2 Bände mit Begleitbuch. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Luchterhand Literaturverlag 2019, 1056 S., € 48,-
(Stand März 2021)

Existentielle menschliche Erfahrungen wie Einsamkeit, Abgründe in Beziehungen und Familien oder die Suche nach Sinn, darum geht es in Askildsens Erzählungen und wenigen Kurzromanen. Geschrieben in einer knappen Sprache, bei der jedes einzelne Wort sitzt, kongenial von Hinrich Schmidt-Henkel übersetzt, entfalten die Geschichten beim Lesen einen ungeheuren Sog. Die große Bandbreite der Dramen des Lebens finden sich in nur Tausend Seiten Gesamtwerk, die es aber in sich haben. In Norwegen längst Vorbild und Referenz und in 20 Sprachen übersetzt, ist Kjell Askildsen hierzulande noch ein absoluter Geheimtipp. (Stefanie Hetze) Leseprobe


Was ist Herkunft, wo komme ich her? Nicht ein Geburtsort, eine Nation oder gar Nationalität. Herkunft – das sind Erinnerungen, Geschichten, Menschen. Die Großeltern, ein Dorf in den bosnischen Bergen, aus dem die Familie stammt, die Jungendfreunde an der ARAL-Tankstelle in der Hochhaussiedlung in Heidelberg, die erste Freundin, die Eltern, die in Deutschland nicht Fuß fassen, die Kindheit in Višegrad. Saša Stanišić flicht ein Netz aus Geschichten von vor und nach der Katastrophe des Krieges, der die Familie in die Fremde zwang und alle frühen Erinnerungsorte mit Gräuelnachrichten überschrieb, verwebt feinfühlig, flirrend, poetisch und doch klarsichtig und voller Witz Erinnerungen und Anekdoten, spricht von Sprache, Emigration, Scham und Ausgrenzung, von Zerrissenheit, Familie und Freundschaft. Kein „Zugehörigkeitskitsch“, sondern Zwischentöne.
Darius Kopp, der Mora-Lesern schon bekannte, einfach gestrickte Gemüts- und Genussmensch, versinkt nach dem Selbstmord seiner Frau Flora in tiefer Trauer. Um nach einer geeigneten Grabstelle für die Asche seiner Frau zu suchen, macht er sich – zunächst von Floras ungarischer Herkunft und sodann vom Zufall geleitet – auf in Richtung Osteuropa, wo es ihn bis nach Georgien verschlägt. Diesem teils feinsinnig-melancholischen, teils komisch-absurden Roadmovie stellt Mora – parallel gedruckt – Aufzeichnungen Floras gegenüber, aus denen ihre schwere, von ihrem Mann nicht bemerkte Depression spricht. Damit erhält Kopps Reise eine weitere, tiefere Ebene, die uns in menschliche Abgründe schauen lässt. Moras sprachliche Kraft, ihr gekonntes Changieren zwischen verschiedenen Erzählperspektiven und ihr unverwechselbarer Ton machen das Buch zu einem großen, lange nachwirkenden Leseerlebnis. (Syme Sigmund)