Über 100 Farbtöne aus der Welt der Tiere, Pflanzen und Mineralien. Mit 700 farbigen Abbildungen und drei Ausklapptafeln. Großformat. Dumont 2021, 288 S., € 49,-
(Stand Januar 2022)
108 Farbtöne jeweils mit Beispielen aus der Welt der Mineralien, Tiere und Pflanzen – das war Patrick Symes „Nomenklatur der Farben“, die er – lange vor der Existenz des Pantone-Fächers – 1814 entwickelte.
Der hier vorliegende wunderschön gestaltete Band enthält sie alle, mit zeitgenössischen Illustrationen, nach Farbgruppen systematisch geordnet, und so kann man hier unter vielen z.B. das Berliner Blau – Schwungfedern des Eichelhähers, Leberblümchen, Blauer Saphir – oder das Morgenrot – Kloakenfedern des Buntspechts, Rot des ‚Naked Apple‘, Rotes Aurigpigment – entdecken.
Im Wechsel zu den Bildteilen finden sich informative Essays zur Geschichte der Farbbestimmung.
Eine beinahe poetisch anmutende Einladung zum Umherschweifen, Staunen und Festlesen. (Syme Sigmund) Blick ins Buch


Gleich mit einer Urszene steigt die Künstlerin Sophie Calle in ihre Sammlung von Miniaturgeschichten ein, der Kindheitserinnerung, wie sie als Neunjährige einen Liebesbrief an ihre Mutter findet, von einem Mann, den sie für ihren wahren Vater hielt und den sie erfolglos zu enttarnen versuchte. Ähnlich aufgeladen geht es weiter: Ums Klauen, um eine nicht stattgefundene Schönheits-Nasen-OP, einen Kellner, der der Fünfzehnjährigen ein sexuell aufgeladenes Dessert serviert, frühe Erfahrungen als Stripperin und komplizierten ersten Sex. Ganz beiläufig trocken, dann wieder zugespitzt und aufgebauscht erzählt sie von vermeintlich abwegigen und peinlichen Situationen, vom Lieben, Trennen, Sterben, Leben. Die Leidenschaft und Hingabe, mit der die Künstlerin sich in ihre Selbstrecherchen und Erfahrungen stürzt und die sie mit Fotodokumenten als wirklich geschehen beweist, die aber nur als authentisch inszeniert sind – oder doch nicht? – steckt ungemein an. Es macht einen Riesenspaß, sich auf dieses raffinierte Spiel mit Wahrheit und Erfundenem einzulassen. (Stefanie Hetze)
Feierlich und mit großem medialen Getöse wurde am 28. Mai 2018 das Herzstück der ethnologischen Sammlungen Berlins in das baulich noch zu vollendende Humboldt Forum manövriert und buchstäblich eingemauert: Das weltweit einmalige Luf-Boot – ein hochseetaugliches, mit Rudern, Segeln und kostbaren Schnitzereien versehenes Holzboot, das von einer dem heutigen Papua-Neuginea vorgelagerten Inselgruppe stammt, ehemalige Kolonie Deutsch Neuginea. Von dort „gelangte“ es als das letzte seiner Art und aus den Händen nur noch weniger Inselbewoher:innen 1903/04 in den Besitz der Berliner Museen. Dass diesem Transport zum Jahreswechsel 1882/83 eine verheerende Strafexpedition der kaiserlichen Marine vorausgegangen war, wird der Öffentlichkeit jedoch verschwiegen. Diese so, so ähnlich, in jedem Fall brutale und tausendfach verübte Praxis beschreibt und belegt Götz Aly anschaulich anhand zahlreicher Verzeichnisse, Biografien und Briefe so genannter Abenteurer und Forscher. Mit seinen Veröffentlichungen zum Nationalsozialismus und der Shoah wurde Aly zu einem der bekanntesten deutschen Historiker. Das Thema mag also erst einmal ungewöhnlich für ihn wirken, doch zum einen gibt es für Aly in diesem Fall sogar familiären Bezug, zum anderen ist das Thema der Beutekunst hochaktuell und erneut eines, von dem man zu lange so genau gar nichts wissen wollte – aber hätte können. Denn die von ihm benutzten Quellen sind öffentlich zugänglich. Ein absolut lesenswertes Buch, das zornig macht und hoffentlich ein weiterer Stein des Anstoßes ist, endlich ehrliche Provenienzforschung zu betreiben, diese offen zu legen und bestenfalls Kunstwerke eben auch zurück zu erstatten. (Jana Kühn)
Kurt Schwitters, hannoverischer Künstler, Sprachspieler, Dadaist, Erschaffer des MERZ-Baus und der
Wer war Paolo Ciulla? Fast 100 Jahre nach seinem Tod sagt sein Name den meisten auch in Italien nichts. In diesem feinen historischen Roman wird seine einzigartige Geschichte erzählt. Durch eine minuziöse Recherche in Archiven, Gerichtsunterlagen und Mitteilungen wird sein kühnes, abenteuerliches Leben wiedererschaffen als Künstler, Geldfälscher und Pechvogel. Er war homosexuell und stand anarchischen und sozialistischen Gruppierungen nahe, lebte im Paris von Modigliani und Picasso, ging nach Buenos Aires und kehrte nach Sizilien zurück, wo seine illegale Produktion falscher Geldscheine entdeckt wurde. Arm und allein starb er nach einigen Jahren Gefängnis.
Als brillante Autorin wegweisender Essays wie „Camp“, „Die Krankheit als Metapher“ oder „Über Fotografie“, als kritische Intellektuelle, als New Yorker Jüdin, als streitbare Geliebte weniger Männer und vieler Frauen, als glamouröse vielfotografierte Erscheinung, als mit den Geistes- und Künstlergrößen der halben Welt befreundete Kosmopolitin, in ihren Themensetzungen und künstlerischen Formaten immer wieder für eine Überraschung gut, ragt Susan Sontag als weibliche Ikone des 20. Jahrhunderts weit heraus.
Der neueste grenzüberschreitende Geniestreich der Künstlerin Leanne Shapton: ein harmlos daherkommendes weißes Gästebuch mit weihnachtlich-konventionellem Vorsatzpapier führt uns gleich ein in den Alltag, in dem längst nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Häuser, Räume, Kleider, Gegenstände, Tiere, Begegnungen entwickeln ein irritierendes vielschichtiges Eigenleben durch die virtuose Kombination und Reihung von Fotos, Illustrationen und Texten. So schleichen sich vielgestaltige bizarre Gespenster und Geister in dieses phänomenale Kabinett des Alltäglichen ein, das macht schaurig-schönen Spaß und regt zum Nachdenken über Schein und Sein nach! (Stefanie Hetze)
1945 kehrte die jüdische Journalistin als Angehörige der amerikanischen Armee zurück in das Land, aus dem sie brutal vertrieben worden war. Ihr Auftrag war die „Um-Erziehung“ von Frauen und Kindern. Die Entscheidung, diese Aufgabe im Land der Täter anzunehmen, fiel ihr schwer, aber sobald sie an den Neubeginn mit den Kindern dachte, gab es kein Zurück. Sofort entwickelte sie die Idee einer Internationalen Kinderbuchausstellung, sammelte in den USA Gelder und überzeugte weltweit Kinderbuchverlage, ihre Bücher zu spenden. Es war ein grandioser Erfolg, auf dem sich die energische Mrs. Lepman nicht ausruhte. Stattdessen nahm sie die Wanderausstellung, die die deutschen Kinder und Erwachsenen erstmals mit der Fülle und Vielfalt der Kinderweltliteratur vertraut machte, als ersten Baustein einer internationalen Kinderbibliothek in München, die bis heute enorme Strahlkraft hat.