PalmArtPress 2019, 187 S., € 24,-
(Stand März 2021)
In einer unveröffentlichten Miniatur über das Verfassen von Miniaturen schreibt Petschner: „Im dickleibigen Entwicklungsroman des Lebens tauchen magische Kürzestkapitel auf, magisch und zugleich alltagsweltgesättigt, weltzustandsbewußt.“ Miniaturen gehen von Kleinbeobachtungen aus, von dem, was Auge und Ohr im Vorbeigehen einsammeln und im Kopf irgendwo so verstauen, daß es eines Tages den Verfasser, die Verfasserin zu einem kurzen Text anstößt. Zur Miniatur wird dieser Text, wenn Beschreiben und Nachdenken auseinander hervorwachsen, ja ineins fallen. In einer Petschnerschen Miniatur etwa erinnert sich nach Jahrzehnten ein Mann, wie er als Kind die Mutter eines Mitschülers in einem elenden Bach baden sah, eine „munter sich selbst bespritzende (…) Frau, wenngleich darunter – nicht darüber – etwas wie eine Maske saß : heilloser Schmerz, gefrorener Gram.“ Am Ende, nach weiteren wenigen Zeilen der Beschreibung, heißt es schließlich, in dem Elfjährigen habe bald danach ein leiser Verdacht zu arbeiten begonnen, „es seien die Mütter etwas unglaublich anderes als kleine praktische Nutzfahrzeuge“. Dieses Nachdenken über das erinnerte Bild in Gestalt wiederum eines Bildes hat Frank Heibert in einer tell-Besprechung des Buches seinerseits bildhaft beschrieben als „schwingende Bewegung vom Alltagsdetail zur existenziellen Unendlichkeit (und zurück)“. Beeindruckend ist die Leichtigkeit, mit der man als Leserin/Leser dieser schwingenden Bewegung folgen kann – vermutlich wegen des rhythmus- und spannungsreichen Satzflusses. Man wird von ihm gleichsam an die Hand genommen und durch den stark verdichteten Stoff geführt, der bildreich ist bis in die Wortfindungen hinein: „Plastikleerguttraurigkeit“, „Zauberkoinzidenzen“, „Cleanizismus“, „ein dunkles Stimmenschiff“, „im Ruckelrasewagen Welt“. Miniaturen sind Einzeltexte, und sie sind zugleich „Kürzestkapitel“ eines Ganzen. Die Ganzheit, ja Geschlossenheit von Kurze Entfernung aus dem Gespräch garantieren wiederkehrende Themen und Motive und nicht minder Petschners Blick und sein Stil. Großverlage schrecken vor der Publikation von Kurz- und Kürzestprosa zurück, weil das Lesepublikum Romane verlange. Catharine Nicely, die Verlegerin der deutsch-englischsprachigen PalmArtPress, engagiert sich für alle Arten von „minimals“ und praktiziert mit ihrem Kunst und Literatur verflechtenden Verlag möglicherweise generell etwas ähnliches wie Petschner mit seinen Miniaturen: die Feier des Mosaiks, die Aufforderung an den Leser/die Leserin, mit den Leerräumen zwischen den Steinen zu hantieren. Petschner selbst schreibt in einer seiner Miniaturen über das vermeintliche Zurückschrecken vor kurzen Formen des vermeintlich romanfixierten Publikums: „Man fürchtet das Elend der Zerstreuung und erlebt, lässt man sich auf das Kleinstückige ein, oft nur eine Stärkung der bogenschlagenden und gestaltbildenden Kräfte.“ (Eveline Passet) Leseprobe


Wie eine Vitaminspritze können uns bestimmte Bücher gerade in diesen anstrengenden Zeiten energetisch aufbauen. Das literarische Debüt Katzensprung des Lebenskünstlers und Schauspielers Uwe Preuss gehört eindeutig in diese Kategorie. Lapidar erzählt er in einzelnen komprimierten Geschichten vom Aufwachsen eines Nichtangepassten in der DDR. Vom draufgängerischen Liebesleben seines Opas und anderen unkonventionellen Familienangehörigen. Von sechs weltläufigen Kindheitsjahren in Brasilien. Von eigenen Amouren, genialen kleinen Tricksereien, die das Leben angenehmer gestalten. Von krassen Arbeitsplatzwechseln mit dem Ziel ohne Volksarmee zur Schauspielschule zu kommen. Von der Ausreise aus der DDR und tatsächlicher Wiedereinreise aus Jux und Dollerei. Hier erzählt einer, der viel erlebt hat, der die sich bietenden Gelegenheiten beim Schopfe nimmt und dabei eine wunderbar lakonische Gelassenheit pflegt, die sich auch in seiner sparsamen pointierten Sprache ausdrückt. Das macht einfach Spaß. (Stefanie Hetze)
In dem Buch „Das wilde Volk“ geht es um Comfrey und Tin die auf der Insel „Farallone“ leben. Auf der Insel gibt es eine Stadt, die Stadt Albion. Tin ist ein Waisenkind und lebt daher im Waisenhaus in der Stadt. In diesem Waisenhaus müssen die Kinder sehr hart arbeiten. Unter Befehl des Vaters des Waisenhauses versuchen die armen Kinder das legendäre Sternengold zu erschaffen.
Dieses zwischen historischem Bericht und Roman changierende Buch berichtet davon, wie wirtschaftliche Interessen ein Land zerstören können. 1951 wurde in Guatemala Jacobo Árbenz mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Er setzte eine Landreform um, im Zuge derer die völlig verarmte indigene Bevölkerung Land zugesprochen bekam, das der Bananenkonzern Unitet Fruits (später Chiquita) brach liegen ließ. Zudem verlangte er vom Konzern Steuern und befürwortete die Gründung von Gewerkschaften. Mithilfe der CIA, welche die dreiste Lüge verbreitete, der Kommunismus habe in dem lateinamerikanischen Land einen Fuß in der Tür der USA, wurde Árbenz 1954 gestürzt und ein Militärregime beherrschte jahrzehntelang das Land, machte die Reform rückgängig und war für zahllose Morde, Entführungen und Folter verantwortlich. Vargas Llosa erzählt diese „Harten Jahr“, die Intrigen, welche zum Fall des demokratisch gewählten Präsidenten sowie zur Ermordung des zu „schwachen“ ersten Diktators führten, in spannungsvollen, kurzen Kapiteln, jeweils aus der Sicht der verschiedenen Akteure. Ein fast journalistischer Politthriller und ein Muss für alle, die sich für lateinamerikanische Geschichte interessieren. (Syme Sigmund)
Anke Kuhls Illustrationen verleihen vielen Kinderbüchern anderer Autor*innen Witz, Doppelbödigkeit und Glanz. Mit ihren Kindheitserinnerungen Manno!, 18 Geschichten aus ihrem Schwestern- und Familienleben Ende der Siebzigerjahre, ist sie Autorin, Illustratorin und Grafikerin in einer Person und hat einen funkelnden komischen detailgenauen Comicband geschaffen: Übers Kindsein, Spielen, Streiten, über das Hin und Her von Gefühlen, Katastrophen und Glück, über Freundschaft, Alltag und die Lust zu lachen und herumzualbern. Gnadenlos genau schaut Anke Kuhl auf die Abgründe und Freuden des familiären Alltagslebens. Es macht riesigen Spaß, ihre Geschichten und Bilder immer wieder anzusehen, mit den eigenen Erlebnissen zu vergleichen, sich von ihrem Witz anstecken zu lassen. Schlichtergreifend ein ganz großer Wurf und für alle! (Stefanie Hetze)
Diese Sammlung enthält vierzehn Kurzgeschichten, die in Zeitschriften wie der »Paris Review« und dem »New Yorker« veröffentlichen wurden. Ein roter Faden verbindet sie: Alle Figuren möchten besser sein – symbolisch ist der Titel der ersten Geschichte, Ich bessere mich, in der ein Lehrer Beweise fälscht, sich in den Schultoiletten übergibt und Drogen nimmt. Die nächste handelt von dem distinguierten, mysteriösen Mr. Wu, der von dem pervertierten Besitzer einer Spielhalle besessen ist. Es folgen die Frau, die in Ferienhäusern wohnt, um sich mit billigen Drogen zu betäuben, der faule Junge, der nach Los Angeles zieht, um seinen Traum, Schauspieler zu werden, zu verwirklichen, das Mädchen, das sich für die Lippen seiner Vulva schämt, weil sie sie für zu groß hält.
Scheinbar jagt ein Klischee das nächste: Eine junge mittellose attraktive Frau fährt mit einem älteren erfolgreichen wohlhabenden Mann in seinem Schlitten für ein paar Wochen nach Südfrankreich. Er lädt sie in Luxushotels ein, geht in Nizza mit ihr ins Casino, trifft als „Mann von Welt“ seine Entourage und schöne Frauen. Sie hatte sich diese Auszeit auch aus dem immer finsterer werdenden Deutschland, es sind die beginnenden Dreißigerjahre, ganz anders vorgestellt, von einem einfachen Häuschen zu zweit geträumt. Sie leidet, sein Egoismus kann ihre Liebe zu ihm jedoch nicht erschüttern und so macht sie einen entscheidenden Schritt, der diesen Roman auch für heutige Leser*innen sehr anziehend macht. Obwohl es ihr schwerfällt, verlässt sie ihn, sucht sich neue Menschen und ihr eigenes Traumhäuschen im Weinberg nah am Meer. Das alles entfaltet natürlich auch bei ihm eine starke Zugkraft . . .
Der Aal. Dabei denken die meisten an glipschig-schlangenartige Wesen, im Schlamm versteckt. Dass dieses Tier zum Objekt größter Faszination werden kann, ist mit diesem Buch garantiert. Svensson erzählt so lebendig von den lange Zeit vergeblichen Versuchen, das Geheimnis um seine Herkunft und Fortpflanzung zu lüften (die bei Aristoteles begannen und über Freud bis weit ins 20. Jahrhundert andauerten), von den vier Lebensphasen dieses Fisches, der in der fernen Sargassosee schlüpft, seinen Weg in unsere Gewässer findet und irgendwann an seinen Ursprungsort zurückkehrt, um zu laichen und zu sterben, von den Legenden und Mythen, die sich um ihn ranken sowie von den Erinnerungen an seinen Vater, der leidenschaftlicher Aalangler war, und der ihn als Kind zum Aalfischen an den nahegelegenen Fluss mitnahm, dass man aus dem Staunen nicht heraus kommt. Eine gelungene, sowohl unterhaltsame als auch interessante Mischung aus Memoir- und Sachbuch. (Syme Sigmund)
„Mädchen können alles sein“ lautet der Untertitel dieses ansprechend illustrierten und eingängig gereimten Kinderbuchs für die Allerkleinsten. Auf der ersten Seite sitzt die Mutter mit einem Baby auf dem Schoß und erzählt ihm, was es später mal alles werden kann. Die nächsten Seiten zeigen dann die vielen Möglichkeiten, die der Tochter offenstehen. Die Palette geht von Astronautin, Richterin und Baggerführerin bis zur Krankenschwester, Tierärztin, Balletttänzerin und vielem mehr. So werden Klischees sehr schön doppelt umgangen. Mädchen können alles sein, was sie sich erträumen, wenn sie an sich glauben und zusammenstehen, ist die Botschaft. Überzeugende Girlpower für starke Mädchen von Anfang an. (Syme Sigmund)