Berenberg 2017, 176 S., € 22,-
(Stand April 2021)
Im London des Jahres 1870 sind Tischrücken und Séancen schwer in Mode. Das weiß auch der angesehene Physiker und Chemiker William Crookes, und so erklärt er sich bereit, das stadtbekannte Medium Florence Cook wissenschaftlich zu untersuchen. Sie lässt – selbst wie ein Paket verschnürt und gefesselt in einem Schrank hockend – Katie erscheinen, eine weiß gekleidete Piratenbraut aus dem 17. Jahrhundert. Nur dass die hochmodernen Vakuumkammern und Radiometer seines Labors nicht weiter helfen und Crookes innere und äußere Welt immer mehr aus den Fugen gerät. Christine Wunnicke ist eine höchst geistreiche und äußerst amüsante Satire gelungen, die auf realen Fakten beruht. Ein herrliches Lesevergnügen, von der ersten bis zur letzten Seite. (Syme Sigmund)
Leseprobe

Amal ist jung, aus reichem Hause und steht am Beginn einer vielversprechenden Schauspielerkarriere. Hammoudi hat sein Medizinstudium in Paris mit Auszeichnung abgeschlossen und ist nur nach Syrien zurückgekehrt, um seinen Pass verlängern zu lassen. Beide werden durch den Beginn des Krieges aus ihrem Leben gerissen. Amal sympathisiert mit den Protesten gegen das Regime und nimmt in Damaskus an Demonstrationen teil. Dadurch gerät sie ins Visier des Geheimdienstes. Nach Verhaftung und Folter entkommt sie nach Beirut. Hammoudi überraschen die beginnenden Kämpfe in seiner Heimatstadt im Osten Syriens. Er versucht unter improvisierten Bedingungen so vielen Verletzten wie möglich als Chirurg das Leben zu retten und sieht tausende sterben. Die Machtübernahme des IS zwingt auch ihn zur Flucht. Olga Grjasnowa verschont den Leser nicht, erzählt in nüchtern klarer Weise von Folter, Flucht und Krieg und führt uns vor Augen, was wir zu gern verdrängen. Ein wichtiges Buch, das unter die Haut geht. (Syme Sigmund)
Was ist dieses Buch? Erinnerung an eine Kindheit im Sozialismus der siebziger Jahre? Reise in die Tiefe der bulgarischen Geschichte? Buch über die Vergänglichkeit und den Versuch, Erinnerung zu bewahren? Es ist all dies und noch viel mehr. Gospodinov erzählt auf verschlungenen, labyrinthischen Wegen, voller Abschweifungen und Assoziationen und kehrt doch immer zu seinen zentralen Themen zurück. Absurdes und Einfaches vereinend erscheint die Melancholie immer dicht neben urkomisch skurrilen Gedanken und Seitenwegen. Hingerissen folgt man ihm als Leser, verzaubert von dem kühnen Versuch, auf experimentell-verspielte und absurd-witzige Weise alles zu vereinen, Bulgarien, die Quantenphysik, Zeitkapseln, den Minotaurus, die Erinnerungen seines Großvaters, eine einsame Kindheit im dunklen Souterrain … und damit ist noch lange nicht alles gesagt. (Syme Sigmund)
39 Städte, von Aarau bis Zug über Berlin, Detroit, Odessa und Venedig, Städte, in denen Andruchowytsch – teils über längere Zeit, teils nur für einen Tag, teils als Kind, teils erst vor wenigen Jahren – gewesen ist. Es ist kein Städteführer, der sich hier vor uns entfaltet, sondern ein Kaleidoskop der Erinnerungen, Gefühle, Anekdoten und Betrachtungen. Mal sind sie heiter, mal melancholisch, mal skurril und mal ergreifend (wie die Schilderung seiner persönlichen Erlebnisse in Kiew in den Tagen des Maidan) und immer schafft er es zu überraschen. So folgen wir ihm neugierig nach Prag, das er mit den Augen eines Achtjährigen betrachtet, auf Friedhöfe in Odessa oder in die Straße in Warschau, die einst David Bowie entlang gegangen ist. Ein bisweilen hochpoetisches Buch zum Stöbern, Lachen, Nachdenken und Staunen. (Syme Sigmund)
Es beginnt mit einem Brief Cäsars, der seinen Großneffen Gaius Octavius schätzt und fördert. Doch kurz darauf ist der Herrscher einem Attentat zum Opfer gefallen. Was wird nun aus dem jungen, ehrgeizigen Großneffen, der eigentlich der Philosophie und Gelehrsamkeit zuneigt? In fiktiven Briefen, Tagebucheinträgen und Dokumenten zeichnet Williams das Leben und die Persönlichkeit des uns heute als Augustus bekannten Gaius Octavius nach, seinen Weg zur Macht, der ihn als Menschen verändert, seine lange Regierungszeit mit ihren politischen Verschiebungen, schließlich seinen Tod. Es ist großartig, wie Williams umkreist, was und wie es gewesen sein könnte und dabei den verschiedenen Figuren, Freunden, Familienmitgliedern, Zeitgenossen, Gegnern Augustus‘ eine sehr lebendige Stimme verleiht. Sofort gerät man hinein in den Sog einer bewegten Zeit, die der unsrigen so fern liegt und von der doch so viele Verbindungslinien zu uns führen. (Judith Krieg)
Als Nachrichtenoffizier zog der Brite Norman Lewis im Herbst 1943 mit der US-Armee in das soeben befreite Neapel ein. Ein Jahr verbrachte er hier und schrieb in dieser Zeit ein Tagebuch, in dem er seine Erlebnisse und Eindrücke festhielt. Seine hervorragenden Italienischkenntnisse ermöglichten es ihm, in engen Kontakt mit der Bevölkerung zu treten. Lewis begegnet dieser ihm fremden Welt voller Anteilnahme und Zuneigung, und beschreibt als aufmerksamer Beobachter Szenen voller Not, Lebenshunger und typisch neapolitanischer „Furbizia“, der Kunst, mit Schläue, Improvisationskunst und List das Leben zu meistern. So entstand ein äußerst interessantes, teils amüsantes, teils bedrückendes Dokument dieser so faszinierenden Stadt auf der Schwelle zwischen archaischer Tradition und Moderne. (Syme Sigmund)
Alfredo Cannella und Donka Berati lernen sich an der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi kennen. Beide sind ambitioniert und ehrgeizig, wobei Donka der vielversprechendere ist. Aber Donka ist Albaner und studiert mit Stipendium, Alfredo hingegen ist Sohn eines erfolgreichen venezianischen Unternehmers. So driften ihre Leben immer weiter auseinander. Spannend entfaltet sich ein Panorama, in dem die Verquickungen von Wirtschaft und Politik, von Profitgier und Skrupellosigkeit Alfredo alle Spielräume eröffnen, während Donka sich an einer Realität abarbeitet, in der ohne Beziehungen, Betrug und Bestechung kein Erfolg möglich ist. Wie viel ist er bereit zu opfern, um doch noch von einer Taube zum Falken zu werden? Ein rasanter Roman über die italienischen (und weltweiten) Machtverhältnisse hinter den Kulissen, der von Klaudia Ruschkowski glänzend übersetzt wurde. (Syme Sigmund)
Rumänien 1991. Emma ist dreizehn und lebt, seit ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, im Internat. Eines Tages erscheint eine Frau, die behauptet, ihre Großmutter zu sein. Emma zieht zu ihr, doch in der Schule wird sie gemobbt, denn ihre Großmutter und der verstorbene Großvater sollen als Spitzel aktiv gewesen sein. Mit Mut und Durchhaltevermögen behauptet sich Emma, erfährt Liebe und Freundschaft, wo sie es nicht erwartet, und nach und nach kommt die Wahrheit über ihre Familie und das ganze Städtchen ans Licht, in dem keiner frei von Schuld ist. In dichter, magisch-düsterer Prosa erzählt Dragomán vom Erwachsenwerden eines Mädchens in finsteren Zeiten, beklemmend, verstörend, fesselnd – und unbedingt lesenswert. (Syme Sigmund)
Brugnon ist Erbe eines großen Familienunternehmens. Impulsiv und unbeherrscht regiert er despotisch in seinem kleinen Reich, schont dabei aber auch sich selber nicht. Die Liebe zu einer jungen Angestellten, die ihn kaltblütig ausnutzt, führt in die Krise bis zur Katastrophe. Pierre Bost, ein Meister der psychologischen Studie und der Gesellschaftsanalyse, zeichnete hier schon 1928 das äußerst aktuell anmutende Bild der Midlifecrisis eines sich bis an die Grenzen des Burnouts verausgabenden Geschäftsmannes, eines Workaholics, ständig in Eile und das Telefon kaum je aus der Hand legend. Sich selbst überschätzend, von einer späten Leidenschaft hinweggerissen und alle Ratschläge in den Wind schlagend schlittert er unerbittlich in den totalen finanziellen und persönlichen Ruin. (Syme Sigmund)
Neun Geschichten von neun Männern erzählt uns Serij Zhadan, Männern mit verlebtem Aussehen und alten Narben, mit Trainingsanzügen und Lackschuhen, die sich nach Liebe sehnen, große Träume hegen und meist nur bei Sex und Alkohol landen. Doch eigentlich erzählt Zhadan in all diesen Geschichten vor allem von seiner Heimatstadt Charkiv, die auf Hügeln zwischen zwei Flüssen liegt. Es ist eine verfallende, melancholische Welt, die uns hier begegnet, voll maroder Technik, billiger Gaststätten und Staub aufwirbelnder Winde. Die Protagonisten bewegen sich zwischen verlassenen Lagerhallen, und roten Ziegelmauern über denen ein tiefhängender Mond sein bleiches Licht verströmt. Und all dies wird mit einer so poetischen Sprache erzählt, dass man oft inne hält, ein bestimmtes Bild auf sich wirken zu lassen, bis der Schlussteil ganz zu Lyrik wird, die das Vorhergegangene ergänzt und den Leser vollends in den Bann der spröden, schönen Sprache schlägt. (Syme Sigmund)