Jakob Hein: Kaltes Wasser

Galiani 2016, 240 S., € 18,99, TB KiWi 2017, € 9,99
(Stand April 2021)

hein_kaltes_wasser_danteperle_danteconnection Friedrich – Fritz – Bender ist ein Blender. Schon als Kind ist  sein wohl größtes Talent seine Fabulierlust. Er wächst in den 1970ern im Osten Berlins als Kind einer Kaderleiterin und eines Professors für Marxismus-Leninismus heran. Doch ihre schale Linientreue ist so gar nichts für den windigen Jungen. Als Agitator denkt er sich für seine Pionier-Mitschüler lieber spannende Anekdoten aus, um die immer gleiche Berichterstattung der Staatsorgane zu umschiffen, und auch als Teenager weiß er mit geradezu hanebüchenden Liebesabenteuern zu beeindrucken. Mit dem Mauerfall könnte sich für Fritz nun gewissermaßen eine Wende ankündigen, doch er findet auch im neuen System schnell die dünnen Bretter und bohrt, was das Zeug hält. Mit einer neuen Identität mausert Fritz sich gar zum wohlhabenden Adligen. Doch das Zeitalter des Internets naht und damit eine Form von allgegenwärtiger Transparenz und Überprüfbarkeit, die selbst Benders Fantasie an ihre Grenzen bringt. Ein überaus vergnüglicher Schelmenroman über eine Zeit des Umbruchs und der Goldgräberstimmung, die so mancher dreist zu nutzen wusste. (Jana Kühn)

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György Dragomán: Der Scheiterhaufen

Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer, Suhrkamp 2015, 494 S., € 24,95
(Stand April 2021)

45_dragoman_scheiterhaufenRumänien 1991. Emma ist dreizehn und lebt, seit ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, im Internat. Eines Tages erscheint eine Frau, die behauptet, ihre Großmutter zu sein. Emma zieht zu ihr, doch in der Schule wird sie gemobbt, denn ihre Großmutter und der verstorbene Großvater sollen als Spitzel aktiv gewesen sein. Mit Mut und Durchhaltevermögen behauptet sich Emma, erfährt Liebe und Freundschaft, wo sie es nicht erwartet, und nach und nach kommt die Wahrheit über ihre Familie und das ganze Städtchen ans Licht, in dem keiner frei von Schuld ist. In dichter, magisch-düsterer Prosa erzählt Dragomán vom Erwachsenwerden eines Mädchens in finsteren Zeiten, beklemmend, verstörend, fesselnd – und unbedingt lesenswert. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Lutz Seiler: Kruso

Suhrkamp 2014, 484 S., € 22,95, Suhrkamp Taschenbuch, € 12,-

(Stand März 2021)

seiler-kruso_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDer Literaturstudent Ed Bendler hat den Boden unter den Füßen verloren: seine Freundin G. ist verunglückt, die Welt aus den Fugen. Kurzerhand lässt er sein bisheriges Leben in Halle hinter sich, sein Ziel: die Insel Hiddensee, in der DDR ein Ort für Aussteiger, Eigenbrötler, Idealisten und potentielle Republikflüchtige. Er findet dort Unterschlupf als Tellerwäscher im Gasthof Zum Klausner hoch über der Steilküste, der an eine rettende Festung erinnert und an ein Schiff mit illustrer Besatzung, vom ehemaligen Philosophiestudenten, genannt Rimbaud, bis hin zu Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, Sohn eines russischen Militärs und einer Zirkusartistin. Kruso, das eigentliche Kraftzentrum des Klausners, organisiert ein Netz von Unterkünften für die immer neuen Ankömmlinge, in seinen Augen Pilger und Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft, die er bis in den Fieberwahn hinein verteidigen wird, als sich mit dem Mauerfall alles ändert. Zwischen Ed und Kruso entwickelt sich eine besondere Freundschaft, die Eds Leben auf Hiddensee und darüber hinaus prägen wird und die um die Leerstellen und Verluste in ihrer beiden Leben kreist – Krusos Zwillingsschwester ist eines Tages über die Ostsee verschwunden. Der Lyriker Lutz Seiler hat einen sprachlich eindrucksvollen Roman geschrieben, eine eigenwillige Geschichte, die gleichzeitig zart ist und derb, leicht und traurig, versponnen und realistisch, und die eine besondere Version der Wendezeit erzählt. (Judith Krieg) Leseprobe

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