Aus dem Französischen von Ina Pfitzner, w_orten und meer 2020, 256 S., € 14,-
(Stand März 2021)
In einem kleinen Dorf sind eines Nachts zwölf junge Männer verschwunden. Wo sind sie hin? Sind sie tot? Wer ist dafür verantwortlich? Keiner weiß, was genau zu tun ist. Die Mütter der Verschwundenen werden vom Rest des Dorfes isoliert: Es kann um einen Fluch, der mit den Müttern zu tun hat, gehen. Aber nichts macht wirklich Sinn und endlich wird beschlossen, in einem Nachbardorf zu fragen, ob dort etwas über das Verschwinden der Jungen bekannt ist. Langsam kommt die Wahrheit heraus: Sie wurden entführt und an die Küste verschleppt, um als Sklaven verkauft zu werden. In diesem eindringlichen und ergreifenden Roman wird über die Anfänge des transatlantischen Sklavenhandels aus der Perspektive der subsaharischen Bevölkerung erzählt. Miano gibt den Menschen eine Stimme, die diesem Trauma ausgesetzt waren. In einer traumartigen Prosa schildert sie, wie es gewesen sein muss, aus dem Alltag gerissen zu werden und plötzlich Terror, Gewalt und eine unbegreifliche Störung der Realität zu erleben. Eine wichtige, herzergreifende Lektüre! (Giulia Silvestri) Leseprobe

Was bedeutet es, als Frau aufzuwachsen? Was bedeutet es, den eigenen Körper beim Erwachsenwerden von innen zu spüren, während er gleichzeitig von außen betrachtet wird? Welchen Einfluss hat die Gesellschaft auf die Entwicklung eines Wesens, wie wird ein Mädchen ihre Rolle in der Welt richtig spielen? In knappen Kapiteln befasst sich die namenlose Protagonistin mit diesen Fragen. Erzählt wird ihr Leben, begleitet von zwei Kindheitsfreundinnen, die sich mit ähnlichen Fragen konfrontieren.
Kopenhagen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Tove Ditlevsen wächst in ärmlichen Verhältnissen im Arbeiterviertel Vesterbro auf. Der Vater, von Beruf Heizer und überzeugter Sozialist, wird früh arbeitslos, die Mutter ist gefühlskalt, dem Mädchen oft ein Rätsel. In der Schule und im Hof gilt das sensible, scheue Kind, das früh das Lesen entdeckt und heimlich Gedichte schreibt, als seltsam. Schonungslos, in einer konzentrierten nüchternen Prosa, beschreibt die Autorin ihre als nicht glücklich und bedrückend empfundene Kindheit in einem Umfeld, das für Mädchen Bildung nicht als notwendig ansah, und öffnet gleichzeitig den Blick, in eine Welt, die noch nicht lange vergangen ist und doch nicht mehr in dieser Form besteht. Toves Kindheit endet mit 14 Jahren. Das Gymnasium wird ihr von den Eltern verwehrt, sie muss ihre erste „Stelle“ antreten.
Heute ist Jules erster Tag als Babysitterin für Felix und Nina – ihren Hasen und den Hund. Quietschvergnügt verbringen sie den Tag gemeinsam, an dem wahrlich nicht alles glatt läuft, dafür aber sehr viele Sachen sehr viel Spaß machen. Doch dann ist Hase verschwunden … Anna Woltz ist bekannt für ihre einfühlsamen, am Leben geschulten Geschichten für Kinder. Mit diesem Bilderbuch beweist sie, dass sie auch für die Jüngsten großes erzählerisches Gespür besitzt. Verdichtet, in vagen Andeutungen und Auslassungen spornt sie die Fantasie an. Und mit Regina Kehn hat sie eine Partnerin gefunden, die ihr im Bild in nichts nachsteht, die Fäden geschickt aufnimmt und weiterspinnt. Mit jedem Anschauen entdeckt man neue Details, und Achtung Spoiler: Achten Sie unbedingt auf den Hund! (Jana Kühn)
Was für ein mutiger Einstieg in eine Bilderbuchgeschichte! Trübe Großstadtszenen hinter einer beschlagenen Scheibe, ein Kind, ganz unwichtig welchen Geschlechts, sitzt allein in einer Bahn, steigt aus und befindet sich in einer hektischen verwirrenden Großstadt. Die unterschiedlichsten Reize stürmen auf das Kind ein, Lärm, Gedränge, Menschenmassen, es blinkt, blendet, quietscht, alles auf kleinen Bildern zu entdecken. Doch das Kind weiß sich zu helfen, es gibt einem unbekannten Du Tipps, wie es sich in der Großstadthölle zurechtfinden kann, wo besondere Vorsicht gilt, wo es gute Verstecke, Schutz oder Hilfe gibt. Wer hat sich da wohl verlaufen, wem gibt das Kind nützliche Hinweise? Während das Kind immer selbstbewusster durch die Straßen läuft, fängt es heftig an zu schneien. Doch das Kind stapft zuversichtlich durch die Schneemassen, es freut sich aufs kuschelige Zuhause. Wie es endet, sei hier nicht verraten, nur dass im Schnee natürlich Spuren sichtbar sind und dieses grandiose spannende Bilderbuch zum Immer-Immer-Wieder-Anschauen und Neu-Interpretieren einlädt! (Stefanie Hetze)
Der Roman beginnt ganz klassisch mit einem Neuanfang eines Ehepaares. Sie, eine US-amerikanische Künstlerin, hat ein renommiertes Stipendium in Berlin erhalten und konzentriert sich auf ihre Karriere. Er, ein nigerianischer Doktorand, will eigentlich für seine Dissertation forschen, lässt sich aber durch Berlin treiben und lernt dabei andere Afrikaner kennen. Als Geflüchtete und Migranten führen sie ein völlig anderes Leben als er, der privilegierte verheiratete Akademiker, dessen Frau gerade durchstartet. Während er sich von ihr entfernt, in das afropolitane Berlin eintaucht und das Buch die Konventionen eines klassischen Eheromans verlässt, konzentrieren sich die nächsten Abschnitte ganz auf diese Menschen und ihre individuellen Geschichten, wie die des aus Libyen geflüchteten Chirurgen Manu. Er arbeitet als Türsteher, geht mit seiner kleinen Tochter jeden Sonntag vom Flüchtlingsheim zum Checkpoint Charlie, in der Hoffnung, dort seine Frau und ihren Sohn zu treffen, eine Verabredung, die sie auf dem Mittelmeer trafen, während ihr Boot sank…
Questa storia che parla di immaginazione è dedicata a Gianni Rodari, indimenticabile autore di libri per l’infanzia, in occasione dei cento anni dalla sua nascita.
Thorsten Nagelschmidt, Sänger der Band Muff Potter, hat nach einigen Romanen und Erzählbänden einen Episodenroman verfasst – und was für einen! Es ist Sittengemälde der Stadt, ein dichtes Berlin-Porträt, speziell ein Kreuzberg-Roadmovie rund um den Kotti und eine Art Hommage an die Menschen der Nacht. Ihre Arbeit bzw. das was sie tun, gestaltet unsere Gesellschaft, sorgt dafür, dass sie funktioniert, stellt sie aber auch auf die Probe. Da ist der blanke Taxi-Fahrer, der trotzdem eigentlich nur schnell zu seiner Liebsten möchte – ein romantischer Antrag steht an. Da ist die Rettungssanitäterin, die Ärztin werden will und deshalb auf der Abendschule das Abitur nachholt. Da ist die junge Polizistin auf ihren ersten Streifzügen rund um Kotti, Schlesi und Görli. Und auch ein Dealer, eine Flaschensammlerin, die Inhaberin eines Spätis und viele andere mehr. Wie Nagelschmidt sein Figurenensemble miteinander verknüpft, sich unwissentlich über den Weg laufen und begegen lässt, das ist ganz große Erzählkunst. Mitten im Kiez, spannend wie ein Krimi, in schlagfertigen Dialogen und mit vielen unerwarteten Wendungen rasen die Episoden durch die Nacht, die in Kreuzberg nach dem berühmten Gassenhauser ja sehr lang werden kann – mit diesem Buch in der Hand garantiert, denn sie werden es nicht weglegen können! (Jana Kühn)
Der famose Band Es flattert und singt enthält Gedichte und mehr und alles für Kinder. So heißt es gleich im Untertitel – und es ist genauso! Gemeinsam mit der Illustratorin Marion Goedelt schicken Antonie Schneider und Christine Knödler darin das Huhn Helena und den Hahn Hanibal auf eine Reise durch die Welt der Sprache. Dabei dichtet Schneider traumwandlerisch fröhlich: Zucchini haben bei ihr feine Ohren und Zitronen werfen sich in Schale. Knödler wiederum erklärt auf zahlreichen Mit-Mach-Seiten in einfacher Sprache und mit vielen anschaulichen Beispielen, wie das so funktioniert mit den Reimen, den Haikus und den Elfchen und so weiter und so fort. “So wie sich die Clowns in der Manege die Bälle zuwerfen, kannst du mit Wörtern und Buchstaben werfen, mit Silben jonglieren”. Das macht Mut, zu reimen, was das Zeug hält und so der Fantasie Tür und Tor zu öffnen und Lust auf quirligsten Nonsens bekommt man sowieso. (Jana Kühn)