Jacqueline Woodson: Alles glänzt

Aus dem Amerikanischen von Yvonne Eglinger, Piper Verlag 2021, 208 S., € 22,-

(Stand Mai 2021)

Scheinbar unverfänglich kommt dieses bunte, im Flattersatz gedruckte Buch daher: Die sechzehnjährige Melody wird mit einem Hausball in die Gesellschaft eingeführt. Sie trägt, wie in ihrer Upper Middle Class-Familie seit Generationen üblich, Korsett, Strumpfhalter und Seidenstrümpfe, darüber ein unbenutztes Kleid, das ihre Mutter Iris eigentlich vor gut 16 Jahren bei ihrem Fest hätte tragen sollen, aber sie war schwanger mit Melody …
Und schon ist nichts mehr harmlos in dieser schwarzen Familie, in der jede:r eine eigene – berechtigte – Wahrnehmung auf die Geschehnisse hat. Iris, die unbedingt Karriere machen will, behält ihr Baby, um es alsbald zu verlassen. Im College verliebt sie sich in eine Frau. Melodys junger Vater zieht, selbst ohne familiären Halt, mit zu ihren Großeltern in deren Haus in Brooklyn. Trotz der Zuwendung der drei vermisst Melody ihre abwesende Mutter. Raffiniert wechselt Woodson zwischen Melodys Perspektive und den Sichtweisen der anderen, kombiniert sie Ereignisse, Gespräche und Gedanken aus der Vergangenheit mit dem Heute, erzählt von Liebe und Hoffnungen, aber auch von Rassismus, Schicksalsschlägen und von komplizierten Verhältnissen zwischen den Generationen. Schwebend leicht verwebt Woodson diese vielen Facetten und feiert mit Alles glänzt die Widerstandsfähigkeit schwarzer Familien in den USA. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Jenny Offill: Wetter

Aus dem amerikanischen Englisch von Melanie Walz, Piper 2021, 224 S., € 20,-, TB Mai 2022, € 12,-
(Stand Mai 2021)

Lizzie lebt in New York, arbeitet nach gescheiterten akademischen Ambitionen als Bibliothekarin, hat einen Sohn, einen Mann, der sie liebt, und eine enge Beziehung zu ihrem Bruder, einem Ex-Junkie. Bei der Arbeit für einen Blog ihrer Freundin und ehemaligen Dozentin zur Klimakrise arbeitet sie sich zunehmend in die teils bizarren, teils nachvollziehbaren Gedanken der Prepper-Szene ein und stellt ihre eigene, für Katastrophen nicht gerüstete Lebensweise immer mehr in Frage. Zwischen Familienleben und Alltagssorgen legt sich die Zukunftsangst wie ein Tuch auf ihre Gedanken, und während ihre Freundin irgendwann Zuflucht in der menschenleeren Wüste sucht, bleibt sie doch wo sie ist, in der Gewissheit, dass es zum Handeln schon längst zu spät ist.
Offill entwirft in kaleidoskopartigen, kurzen, scheinbar zusammenhangslosen Textfetzen voller Lakonie und trockenem Humor ein Bild der Absurdität und Befremdlichkeit dessen, was gemeinhin als normal gilt, und liefert uns ein meisterhaft komponiertes, teils verstörendes, teils höchst amüsantes Panorama der Ängste, und des alltäglichen Wahnsinns der linksliberalen New Yorker Mittelschicht während der Trump-Ära, gefangen zwischen Klimakrise, Zukunftsangst, Psychotherapie und Yogakurs.
(Syme Sigmund) Leseprobe

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Katherine Rundell: Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer

Aus dem Englischen von Henning Ahrens, Carlsen Verlag 2020, 272 S., € 15,-, TB 2023, € 8,-,  ab 11

(Stand Februar 2024)

Rundell_Katherine_Ein_unvorstellbar_unsinniges_abenteuer_Danteperle_Dante_Connection_Buchhandlung„Satansbraten″ nennt der alte Großvater seine Enkelin Vita liebevoll. Als sie wegen Kinderlähmung jahrelang liegen musste, brachte er ihr zielsicheres Weitwerfen bei. Vita übte ohne Unterlass und erwarb so die kostbare Fähigkeit, nie aufzugeben. Diese Sturheit treibt die Elfjährige auch an, das Anwesen zurückzuholen, das ein berüchtigter Gangster ihrem Großvater abgetrickst hat. Mit einem genialen Plan und der Hilfe dreier neuer Freund*innen, die wie sie das Messerwerfen ihre Leidenschaften (Schlösserknacken, Luftakrobatik und Tiertraining) perfekt beherrschen, versucht sie das unvorstellbar Unsinnige. Die Jagd der Kinder auf den Verbrecher, der u.a. mit Immobilienspekulation sein Unwesen treibt, vor der Kulisse eines historischen New York ist rasant, aberwitzig und superspannend erzählt. Wie nebenbei thematisiert Katherine Rundell dabei aber auch, wie Ausgrenzung gegenüber allen, die nicht der Norm entsprechen, funktioniert, und wie die vier Kinder sich darüber hinwegsetzen!  (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Benjamin Moser: Sontag – Die Biografie

 Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober, Penguin Verlag 2020, 924 S. mit 32-seitigem Bildteil, € 40,-, TB 2022, € 22,-

(Stand November 2022)

Moser_Benjamin_Sontag_Die_Biografie_Danteperle_Dante_ConnectionAls brillante Autorin wegweisender Essays wie „Camp“, „Die Krankheit als Metapher“ oder „Über Fotografie“, als kritische Intellektuelle, als New Yorker Jüdin, als streitbare Geliebte weniger Männer und vieler Frauen, als glamouröse vielfotografierte Erscheinung, als  mit den Geistes- und Künstlergrößen der halben Welt befreundete Kosmopolitin, in ihren Themensetzungen und künstlerischen Formaten immer wieder für eine Überraschung gut, ragt Susan Sontag als weibliche Ikone des 20. Jahrhunderts weit heraus.
Die Intensität, mit der sie gelebt und gearbeitet hat, wirft viele Fragen auf. Wie kann ein einziger Mensch diese vielen Facetten ausleben? Wer war diese Frau, wie wirkte sie als öffentliche Person, was verbarg sich hinter ihrer äußeren Fassade? Der Historiker und Biograf Benjamin Moser hat in seiner mit dem Pulitzer Preis 2020 ausgezeichneten Biografie schier Unmögliches geleistet, hat eine Fülle an Material und Details aus Archiven, Gesprächen und allen erdenklichen Informationsquellen mit scheinbarer Leichtigkeit ausgewertet und ist dabei dem Menschen und dem Phänomen Susan Sontag ganz nahegekommen, ihren Schattenseiten, ihrer intellektuellen Genialität wie ihrer überragenden öffentlichen Rolle. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Margaret Goldsmith: Patience geht vorüber

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Eckhard Gruber. AvivA Verlag 2020, 224 S., € 19,-

(Stand März 2021)

Goldsmith_Margaret_Patience_geht_vorüber_Danteperle_Dante_Connection Im Frühjahr 1918 feiern zwei innig-unzertrennliche Freundinnen ihr Abitur in einer Konditorei in der Berliner Uhlandstraße. Beide verabscheuen den Krieg, Grete als Sozialistin und Patience steht dank ihrer englischen Mutter und ihres deutschen gefallenen Vaters sowieso zwischen allen Stühlen.
Wie der Titel es andeutet, konzentriert sich die Autorin auf Patience, die in Grete verliebt ist und zwischen Verlangen und Scham hin und her gerissen ist. Ihre distanzierte Mutter ist ihr dabei keine Hilfe. Der scheinbare Ausweg aus ihrem Gefühlschaos ist eine Heirat aus „Mitleid” mit einem Fliegersoldaten. Anschließend fährt sie aber mit Grete an die Ostsee und lässt sich auch bald von ihrem Mann scheiden.
Margaret Goldsmith hat in ihrem außergewöhnlichen bereits 1931 erschienenen Roman eine ganz und gar moderne Protagonistin entworfen. Patience geht ihren sehr eigenen selbstbestimmten Weg. Wie heutige Großstadtnomadinnen sucht sie ihr Glück in anderen Ländern, wechselt ihren Beruf, findet einen unkonventionellen Zugang zur Mutterschaft und hat mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen. Ganz lakonisch und direkt bleibt Goldsmith ihr auf der Spur und erfüllt absolut ihren eigenen Anspruch, das „wirkliche Leben” zu beschreiben. Das ausführliche Nachwort und die schöne Covergestaltung runden das Leseerlebnis aufs Allerfeinste ab! (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Ann Petry: The Street

Die Straße. Aus dem amerikanischen Englisch von Uta Strätling. Mit einem Nachwort von Tayeri Jones, Nagel & Kimche 2020, 364 S., € 24,-, TB dtv 2021, € 13,-

(Stand Nevember 2021)

Petry_Ann_The_Street_Danteperle_Dante_ConnectionHarlem in den 1940er Jahren, in der windumtosten 116th Street schaut sich Lutie Johnson in einem heruntergekommenen Haus, in dem Schwarze wohnen dürfen, eine überteuerte Wohnung an. Wie in einem Noir lässt das nichts Gutes ahnen. Lutie ist eine junge Frau, die etwas ganz Durchschnittliches will, einfach ein anständiges zufriedenes Leben führen. Dafür ist sie bereit, große Kompromisse einzugehen. So hat sie lange weit entfernt von New York, ihrem Mann und ihrem Kind als Hausangestellte bei einer Weißen gelebt. Das hat ihre Ehe nicht verkraftet und nun ist sie bereit, für sich und ihren Sohn zu kämpfen, koste es, was es wolle – typisch amerikanisch eben. Doch ist sie nicht nur eine Frau, die alle Formen des Sexismus erfährt, die rassistische Gesellschaft torpediert all ihre Anstrengungen, die Situation für sich und ihren Sohn zu verbessern. Minutiös und ergreifend schildert die Autorin in ihrem Debüt, das 1946 riesiges Aufsehen in den USA erregte, wie sich die verschiedenen Formen der Ausgrenzungen miteinander verzahnen, wie letztendlich alle Bewohner*innen dieser Straße ihrem sozialen Status nicht entkommen können, so sehr man vor allem Lutie einen Ausweg wünschte. Das hat leider nicht an Aktualität verloren. Dieser berührende Roman brennt sich richtig in einem ein. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Elizabeth Gilbert: City Of Girls

Aus dem amerikanischen Englisch von Britt Somann-Jung, S. Fischer Verlag 2020, 496 S., € 16,99, TB Juni 2021, € 12,-

(Stand Juni 2021)

Gilbert_Elizabeth_City_Of_Girls_Danteperle_Dante_ConnectionAls ich dieses Buch fertiggelesen hatte, wollte ich unbedingt mehr davon. Plötzlich verstand ich, wie manche Bücher zu Weltbestsellern  werden. Zugänglich, voller spannender Charaktere, mit einem vielschichtigen Inhalt und einer Handlung, die von der ersten bis zur letzten Seite überzeugt… Dies alles und noch mehr hat City Of Girls.
Erzählt wird die Lebensgeschichte von Vivian, die 2010 über neunzig ist und seit 1940 in New York lebt. Die Stadt hat ihre Existenz tief geprägt: Sie begleitet die Leser*innen auf eine Zeitreise durch unglaubliche, turbulente Ereignisse, die so präzis und leidenschaftlich dargestellt sind, als ob sie wirklich stattgefunden hätten. Vivian ist ganz jung aus der Provinz nach New York geschickt worden und entdeckt eine neue Welt: Die des Theaters, dank ihrer Tante Peg, die einen kleinen Saal leitet und ihr einen  Job als Kostümbildnerin anbietet. Theater heißt Glamour, wildes Nachtleben, Schauspielerinnen und Gangster, Cocktails und Jazz. So fängt diese Geschichte an, und viel ist dann noch zu erleben…
Eine leichte, dennoch tiefgehende und vielseitige Lektüre, die auf eine ganz besondere Art und Weise amüsiert. (Giulia Silvestri)

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Ulla Lenze: Der Empfänger

Klett-Cotta 2020, 302 S., € 22,-, TB dtv 2022, € 12,-

(Stand Januar 2022)

Lenze_Ulla_Der_Empfänger_Dante_connection_DanteperleJosef Klein ist 22, als er 1925 mit einer Winterfahrkarte der dritten Klasse nach Amerika auswandert. Sein Bruder musste wegen eines Unfalls in Deutschland bleiben. Klein hat weder einen festen Plan, noch einen übertriebenen Ehrgeiz, er ist vielmehr froh, dem gewalttätigen Vater entronnen zu sein und ein paar Jahre später ist er mit einem unaufgeregten Job in einer Druckerei zufrieden, genießt das Leben und Treiben seines Harlemer Viertels, richtet sich eine eigene Funkstation ein und lässt die Welt der Amateurfunker zu sich in die kleine Wohnung kommen. Aber er kann dem Weltgeschehen nicht gänzlich ausweichen, das New York der 1930 ist ein politisch zutiefst zerrissenes Land. Josef Klein bekommt einen unscheinbaren Auftrag “unter Deutschen” und verfängt sich, zunächst ohne es zu ahnen, in die Spionagetätigkeit des Naziregimes.
Ulla Lenzes historischer Roman beleuchtet ein bislang wenig erschlossenes Kapitel der deutsch-amerikanischen Geschichte. Inspiriert wurde die Autorin durch die wahre Geschichte ihres Großonkels. Spannend zu lesen ist der Roman nicht zuletzt durch die antiheldische Komponente der Figur Kleins. Seine Beweggründe und Handlungen bleiben zuweilen rätselhaft und machen sie damit doch umso glaubwürdiger. Es kostet ihn unglaublich viel Kraft und Mut, seinen für ihn anfänglich harmlosen Fehler zu korrigieren und es wird nur zu deutlich, wie leicht man den Kurs unter manipulativem Druck verlieren kann. (Franziska Kramer)

Leseprobe

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Christoph Ribbat: Die Atemlehrerin

Suhrkamp Verlag 2020, 191 S., € 22,-

(Stand März 2021)

Ribbat Atemlehrerin_Danteperle_Dante_Connection Buchhandlung Berlin KreuzbergDie Aufmachung ist schon sehr fein und das hat mich als Blickfang gereizt. Dann das Thema: „Die Atemlehrerin“. Und dann der Untertitel: „Wie Carola Spitz aus Berlin floh und die Achtsamkeit nach New York mitnahm“. Der Verfasser, mir bisher unbekannt: Christoph Ribbat. Der Inhalt beschreibt ineinander verschränkt die Biographie einer Berliner Jüdin, die es geschafft hat, nach der Flucht aus Berlin in Holland ihren Mann aus den Händen der Nazis zu befreien und mit ihm schließlich in New York zu landen, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Am Central Park, mit dem Lift in die zehnte oder elfte Etage in ihr helles, freies Studio, in dem sie Unterricht gab, über viele Jahrzehnte. Parallel wird die Geschichte der Gymnastik-Bewegung erzählt, aus der auch der Atem-Kult hervorging. All das Aufregende und für mich Neue wird sachlich und ruhig und doch mit viel Empathie erzählt, basierend auf gründlicher Recherche. Schön, dass auch Fotos aus dem Leben dieser tüchtigen und selbständigen Frau enthalten sind. Neben all den vielen Frauen-Biographien, von denen jede einzelne wichtig und notwendig ist, gelingt dieser Biographie etwas Außergewöhnliches: Zeitgeschichte mit persönlichem Schicksal ruhig und trotzdem sehr engagiert zu verbinden. Ein Gewinn und ich wünsche dem Buch viele Leser und Leserinnen. (Lisette Nichtweiss) Leseprobe

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Sigrid Nunez: Der Freund

Aus dem Amerikanischen von Annette Grube, Aufbau Verlag 2020, 235 S., € 20,-, TB 2021, € 12,-

(Stand August 2021)

Nunez Freund_Danteperle_Dante_Connection Buchhandlung Berlin KreuzbergDie Ich-Erzählerin dieses Romans verliert unvermittelt ihren engsten Freund und bekommt dessen achtzig Kilo schwere Dogge vermacht. Nun teilt die zurückgezogen lebende Autorin das kleine New Yorker Apartment und die Trauer mit diesem riesigen Tier. Während sich aus den zaghaften Annäherungsversuchen eine neue Freundschaft anbahnt, die beiden Trost spendet, versucht sie auch schreibend der Trauer etwas entgegenzusetzen. Auf ihre 30 jährige Freundschaft zurückblickend, reflektiert sie über komplexe menschlichen Erfahrungen wie Selbstmord, Trauer, die Beziehung Mensch-Tier und Autorschaft (auch angesichts der Absurditäten des heutigen Literaturbetriebs).Nicht zuletzt geht sie dabei der Frage nach, für wen ein Autor seine Bücher schreibt und welche Verantwortung er den wahren Personen gegenüber hat, die so oft die Quellen für Fiktion sind.
Überaus berührend und lesenswert ist, was die Autorin tagebuchartig und assoziativ an Ereignissen, Ideen, Zitaten und Gedanken zusammengetragen hat. Nichts davon ist ornamental. Bereichert durch eine starke New York Atmosphäre, gibt es hier viel zu entdec
ken. (Franziska Kramer) Leseprobe

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