Andrea Bajani: Erkennst du mich

Aus dem Italienischen von Pieke Biermann, dtv 2014
Die deutsche Ausgabe ist leider nicht mehr lieferbar.
(Mi riconosci, Feltrinelli 2018, ca. € 12,50)
(Stand März 2021)

bajani-erkennst-du-mich_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergWas bleibt von einer Freundschaft, wenn der eine Freund verstirbt? Was verharrt an den Orten, in den Büchern, im flüchtigen Element der Erinnerung von der Einzigartigkeit des anderen und von der einzigartigen Verbindung? In „Erkennst du mich“ (dtv; “Mi riconosci“, Feltrinelli 2013) spürt Andrea Bajani seiner Freundschaft zu Antonio Tabucchi nach, der 2012 verstorben ist. Er umkreist die Eigenheiten, die liebenswerten und auch die schwierigen Seiten des Freundes, er erinnert sich an den Anfang ihrer Freundschaft und an die letzten gemeinsamen Momente. Schreibend kehrt Bajani an Orte zurück, an denen sie Zeit miteinander verbracht haben – im Geburtshaus Tabucchis in der Toskana, in Paris, in Portugal. Der Schriftstellerfreund nimmt auch in den Motiven und im Stil des Buches Gestalt an: Fast scheint es, Tabucchi, selbst ein Autor der Erinnerung, verschmelze hier mit seinen eigenen Romanen, wie etwa dem tagträumerischen „Lissaboner Requiem“, indem er die wichtigen Toten in seinem Leben wiedergetroffen und im Schreiben eine letzte Unterhaltung geführt hatte. Andrea Bajani hat ein sehr persönliches, zartes, traurig-heiteres und auf seine Weise mutiges Buch geschrieben, das auch der Frage nachgeht, inwiefern man dem anderen gerecht wurde oder gerecht werden kann. (Judith Krieg) Leseprobe

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Esther Kinsky: Am Fluß

Matthes & Seitz 2014, 386 S., € 22,90

(Stand März 2021)

50-kinsky_flussAm Rande des äußersten nordöstlichen Zipfels Londons, da wo die Grenzen der Megastadt sich zerfasern und mit einer beginnenden Flußlandschaft vermischen, streift die Erzählerin in ausgedehnten ziellosen Spaziergängen umher. In dieser bizarr-schönen Halbwildnis entdeckt sie viel Verlassenes, Aufgegebenes, Angeschwemmtes. Sie betrachtet, fotografiert und erinnert. Ereignisse aus ihrer Kindheit tauchen auf. Wesentlich für die Einzelgängerin sind ihre Beobachtungen und Begegnungen mit ihren Nachbarn, den in ihrer Londoner Straße lebenden Einwanderern, aber auch prägende Erlebnisse an anderen Flüssen aus ihrer Vergangenheit. Wer sich auf Esther Kinskys mäanderndes Erzählen einlässt, auf ihre poetischen Beschreibungen des Marschlands, der Vögel, der Ziegel und all der anderen menschlichen Hinterlassenschaften, nimmt teil an einem zutiefst faszinierenden Lesespaziergang. (Stefanie Hetze)

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Raija Siekkinen: Wie Liebe entsteht

Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat, mit einem Nachwort von David Wagner, Dörlemann 2014, 176 S, € 17,-

(Stand März 2021)

Siekkinen-Leinen-US-uc.inddEs sind vor allem Frauen mittleren Alters, von denen die zehn kurzen Geschichten dieses schmalen, schön gestalteten Bands erzählen. Jede von ihnen befindet sich an einem Punkt ihres Lebens, der ein Weitermachen wie bisher unmöglich erscheinen lässt: der Tod eines geliebten Menschen, eine nicht enden wollende Renovierungen, ein Seitensprung. Es sind Geschiedene, Desillusionierte, innerlich Einsame, die uns in wie hingetupften skizzenartigen Szenen begegnen. Es passiert nicht viel, doch man taucht in den atmosphärisch dichten Erzählungen ein in Beschreibungen von Seelenlandschaften, die von der Sehnsucht nach einem Neuanfang, wahrer Liebe und Trost geprägt sind. Siekkinen schreibt Sätze die schlicht scheinen und doch voller versteckter Abgründe sind, die tief berühren und im Leser nachhallen. Für diesen in Finnland schon 1991 erschienenen Band wurde die Autorin für den Finlandia-Preis nominiert. In Finnland gilt die viel zu früh verstorbene Siekkinen, die Ingeborg Bachmann verehrte, heute als moderne Klassikerin. Nun ist sie endlich erstmals auf Deutsch erschienen. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Lutz Seiler: Kruso

Suhrkamp 2014, 484 S., € 22,95, Suhrkamp Taschenbuch, € 12,-

(Stand März 2021)

seiler-kruso_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDer Literaturstudent Ed Bendler hat den Boden unter den Füßen verloren: seine Freundin G. ist verunglückt, die Welt aus den Fugen. Kurzerhand lässt er sein bisheriges Leben in Halle hinter sich, sein Ziel: die Insel Hiddensee, in der DDR ein Ort für Aussteiger, Eigenbrötler, Idealisten und potentielle Republikflüchtige. Er findet dort Unterschlupf als Tellerwäscher im Gasthof Zum Klausner hoch über der Steilküste, der an eine rettende Festung erinnert und an ein Schiff mit illustrer Besatzung, vom ehemaligen Philosophiestudenten, genannt Rimbaud, bis hin zu Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, Sohn eines russischen Militärs und einer Zirkusartistin. Kruso, das eigentliche Kraftzentrum des Klausners, organisiert ein Netz von Unterkünften für die immer neuen Ankömmlinge, in seinen Augen Pilger und Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft, die er bis in den Fieberwahn hinein verteidigen wird, als sich mit dem Mauerfall alles ändert. Zwischen Ed und Kruso entwickelt sich eine besondere Freundschaft, die Eds Leben auf Hiddensee und darüber hinaus prägen wird und die um die Leerstellen und Verluste in ihrer beiden Leben kreist – Krusos Zwillingsschwester ist eines Tages über die Ostsee verschwunden. Der Lyriker Lutz Seiler hat einen sprachlich eindrucksvollen Roman geschrieben, eine eigenwillige Geschichte, die gleichzeitig zart ist und derb, leicht und traurig, versponnen und realistisch, und die eine besondere Version der Wendezeit erzählt. (Judith Krieg) Leseprobe

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Liza Cody: Lady Bag

Aus dem Englischen von Laudan & Szelinski, Argument Verlag – Ariadne Kriminalroman 2014, 300 S., € 17,-

(Stand März 2021)

cody_ladybag_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDie namenlose Baglady zieht mit ihrer  Windhündin Elektra durch die Straßen Londons. Ignoranz und dumme Sprüche gehören zur demütigenden Tagesordnung und sind dabei noch die harmlosen Varianten. Immerhin, ab und zu klimpert es ein paar Münzen – für den Hund wohlgemerkt! Doch mit einem ordentlichen Pegel vom algerischen Roten und eben Elektra, die sowieso alles am besten versteht, lässt sich dieses Leben auf der Straße doch ganz ruhig ertragen. Bis sie eines Tages genau dort ihrem ganz persönlichen Dämon (wieder)begegnet. Wie vom Blitz getroffen, will sie der neuen Frau an Satans Seite einen Rat zur Lebensrettung geben. Doch von da an überschlagen sich die Ereignisse. Screwball und Sozialdrama in einem, weit weniger ein Kriminalroman, aber in jedem Fall ist “Lady Bag” eine rasante und rabenschwarze Lektüre, die einen buchstäblich mitnimmt. Mindestens einer Baglady ist sicher jeder schon begegnet – hier in der Oranienstraße wohl eher mehrmals täglich. Liza Cody gibt ihrer Baglady zwar keinen Namen, doch ein Gesicht und eine Geschichte, die aufrüttelt und die man so schnell nicht vergessen wird. (Jana Kühn)

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Thomas Hettche: Pfaueninsel

Kiepenheuer und Witsch 2014, 352 S., € 19,99, btb TB 11,-

(Stand März 2021)

hettche-pfaueninsel_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDie Pfaueninsel war bei den preußischen Königen sehr beliebt. Schon Friedrich Wilhelm II nutzte sie als Liebesnest und sein Sohn widmete sich ihr intensiv, versammelte hier ein „Kuriositätenkabinett“ bestehend aus einer Manegerie fremdartiger Tiere (neben den Pfauen sprangen hier z.B. jahrelang auch Känguruhs über die Wiesen), fremdländischen Pflanzen – vor allem Palmen – und auch der damaligen Zeit fremd anmutenden Menschen. So lebten hier unter anderen ein Mann von den Sandwich-Inseln, ein „Riese“ von über zwei Metern Körpergröße – und Maria Dorothea Stackon, eine kleinwüchsige Frau, die 1812 mit sechs Jahren auf die Insel gebracht und diese ihr ganzes, achzig Jahre dauerndes Leben nur ein einziges Mal, für einen Tag verlassen wird. Hettche erzählt Maries Leben, das gezeichnet ist durch ihre „monströse“ Statur und manches Leid, aber auch von Liebe und Menschen, die hinter der „Zwergin“ die fragile, sensible Person zu sehen im Stande sind. Sie ist das „Schlossfräulein“ der Insel und ihr Leben wird begleitet und geprägt von den durch Friedrich Wilhelm III angeordneten Veränderungen. So erfährt der Leser anhand Maries Leben von der Arbeit Lennés, Fintelmanns und Schinkels, von den Tieren und Menschen der Insel und von der Entwicklung derselben vom königlichen Rückzugsort zur Touristenattraktion. Hettche erzählt mit so viel Einfühlungsvermögen und gleichzeitig so großem, detaillierten, geschichtstreuen Hintergrundwissen, dass man nach der fesselnden Lektüre nicht nur eine literarisch großartig geschriebene Lebensgeschichte sondern auch ein ausgesprochen interessantes Stück Kulturgeschichte aus der Hand legt. (Syme Sigmund)

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Lola Shoneyin: Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi

Aus dem Englischen von Susann Urban, herausgegeben von Ilja Trojanow, Weltlese, Band 13, Edition Büchergilde 2014
Dieses Buch ist leider vergriffen.
(Stand März 2021)

shoneyin-baba_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergWarum nur entscheidet Bolanle, Baba Segis vierte Frau zu werden? Ein Leben als Nr. 4 an der Seite eines alten und dickbäuchigen Stumpfkopfes? Der klugen, jungen Frau mit akademischer Ausbildung hatten reichlich andere Türen offen gestanden; warum also wählt sie diese? Hinter der Entscheidung steht ein tragisches Geheimnis, das Bolanle vor der Welt versteckt. Auch Baba Segis andere Ehefrauen hüten sich, so manches Detail ihres Lebens preis zu geben. Doch entsteht dadurch keinesfalls Verbundenheit zwischen den vier Frauen. Binnen kurzer Zeit wackelt der gesamte Hausfrieden Baba Segis Großfamilie. Bolanle wird als Bedrohung wahrgenommen und ist nach anfangs harmlosen, kleinen Anfeindungen immer tückischeren Intrigen und Angriffen ausgesetzt. Nur so viel sei verraten, alles fliegt auf und Baba Segi bald sein scheinbar großes Patriarchenleben um die Ohren. Immer wieder zutiefst anrührend und in bedrückend klarer Sprache, dennoch mit viel klugem Witz ist der Roman ein erhellendes Porträt des heutigen Nigerias, wo nicht nur die Geschlechterrollen zwischen Tradition und Moderne balancieren. (Jana Kühn)

 

Teffy: Champagner aus Teetassen

Meine letzten Tage in Russland. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Aufbau Verlag 2014
Dieses Buch ist leider nicht mehr lieferbar.
(Stand März 2021)

av_teffy_champagner_rz.inddDie Journalistin und Satirikerin Nadeshda Lochwizkaja alias Teffy (1872-1952) bricht 1918 zu einer Lesereise nach Kiew auf. „Jeder, der kann, geht in die Ukraine“, erklärt ihr Odessaer Impresario Guskin, denn in Wirklichkeit fliehen sie wie viele andere Aristokraten, Künstler und Bürger vor den Bolschewiki, und Teffy wird ihre Heimat nie wieder sehen.  Es beginnt eine Reise durch das in Chaos und Schrecken versinkende Land, doch die Autorin beschreibt sie voller Komik, mit ausgesprochen viel Ironie und ohne jedes Selbstmitleid. So hält man mit diesem Buch sowohl ein äußert interessantes Stück aus dem innersten erlebter Geschichte als auch ein höchst amüsantes, mit großem Gespür für absurde Szenen und die Lächerlichkeit menschlicher Eitelkeiten geschriebenes literarisches Werk in den Händen. (Syme Sigmund)
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Juan Gabriel Vásquez: Das Geräusch der Dinge beim Fallen

Aus dem Spanischen von Susanne Lange. (Schöffling Verlag 2014), 296 S., Fischer TB 11,-

(Stand März 2021)

das-geraeusch-der-dinge-beim-fallen_dante_connection_danteperleKolumbien 2009, der Jura-Professor Antonio stolpert über eine Zeitungs-Notiz, die vom verwaisten Zoo des ehemaligen Drogenbarons Pablo Escobar erzählt. Die Lektüre ruft einen Sog der Erinnerung wach, an seine Billard-Bekanntschaft mit Ricardo Laverde, an einen gemeinsamen Spaziergang in Bogotá, auf dem Laverde ermordet und der Erzähler selbst schwer verwundet wird. Erinnerung an seine Suche nach den Puzzlestücken der Vergangenheit, die ihn unter anderem zu abgestürzten Flugzeugen und zurück in die von Gewalt geprägten 80er und 90er Jahren führt, ihn aber auch auf eine Liebesgeschichte zwischen einer Amerikanerin und einem Kolumbianer stoßen lässt und auf Laverdes Tochter Maya. Nach und nach erschließen sich die Zusammenhänge, zugleich erkennt Antonio, wie sehr das Leben von Dingen bestimmt wird, die wir selbst nicht in der Hand haben. Ein sehr intensives Buch, spannend und nachdenklich zugleich, das eine bestimmte Zeit und Gesellschaft mit den persönlichsten Fragen verknüpft, mit einer starken Erzählstimme und Bildern, die immer wieder überraschen und uns einen neuen Blick auf die Dinge werfen lassen, die uns jeden Tag umgeben. (Judith Krieg)

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Stewart O’Nan: Die Chance

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. (Rowohlt Verlag 2014), 224 S., Rowohlt TB € 9,99

(Stand März 2021)

die_chance_danteperle_dante_connectionDer Titel “Die Chance” verharmlost die ausweglose Lage, in der sich das Mittelschichtsehepaar aus der Provinz befindet. Die Wirtschaftskrise hat Marion und Art wie Millionen anderer Amerikaner den Boden  unter den Füßen weggezogen. Marion ist arbeitslos und der Statistiker Art hat seinen Job bei einer Versicherung verloren. Das überteuerte Haus können sie nicht länger abzahlen. Auch ihre Ehe ist am Ende.  Da alles verloren scheint, setzen sie ihre Existenz auf eine einzige Karte  und wiederholen ihre Hochzeitsreise zu den romantisch aufgeladenen Niagarafällen von vor 30 Jahren, als ihnen die Welt noch offen zu sein schien. Mit ihrem letzten über die Grenze geschmuggelten Geld mieten sie sich in einer Hochzeitssuite ein, spielen tags die Touristen und versuchen nachts im Casino die statistische Wahrscheinlichkeit ihres kompletten Ruins auszutricksen. Stewart O’Nan nähert sich ihrer Verzweiflung, aber auch ihrem über alle Differenzen langjährigen Vertrautsein in knappen verdichteten Szenen und Dialogen, von Thomas Gunkel elegant-subtil übersetzt. Vielleicht gibt es ja doch eine Chance? (Stefanie Hetze)

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