Aus dem Englischen von Gregor Runge. dtv 2017, 480 S., € 28,-
(Stand März 2021)
Erst im Alter von 17 lernt die Autorin ihren Großvater Robert Heber-Percy kennen, der, blendend aussehend, als junger Filou und Hedonist Furore machte und Lebensgefährte des deutlich älteren gebildeten Ästheten Lord Berners wurde. Was dann mit den beiden, ihrem Landsitz, ihren Bohème- und Upperclass-Freunden (wie Nancy Mitford, Gertrude Stein, Igor Strawinsky, Evelyn Waugh) passiert und wie die Großmutter der Autorin ins Spiel kommt, liest sich wie großes Kino und wird angereichert durch phantastisches Bildmaterial. Eine umwerfend dekadente Familien- und Gesellschaftsgeschichte. (Stefanie Hetze)

Massiré Dansira kommt im Alter von 15 Jahren aus Mali nach Frankreich. Sie folgt einem Ehemann, dem sie in der Hoffnung auf ein besseres Leben und regelmäßige Geldsendungen von ihrer Familie anvertraut wurde. Aber es kommt anders. Das Leben in Frankreich ist fremd und ungewohnt, in vielerlei Hinsicht entbehrlich. Nach dem Tod ihres Mannes zieht sie drei Kinder allein und nach bestem Wissen und Gewissen auf, folgt dabei so gut es geht sowohl den Traditionen ihrer Herkunft als auch den weiterhin unverständlichen Codes der ihr so fremden Welt – und hadert kämpferisch mit beiden. Besonders Aya, das mittlere Kind, bereitet ihr Sorgen. Von Aya kommt Widerstand, Aya hinterfragt, Aya fordert ein Leben als junge Französin. Ma ist die beeindruckende Liebeserklärung einer erwachsenen Tochter an ihre Mutter, trotz oder vielleicht sogar wegen eines Verhältnisses, das nie einfach war. Ein versöhnliches Buch, das einer Mutter den liebevollen Respekt erweist, den sie ihr ganzes Leben hat missen müssen – sowohl seitens der französischen Gesellschaft als auch aus dem unmittelbaren malisch-migrantischen Umfeld. (Jana Kühn)
Bei heftigstem Schneesturm schlittern Rico und Oskar am 24.12. zu Karstadt, um im letzten Moment Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Rico kauft etwas für das Baby, das noch im Bauch seiner Mutter schwimmt und Oskar heimlich Damenunterwäsche. Was ist denn mit Oskar los, der seinem Freund alles Mögliche verschweigt und dessen Keller mit einer Wolldecke zugehängt ist? Aber auch Rico geht schon seit dem Sommer eigene Wege und hat eine Clique neuer Freundinnen und Freunde aufgetan, die sich in einem verlassenen Hinterhof in der Urbanstraße (schön wär’s!) treffen. Was alles passiert, wird hier nicht verraten. Andreas Steinhöfel hat wieder gezaubert und eine tolle Freundschaftsgeschichte voll des prallen Kinderlebens in Berlin-Kreuzberg in seinem unnachahmlichen Sound geschaffen. Peter Schössows liebevoll-feine Illustrationen setzen dann noch eins drauf. (Stefanie Hetze)
Edith Wharton, berühmt für ihre Romane, in denen sie die Schattenseiten der New Yorker High Society aufdeckte und anprangerte, verfolgte mit Ethan Frome ein völlig anderes literarisches Ziel. Sie wollte das harte, buchstäblich auf Granit gebaute Leben in den abgelegenen Bergdörfern Neuenglands schildern und wählte dafür eine strenge Form, einen Kurzroman mit einer Rahmenhandlung und einem Zeitsprung, der das Drama ihrer Geschichte in ein kaum aushaltbares, da lebenslang andauerndes, Ausmaß katapultiert.
Ein sehr persönliches Buch und auch wieder nicht. Jahrelang ließ Ljudmila Ulitzkaja die Liebes- und Ehebriefe ihrer Großeltern ungelesen in einer Mappe, scheute sie sich, den Geheimnissen ihrer Familie ins Auge zu sehen. Als sie sich endlich überwand und die jahrzehntelange Korrespondenz las, die von inniger Liebe, großem Zerwürfnis und kleinen familiären Ereignissen in wuchtigen Zeiten von Revolution und Totalitarismus zeugt, war die Idee zu ihrem Roman geboren.
Es steht nicht gut um Privatdetektiv Joseph Weynberg, schwermütig und einsam ist er Alkohol und Drogen verfallen – seit kurzem dazu nicht nur diesen. Denn da gibt es die umwerfend schöne und geheimnisvolle Maude Anandin, die ein offensichtlich stinkreicher Senior von Weynberg beschatten lässt. Perfekte Zutaten für einen klassischen Noir? Weit gefehlt, denn Hendrik Otremba entwirft in seinem Debüt eine dystopische, irgendwie aus der Zeit gefallene Welt, die es in sich hat: die Menschen verroht, der Alltag kriminalisiert, Orte und Landschaften sind von Kriegen und Umweltkatastrophen verwüstet, es regnet sogar gefährlich giftig. Otremba schickt sein düsteres Paar vor gleich mehreren Verfolgern auf die Flucht quer durch verlassene Territorien. Dank überraschender Wendungen in einer literarischen Sprache, die wirklich das Genre knackt, folgt man den beiden atemlos auf ihrem gefährlichen Roadtrip … So mancher Musiker hat schon das Schreiben für sich entdeckt – aber bei Hendrik Otremba, dem Sänger der Post-Punkband Messer, kann man von einem echten Glücksfall sprechen. (Jana Kühn)
1925 erschienen in der Beilage einer New Orleaner Zeitung kurze Prosastücke des bis dato nur als Lyriker hervorgetretenen 27-jährigen William Faulkner. Seine Protagonisten sind Fremde, Außenseiter – Bettler, Schmuggler, Kleinkriminelle oder Flickschuster. Alle eint die Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und Würde, und Faulkner gelingt es mit seiner Mischung aus Umgangssprache und hoch poetischen Sätzen, in denen der Lyriker durchscheint, ihnen diese Würde zu geben. 1962 hat Arno Schmidt diese Texte mit fantastischem Sprachgefühl übersetzt. Die vorliegende Neuausgabe – in handlichem Kleinformat und im Schuber ausgesprochen ansprechend gestaltet – enthält zudem
Sonntags treffen sich in Moses Aloettas schäbigem kleinen Zimmer „die Taugenichtse“, er, seine Freunde und Zufallsbekannten und reden über ihre Geldsorgen, Wohnungsprobleme und vor allem über den Rassismus, den sie, die schwarzen Einwanderer aus der Karibik tagtäglich im kalten abweisenden London erfahren. Unterschiedlich sind ihre Strategien, das zu überleben. Manche sind Meister, auf Pump zu leben, andere Kleinkriminelle, verzweifelte Taubenfänger und -esser, andere wieder versuchen sich als unwiderstehliche Verführer junger Engländerinnen oder nehmen die Widrigkeiten mit Witz und Ironie.
In einer US-amerikanischen Kleinstadt leben zwei verwitwete Nachbarn in den großen Häusern, die vor vielen Jahren einmal das Zuhause für ihre Familien waren – doch nun sind sie dort allein, oft genug einsam. Eines Tages geht die 70jährige Addie ausgesprochen mutig auf ihren Nachbarn Louis zu: Sie bittet ihn, die Nächte mit ihr zu verbringen, heißt, wenn die Einsamkeit am größten ist, die Lücke mit Gesprächen zu befüllen. Nur das. Louis akzeptiert und so liegen die beiden nun Nacht für Nacht beieinander und kommen einander zögerlich näher. Trotz der jahrzehntelangen nachbarschaftlichen Nähe wissen sie nur wenig voneinander und erzählen sich in aller Offenheit aus ihrem mit allen Höhen und Tiefen gelebten Leben mit Schicksalsschlägen, mit Fehlern, mit glücklichen Momenten auch. Dieses vorsichtige Kennenlernen beschreibt Kent Haruf unaufgeregt und sparsam fast, dennoch warmherzig, aber ohne zu verkitschen. Er erzählt von einer Chance auf reifes, selbstbestimmtes Glück, das aber an verbohrten Konventionen zu scheitern droht. Denn der Kleingeist der sowohl nahen Nachbarn als auch der fernen Verwandten stört sich an der „schamlosen“ Zweisamkeit. (Jana Kühn)
Wie weit würdest du gehen für deinen besten Freund? Und Pax ist nicht nur Peters bester, sondern ein ganz besonderer Freund – ein Fuchs, den der Junge von klein an aufgezogen hat und mit dem er seitdem zusammen lebt. Als ein Krieg ausbricht, wird Peter von seinem Vater hunderte Kilometer weit weg von Zuhause gebracht – Pax muss zurückbleiben. Mit dieser herzzerreißenden Trennung beginnt der beeindruckende Roman für Kinder. Bald schon wird Peter wird klar, was es für ein Vertrauensbruch war, seinen besten Freund allein im Wald zurückzulassen. Er muss zu ihm, um jeden Preis. Und auch Pax macht sich auf den Weg. Ohne Zeit und Ort zu benennen erzählt Sara Pennypacker einerseits das grandiose Abenteuer von Peter und Pax, die quer durch die Wildnis aufeinander zu laufen, und andererseits eine universelle Geschichte über Menschlichkeit in Zeiten des Krieges. Kein Weg ist zu weit für einen Freund – schon gar nicht für den besten! (Jana Kühn)