J.M. Coetzee: Die Kindheit Jesu

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag 2013, 252 S., € 21,99, Fischer TB 2019, € 12,-

(Stand März 2021)

coetzee-kindheit-jesu_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergNein, es ist natürlich keine Heilandsbiographie oder Weihnachtsgeschichte, auch wenn der Roman voller biblischer Erzählbilder steckt. Wirklich auf den Punkt zu bringen, was genau Coetzee erzählt, ist schwierig – aber es begeistert! Ein Mann und ein Kind kommen als Bootsflüchtlinge in einem fremden Land an, das sie mit einer labyrinthischen Bürokratie, Spanisch-Sprachkursen und neuen Namen empfängt: Von nun an heißen sie Simon und David. Die Flüchtlinge, eine aktuelle Parallele? Ja bestimmt, doch ist die Geschichte in einer nicht näher benannten Zeit erzählt, in der die Menschen für Simon spürbar anders ticken. Sie lieben leidenschaftslos, sie philosophieren über das Sein des Stuhls und schildbürgern grandios, ohne ihr neues Leben im neuen Land zu hinterfragen. Wie zum Trotz liest Simon David aus dem Klassiker Don Quijote vor und findet schließlich eine neue Mutter für David – die kommt zum Sohn fast wie Maria zum Kinde, worauf die drei gemeinsam nach Novella aufbrechen. Dann doch eine Art heilige Familie? Ein Roadmovie ist es also auch? Ja und noch viel mehr! (Jana Kühn)

Leseprobe

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Marie-Luise Scherer: Die Hundegrenze

Mit einem Vorwort von Paul Nizon und Fotografien von Oliver Hermann, (Matthes & Seitz 2013), TB Matthes & Seitz, € 10,-

(Stand März 2021)

Ein Kleinod, erstmals im Spiegel 1994 erschienen, ist jetzt wieder in einer berührend schön gestalteten Ausgabe lieferbar. Es geht um die Sperrzone der DDR-Grenze, 5 km breit, nur für Linientreue mit Passierschein betretbar, und das Wachhundesystem auf dem Todesstreifen. Die Hunde wurden an nur 150m kurzen Laufleinen gehalten, jedem Wetter ausgeliefert, abhängig von zufälligen Wasser- und Fleischrationen, dem Wahnsinn ausgesetzt.  Ein ausgeklügeltes System von Hundebeschaffern in nebenerwerblicher Absicht sorgte für den Nachschub: Schäferhundzüchter, Zuchtwarte, sog. Bezirksscheintäter taten sich hervor, um Tiere zu züchten, sie zu verkaufen und scharf zu machen. Scherer stellt diese Soldaten und freiwilligen Grenzhelfer jedoch auch als Menschen mit Gefühlen und Befindlichkeiten dar, womit sie ihren Stoff in eine große eindringliche Tragödie verwandelt.(Stefanie Hetze) Leseprobe

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Françoise Hynek & Peter Urban-Halle: Jahreszeiten der französischen Küche

Klaus Wagenbach Verlag 2013, 164 S., € 18,-

(Stand März 2021)

hynek-jahreszeiten-franzoesische-kueche_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergIn diesem wunderbaren Kleinod aus der bekannten SALTO-Reihe nehmen uns die beiden Connaisseure mit auf eine Reise durch Frankreichs Kultur, Küchen und Regionen sowie in 77 Rezepten durch ein ganzes Jahr – von alltagstauglich bis festlich. Man schwelgt mit dem Autorenpaar durch alle Köstlichkeiten und will sofort mindestens ein Stück Tarte au Citron gegen den trüben Winterblues …

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Maike Albath: Rom, Träume. Moravia, Pasolini, Gadda und die Zeit der Dolce Vita

Berenberg Verlag 2013, 304 S., € 25,-

(Stand März 2021)

albath-rom-traeume_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergRom durchlebte nach dem Ende des 2. Weltkriegs nicht nur einen Wiederaufbau, sondern in den 1950er und 1960er Jahren einen regelrechten urbanen Aufbruch. Die Stadt vergrößerte sich immens in ihrer Fläche und ihrer Einwohnerzahl. In dieser Stimmung des Neuanfangs wurde sie zum Magneten für Kulturschaffende aus Literatur, Film, Kunst und Philosophie, die die Atmosphäre der Stadt und die Ära der Dolce Vita prägten. Anhand biographischer Skizzen einiger der wichtigsten Protagonisten, wie Moravia, Pasolini und Gadda, beschreibt Maike Albath diese Phase der Umbrüche. Immer wieder kommen Zeitzeugen zu Wort. Was dabei entsteht ist viel mehr als eine gängige Stadtgeschichte oder Künstlerbiographie – eher ein Stück italienischer Kulturgeschichte, ein Füllhorn an Daten, Fakten, Episoden und Anekdoten, das durch den gekonnten Stil der Autorin ein wahrer Lesegenuss wird. (Jana Kühn) Leseprobe

Wie viele Regalmeter mag Maike Albath in ihren Recherchen zur Stadtgeschichte und den Biographien der einzelnen Autoren wohl durchmessen haben für dieses feinste Destillat in Buchform?

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Per Olov Enquist: Das Buch der Gleichnisse

Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt, Hanser 2013, 224 S., € 18,90, TB Fischer € 11,99

(Stand März 2021)

Enquist_24330_MR1.indd„Ein Liebesroman“, so lautet der Untertitel von Per Olov Enquists neuem Buch. Und wenn der Begriff „Roman“ hier auch nicht recht zu passen scheint, so ist es doch in der Tat ein Buch über die Liebe, wenngleich nicht im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, mit Szenen und Gedanken fern von Klischees. Ebenso ist es ein Buch über die anderen großen Fragen des Lebens, über Menschen und Dinge, die prägen, über Bindung und Freiheit, über den Tod, über Religion und über die Frage, was das alles zu bedeuten hat. Über die Literatur selbst, über die Frage, ob das Erzählen, die Sprache einen Halt geben können, ein Muster spannen, eine Bedeutung erschaffen können, die stützt angesichts der gnadenlosen menschlichen Endlichkeit. Während er dies fragt, erschafft Enquist ein ebensolches Netz, das trägt und auch tröstet: weniger einen Roman als eine Meditation, geformt aus einprägsamen Figuren, Motiven, Bildern, Sprachrhythmus, die den autobiographisch grundierten Kosmos des Vorgängerbuches „Ein anderes Leben“ auf neue, verdichtete und konzentrierte Weise aufgreift. Keine einfache Lektüre, aber eine, die beschenkt. (Judith Krieg)

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Jérôme Ferrari: Balco Atlantico

Aus dem Französischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag 2013, 210 S., € 19,95
(Stand März 2021)

ferrari-balco-atlantico_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDer korsische Nationalist Stéphane Campana stirbt duch zwei Kugeln, die aus nächster Nähe auf ihn abgefeuert werden. Raffiniert verschachtelte Erzählungen und Erinnerungen unterschiedlicher Dorfbewohner entfalten nach und nach die Geschichte des Toten und damit verbunden die gewalttätige Geschichte des korsischen Nationalismus zwischen 1985 und 2000. Parallel dazu erfahren wir das Schicksal eines marokkanischen Geschwisterpaares, das seine Heimat voller Hoffnung verlässt und in dem korsischen Dorf vergeblich versucht, den Glauben an ein mögliches Glück nicht zu verlieren.
Teils Krimi, teils Liebesgeschichte, ist der Roman vor allem ein ergreifendes Kaleidoskop menschlicher Sehnsüchte, Selbstzweifel und Ängste sowie der erschreckenden Gefühlskälte selbstherrlicher politischer Extremisten. Ferrari entfaltet auf nur 160 Seiten einen Kosmos aus Sätzen, die noch lange haften bleiben. (Syme Sigmund)

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Volker Gerling: Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt. Zu Fuß durchs Land

Metrolit Verlag 2013, nur noch als E-Book bestellbar € 12,99

(Stand März 2021)

31-gerling_bilderSeit zehn Jahren geht Volker Gerling mit selbstfotografierten Daumenkinos im Bauchladen und ohne Geld auf Wanderschaft. Nun hat er sich einen Wunsch erfüllt und von seiner ersten Wanderschaft ein Buch geschrieben, das uns mitnimmt auf seine lange Reise zu Fuß von Berlin bis Basel. Anders als die üblichen Selbsterfahrungsberichte von Langstreckenwanderern geht er jedoch als Künstler, der bewusst Kontakt und Austausch mit seinem Zufallspublikum sucht und viel nachdenkt über Raum, Zeit, Geschwindigkeit und wie er mit wenigen Aufnahmen in Sekundenbruchteilen das wirkliche Leben abbildet.Bei seinem langsamen Tempo kommt es unterwegs zu sehr besonderen, intensiven Begegnungen mit denkbar verschiedensten Menschen. Diese eigentlich flüchtigen Momente hat er zum großen Glück seiner Leser in diesem wunderbaren Buch für immer festgehalten! (Stefanie Hetze)

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Terézia Mora: Das Ungeheuer

Luchterhand Literaturverlag 2013, 688 S., € 22,99, TB Ausgabe, € 11,99

(Stand März 2021)

mora-ungeheuer_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergDarius Kopp, der Mora-Lesern schon bekannte, einfach gestrickte Gemüts- und Genussmensch, versinkt nach dem Selbstmord seiner Frau Flora in tiefer Trauer. Um nach einer geeigneten Grabstelle für die Asche seiner Frau zu suchen, macht er sich – zunächst von Floras ungarischer Herkunft und sodann vom Zufall geleitet – auf in Richtung Osteuropa, wo es ihn bis nach Georgien verschlägt. Diesem teils feinsinnig-melancholischen, teils komisch-absurden Roadmovie stellt Mora – parallel gedruckt – Aufzeichnungen Floras gegenüber, aus denen ihre schwere, von ihrem Mann nicht bemerkte Depression spricht. Damit erhält Kopps Reise eine weitere, tiefere Ebene, die uns in menschliche Abgründe schauen lässt. Moras sprachliche Kraft, ihr gekonntes Changieren zwischen verschiedenen Erzählperspektiven und ihr unverwechselbarer Ton machen das Buch zu einem großen, lange nachwirkenden Leseerlebnis. (Syme Sigmund)

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Eugen Ruge: Cabo de Gata

Rowohlt Verlag 2013, 208 S., € 19,95, Rowohlt TB 2014, € 10,99

(Stand März 2021)

ruge-cabo-de-gata_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergEin erfolgloser Schriftsteller, 40 Jahre alt, gerade geschieden und vom Vater in seinen künsterischen Ambitionen nicht ernst genommen, bricht alle Zelte ab und gerät – mehr aus Zufall – in den abgelegenen andalusischen Ort Cabo de Gata. Hier versucht er – weiterhin erfolglos – einen Roman zu schreiben und lässt sich ansonsten treiben, solange das Geld reicht. Die Dorfbewohner sind äußerst wortkarg, und so verbringt er seine Zeit meist allein mit ausgedehnten Spaziergängen am Strand und der Beobachtung seiner neuen Umgebung. Was so ereignisarm klingt, wird von Ruge in diesem wohl teilweise autobiografischen Kleinod, eher eine Novelle als ein Roman, mit einer solchen Leichtigkeit, schlichten Poesie und leiser Selbstironie beschrieben, dass man als Leser gern bei ihm verweilt und nach der Lektüre dem eigenen hektischen Großstadtalltag vielleicht auch mehr Gelassenheit entgegenbringt. (Syme Sigmund)

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M. Agejew: Roman mit Kokain

Aus dem Russischen von Valerie Engler und Norma Cassau, Manesse Verlag 2012, nur noch als E-Book lieferbar, € 14,99

(Stand März 2021)

22-agejew_kokainNein, sympatisch ist er einem nicht, der Protagonist dieses erstmals 1936 in Paris unter einem bis heute nicht mit absoluter Sicherheit zuordbaren Pseudonym veröffentlichten Romans – sogar Nabokov wurde er zugeschrieben, doch wahrscheinlich stammt er aus der Feder des zu jener Zeit in Istanbul ansässigen Mark Lewi. Der junge Mann behandelt seine alte Mutter mit Arroganz und Grausamkeit, verführt ein junges Mädchen und steckt sie bewusst mit Syphilis an, ist zynisch, gefühlskalt, hochmütig und ohne Moral. Er streift durch das Moskau der Vorrevolution, verprasst das seiner in Armut lebenden Mutter gestohlene Geld und verfällt schließlich dem Kokain, das ihn zugrunde richtet. Doch der Roman zieht den Leser durch seine elegante Sprache in den Bann und beschreibt mit unheimlicher Nachvollziehbarkeit die Abgründe einer intellektuellen, zur Grausamkeit und Narzismus neigenden menschlichen Seele. Eine in der Tradition der Großmeister der russischen Literatur stehende großartige literarische Wiederentdeckung. (Syme Sigmund)

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