Aus dem Amerikanischen von Annette Grube, Aufbau Verlag 2020, 235 S., € 20,-, TB 2021, € 12,-
(Stand August 2021)
Die Ich-Erzählerin dieses Romans verliert unvermittelt ihren engsten Freund und bekommt dessen achtzig Kilo schwere Dogge vermacht. Nun teilt die zurückgezogen lebende Autorin das kleine New Yorker Apartment und die Trauer mit diesem riesigen Tier. Während sich aus den zaghaften Annäherungsversuchen eine neue Freundschaft anbahnt, die beiden Trost spendet, versucht sie auch schreibend der Trauer etwas entgegenzusetzen. Auf ihre 30 jährige Freundschaft zurückblickend, reflektiert sie über komplexe menschlichen Erfahrungen wie Selbstmord, Trauer, die Beziehung Mensch-Tier und Autorschaft (auch angesichts der Absurditäten des heutigen Literaturbetriebs).Nicht zuletzt geht sie dabei der Frage nach, für wen ein Autor seine Bücher schreibt und welche Verantwortung er den wahren Personen gegenüber hat, die so oft die Quellen für Fiktion sind.
Überaus berührend und lesenswert ist, was die Autorin tagebuchartig und assoziativ an Ereignissen, Ideen, Zitaten und Gedanken zusammengetragen hat. Nichts davon ist ornamental. Bereichert durch eine starke New York Atmosphäre, gibt es hier viel zu entdecken. (Franziska Kramer) Leseprobe

Allein der Titel war 1953, als der Band in Italien erschien, eine Provokation, der Stadt Neapel, ihren Stolz abzuerkennen, lichtdurchflutet am schönen Meeresgolf zu liegen! Anna Maria Ortese wandte sich in ihren erzählerischen Reportagen den dunklen meerabgewandten Gassen zu, die stickig und drückend sind, und in denen die Menschen elendig am Rande des Existenzminimums hausen. Es sind bittere harte Geschichten von verlorenen Menschen und ihren unrealistischen Träumen, aus einer Stadt voll der Nervosität und Anspannung, in der sich die wundersamsten Begebenheiten und Obsessionen ereignen. Diesen spürt die Rückkehrerin Ortese in ihren Streifzügen durch Schatten und Licht nach. In einer hochkonzentrierten brillanten Sprache verdichtet sie das neapolitanische Nebeneinander von Armut und Leid, von Schönheit und Hoffnung zu einem literarischen Ereignis. Nicht umsonst inspirierte sie Fabrizia Ramondino und Elena Ferrante zu ihren Neapelromanen. Endlich ist sie in Deutschland zu entdecken! (Stefanie Hetze)
Aurélie und Alejandro begegnen sich in Grenoble. Sie ist Französin, er Kolumbianer, beide sind jung und auf der Suche nach Emanzipation von einer bedrückenden Gegenwart. Sie wünschen sich eine Zukunft voller Freiheit und Erfüllung, stattdessen werden sie sich mit einer harten, trennenden Realität auseinandersetzen müssen. In der Hauptstadt Paris wird schnell klar, dass es fast unmöglich ist, sich solche Träume zu erfüllen, in einer Gesellschaft, in der mehrere Studienabschlüsse einen dazu qualifizieren, lange bei niedriger Entlohnung zu arbeiten und in schrecklichen Zimmern zu hausen.
James Vincent und Agnes Miller wachsen unter völlig unterschiedlichen Bedingungen auf, er das Kind einer zerrütteten weißen Arbeiterfamilie aus Long Island, sie die behütete schwarze Tochter eines Dekans in Georgia. Die beiden werden sich nie begegnen, und doch sind ihre Geschichten miteinander verwoben, wird James Sohn die Tochter von Agnes heiraten. Virtuos wechselt Regina Porter zwischen unterschiedlichen Zeit- und Handlungsebenen und entwickelt nach und nach die Schicksale von drei Generationen der beiden weit verzweigten und sich doch vielfach kreuzenden Familien, erzählt von Liebe und Freundschaft, Verwandtschaft, Hoffnungen und Rassismus, spannt den Bogen von der Zeit der Bürgerrechtsbewegung über den Vietnamkrieg bis zur Regierungszeit Obamas, führt die Leser nach Los Angeles, New Hampshire, New York und Berlin und schafft es trotz dieses weiten Panoramas jede Figur lebendig werden zu lassen, so dass man bis zur letzten Seite nicht loslassen möchte, gefesselt von diesem Kosmos voller Menschlichkeit. (Syme Sigmund)
Bianca eckt an. Ihr Vater will sie nur noch alle zwei Wochen sehen, weil sie so bockig ist, ihre Mutter sagt, man weiß nie, woran man bei ihr ist, man brauche eine Bedienungsanleitung für sie. Bianca fühlt sich allein, unverstanden, schweigt, verzieht sich hinter die Hecke. Biancas kleiner wilder Bruder Alan hat nur noch ein halbes Herz, die Mutter lässt ihm alles durchgehen, sorgt sich um ihn, Bianca soll helfen, funktionieren, die vernünftige „Große“ sein und ist doch auch nur ein Kind, das sich übersehen fühlt, dessen Enttäuschung mal in Wut, mal in Verweigerung umschlägt. Bis die Mutter von Alans Freund Jazz zu Besuch kommt und Bianca erkennt, dass es in ihrer eigenen Hand liegt, zu entscheiden, wer sie sein möchte.
Henry und Emily (schon bekannt aus anderen Büchern des Autors) sind ein älteres pensioniertes Ehepaar aus Pittsburgh der amerikanischen Mittelklasse. Erzählt wird ein Jahr ihres Lebens aus der Sicht von Henry, die alltäglichen Verrichtungen, die Besuche der Kinder und Enkel, die Zeit im Sommerhaus am See. Das alles ist weder besonders außergewöhnlich noch besonders interessant. Was besonders ist, an diesem Buch, ist die Kunst des Autors, dieses Leben so packend zu beschreiben, dass keine Langeweile aufkommt, man folgt gespannt der Gleichförmigkeit ereignisloser Tage, möchte immer weiter lesen, bei Henry sein, mit ihm in seiner Werkstatt hantieren, mit ihm Einkaufen fahren, mit ihm vor dem Kamin einschlafen während die Enkel um ihn herum wuseln und die tiefe Verbundenheit, die ihn nach 48 Jahren Ehe mit Emily verbindet, spüren. Ein filigran feines Portrait eines alten Mannes, ein Buch, das entschleunigt und glücklich macht. (Syme Sigmund)
Von Édith Piaf bis Beyonce, von Aretha Franklin bis Françoise Cactus, von Lesley Gore bis Annie Lennox, Britta und M.I.A.: Vielen sind dabei, alle sind ikonisch und haben eine Geschichte zu erzählen. Mehrere Journalist*innen, Musiker*innen und Fans haben Beiträge über ihre Lieblingskünstlerinnen der unterschiedlichsten Musikgenres zusammengestellt und ein zärtliches, aufregendes Buch ist entstanden. Eine Musikenzyklopädie der besonderen Art, in der Biografien, Interviews und persönliche Betrachtungen nebeneinander stehen. Respekt und Gleichberechtigung, Frauen-Empowerment und Herausforderungen, Liebe und Sexualität, aber vor allem Musik und ihre unbestreitbare Kraft: Dies alles und noch viel mehr wird in mehr als 100 Texten beschrieben.
Im noch kolonialen Rhodesien wächst Tambu in den sechziger Jahren auf dem Land unter schwierigen Bedingungen auf. Sie muss früh die Schule verlassen, weil das Geld fehlt und Mädchen sowieso nur lernen sollen, das Feld zu bestellen und den Haushalt zu führen. Tambu kämpft aber für ihre Bildung. Ihr älterer Bruder, der in die Missionsschule geht, sabotiert all ihre Pläne. Erst als er stirbt darf Tambu endlich weiter die Schule besuchen. Sie betritt nun eine neue reiche Welt, in der es Besteck, Wasserhähne und Bücher gibt, und lebt in der Familie ihres Onkels, dem Schuldirektor und traditionell-rigorosem Patriarchen. Ihm müssen sich alle beugen, auch ihre Tante, eine Akademikerin und ihre in England aufgewachsene Cousine. Tambu fährt ganz gut mit ihrer Strategie der strebsam-dankbaren Verwandten. Während sie sogar einen der zwei (!) Plätze für Afrikanerinnen der besten Weißenschule des Landes erreicht, zerbricht ihre Cousine am patriarchal-kolonialem System. Der Weg zur Freiheit ist noch weit.
Knall auf Fall verändert sich für Roberta alles. Nichts ist mehr so für die Elfjährige, wie es bis gerade eben war. Sie hat sich verliebt in den neuen hübschen Jungen im Zeichenkurs. Nein, Felix findet sie nicht einfach „süß“, da ist viel mehr, er ist überall in ihr, sie denkt ständig an ihn und träumt von ihm. Wird er ihre Gefühle erwidern? Ihre Mutter tut sich schwer mit ihren extremen Gefühlszuständen, zum Glück gibt es Hedi, eine ehemalige Opernsängerin, der sie sich anvertrauen kann. Mit großem Einfühlungsvermögen, aus der Ichperspektive und mit unerwarteten Wendungen kunstvoll von Judith Burger erzählt, können wir Robertas Versuche, sich Felix zu nähern, hautnah mitverfolgen. Nicht zuletzt durch die großformatigen Tuschezeichnungen, in denen Ulrike Möltgen grandios mit Perspektiven spielt. Roberta lernt zu begreifen, dass viele andere Dinge, nicht nur ihre eigenen Gefühle, eine Rolle spielen. Bis zur letzten Seite bleibt es dabei aber richtig spannend. Erwachsene sollten Kindern dieses großartige Buch ruhig zutrauen. (Stefanie Hetze)
Per la prima volta il magazine firmato Iperborea racconta una città europea, invece di un paese del mondo. L’eccezione si deve al fatto che la città in questione è Berlino e che nel 2019 la capitale tedesca festeggia il trentennale dalla caduta del Muro. Il volume è composto da sedici saggi brevi perlopiù inediti, firmati da autori e autrici quali Cees Nooteboom, Peter Schneider, Christine Kensche, Annett Gröschner, Vincenzo Latronico; un reportage fotografico del fotografogiornalista pluripremiato Mattia Vacca; illustrazioni di Francesca Aena e infografiche di Pietro Buffa. Ne esce un ritratto vicino alla realtà delle cose, convincente perchè non nasconde criticità e non annega nella nostalgia, ma prova a fare i conti con quello che non è più e non è ancora. (Giulia Mirandola)