Helene Bukowksi: Milchzähne

Blumenbar 2019, 220 S., € 20,-, Aufbau TB € 10,-

(Stand März 2021)

Bukowski Milchzähne_Danteperle_Dante_Connection Buchhandlung Berlin Kreuzberg

In ihrem Debütroman imaginiert die Autorin ein Szenario in unbestimmter Zukunft, das im Kern vielfach Berührungspunkte mit unserer Lebensrealität aufweist.
Ein Mädchen lebt mit ihrer Mutter in einem Haus mit Garten nahe eines Kiefernwaldes. Das Klima ist dem Mensch kein Freund mehr und auch die Gemeinschaft ist von fragwürdigem Rückhalt. Ist die Mutter anfangs noch eine Verbündete, ist das Mädchen mit dem Verlust der Milchzähne plötzlich auf sich gestellt. Die Erklärung dafür bleibt lakonisch („sie sei nun eine von ihnen“) sowie sich auch die immer wieder als feindlich definierte Umgebung und Nachbarschaft nur langsam erschließt. Nur eins ist von Beginn an klar: Anderssein ist in diesen Zeiten kein Überlebensvorteil. In diesem Umfeld entsteht eine Protagonistin und Erzählerin, die sich neben dieser kargen und eingeschränkten Lebenswelt stark auf sich selbst zu besinnen beginnt. Aus der Selbstversorgerin wird eine Selbstdenkerin, die, als sie ein Kind im Wald findet, einen mutigen Entschluss fasst. Das Buch regt zum Denken an und ist aufgrund der atmosphärischen Dichte ein großes Lesevergnügen. (Franziska Kramer) Leseprobe

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Isabelle Lehn: Frühlingserwachen

S. Fischer Verlag  2019, 256 S., € 22,-

(Stand März 2021)

Lehn_Frühlingserwachen_Danteperle_DanteConnectionMit 37 verbringt man statistisch betrachtet die wohl glücklichste Zeit seines Lebens, heißt es in Isabelle Lehns zweitem Roman „Frühlingserwachen“. Ist das so?, fragt ihre Protagonistin zweifelnd und damit auch die Autorin selbst. Denn was Lehn hier vorlegt, ist ein literarisches Vexierspiel, indem sie um ihre vermeintlich eigene Identität kreist. Isabelle Lehn ist und lebt, worüber sie schreibt – oder eben auch nicht. Doch eigentlich geht es weniger darum wer sie ist, sondern um das was: Es geht darum Frau zu sein, Autorin, Freundin, Geliebte, vielleicht Mutter und es geht um Depressionen und Selbstzweifel, die wie die dunkle Rückseite der ganzen schönen Frühlingsgefühle aus dem Boden zu schießen scheinen. Das sind oft nicht unbedingt leichte Themen, doch werden sie derart klug, offen und selbstironisch erzählt, dass man die Autorin/Protagonistin gern durch Bars und Badezimmer, zu Lesungen und Therapiesitzungen und sogar in den Zoo begleitet. (Jana Kühn)

Leseprobe

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Dilek Güngör: Ich bin Özlem

Verbrecher Verlag 2019, 157 S., € 19,-

(Stand März 2021)

IchBinÖzlem„Ich bin Özlem.“ Wenn sie sich mit diesen Worten in einer neuen Runde vorstellt, weiß die als Kind türkischer Einwanderer Geborene, dass ab sofort, ungewollt und unaufgefordert ihre Herkunft mit ihr im Raum steht, bzw. das was sich ihr Gegenüber darunter vorstellt. Meist beeilt sie sich noch den Satz, dass ihre Eltern aus der Türkei kommen, hinterherzuschieben. Dass sie Berlinerin ist, Ehefrau, Mutter zweier Kinder, Deutschlehrerin usw. beschreibt scheinbar einen deutlich kleineren, unwichtigeren Teil ihrer Person – auch für sie selbst. Damit hadert die erwachsene Frau zunehmend und dieser Konflikt sucht sich langsam seinen Weg an die Oberfläche, bis er in einer Diskussion mit den doch eigentlich besten Freunden zum Ausbruch kommt. Dilek Güngör kreist um die Themen Identität und Herkunft. Sie lässt Özlem aus ihrer Kindheit und Gegenwart erzählen, verschränkt die Zeitsprünge und Rückblenden gekonnt und geradezu leichtfüßig. Es geht um Zuschreibungen bzw. um die Angst davor und eigenen Umgang damit. Dabei rüttelt sie ihre Protagonistin Özlem einmal durch und vor allem auf – und ähnliches passiert auch beim Lesen, nur eben aus einer anderen Perspektive. Hochaktuell und sehr empfehlenswert, gerade auch um das eigene, ach so linksliberale und vermeintlich vorurteilsbewusste Denken zu hinterfragen! (Jana Kühn) Leseprobe

Dilek Güngör las am Dienstag, den 2. April 2019 in unserer Buchhandlung!

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Attica Locke: Bluebird, Bluebird

Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende, Polar Verlag,  327 S., € 20,-, TB Unionsverlag 2024, € 14,-

(Stand Februar 2024)

Ein Kaff in der tiefsten Provinz in Texas mit nur einem Café, in das die Schwarzen gehen, und einer Bar für Weiße, dem Treffpunkt der „Aryan Brotherhood of Texas“. Dazu der Highway durch den Ort, der außer dem Café der schwarzen Genoveva komplett einem Weißen gehört. Das ist das Setting, an dem zwei Morde passieren, der erste an einem unbekannten Schwarzen, einem durchreisenden  BMW-Fahrer in städtisch-teuren Klamotten, der zweite an einer jungen weißen Kellnerin, die mit einem Redneck verheiratet war. Der hiesige  Sheriff interessiert sich nur für den Mord an der blonden Weißen. Selbstverständlich ist jeder hier bewaffnet und lässt sich nicht in die eigenen Karten gucken, wie Darren Matthews, der übergeordnete schwarze Gesetzeshüter, ein eigentlich suspendierter Texas Ranger, schnell feststellt.
Was sich aus dieser hochexplosiven Gemengelage und den vielen Erscheinungsformen von Rassismus, von Hass, Angst und Gewalt entwickelt, ist leider erschreckend aktuell. Was diesen Krimi jedoch atemberaubend macht, ist wie die Autorin die Wucht alter und neuer Liebes- und Familiengeschichten mit den sozialen Beziehungen in einem zutiefst rassistischen Land verzahnt. (Stefanie Hetze)

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Marie Darrieussecq: Unsere Leben in den Wäldern

Aus dem Französischen von Frank Heibert, Secession Verlag 2019, 110 S., € 18,-

(Stand März 2021)

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Vivianne lebt in einer zukünftigen Welt, in der Menschen dank Implantaten ständig online und transparent sind, Roboter den größten Teil menschlicher Arbeit übernommen haben und die Lebenserwartung aufgrund von Umweltverschmutzung und modifizierten Lebensmitteln recht niedrig geworden ist. Eigens aufgezogene Klone sorgen dafür, die wenigen Reichen permanent mit gesunden Organen zu versorgen. Vivianne arbeitet als Psychoanalytikerin. Ihr Gesundheitszustand ist schlecht, doch Klon Marie sorgt für Ersatzteile. Eine Reihe von Ereignissen überzeugen Vivianne aus dieser Gesellschaft in eine Waldkolonie von Rebellen zu fliehen. Rasant geschrieben und sehr atmosphärisch, könnte dieser Roman eine Folge von Black Mirror sein. Mit subtiler Intelligenz und schwarzem Humor befasst sich Marie Darrieussecq mit höchst aktuellen Themen wie digitaler Vernetzung und Automatisierung, Konsum, Überwachung und menschlicher Autonomie, Einsamkeit, Ungerechtigkeit und der Behandlung von Minderheiten. Ein beunruhigendes, politisches Buch, das viele der Sorgen unserer Zeit ausdrückt und uns daran erinnert, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. (Giulia Silvestri)

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Katharina Mevissen: Ich kann dich hören

Wagenbach Verlag 2019, 168 S. mit Playlist zum Buch, € 19,-, TB btb 2021, € 11,-

(Stand Oktober 2021)

Mevissen_katharina_Ich_kann_dich_hören_Dante_Connection_Buchhandlung_DanteperleNach außen hin scheint alles zu stimmen. Osman studiert relativ erfolgreich Cello, er spielt Fußball, wohnt in einer WG und bandelt mit einer Mitbewohnerin an – ein Studentenleben eben. Doch hinter der Oberfläche kratzt es gehörig. Ohne Kontaktlinsen sieht er schlecht. Sein Dozent bescheinigt ihm eine gute Spieltechnik, aber emotionale Schwachstellen. Mit seinem Vater, einem Profimusiker, will er keinen Kontakt mehr, seiner Tante, seiner Ziehmutter, hört er nicht richtig zu und erzählt nichts von sich. Auch mit seiner Mitbewohnerin kommt er sich nicht wirklich näher. Erst der Zufallsfund eines besprochenen Diktiergeräts bringt ihn dazu, mal jemandem wirklich zuzuhören. Was er da aus einem anderen Leben mitkriegt, dem einer Frauenstimme und ihrer gehörlosen Schwester, lässt ihn nicht los und öffnet ihm die Ohren für sein eigenes Umfeld.
Um das Nichtzuhören, Nichthören und Zuhören, um Stimmen,  Töne und Schweigen, um Musik und Stille  kreist Katharina Mevissens faszinierender Roman, ein Debütschatz. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Hilmar Klute: Was dann nachher so schön fliegt

Galiani 2018, 368 S., € 22,-, Kiwi TB € 12,-

(Stand März 2021)

Klute Was dann nachher_Danteperle_Dante_Connection Buchhandlung Berlin KreuzbergBochum 1986. Volker macht Zivildienst, im Altenheim, aber eigentlich, eigentlich ist er Dichter, angehender zumindest. Immerhin wird er eingeladen, nach West-Berlin, zu einem Seminar für junge Schriftsteller. Das ist zwar nicht die Gruppe 47, die seine Tagträume bestimmt, aber doch ein Anfang. Und in Berlin lernt er Katja kennen, die ihn wirklich für begabt hält und ihm auch sonst eine neue Welt eröffnet – vor allem die Club- und Kneipenszene der geteilten Stadt. Sensibel und höchst komisch begleitet Hilmar Klute diesen jungen Mann auf dem Weg ins Erwachsen-Sein. Der Alltag eines durchschnittlichen Pflegeheims und der um sich selbst kreisende Literaturbetrieb werden einander in geschicktem Wechselspiel gegenübergestellt. Klute gelingt dies mit unterhaltsam-eleganter Ironie ohne dabei in Überheblichkeit abzugleiten. Ein Werk voll leichten Witzes und Poesie sowie ein Hoch auf die Kraft und die Schönheit, die Worte zu entfalten in der Lage sind. Ein wunderbares Buch. (Syme Sigmund)

Leseprobe

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Maria Stepanova: Nach dem Gedächtnis

Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja, Suhrkamp Verlag 2018, 525 S., € 24,-, Suhrkamp TB € 14,-

(Stand März 2021)

Stepanova_Maria_Nach_dem_Gedächtnis_Dante_Connection_Buchhandlung_DanteperleMaria Stepanova entstammt einer weit verzweigten jüdisch-russischen Familie, deren Angehörige versucht haben, unauffällig zu leben und ohne groß Spuren zu hinterlassen den Verfolgungen und dem Terror durch Diktatur, Stalinismus und Antisemitismus zu entgehen. Diese Menschen haben kaum Dinge hinterlassen, es gibt nur relativ wenige Fotos, Dokumente und Objekte, die Stepanova hinzuziehen kann, um sich ihrer Vorfahren zu erinnern und sie aus dem Nichts des Vergessens herauszuholen. Immer wieder täuscht das Gedächtnis, erweisen sich übliche Versuche der Aneignung von Familiengeschichte wie das Besuchen von Orten als trügerisch. Das ist die Ausgangslage für dieses abenteuerliche ungemein bereichernde Projekt der Erzählung einer Familiengeschichte, das sich allen Klassifizierungen entzieht und seine Leserinnen und Leser einlädt, mitzugehen bei all den Umwegen, Hinweisen und  Anspielungen, auf die die Autorin bei ihrer Recherche stößt und die sie einbezieht in ihren großen inneren Dialog mit ihren Toten. Es ist sehr anregend, sich auf Stepanovas Reise einzulassen. (Stefanie Hetze) Leseprobe

Maria Stepanova im Gespräch mit ihrer Übersetzerin Olga Radetzkaja

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Myriam Lang, Larissa Bertonasco: La grande cucina vegetariana

Carlo Bernasconis vegetarische Menüs für Gäste. Jacoby & Stuart 2018, 160 S., € 20,-

(Stand März 2021)

Cover Cucina vegetariana_Verlag.inddEin Kochbuch, das gleichermaßen für den Alltag, als auch für festliche Einladungen geeignet ist, mit Rezepten, die nicht schwer nachzukochen sind und keinen Großeinkauf erfordern, sondern mit einer überschaubaren Anzahl von Zutaten auskommen. Carlo Bernasconi betrieb ein vegetarisches italienisches Restaurant in Zürich, und italienisch ist eindeutig die Basis der Gerichte, wenn sie auch überraschend verwandelt daherkommen und zum Experimentieren anregen. Wie wäre es mal mit Ravioli gefüllt mit Mangold oder Linsensalat mit Auberginenrouladen? Und danach etwas Himbeer-Tiramisù mit Pistazien? Präsentiert werden die Gerichte in nach Jahreszeiten abgestimmten Menüs mit 3-6 Gängen, aus denen man sich problemlos persönliche Highlights herauspicken kann. Die wunderbaren Illustrationen von Larissa Bertonasco machen zudem schon das Durchblättern zu einem Genuss. Probieren will man danach eigentlich alles, und zwar am besten sofort. Mmmmh! (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Ayọ̀bámi Adébáyọ̀: Bleib bei mir

Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch, Piper Verlag 2018, 352 S., diese Ausgabe ist vergriffen, aber als Piper TB ist der Roman lieferbar, € 12,-

(Stand März 2021)

Adebayo_Bleib_bei_mir_Danteperle_DanteConnectionYejide und Akin leben als modernes nigerianisches Paar entgegen der polygamen Traditionen in romantischer Liebe zu zweit. Auch der jahrelang unerfüllte Kinderwunsch kann daran nichts ändern – eigentlich. Denn irgendwann wird der familiäre und gesellschaftliche Druck so hoch, dass Akin einer zweiten Ehefrau zustimmt, allerdings ohne dies mit Yejide zu besprechen. Mit dieser Entscheidung ändert sich alles, nichts bleibt mehr wie es war. Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ erzählt in ihrem beeindruckenden Debüt die Geschichte einer Ehe, die zwischen Wünschen und Erwartungen, Vertrauen und Enttäuschung sowie Verlust und Trauer zerrieben wird. Ausgesprochen elegant und ohne feste Chronologie verschränkt sie in Rückblenden Yejides und Akins Perspektiven. En passant scheint dabei immer wieder die politische Geschichte Nigerias durch den Erzählfluss, in den aufs Schönste zahlreiche traditionelle Märchen und Mythen eingebunden sind. Und Adébáyọ̀ überrascht mit einem positiv offenen Ende. (Jana Kühn) Leseprobe

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