Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, Rowohlt 2015, 560 S., € 22,95, Rowohlt TB € 10,99
(Stand März 2021)
Nur knapp überlebt die junge Künstlerin und Hobbyrennfahrerin Reno einen Geschwindigkeitsrekordversuch in den Großen Salzseen. Bei über 200 Sachen wirbelt es sie von ihrem Motorrad. Sie wird in diesem Buch noch schneller werden. Geschwindigkeit spielt auch im zweiten Erzählstrang des Romans eine wichtige Rolle. Dieser beginnt in Italien vor dem Ersten Weltkrieg und erzählt die Geschichte der norditalienischen Industriellenfamilie Valera, die mit Motorrädern gute Geschäfte macht. Beide Erzählstränge treffen zeitlich aufeinander. Es sind die 1970er, in denen Reno einen der Valerasöhne in New York kennen lernt. Der Kreis schließt sich ein zweites Mal, denn der Konzeptkünstler Sandro führt Reno in die wilde Kunstszene SoHos ein. Als die beiden gemeinsam nach Italien reisen, geraten sie mitten in die politischen Wirren und Kämpfe der anni di piombo – der bleiernen Jahre Italiens. Machomänner, Szene- und Künstlerattitüden, revolutionäre Phantastereien, Rachel Kushner seziert sie alle. Auch wenn die Feuilletons schon einige Loblieder auf diesen Roman gesungen haben, möchten wir uns anschließen und ihn ausdrücklich als mitreißende und kluge Ferienlektüre empfehlen. (Jana Kühn)

Einst war Corso Bramard der jüngste Kommissar Italiens, erfolgreich und talentiert. Doch dann wurde seine Frau von dem von ihm verfolgten Serienkiller ermordet und seine Tochter verschwand spurlos. Seither lebt er zurückgezogen in einem Bergdorf des Piemont, arbeitet als Lehrer und besteigt nachts die Berge. Doch der Mörder von damals schreibt ihm nun, dreißig Jahre später, Briefe mit Liedzeilen Leonard Cohens. Als einer der Briefe auch noch ein Haar des allerersten Opfers enthält, ist Bramard gezwungen, sich erneut auf die Spuren des Killers zu begeben – und sich den Dämonen in seinem eigenen Inneren zu stellen. Hochspannend und intelligent geschrieben zieht der Roman den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann. (Syme Sigmund)
Wu Ming ist ein italienisches Autorenkollektiv und steht für »ohne Namen« oder auch »fünf Namen« – je nachdem, wie man die erste Silbe ausspricht – zugleich eine Hommage an chinesische Dissidenten, die diesen Namen häufig benutzen. Die wohl fünf Autoren widmen sich mit Vorliebe der Geschichte, was nicht heißt, dass sie genauestens die Frage »Wie war etwas?« verfolgen. »Was wäre gewesen, wenn …?« trifft es schon viel eher – so auch im Jahr 1954. Der Kalte Krieg bestimmt das politische Weltklima. Osten wie Westen schicken ihre Geheimdienste ins Rennen – die Gunst Titos bzw. Jugoslawiens sollen ideologisch gewonnen werden. Für den MI6 ist kein anderer als Cary Grant der Mann der Stunde, doch der KGB hat davon längst Wind bekommen. Die Jagd beginnt und der Leser rast mit in diesem herrlich temporeichen und absurden Lesevergnügen zwischen Hollywood und Moskau, zwischen Bologna, Triest und Neapel. Wu Ming sind in Italien zurecht längst Kult und nun endlich auch in deutscher Übersetzung! (Jana Kühn)
1884 unternimmt Edmondo de Amicis eine Schiffspassage von Genua nach Uruguay. Während der erfolgreiche Schriftsteller mit wenigen anderen wohlhabenden Mitreisenden angenehm in der 1. Klasse reist, ist die Galileo vollgestopft mit Auswanderern, die fast ihr letztes Hemd gegeben haben für die Aussicht auf ein Leben in Südamerika ohne Hunger und Elend. Dazwischen gibt es noch wenige Bürgerliche in der 2. Klasse. Diese Aufteilung entspricht den sozialen Verhältnissen. De Amicis nutzt die lange Seereise, die Menschen aus diesen unterschiedlichen Gruppen genau zu beobachten und sie mit ihren Besonderheiten und Eigenarten anschaulich zu porträtieren. Da entsteht ein vielstimmiger menschlicher Kosmos, ein mikroskopisches Abbild der italienischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Seine schöne lebendige Sprache, die Annette Kopetzki trefflich ins Deutsche übertragen hat, läßt einen wirklich mitreisen. Und beim Lesen schwingt, wie Erri de Luca betont, immer mit, dass die 3.Klasse-Emigranten von damals luxuriös reisten im Vergleich mit den Flüchtlingen von heute. (Stefanie Hetze)
Das Einzelkind Maurizio verbringt jeden Sommer in einem sardischen Provinzstädtchen bei den Großeltern. Angefüllt sind diese schier unendlichen Monate von phantasievollen, teils gewagten Spielen mit den beiden Freunden Franco und Giulio, von Geschichten und Ritualen der Erwachsenen. Prägend für Maurizio ist ein großes Zugehörigkeitsgefühl, das nur von gelegentlichen Beeinträchtigungen wie Touristen und dem Schweigen der Alten bei Familiendramen gestört wird. Dann aber passiert es, der Bischof beschließt, eine neue Kirchengemeinde zu gründen, die den Ort spaltet und alle scheinbar intakten Beziehungen komplett in Frage stellt. Mit dem Ritual der Osterprozession L’incontro, sardisch S’incontru, wird der Konflikt auf die Spitze getrieben. Es gibt doch nur eine Piazza und eine Musikkapelle! Michela Murgia, die hier autobiographische Erfahrungen verdichtet, läßt ihre drei zerstrittenen Jungs eine großartige Lösung finden. (Stefanie Hetze)
Triest 1943: im Hafen wird ein schwerverletzter Mann gefunden und an Bord eines deutschen Schiffes gebracht. Als er aus dem Koma erwacht, hat er sein Sprachvermögen und sein Gedächtnis verloren. Einzige Anhaltspunkte für seine Identität sind ein finnischer Name auf dem Etikett seiner Jacke und Initialien auf einem Taschentuch. An Bord befindet sich ein exilierter finnischer Neurologe, der es zu seiner Berufung macht, den vermeintlichen Landsmann Schritt für Schritt wieder zurückzuführen, zur Sprachbeherrschung und ins Leben. So lernt „Sampo Karjalainen“ unter Mühen, wieder zu sprechen, und die Strukturen der Sprache, genauer gesagt des Finnischen, werden zum Versuch, die Welt und sich selbst zu begreifen. In den Kriegswirren reist er nach Helsinki, um sich dort „wiederzufinden“, doch alles kommt anders als gedacht. Diego Marani geht von zunächst bekannt erscheinenden Elementen aus, doch er macht etwas Neues daraus: einen Roman, der weniger von seiner Handlung lebt, sondern anhand der komplexen finnischen Sprache darüber nachdenkt, wie wir unseren Weg in die Welt bahnen, wie wir im Gespräch zu denen werden, die wir sind, wie Wörter uns formen, welche Schwierigkeiten und Bereicherungen mit dem Wechsel von einem Sprachkosmos – und damit einer Kultur – in den anderen einhergehen und wo wir möglicherweise an unsere Grenzen stoßen. Ein ungewöhnlicher, lesenswerter Roman. (Judith Krieg)
Was bleibt von einer Freundschaft, wenn der eine Freund verstirbt? Was verharrt an den Orten, in den Büchern, im flüchtigen Element der Erinnerung von der Einzigartigkeit des anderen und von der einzigartigen Verbindung? In „Erkennst du mich“ (dtv; “Mi riconosci“, Feltrinelli 2013) spürt Andrea Bajani seiner Freundschaft zu Antonio Tabucchi nach, der 2012 verstorben ist. Er umkreist die Eigenheiten, die liebenswerten und auch die schwierigen Seiten des Freundes, er erinnert sich an den Anfang ihrer Freundschaft und an die letzten gemeinsamen Momente. Schreibend kehrt Bajani an Orte zurück, an denen sie Zeit miteinander verbracht haben – im Geburtshaus Tabucchis in der Toskana, in Paris, in Portugal. Der Schriftstellerfreund nimmt auch in den Motiven und im Stil des Buches Gestalt an: Fast scheint es, Tabucchi, selbst ein Autor der Erinnerung, verschmelze hier mit seinen eigenen Romanen, wie etwa dem tagträumerischen „Lissaboner Requiem“, indem er die wichtigen Toten in seinem Leben wiedergetroffen und im Schreiben eine letzte Unterhaltung geführt hatte. Andrea Bajani hat ein sehr persönliches, zartes, traurig-heiteres und auf seine Weise mutiges Buch geschrieben, das auch der Frage nachgeht, inwiefern man dem anderen gerecht wurde oder gerecht werden kann. (Judith Krieg)
Seit den Büchern Roberto Savianos ist der Name des kleinen Ortes “Casal di Principe” im Hinterland Neapels ein Synonym für das organisierte Verbrechen. Aus diesem Ort stammt der in Italien bekannte Schauspieler und Filmproduzent Amedeo Letizia und mit ihm zusammen hat sich die Journalistin Paula Zanuttini auf die Reise in seine Vergangenheit gemacht – eine Vergangenheit, die schwankend zwischen Resignation, Angst und Wut tiefe Spuren in seiner Seele hinterlassen hat. Seine Kindheit war geprägt von Freundschaften mit Jungen, die später zu bekannten – oder toten – Camorristi wurden, von einem tagtäglichen Umgang mit Schusswaffen, von einer uns fremden Welt mit eigenen Regeln und Gesetzen, in der die Clanchefs Idole waren. “Ich dachte immer, wir aus Casale sind die normalen und ihr seid die Bekloppten. Ich habe Jahre gebraucht, um das zurechtzurücken” sagt Letizia. Zwei Brüder verliert er an diese Welt. Der eine verschwindet spurlos, der andere stirbt bei einem tödlichen Autounfall. Wie der von den Clans schon zu Höherem bestimmte Junge sich nach und nach aus dieser von aggressivem, extremem Tribalismus geprägten, auf kultureller und rechtlicher Autarkie fußenden Welt mit bäuerlichen Wurzeln befreit, nach Rom geht, an sich arbeitet und doch immer wieder an seiner Hassliebe zur Heimat, seinen nächtliche Albträume heraufbeschwörenden Erinnerungen und der Ungewissheit über das Schicksal seines verschollenen Bruders verzweifelt, beschreibt dieses Buch sehr eindrücklich und fügt “Gomorrha” eine weitere, wissenswerte Facette hinzu. (Syme Sigmund)
Rom durchlebte nach dem Ende des 2. Weltkriegs nicht nur einen Wiederaufbau, sondern in den 1950er und 1960er Jahren einen regelrechten urbanen Aufbruch. Die Stadt vergrößerte sich immens in ihrer Fläche und ihrer Einwohnerzahl. In dieser Stimmung des Neuanfangs wurde sie zum Magneten für Kulturschaffende aus Literatur, Film, Kunst und Philosophie, die die Atmosphäre der Stadt und die Ära der Dolce Vita prägten. Anhand biographischer Skizzen einiger der wichtigsten Protagonisten, wie Moravia, Pasolini und Gadda, beschreibt Maike Albath diese Phase der Umbrüche. Immer wieder kommen Zeitzeugen zu Wort. Was dabei entsteht ist viel mehr als eine gängige Stadtgeschichte oder Künstlerbiographie – eher ein Stück italienischer Kulturgeschichte, ein Füllhorn an Daten, Fakten, Episoden und Anekdoten, das durch den gekonnten Stil der Autorin ein wahrer Lesegenuss wird. (Jana Kühn)
Dieses besondere Kochbuch enthält nicht nur verständlich beschriebene Rezepte von echt neapolitanischen Gerichten, sondern auch einen einführenden, mit vielen Fotos ausgestatteten Teil über neapolitanische Esskultur und Lebensart. Der Autor, ein gebürtiger Neapolitaner und Fotograf, hat Anekdoten und Legenden über die neapolitanische Küche zusammengetragen, berichtet unterhaltsam von den Bräuchen der Region Kampanien und unternimmt Streifzüge durch die Geschichte und das Alltagsleben Neapels. Die vielen Rezepte – vom echten neapolitanischen “Ragù della domenica”, das 24 Stunden köcheln muss, über den “risotto alla pescatora” und “alici fritte” bis zu Babà und Limoncello – lassen sich leicht nachkochen und schmecken (wir haben es ausprobiert) wirklich wie vor Ort. Sowohl für gestandene Neapelkenner, die ihrer Nostalgie frönen möchten, als auch neugierige Liebhaber der authentischen italienischen Küche kommen hier gleichermaßen auf ihre Kosten. (Syme Sigmund)