Hanser Verlag 2018, 480 S., € 26,-, TB dtv 2019, € 12,90
(Stand April 2021)
Schützend und gleichzeitig bedrohlich überragt die Drachenwand – eine hohe Felsflanke – den kleinen Ort Mondsee in den österreichischen Alpen. Hierher kommt Veit – ein junger Mann Anfang zwanzig – nachdem er 1944 in Russland verwundet wurde. Und hier – in der Abgeschiedenheit, unter alten Nazis, die ihm übelnehmen, dass er nicht an der Front ist, in der Freundschaft mit dem „Brasilianer“, den seine Aufrichtigkeit immer wieder in Schwierigkeiten bringt, und vor allem in der Liebe zu Margot – wird ihm klar, dass er es schaffen muss zu überleben und dass der Krieg, in den er als Schüler hineingestolpert ist, nur Unheil bringt. Arno Geiger hat einen beeindruckenden Antikriegsroman geschrieben, in dem die Atmosphäre im Land kurz vor Kriegsende lebendig wird und in dem das Grauen – neben Veit kommen über Briefe auch Margots Mutter aus dem bombenzerstörten Darmstadt und der jüdische Zahntechniker Oskar Meyer zu Wort – aber auch die Hoffnung in all ihren Facetten greifbar sind. (Syme Sigmund) Leseprobe

Viele der 100 so genannten Gutenachtgeschichten beginnen mit der Erzählformel „Es war einmal ein Mädchen …“, und doch beschreiben sie die tatsächlichen Lebensgeschichten von beeindruckenden Frauen aus der ganzen Welt, von der Antike bis heute. Den biographischen Skizzen aus der Feder der beiden Autorinnen sind umwerfend schöne, Porträts zur Seite gestellt. Viele der Forscherinnen, Künstlerinnen, Sportlerinnen und Aktivistinnen mussten ihren Weg hart erkämpfen, manche waren oder sind schon zu Lebzeiten weltberühmt. Ein fantastisches Mut-Mach-Frauentableau durch alle Epochen! (Jana Kühn)
Erst seit wenigen Jahren ermöglichen die neuesten GPS-Technologien die erstaunlichen Wanderbewegungen von Tieren nachzuvollziehen und wirkliche Informationen zu erhalten über ihr Leben und das, was sie bedroht. Der Geograf James Cheshire und der Designer Oliver Uberti haben aus Millionen von Daten aus dem Tiertracking faszinierende und ästhetisch an Judith Schalanskys Atlas angelehnte Karten geschaffen, die einladen, sich mit den Wanderungen von Wölfen, Walen, Fasanen, Giraffen, Pythons, Ottern und vieler Tiere mehr zu befassen. Eine naturkundliche Augenweide und nicht nur für Familien bestens geeignet. (Stefanie Hetze)
Der Journalist Niklas Maak und die Künstlerin Leanne Shapton laufen in zwei Tagen durch Manhattan. Ihre Route führt sie auf direktestem Weg von der Süd- zur Nordspitze der Insel, vom Financial District durch Chinatown und Little Italy, über den Centralpark und die Upper Westside bis dorthin, wo Manhattan noch Berge, Wälder und Schluchten hat, wo nur noch Spanisch zu hören ist und man sich in einer lateinamerikanischen Metropole zu sein wähnt. Maak protokolliert, was er sieht, sowohl unscheinbare, beiläufige Details als auch interessante oder kuriose Geschichten von Menschen, die ihnen begegnen und Orten, an denen sie vorbeikommen. Shaptons zunächst fast abstrakt wirkende Aquarelle, die mit dem Text verwoben scheinen und diesen ebenbürtig ergänzen, sind Impressionen ihres Weges, mal das Muster des Straßenpflasters oder eines Gitters, mal ein vergessener Pappkarton oder ein Straßenschild. Den Weg der beiden kann der Leser zudem auf einer beigefügten Karte verfolgen. Ein rundum gelungenes Buch, bei dem sich am Ende aus vielen Fragmenten ein rundes Ganzes ergibt, und dem der wunderschön gestaltete Einband mit Reliefprägung das i-Tüpfelchen verleiht. (Syme Sigmund)
Ein sehr persönliches Buch und auch wieder nicht. Jahrelang ließ Ljudmila Ulitzkaja die Liebes- und Ehebriefe ihrer Großeltern ungelesen in einer Mappe, scheute sie sich, den Geheimnissen ihrer Familie ins Auge zu sehen. Als sie sich endlich überwand und die jahrzehntelange Korrespondenz las, die von inniger Liebe, großem Zerwürfnis und kleinen familiären Ereignissen in wuchtigen Zeiten von Revolution und Totalitarismus zeugt, war die Idee zu ihrem Roman geboren.
Die junge Weddingerin Hazal Akgündüz wehrt sich. Sie will leben, lieben, frei sein. Ganz anders ihre Realität: keine Perspektive und zu Hause den konservativen Eltern Tee servieren müssen. Nur mit Tricksereien gelingt es ihr, ihren 18. Geburtstag mit Freundinnen zu verbringen. Gemeinsames Auftakeln und Wodkakippen und dann ab in den Club gestöckelt. Anders als die westlichen Ausländer dürfen sie nicht rein, alles ist versaut. Gedemütigt und betrunken wissen die jungen Frauen nicht wohin. Es kommt zu einer Begegnung mit einem blöden Jutebeutelträger, die so extrem eskaliert, dass Hazal in Istanbul, wo sie noch nie war, untertauchen muss.
Kreuz und quer in Westeuropa und an einigen Orten in Japan, Kenia, den USA, Kanada und Mexiko hat der Architekturkritiker außergewöhnliche bis bizarre Häuser aufgetan, mit denen Menschen ihre ganz besonderen Vorstellungen vom Wohnen verwirklichen wollen. Es sind berühmte Gebäude von Prominenten dabei wie Monica Vittis und Michelangelo Antonionis sardisches Versteck, eine Kuppel, oder Cy Twomblys Burg, aber auch besondere Hütten, Bungalows, Ferienhäuser und Gebäude Unbekannter. Ob wohl diese wahren Kleinode, Größenwahnobjekte und Paradiese den Träumen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gerecht werden? Äußerst kurzweilig gibt Maak Antworten darauf.
Der abgeklärte Lambert Strether soll den jungen Erben Chad Newsome aus dem schlimmen Sündenpfuhl Paris und den Armen einer unmoralischen Frau heim in die anständige amerikanische Provinz holen. Natürlich geraten seine Vorstellungen und Prinzipien ins Wanken. Meisterlich, wie Henry James das Vor, Zurück und Seitwärts der Gefühlswelten seines Protagonisten orchestriert. Großartig übersetzt, mit Nachwort, Anmerkungen, zwei Lesebändchen und handschmeichelndem Dünndruckpapier. Festtägliches Lesevergnügen garantiert!
Nach fünfzehn Jahren New York reist der namenlose Erzähler mit Doppelstaatsangehörigkeit zurück nach Lagos, seinen Kindheitsort. Schon die erste Station seiner Heimreise im nigerianischen Konsulat in New York, wo er auf abstruse Verfahren zum Erreichen einer Passverlängerung trifft, konfrontiert ihn mit dem, was ihn erwartet: Korruption, Bestechlichkeit, eine unduchschaubare Bürokratie. Als er dann endlich “zu Hause” auf dem Flughafen landet, fühlt er einen kurzen Moment der Ekstase. Schnell wird sie jedoch abgelöst von Irritation und Entsetzen angesichts des Chaos, der allgegenwärtigen Schattenwirtschaft und Gewalt. Doch der Erzähler gibt nicht auf, trifft Verwandte und Freunde, sieht extremen Verfall und Vernachlässigung in Museen, Buchhandlungen und Plattenläden. Er fühlt sich vertraut, ist fasziniert, dann wieder abgestoßen und voller Wut. Nachts bei Lärm und Stromausfällen suchen ihn die Schatten seiner Vergangenheit heim. Er hatte sich damals aus Nigeria davongestohlen und versucht jetzt, Erinnerungsfetzen mit dem Moloch Gegenwart zusammenzubringen und sie in Geschichten zu verwandeln. Ihn dabei beim Lesen zu begleiten, macht den ungeheuren Reiz dieser Reiseerzählung aus. Und Coles zwischen Schönheit und Tristesse changierende Fotografien geben da noch eins drauf. (Stefanie Hetze)