Aus dem Amerikanischen von Pociao, Diogenes 2017, 208 S., € 20,-, TB 2018, € 12,-
(Stand April 2021)
In einer US-amerikanischen Kleinstadt leben zwei verwitwete Nachbarn in den großen Häusern, die vor vielen Jahren einmal das Zuhause für ihre Familien waren – doch nun sind sie dort allein, oft genug einsam. Eines Tages geht die 70jährige Addie ausgesprochen mutig auf ihren Nachbarn Louis zu: Sie bittet ihn, die Nächte mit ihr zu verbringen, heißt, wenn die Einsamkeit am größten ist, die Lücke mit Gesprächen zu befüllen. Nur das. Louis akzeptiert und so liegen die beiden nun Nacht für Nacht beieinander und kommen einander zögerlich näher. Trotz der jahrzehntelangen nachbarschaftlichen Nähe wissen sie nur wenig voneinander und erzählen sich in aller Offenheit aus ihrem mit allen Höhen und Tiefen gelebten Leben mit Schicksalsschlägen, mit Fehlern, mit glücklichen Momenten auch. Dieses vorsichtige Kennenlernen beschreibt Kent Haruf unaufgeregt und sparsam fast, dennoch warmherzig, aber ohne zu verkitschen. Er erzählt von einer Chance auf reifes, selbstbestimmtes Glück, das aber an verbohrten Konventionen zu scheitern droht. Denn der Kleingeist der sowohl nahen Nachbarn als auch der fernen Verwandten stört sich an der „schamlosen“ Zweisamkeit. (Jana Kühn)

Ruggiero Miletti, Oberhaupt einer der mächtigsten Familien Italiens, ist entführt worden. Kommissar Zen merkt schnell, dass mehr dahinter steckt, als eine Tat sardischer Schafhirten, nur dass keiner – weder die Familie, noch die lokale Polizei – außer ihm ein Interesse daran hat, den Fall wirklich aufzuklären … Dies ist der 1988 erschienene erste Band einer äußerst spannenden und mit gut gezeichneten, vielschichtigen Charakteren ausgestatteten Krimireihe um Aurelio Zen, römischer Polizeikommissar mit venezianischen Wurzeln, die nun erfreulicherweise vom Unionsverlag neu aufgelegt wurde.
Kapstadt, Südafrika – die achtzigjährigen Nachbarinnen Hortensia und Marion sind erbitterte Feindinnen, die einander in den Eigentümerversammlungen ihrer exklusiven Wohnanlage auf hohem Niveau und mit allen Raffinessen bekriegen. Beide Frauen waren beruflich außerordentlich erfolgreich und mit ebensolchen Männern verheiratet. Doch ist ihr Machtkampf keiner zweier Gleicher. Hortensia ist die einzige schwarze Villenbesitzerin in diesem Reichenvorort und hat als Trumpf immer den Rassismusvorwurf in petto. Doch weiß Marion genau, wie sie die andere treffen kann. So unterbreitet sie ihrer Feindin genüsslich das Ansinnen von Nachfahren ehemaliger Bewohner des Lands, ausgerechnet auf Hortensias Grundstück bestattet werden zu wollen und damit in deren Autonomie einzugreifen.
Um eine Schaffens- und Lebenskrise in Mailand hinter sich zu lassen, mietet sich der dreißigjährige Autor Paolo Cognetti Ende April in einer einsamen Berghütte in 2000 Metern Höhe ein, in der er fernab der Zivilisation einen ganzen langen Sommer allein verbringen will. Im Gepäck hat er Bücher anderer weltverdrossener Autoren und die Hoffnung, selbst wieder schreiben zu können. Als Stadtmensch, zu dessen glücklichster Erinnerung Kindheits- und Jugendsommer im Gebirge gehören, möchte er das Freiheitsgefühl von früher wiederfinden. Doch steht er sich erst einmal selbst im Weg, tun Schnee, Kälte, Nebel, die Höhe ihr übriges. Ganz langsam akklimatisiert er sich, erkundet er die Umgebung und lernt er Hirten kennen, mit denen er sich auf eine vorsichtige schöne Weise anfreundet. Und zum Glück kehrt auch Cognettis verlorengeglaubte feine Sprache zurück. (Stefanie Hetze)
Amal ist jung, aus reichem Hause und steht am Beginn einer vielversprechenden Schauspielerkarriere. Hammoudi hat sein Medizinstudium in Paris mit Auszeichnung abgeschlossen und ist nur nach Syrien zurückgekehrt, um seinen Pass verlängern zu lassen. Beide werden durch den Beginn des Krieges aus ihrem Leben gerissen. Amal sympathisiert mit den Protesten gegen das Regime und nimmt in Damaskus an Demonstrationen teil. Dadurch gerät sie ins Visier des Geheimdienstes. Nach Verhaftung und Folter entkommt sie nach Beirut. Hammoudi überraschen die beginnenden Kämpfe in seiner Heimatstadt im Osten Syriens. Er versucht unter improvisierten Bedingungen so vielen Verletzten wie möglich als Chirurg das Leben zu retten und sieht tausende sterben. Die Machtübernahme des IS zwingt auch ihn zur Flucht. Olga Grjasnowa verschont den Leser nicht, erzählt in nüchtern klarer Weise von Folter, Flucht und Krieg und führt uns vor Augen, was wir zu gern verdrängen. Ein wichtiges Buch, das unter die Haut geht. (Syme Sigmund)
1936, Leningrad. Ein Mann steht jede Nacht neben dem Fahrstuhl seines Hauses und wartet darauf, von Stalins Schergen abgeholt zu werden. Es ist der Komponist Schostakowitsch und sein Todesurteil bestand aus einem Satz – „Chaos statt Musik“ – sowie der Tatsache, dass Stalin die Aufführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ frühzeitig verließ. Nur ein Zufall rettet ihm schließlich das Leben, doch die Angst soll ihn sein Leben lang nicht mehr verlassen und ihn selbst auf dem Höhepunkt seines Ruhms immer wieder Kompromisse mit der Macht eingehen lassen. Barnes erzählt zum einen das Leben Schostakowitschs anhand von drei Schlüsselmomenten 1936, 1948 und 1960, geht aber auch weiter reichenden Fragen nach. Er beschreibt den Künstler im Getriebe der Diktatur und stellt die Frage, ab wann ängstliche Anpassung zu Schuld wird. Ein höchst lesenswertes Buch für Musikinteressierte und jeden, dem menschliche Schwäche nicht fremd ist, in Zeiten, da die Frage nach individueller Aufrichtigkeit wieder an Aktualität gewinnt.
Natascha Wodin ist mit dem Schweigen aufgewachsen. 1956, als sich ihre Mutter wortlos ertränkt, ist sie noch ein Kind. Ein Kind, das sich völlig ausgegrenzt fühlt und fast nichts weiß von der Lebensgeschichte der Mutter, einer ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin. Weshalb sie in einer Barackensiedlung und am Rande der deutschen Gesellschaft lebten, hatte dem Mädchen niemand erklärt. Natürlich hat sie als Erwachsene immer wieder nach Spuren der Mutter gesucht, doch vergeblich. Als sie vor wenigen Jahren deren Daten in eine russische Suchmaschine eingibt, ahnt sie nicht, welch Schneeballeffekt ihr Eintrag nach sich ziehen wird und dass sich ihre Kindheitsträume von einer aristokratisch-künstlerischen Familie in Realität verwandeln werden. Schritt für Schritt zeichnet Wodin die Geschichte ihrer Familie und die ihrer Mutter nach. Sie musste die brutalen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts (Sowjetherrschaft, Stalinismus, Nationalsozialismus, Zwangsarbeit, Heimatlosigkeit) drastisch am eigenen Leib erleben und konnte nichts anderes als schweigen. Ihre Tochter gibt ihr und stellvertretend den vielen anderen Leidtragenden Sprache, eine Biografie und Würde zurück. Ein berührendes Buch, das nachwirkt. (Stefanie Hetze)
Mohamed Amjahid erzählt von der auch persönlichen Erfahrung als Nicht-Weißer in einer Gesellschaft dazu zu gehören und dennoch außen vor zu bleiben. In Deutschland geboren und aufgewachsen, geht er im Alter von sieben Jahren mit seiner Familie nach Marokko. Für seine Eltern eine Rückkehr nach enttäuschenden, zähen Gastarbeiter-Jahren, für ihn ein Start in einem fremden Land. Zum Studium kehrt er nach Deutschland zurück und arbeitet alsbald als ausgezeichneter Journalist für renommierte Zeitungen. Mohamed Amjahid kennt so extreme Situationen der Wertschätzung wie der Diskriminierung – beides oft nah beieinander. In klaren Ansagen thematisiert er versteckten, aber alltäglichen Rassismus und führt der weißen Mehrheitsbevölkerung vor Augen, was es heißt privilegiert zu sein. Das gelingt ihm bei aller hartnäckigen Analyse gänzlich ohne Verbitterung, dafür mit einem offenen Blick nach vorn. „Unter Weißen“ ist ein höchst aktuelles, überaus wichtiges Buch. Es liest sich sowohl als Aufforderung zum kritischen Blick in den Spiegel als auch zum zugewandten Gespräch. (Jana Kühn)
Die junge Weddingerin Hazal Akgündüz wehrt sich. Sie will leben, lieben, frei sein. Ganz anders ihre Realität: keine Perspektive und zu Hause den konservativen Eltern Tee servieren müssen. Nur mit Tricksereien gelingt es ihr, ihren 18. Geburtstag mit Freundinnen zu verbringen. Gemeinsames Auftakeln und Wodkakippen und dann ab in den Club gestöckelt. Anders als die westlichen Ausländer dürfen sie nicht rein, alles ist versaut. Gedemütigt und betrunken wissen die jungen Frauen nicht wohin. Es kommt zu einer Begegnung mit einem blöden Jutebeutelträger, die so extrem eskaliert, dass Hazal in Istanbul, wo sie noch nie war, untertauchen muss.