die zweite Komponente des Buches sind  verblichen wirkende Ausschnitte von Familienfotos, die das Fragmentarische von Erinnerungen thematisieren. “Eine Träne. Ein Lächeln” ist ganz besonders gestaltet: handschmeichlerisch klein, die rotunterlegten Doppelseiten lassen sich herausziehen, dazu die arabische Version. Ein Kleinod, das das, was in Syrien verlorengegangen ist, sehr persönlich macht. (Stefanie Hetze)

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György Dragomán: Der Scheiterhaufen

Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer, Suhrkamp 2015, 494 S., € 24,95
(Stand April 2021)

45_dragoman_scheiterhaufenRumänien 1991. Emma ist dreizehn und lebt, seit ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, im Internat. Eines Tages erscheint eine Frau, die behauptet, ihre Großmutter zu sein. Emma zieht zu ihr, doch in der Schule wird sie gemobbt, denn ihre Großmutter und der verstorbene Großvater sollen als Spitzel aktiv gewesen sein. Mit Mut und Durchhaltevermögen behauptet sich Emma, erfährt Liebe und Freundschaft, wo sie es nicht erwartet, und nach und nach kommt die Wahrheit über ihre Familie und das ganze Städtchen ans Licht, in dem keiner frei von Schuld ist. In dichter, magisch-düsterer Prosa erzählt Dragomán vom Erwachsenwerden eines Mädchens in finsteren Zeiten, beklemmend, verstörend, fesselnd – und unbedingt lesenswert. (Syme Sigmund) Leseprobe

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