Dumont Verlag 2020, 250 S., € 22,-, TB Juli 2021, € 12,-
(Stand Juli 2021)
Younes, 17, hat sich einen Panzer zugelegt, nichts lässt er an sich ran, keiner legt sich mit ihm an. Dabei ist er immer korrekt, freundlich, will keine Angriffsfläche bieten, denn die bietet seine Mutter Shahira schon zur Genüge. Alleinerziehend, freizügig und selbstbewusst, von den Männern begehrt und umgarnt, von den Frauen gehasst, ist sie stete Provokation in der traditionellen kurdisch-irakischen Community irgendwo im Ruhrgebiet.
Zwei teils entgegengesetzte, teils einander in Motiven spiegelnde Geschichten enthält dieses Wendebuch, zwei mögliche Realitäten, erzählt von Younes Freunden Raffiq und Amal. Doch welche Richtung die Handlung auch nimmt, immer sind die Jugendlichen mit Shahiras provozierender und befreiender Gegenwart konfrontiert und müssen am Ende ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Ein raffiniertes Spiel mit Erwartungen und Vorurteilen sowie ein ungekünstelter Blick auf die vielschichtigen Herausforderungen an die junge Generation, die zwischen den Kulturen und Geschlechterrollen ihre eigene Identität sucht. (Syme Sigmund) Leseprobe


Ein Vater wird dement und
Betty – Mitte Vierzig, nie angekommen im Leben, eher immer noch Jugendliche kurz vor dem Absturz als gestandene Frau -zögert nicht lang, als ihre Uraltfreundin Martha sie bittet, sie zu begleiten – ihr todkranker Vater will in die Schweiz gefahren werden, er hat einen Termin, übermorgen, Sterbehilfeinstitut. Zu dritt brechen sie auf, doch nichts bleibt, wie es scheint und auch Betty hat einen Vater im emotionalen Gepäck, einen italienischer Stiefvater, der einzige, den sie je liebte und der verschwand, als sie zehn Jahre alt war. Wie es weiter geht in Italien und schließlich in Griechenland mit dieser rasanten Road-Novel voller überraschender Wendungen, in der viel geraucht und noch mehr getrunken wird und beide Väter noch so einiges zu melden haben, erzählt Lucy Fricke mit herrlich trockenem Humor und viel geistreicher Ironie. Ein höchst amüsantes Buch, bei dem am Schluss – doch, das auch – die Träne im Augenwinkel steht. (Syme Sigmund)
Als tragisch bezeichnete die Antike Situationen, in denen die unausweichliche Notwendigkeit besteht, so zu handeln, dass etwas Verhängnisvolles passiert. Ralf Rothamanns Buch ist in diesem klassischen Sinn ein tragischer Roman. Er versucht, das Kriegstrauma des eigenen Vaters aufzuarbeiten, der mit 17 zusammen mit seinem besten Freund Fiete noch 1944 zwangsrekrutiert und an die Front geschickt wurde. Als Fiete desertiert und gefasst wird, wird Walter ins Erschießungskommando beordert und steht vor der Entscheidung, abzudrücken oder selbst erschossen zu werden. Sein Vater hat nie über seine Erlebnisse gesprochen. Rothmann beschreibt die Schrecken des Krieges mit einer beklemmend dichten, schockierend direkten und gleichzeitig hochpoetischen Sprache. Er hat einen großartigen Antikriegsroman geschrieben, der unter die Haut geht und noch lange nach der Lektüre im Leser Spuren hinterlässt. (Syme Sigmund)