Karina Urbach: Das Buch Alice – Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten

Propyläen Verlag 2020, 420 S., € 25,-, TB Ullstein 2021, € 12,99

(Stand Oktober 2021)

Urbach_Karina_Das_Buch_Alice_Danteperle_Dante_Connection_BuchhandlungDieses Buch ist ein Hybrid aus spannender Familienbiografie, historischem Sachbuch, investigativer Dokumentation, politischer Anklage und rasantem Thriller. Auslöser ist ein österreichisches Kochbuch, das die Wiener Großmutter der Autorin Anfang der Dreißiger im Ernst Reinhardt Verlag erfolgreich veröffentlichte. Als Jüdin wurde sie von den Nazis vertrieben, sie überlebte in England als ausgebeutete Hausangestellte und erreichte nach vielen Stationen die USA, wohin sich ihre Söhne gerettet hatten. Nach Vertreibung, unguten Exilerfahrungen und all dem Leid, das ihr mit der Ermordung vieler Nahestehender zugefügt worden war, erfuhr Alice Urbach nach dem Krieg ein weiteres Trauma – die Tilgung als Autorin. Ihr Verlag hatte, wie sie zufällig entdeckte, ihr eigenes Kochbuch unter einem Männernamen und gekürzt einfach weiter publiziert und gutes Geld damit verdient!
Wie die Historikerin Karina Urbach darlegt, ist dieses skandalöse Vorgehen, die „Arisierung“ von Sachbüchern jüdischer Urheber*innen leider kein Einzelfall in der Verlagsbranche und bislang nicht richtig erforscht. Pointiert und spannend wie ein Krimi, aber mit verbürgten Quellen, hat sie nun den entscheidenden Anfang gemacht, ihrer Großmutter wenigstens nachträglich Anerkennung zu verschaffen und die Öffentlichkeit für dieses perfide Verbrechen wachzurütteln. (Stefanie Hetze)

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Saša Stanišić: Herkunft

Luchterhand Literaturverlag 2019, 360 S., € 22,-, btb TB 12,-

(Stand März 2021)

Stanisic herkunftDanteConnection_Danteperle Was ist Herkunft, wo komme ich her? Nicht ein Geburtsort, eine Nation oder gar Nationalität. Herkunft – das sind Erinnerungen, Geschichten, Menschen. Die Großeltern, ein Dorf in den bosnischen Bergen, aus dem die Familie stammt, die Jungendfreunde an der ARAL-Tankstelle in der Hochhaussiedlung in Heidelberg, die erste Freundin, die Eltern, die in Deutschland nicht Fuß fassen, die Kindheit in Višegrad. Saša Stanišić flicht ein Netz aus Geschichten von vor und nach der Katastrophe des Krieges, der die Familie in die Fremde zwang und alle frühen Erinnerungsorte mit Gräuelnachrichten überschrieb, verwebt feinfühlig, flirrend, poetisch und doch klarsichtig und voller Witz Erinnerungen und Anekdoten, spricht von Sprache, Emigration, Scham und Ausgrenzung, von Zerrissenheit, Familie und Freundschaft. Kein „Zugehörigkeitskitsch“, sondern Zwischentöne.
Nachdenklich, erfüllt, berührt und auch heiter verfängt man sich und will immer noch mehr. Eine unbedingte Empfehlung! (Syme Sigmund) Leseprobe

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Gaito Gasdanow: Nächtliche Wege

Aus dem Russischen von Christiane Körner, Hanser 2018, 288 S., € 23,-, TB 2020, € 10,90
(Stand April 2021)

Paris der zwanziger Jahre bei Nacht. Der Ich-Erzähler ist als Taxifahrer unterwegs, fährt durch die verlassenen Straßen, wartet vor Bars, sitzt in Cafés und beobachtet – Prostituierte und Zuhälter, Clochards und Alkoholiker, Kriminelle und andere entwurzelte russische Emigranten wie er selbst. Mit feiner Beobachtungsgabe, ohne zu verurteilen und mit viel psychologischem Gespür beschreibt Gasdanow – der selbst viele Jahre in Paris als Nachtchauffeur gearbeitet hat – die Menschen, in der ihm „fremden Stadt in einem fremden Land“. Nach und nach treten einzelne Figuren hervor – Platon, der philosophierende Alkoholiker oder Raldy, die alte, nun völlig verarmte Edelprostituierte, deren ehemaliger Glanz nur noch in ihren Augen zu erahnen ist. Gasdanow begleitet sie voller Respekt und lauscht ihren Geschichten. Der Leser taucht ein in den Strudel der mal absurden, mal tragischen und berührenden Schicksale, sie vermischen sich zu einem Reigen, dessen Zauber man sich – auch aufgrund der virtuosen Sprachmacht des Autors – nicht entziehen kann. Ein literarisches Meisterwerk! (Syme Sigmund) Leseprobe

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Edmondo De Amicis: Auf dem Meer

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Mit einem Nachwort von Erri de Luca. Corso / Verlagshaus Römerweg 2015
Die deutsche Ausgabe ist leider nicht mehr lieferbar.
(Sull’oceano, Garzanti 2009, ca. € 16,50)
(Stand März 2021)

25_de_amicis_aufdemmeer1884 unternimmt  Edmondo de Amicis eine Schiffspassage von Genua nach Uruguay. Während der erfolgreiche Schriftsteller mit wenigen anderen wohlhabenden Mitreisenden angenehm in der 1. Klasse reist, ist die Galileo vollgestopft mit Auswanderern, die fast ihr letztes Hemd gegeben haben für die Aussicht auf ein Leben in Südamerika ohne Hunger und Elend. Dazwischen gibt es noch wenige Bürgerliche in der 2. Klasse. Diese Aufteilung  entspricht den sozialen Verhältnissen. De Amicis nutzt die lange Seereise, die Menschen aus diesen unterschiedlichen Gruppen genau zu beobachten und sie mit ihren Besonderheiten und Eigenarten anschaulich zu porträtieren. Da entsteht ein vielstimmiger menschlicher Kosmos, ein mikroskopisches Abbild der italienischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Seine schöne lebendige Sprache, die Annette Kopetzki trefflich ins Deutsche übertragen hat, läßt einen wirklich mitreisen. Und beim Lesen schwingt, wie Erri de Luca betont, immer mit, dass die 3.Klasse-Emigranten von damals luxuriös reisten im Vergleich mit den Flüchtlingen von heute. (Stefanie Hetze)

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Jérôme Ferrari: Balco Atlantico

Aus dem Französischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag 2013, 210 S., € 19,95
(Stand März 2021)

ferrari-balco-atlantico_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDer korsische Nationalist Stéphane Campana stirbt duch zwei Kugeln, die aus nächster Nähe auf ihn abgefeuert werden. Raffiniert verschachtelte Erzählungen und Erinnerungen unterschiedlicher Dorfbewohner entfalten nach und nach die Geschichte des Toten und damit verbunden die gewalttätige Geschichte des korsischen Nationalismus zwischen 1985 und 2000. Parallel dazu erfahren wir das Schicksal eines marokkanischen Geschwisterpaares, das seine Heimat voller Hoffnung verlässt und in dem korsischen Dorf vergeblich versucht, den Glauben an ein mögliches Glück nicht zu verlieren.
Teils Krimi, teils Liebesgeschichte, ist der Roman vor allem ein ergreifendes Kaleidoskop menschlicher Sehnsüchte, Selbstzweifel und Ängste sowie der erschreckenden Gefühlskälte selbstherrlicher politischer Extremisten. Ferrari entfaltet auf nur 160 Seiten einen Kosmos aus Sätzen, die noch lange haften bleiben. (Syme Sigmund)

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Valeska Gert: Die Bettlerbar von New York

L.S.D. 2012

(Stand März 2021)

gert-die-bettlerbar-von-new-york_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzberg1941 eröffnete die exzentrische Avantgarde-künstlerin Valeska Gert, die im Berlin der 20er und 30er Jahre mit ihren schonungslosen Tanzstücken Furore gemacht hatte,  aus dem  Nichts heraus  im New Yorker Greenwich Village ein Kabarett. Wie sie als Emigrantin „The Beggar Bar“ trotz massiver Behinderungen zu einem Treffpunkt der Bohème macht, ist ungemein unterhaltsam zu lesen. Ihre  grandiosen  Erinnerungen  sind nach über 50 Jahren endlich wieder erhältlich.

Dieses Buch ist leider nicht mehr lieferbar!