Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, mit einem Nachwort von Judith Hermann, Guggolz Verlag 2020, 279 S., € 23,-; TB dtv 2022, € 14,-
(Stand Juni 2022)
Welch ein Glück und welch eine kaum auszuhaltende Traurigkeit ergreift einen beim Lesen dieses außergewöhnlichen Buches! Mattis, ein Mann Ende dreißig, lebt mit seiner Schwester Hege am Rand eines kleinen Ortes in einer Hütte am Ufer eines großen Sees. Im Dorf gilt er als „Dussel“, untauglich zur einfachsten Arbeit. Seine Schwester ernährt ihn mit, ist für ihn die einzige Bezugsperson. Doch Mattis lebt in seiner besonderen Welt, er denkt, schaut und spürt den Wörtern und der Natur nach, wird vom nächtlichen Flug einer Schnepfe bis ins tiefste Innere berührt. Er ist hochsensibler, unverstandener Außenseiter, möglicherweise Ausdruck des innersten Empfindens Vesaas eigener Künstlernatur. Als Hege einen Mann kennenlernt, verändert sich auch ihr Verhalten Mattis gegenüber. Wie von einem Erdrutsch erfasst verliert dieser immer mehr seinen emotionalen Halt. Die grandios-eindringliche, von Hinrich Schmidt-Henkel meisterhaft übersetzte Sprache des Romans versetzt uns direkt in Mattis hinein, lässt uns mit ihm fühlen, staunen, um Worte ringen – und verzweifeln. (Syme Sigmund) Leseprobe

Im Übergang vom bäuerlich geprägten Leben zur Industriegesellschaft sind die Geschichten aus der Region Himmerland im nördlichen Dänemark zeitlich angesiedelt. Menschen, die ihrer einfachen und harten Arbeit in der Landwirtschaft nachgehen, ohne die Frage nach Sinn oder Gerechtigkeit ihres Daseins zu stellen, werden in den sehr unterschiedlichen und doch auch wieder den gleichen Motiven nachspürenden Erzählungen dargestellt. Alles ist hinreichend begründet durch den christlichen Glauben und die überlieferten Verhältnisse. Jensen lenkt den Blick auf den einzelnen Menschen. Da ist der „stille Mogens“, der, seinen Mitmenschen gleich, das Sprechen für weitgehend überflüssig hält. Als er sich in ein junges Mädchen verliebt, stürzt ihn seine Sprachlosigkeit erst in Hilflosigkeit, dann in Missbrauch und Brandstiftung, um am Ende zum Retter und Helden zu werden, der vierzig Jahre glücklich verheiratet sein wird. Die Geschichte um „Andreas Olufsen“ beschreibt das genaue Gegenteil. Der Mann, der aus der dörflichen Enge ausbricht, die Welt bereist, um, zurückgekehrt, Lebensfreude und Genuss ins Dorf zu bringen. Die Abneigung der Mitmenschen ihm und seiner Lebensfreude gegenüber treibt ihn tief in religiöse Zweifel, die er durch Gründung einer Sekte überwindet. Unglücklich und verspottet stirbt er einsam.

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Innerhalb weniger Jahre hat Sebastian Guggolz seinen Verlag zu einer viel beachteten Stimme in der literarischen Landschaft gemacht. Er konzentriert sich auf Regionen, die nicht im allgemeinen Fokus stehen, sorgt für glänzende Übersetzungen, bestes Lektorat, feinste Ausstattung und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, so 2016 mit der Übersetzerbarke und 2017 mit dem Förderpreis der Kurt Wolff Stiftung. Sebastian Guggolz stellt Neuerscheinungen und einige Herzensbücher vor.
Schauplatz dieses Romans ist die Budapester Großwäscherei Phönix. Hier schuften jede Menge Menschen tagaus tagein inmitten von Dämpfen, Chemikalien und kochendem heißem Wasser. Sie heizen, färben, waschen, bügeln was das Zeug hält und entfernen mit hohem physischem Einsatz all die dreckigen Hinterlassenschaften der wohlhabenderen Gesellschaft. „Gedankt“ wird ihnen mit Hungerlöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen. Kein Wunder tun sie es ihrem Arbeitgeber, dem Wäschereibesitzer Taube, selbst ein Aufsteiger, nach und tricksen einander nach Leibeskräften aus. Was jetzt wie ein Sozialdrama aus der Arbeitswelt klingt, erhält durch die bildmächtige kraftvolle Sprache Gelléris, der tief in die Gefühlswelten und Ängste seiner Protagonisten eindringt, einen ungeheuren Sog, sozusagen einen literarischen Schleudergang, rasant übersetzt von Timea Tankó. Andor Endre Gelléri veröffentlichte „Die Großwäscherei“ 1931 im Alter von nur 24 Jahren. Ein Trüffelfund des Guggolz-Verlags. (Stefanie Hetze)