Jean Rhys: Die weite Sargassosee

Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Walitzek. Schöffling 2015, 232 S., € 21,95, dtv TB € 10,90

(Stand März 2021)

32_rhys_sargassoseeJamaica zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Antoinette, Tochter eines Plantagenbesitzers und ehemaligen Sklavenhalters, lebt nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter allein und abgeschieden auf dem Gut. Ein paar Angestellte sind geblieben, doch der vormalige Reichtum und das Ansehen sind Vergangenheit. Die beiden werden gemieden, angefeindet. Die weißen Inselbewohner belächeln die Armut, die Schwarzen nennen sie “weiße Kakerlaken”. Hässliche Gerüchte und Halbwahrheiten sind im steten Umlauf. Als junge Frau wird Antoinette schließlich in einer Art Hochzeitskauf mit  dem jungen Engländer Mr. Rochester verheiratet. Das frischvermählte Paar zieht auf ein paradiesisches Anwesen am Meer, wo jedoch binnen kürzester Zeit eine Ehehölle entsteht. Missverständnisse, Ängste, Voodoo und Alkohol treiben das Paar nicht nur auseinander, sondern in rasend blinden Hass. Rhys erzählt aus beiden Perspektiven von zwei Menschen, die kaum verschiedener sein könnten und einander schlicht nicht verstehen. Wer Charlotte Brontës “Jane Eyre” gelesen hat, wird die Protagonisten wieder erkennen, denn Jane Rhys gibt der bei Brontë überaus unsymphatisch, lediglich als wahnsinnig beschriebenen jamaikanischen Ehefrau Rochesters eine Stimme, endlich auch ihre Version der Geschichte zu erzählen. Herzzerreißend  – ein wunderbarer moderner Klassiker in neuer Übersetzung! (Jana Kühn)

Leseprobe

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Judith Barrington: Wiederbelebung

Erinnerungen. Aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen, edition fünf 2014, 216 S., € 19,90

(Stand März 2021)

21_barrington_wiederbelebungJudith Barrington ist 19, als ihre Eltern 1965 bei einem Schiffsunglück ums Leben kommen. Zu jung, um mit dem Verlust bewusst umzugehen, verfällt sie in eine Starre der Trauer und flüchtet kurze Zeit später in einen Sommerjob  nach Spanien. Hier ist sie mit 1,80 m Körpergröße und ihren weißblonden Haaren so fremd, dass sie ihre innere Fremdheit äußerlich leben kann. Sie hat Affären mit zahllosen Männern, rast im Cabrio über kurvige Landstraßen und trinkt bis spät in die Nacht mit einer ansonsten ausschließlich männlichen Clique. Sie inszeniert sich als unabhängige Frau und tut alles, um nicht über sich selbst nachzudenken. Wie sie es schließlich schafft, sich ihrer eingenen Verzweiflung und Hilflosigkeit zu stellen und auch ihre Liebe zu Frauen für sich selbst zu akzeptieren, beschreibt Barrington in frischer, humorvoller und durchaus selbstironischer Weise. Dass gleichzeitig das Katalonien der sechziger Jahre ganz lebendig vor unseren Augen wiederersteht ist ein weiteres Plus dieses sehr lesenswerten Buches. (Syme Sigmund)
Leseprobe

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Teju Cole: Jeder Tag gehört dem Dieb

Aus dem Englischen von Christine Richter-Nilsson. Mit Fotografien von Teju Cole. Hanser Berlin 2015, 173 S. (HC vergriffen), TB Ullstein 2024, € 12,99

(Stand Februar 2024)

6_cole_jeder-tagNach fünfzehn Jahren New York reist der namenlose Erzähler mit Doppelstaatsangehörigkeit zurück nach Lagos, seinen Kindheitsort. Schon die erste Station seiner Heimreise im nigerianischen Konsulat in New York, wo er auf abstruse Verfahren zum Erreichen einer Passverlängerung trifft, konfrontiert ihn mit dem, was ihn erwartet: Korruption, Bestechlichkeit, eine unduchschaubare Bürokratie. Als er dann endlich “zu Hause” auf dem Flughafen landet, fühlt er einen kurzen Moment der Ekstase. Schnell wird sie jedoch abgelöst von Irritation und Entsetzen angesichts des Chaos, der allgegenwärtigen Schattenwirtschaft und Gewalt. Doch der Erzähler gibt nicht auf, trifft Verwandte und Freunde, sieht extremen Verfall und Vernachlässigung in Museen, Buchhandlungen und Plattenläden. Er fühlt sich vertraut, ist fasziniert, dann wieder abgestoßen und voller Wut. Nachts bei Lärm und Stromausfällen suchen ihn die Schatten seiner Vergangenheit heim. Er hatte sich damals aus Nigeria davongestohlen und versucht jetzt, Erinnerungsfetzen mit dem Moloch Gegenwart zusammenzubringen und sie in Geschichten zu verwandeln. Ihn dabei beim Lesen zu begleiten, macht den ungeheuren Reiz dieser Reiseerzählung aus. Und Coles zwischen Schönheit und Tristesse changierende Fotografien geben da noch eins drauf. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Kojo Laing: Die Sonnensucher

Hrsg. v. Ilija Trojanow. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Edition Büchergilde – Weltlese 2015, 540 S., € 22,95

(Stand März 2021)

18_laing_-sonnensucherGhana, die chaotisch-quirlige Hauptstadt Accra in den Siebziger Jahren – hier leben exzentrisch-zerrissene Individuen, die ständig auf der Suche sind und zum großen Teil recht abstruse Träume haben. Da ist ein alter Mann, der Spenden für eine Dorfneugründung erbettelt, eine junge Frau, die fliegen kann, einer, der versucht Rennpferde als Ackergäule einzuschmuggeln… Sie alle zeichnen sich durch eine phantastische überreiche Gefühlswelt aus. Konkrete Dinge haben für sie selbstverständlich ein Eigenleben. Europäische Lesegewohnheiten sind da erst einmal irritiert. Aber taucht man erst einmal ein in diese verschlungenen surrealen Welten, die durch viel Gelächter immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt werden, lässt sich ein großes Leseabenteuer erleben. Lange vergriffen ist dieser virtuose Klassiker der afrikanischen Moderne jetzt endlich wieder zu entdecken. (Stefanie Hetze)

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Lizzie Doron: Who the Fuck Is Kafka

Roman. Aus dem Israelischen von Mirjam Pressler. dtv 2015, 264 S., € 10,90

(Stand März 2021)

doron-who-the-fuck-is-kafka_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDie israelische Autorin Lizzie Doron schreibt dezidiert von Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben. Eindringlich hat sie  die Auswirkungen der Shoah auf die Überlebenden und ihre Nachkommen zum Herzstück ihrer Romane gemacht und sich immer wieder mit den Traumata der Vergangenheit auseinandergesetzt. In Who the Fuck Is Kafka erzählt sie von der Gegenwart und einem wunderbaren Projekt, dem Versuch einer Freundschaft im heutigen Israel zwischen einem palästinensischen Journalisten und einer israelischen Schriftstellerin. Er möchte über sie beide einen Film drehen, sie ein Buch schreiben. Unterstützt von diversen enthusiastischen Unterstützerinnen außerhalb Israels bemühen sie sich um  gegenseitige Besuche im Zuhause des anderen und um Treffen in den jeweiligen öffentlichen Räumen. Doch die politischen Realitäten in Israel schlagen voll zu. Es kommt zu Missverständnissen, wahnsinnig absurden Situationen und existentieller Bedrohung für ihn. Ein Buch, das unter die Haut geht und als erstes in Deutschland erscheint, wunderbar übersetzt und lektoriert von Mirjam Pressler. (Stefanie Hetze)

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Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau

Aus dem Französischen von Birgit Leib. Verlag Klaus Wagenbach 2015, 128 S., Wagenbach TB, € 9,90

(Stand März 2021)

Paul, genannt Polo, lebt in prekären Verhältnissen in einer Pariser Vorstadt. Die Mehrheit seiner Mitschüler stammt aus arabischen, afrikanischen und Romafamilien, er aber aus einer weißen, die in den Ferien nirgendwohin fährt, nicht einmal in ein Heimatland. Er bleibt immer zurück, schämt sich als klein, hässlich und ungeliebt. Nachts muss er seinem Vater bei dessen Putzjobs helfen und lernt beim Abstauben die unterschiedlichsten Milieus kennen. Am Liebsten arbeitet er in der Bibliothek, in der er seine Liebe zu Wörtern und Büchern entdeckt. Während sein Vater Demütigungen bei der Arbeit mit zotigen Witzen wegsteckt und die Welt in einfachen Schablonen erklärt, reagiert Polo auf Ausgrenzung und Liebeskummer mit literarischen Anspielungen und schrägen Witzen, über die kaum jemand lacht. Es macht großen Spaß, seine Entwicklung zu verfolgen, da Saphia Azzeddine ihm sprachvirtuos eine große Bandbreite zwischen Jungsphantasien und Identifikation mit Romanfiguren verleiht. Und ganz nebenbei erfährt man eine Menge  über Jugendliche in den berüchtigten Banlieus. (Stefanie Hetze)

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Lola Shoneyin: Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi

Aus dem Englischen von Susann Urban, herausgegeben von Ilja Trojanow, Weltlese, Band 13, Edition Büchergilde 2014
Dieses Buch ist leider vergriffen.
(Stand März 2021)

shoneyin-baba_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergWarum nur entscheidet Bolanle, Baba Segis vierte Frau zu werden? Ein Leben als Nr. 4 an der Seite eines alten und dickbäuchigen Stumpfkopfes? Der klugen, jungen Frau mit akademischer Ausbildung hatten reichlich andere Türen offen gestanden; warum also wählt sie diese? Hinter der Entscheidung steht ein tragisches Geheimnis, das Bolanle vor der Welt versteckt. Auch Baba Segis andere Ehefrauen hüten sich, so manches Detail ihres Lebens preis zu geben. Doch entsteht dadurch keinesfalls Verbundenheit zwischen den vier Frauen. Binnen kurzer Zeit wackelt der gesamte Hausfrieden Baba Segis Großfamilie. Bolanle wird als Bedrohung wahrgenommen und ist nach anfangs harmlosen, kleinen Anfeindungen immer tückischeren Intrigen und Angriffen ausgesetzt. Nur so viel sei verraten, alles fliegt auf und Baba Segi bald sein scheinbar großes Patriarchenleben um die Ohren. Immer wieder zutiefst anrührend und in bedrückend klarer Sprache, dennoch mit viel klugem Witz ist der Roman ein erhellendes Porträt des heutigen Nigerias, wo nicht nur die Geschlechterrollen zwischen Tradition und Moderne balancieren. (Jana Kühn)

 

Deniz Yücel: Taksim ist überall

Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei, Edition Nautilus 2014, überarbeitete und erweiterte Ausgabe 2017, 242 S., € 14,90

(Stand März 2021)

nautilus_pbAls es Ende Mai 2013 in Istanbul zu Protesten gegen den geplanten Abriss des an den Taksim Platz angrenzenden Gezi Park kam, wurden diese von der türkischen Regierung im Stil eines Polizeistaates und mit enormer Gewalt niedergeschlagen. Binnen weniger Tage weitete sich der Protest dennoch aus, wurde zum Kampf einer heterogen Gemeinschaft, die Studenten, Homosexuelle, Gewerkschafter, Alt-Linke und junge politische Aktivisten ebenso wie bis dato politisch nur wenig Interessierte vereinte. Ihnen allen ging es um weit mehr als um die Rettung einer Grünanlage. Nicht weniger als ein sozialer Aufstand gegen die islamisch-konservative AKP-Regierung und Erdogans autoritären Regierungsstil fand statt. Der taz-Redakteur Deniz Yücel verbrachte neun Monate in Istanbul, um von den Geschehnissen zu berichten. Aus seinen Aufzeichnungen entstand diese Flugschrift, die anschaulich politische, historische und stadtplanerische Zusammenhänge rund um den Taksim-Platz erklärt und eine Vielzahl an persönlichen Interviews enthält, die Yücel mit sehr unterschiedlichen TeilnehmerInnen des zivilen Widerstands führte. Die entsprechend vielstimmige Flugschrift zeigt ein komplexeres, gleichwohl verständlicheres Bild der Gezi-Bewegung als es bisher von deutschen Medien gezeichnet wurde und ist darüber hinaus ein sehr lesenswerter Bericht über die gegenwärtige türkische Gesellschaft. (Jana Kühn)

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Deniz Utlu: Die Ungehaltenen

(Graf Verlag 2014), 240 S.,  List TB 2015, € 12,-

(Stand Mai 2023)

die_ungehaltenen_danteperle_dante_connectionDer junge Deutschtürke Elyas lebt in Kreuzberg, gerade geht aber auch alles schief: Er hat sein Jurastudium an den Nagel gehängt, der Vater hat Krebs, seine Freundin verläßt ihn, die Nachmittage in der Kneipe bringen es nicht, auch die Anrufe der Mutter erträgt er nicht. Nur die Gespräche mit seinem Onkel Cemal bringen ihn weiter. Cemal hat sich seinen Humor bewahrt, obwohl er neben seiner Heimat Türkei auch seinen Kreuzberger Kiez zu verlieren droht.
“Die Ungehaltenen” ist ein Roman, der viel und Großes thematisiert: Einwandererschicksale der ersten Generation und der ihrer Kinder,  das sich verändernde Berlin vor und nach dem Mauerfall, die Gentrifizierung Kreuzbergs, leere Integrationsrituale, Wut auf die sozialen Verhältnisse, Trauer um die sterbenden oder hilflosen Eltern. Dazu gibt es eine zarte Liebesgeschichte, eine ziemlich beschwerliche Reise über Istanbul an den väterlichen Herkunftsort. Das ist alles sehr leichthändig, poetisch und leidenschaftlich nah an den Menschen geschrieben, die er porträtiert. Ein virtuoser Debütroman, dem wir viele Leserinnen und Leser wünschen. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah

Aus dem Englischen von Anette Grube, (S. Fischer Verlag 2014), 608 S., Fischer TB  € 14,-

(Stand März 2021)

21-adichie_americanahIfemelu und Obinze verlieben sich noch während ihrer Schulzeit in Lagos. Eine überraschende Entschlossenheit füreinander verbindet das selbstbewusst kluge Mädchen mit dem etwas draufgängerisch beliebten Jungen. Die lähmende Perspektivlosigkeit in Nigeria lässt Ifemelu schließlich ihre Heimat verlassen: sie studiert in den USA. Jahre später verlässt auch Obinze das Land und lebt illegal in London. Einfühlsam und bewegend begleitet Adichie ihre Protagonisten auf den sehr unterschiedlichen Lebenswegen. Ifemelu schreibt einen Aufsehen erregenden und kritischen Blogg zum Thema als Schwarze in den USA zu leben und den damit einhergehenden alltäglichen Rassismus. Obinze erfährt viel Demütigung, wird abgeschoben und steigt final zu einem erfolgreichen Geschäftsmann in Nigeria auf. Nach vielen Jahren treffen die beiden in Lagos wieder aufeinander, und alles und nichts ist, wie es vorher war. Ein politisches, ein anregend nachdenkliches, auch ein romantisches, vor allem ein mitreißendes Buch! (Jana Kühn)

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