Mario Vargas Llosa: Harte Jahre

Aus dem Spanischen von Thomas Brovot, Suhrkamp 2020, 411 S., € 24,-, TB April 2021, € 12,-
(Stand April 2021)

vargasDieses zwischen historischem Bericht und Roman changierende Buch berichtet davon, wie wirtschaftliche Interessen ein Land zerstören können. 1951 wurde in Guatemala Jacobo Árbenz mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Er setzte eine Landreform um, im Zuge derer die völlig verarmte indigene Bevölkerung Land zugesprochen bekam, das der Bananenkonzern Unitet Fruits (später Chiquita) brach liegen ließ. Zudem verlangte er vom Konzern Steuern und befürwortete die Gründung von Gewerkschaften. Mithilfe der CIA, welche die dreiste Lüge verbreitete, der Kommunismus habe in dem lateinamerikanischen Land einen Fuß in der Tür der USA, wurde Árbenz 1954 gestürzt und ein Militärregime beherrschte jahrzehntelang das Land, machte die Reform rückgängig und war für zahllose Morde, Entführungen und Folter verantwortlich. Vargas Llosa erzählt diese „Harten Jahr“, die Intrigen, welche zum Fall des demokratisch gewählten Präsidenten sowie zur Ermordung des zu „schwachen“ ersten Diktators führten, in spannungsvollen, kurzen Kapiteln, jeweils aus der Sicht der verschiedenen Akteure. Ein fast journalistischer Politthriller und ein Muss für alle, die sich für lateinamerikanische Geschichte interessieren. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Ottessa Moshfegh: Heimweh nach einer anderen Welt.

Storys. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger, Liebeskind 2020, 336 S., € 22,-; TB btb Juni 2022, € 12,-

(Stand Juni 2022)

Moshfeg Heimweh_Danteperle_Dante_Connection Buchhandlung Berlin KreuzbergDiese Sammlung enthält vierzehn Kurzgeschichten, die in Zeitschriften wie der »Paris Review« und dem »New Yorker« veröffentlichen wurden. Ein roter Faden verbindet sie: Alle Figuren möchten besser sein – symbolisch ist der Titel der ersten Geschichte, Ich bessere mich, in der ein Lehrer Beweise fälscht, sich in den Schultoiletten übergibt und Drogen nimmt. Die nächste handelt von dem distinguierten, mysteriösen Mr. Wu, der von dem pervertierten Besitzer einer Spielhalle besessen ist. Es folgen die Frau, die in Ferienhäusern wohnt, um sich mit billigen Drogen zu betäuben, der faule Junge, der nach Los Angeles zieht, um seinen Traum, Schauspieler zu werden, zu verwirklichen, das Mädchen, das sich für die Lippen seiner Vulva schämt, weil sie sie für zu groß hält.
Die Autorin erzählt schnell und konsequent. Ihr Schreiben ist geradeheraus, provokativ, packend, aber nicht übertrieben – leichterhand entwirrt sie diesen höchst originellen Wirbel aus Nihilismus, Mitgefühl, Betrügereien, Selbsttäuschungen, Tod und subtilem Humor. Ihr beinahe amüsierter Blick zeigt die Zerbrechlichkeit, die sich in den groteskesten und unwahrscheinlichsten Situationen des Lebens versteckt: Eine der interessantesten Anthologien von Kurzgeschichten der letzten Zeit. (Giulia Silvestri) Leseprobe

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Markus Orths: Luftpiraten

Illustriert von Lena Winkel, Ueberreuter 2020, 256 S., € 14,95, ab 9
(Stand März 2021)

Orths Luftpiraten Danteperle Dante ConnectionLuftpiraten leben in Luftlöchern (unterluftig miteinander verbunden), sind grauhäutig, immer schlecht gelaunt und stets streitlustig (schon mal überlegt, wo Blitz und Donner herrühren? Na also). Dafür gibt es sogar eine Schule, mit Streitunterricht und Brüllwettbewerb. Luftpiratenlehrer Adiaba ist da selbstverständlich Experte, doch eines Tages liegt ein Baby vor seiner Tür: Zwolle. Eine Katastrophe! Denn Zwolle ist ein Weißer Luftpirat, lieb, nett, freundlich – und verboten! Adiaba bringt es nicht übers Herz (was für ein ungewohntes Gefühl!) ihn anzuzeigen.  Als er dafür verhaftet und verbannt wird, macht Zwolle sich mit Franka, dem unerschrockensten Luftpiratenmädchen weit und breit, Kaspar, einem wandelbaren Luftikus, Theo Rättich, einem furchtbar gelehrten Luftpiraten, sowie Charley Gottchen, der nur als Stimme existiert, auf, ihn zu befreien. Ein spannender Roman für alle ab 9 und zum Vorlesen, ein mitreißendes Feuerwerk sprachlicher Fantasie. (Syme Sigmund)

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Jonathan Coe: Middle England

Aus dem Englischen von Cathrine Hornung und Dieter Fuchs, Folio Verlag 2020, 480 S., € 25,-, TB Heyne 2023, € 13,-

(Stand Februar 2024)

Middle England_Coe_Cover.inddEngland zwischen 2010 und 2018. Eine Gruppe alter Freunde zwischen London und Birmingham, eher links orientierte Intellektuelle und ihre Familien, erleben und registrieren den schleichenden Wandel der Gesellschaft bis hin zum Brexit, die zunehmende Fremdenfeindlichkeit und Verbittertheit der Middleclass, die „Old England“ verklärt, der „Political Correctness“ den Kampf ansagt und die Grenzen des „öffentlich sagbaren“ nach und nach immer weiter verschiebt. Verschiedenste Episoden, dem Leben der Protagonisten über die Jahre folgend und spannungsreich miteinander verwoben, lassen einen intensiven Eindruck von der Stimmung im Land entstehen. Dabei ist Coes durchaus unterhaltsam-ironischer Roman kein ausschließlich auf England zu beziehendes Buch, sondern zum Verständnis der in ganz Europa erfolgten und noch erfolgenden sozial-politischen Entwicklung unbedingt lesenswert. (Syme Sigmund)

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Kelly Barnhill: Das Mädchen mit dem Herz aus Gold

Fischer Sauerländer 2019, aus dem amerikanische Englisch von Ilse Layer, 384 S., € 16,-, ab 10
(Stand März 2021)

BarnhillIn einer Welt mit Spiegelhimmel, über den Zwillingssonnen ziehen, begegnen wir einer vielleicht nicht allzu hübschen Prinzessin, einem still-mutigen Pferdeflüsterer, einem bösen, gefangenen Gott, der die Stunde seiner Rache gekommen sieht und einem altersmüden Drachen. Was das goldene Buch aus der verborgenen Bibliothek, vergrabene Herzen und drei Leute aus dem kleinen Volk mit der Geschichte zu tun haben wird nicht verraten. Ein fesselndes Phantasy-Abenteuer über die Macht von Geschichten – im Guten wie im Bösen. (Syme Sigmund)

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Hannelore Cayre: Die Alte

Aus dem Französischen von Iris Konopik, Ariadne Verlag 2019, 208 S., € 18,-, TB 2022, € 13,-

(Stand September 2022)

Cayre Die Alte_Danteperle_Dante_Connection Buchhandlung Berlin KreuzbergPatience Portefeux ist eine erschöpfte Frau, die sich vorbildlich aufreibt zwischen Job und Familie.  Das Leben hat sie nicht mit Samthandschuhen angefasst: Die Eltern, „halbseidene Exoten“, teilen den Verlust der Heimat und kompensierten diesen mit instinktiver Geldliebe und wenig Fürsorge. Als Frühwitwe hat sie zwei Töchter allein großgezogen und muss nun mit Mitte Fünfzig für das Pflegeheim der entrückten Mutter aufkommen. Nicht nur eine finanzielle Belastung. Für die Pariser Kripo übersetzt sie Telefongespräche von arabischen Groß- und Kleindealern. Um Gleichgewicht bemüht, nutzt sie die „Eskapaden“ der Kriminellen zu tagträumenden Ausflügen aus ihrem  festgefahrenen Leben.
Aber ein missglückter Deal erfordert schnelles Handeln und eröffnet unverhofft einen realen Ausweg. Weder zimperlich noch skrupellos aber doch mitfühlend wird sie zu einer wahren, aber auch streitbaren Heldin, die ein System, das sich selbst ad absurdum geführt hat, für sich zu nutzen weiß.
Hannelore Cayre arbeitet als Strafverteidigerin in Paris, ihre Arbeit mag ihr eine wahre Fundgrube sein. Mit ihrem Roman, den sie mit provokanten Überspitzungen und groteskem Humor  anreichert, gelingt es ihr virulente Themen der französische Vergangenheit und Gegenwart elegant durchzuspielen. So unterhaltsam wie lesenswert. (Franziska Kramer)

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Helon Habila: Öl auf Wasser

Aus dem Englischen von Thomas Brückner, Unionsverlag 2019, 256 S., € 12,95

(Stand März 2021)

HabilaRufus ist ein junger Journalist, der sich mit seinem Job bei einer kleinen Zeitung über Wasser hält. Als sich ihm die Gelegenheit bietet, mit dem legendären Reporter Zaq die von Rebellen entführte Ehefrau eines englischen Ölingenieurs aufzuspüren, lässt er sich diese nicht entgehen. Die Reise führt sie in die Sümpfe des Nigerdeltas, eine vergiftete apokalyptische Welt, in der Vögel und Fische sterben, die Mangroven von einem Ölfilm überzogen sind, die Landschaft unter Pipelines begraben liegt, die Nacht von Abgasfackeln erhellt wird und die Fischer, ihrer Lebensgrundlage beraubt, entweder ins Elend der Slums oder zu den Rebellen getrieben werden. Zwischen die Fronten geratend, erfahren Rufus und Zaq hautnah, wie die Soldaten, welche die Rebellen bekämpfen sollen, die lokale Bevölkerung terrorisieren und Macht- gepaart mit Habgier die Menschenrechte mit Füßen treten. Ein spannend und großartig geschriebener Krimi, der uns drängend vor Augen führt, welchen Preis Menschen und Natur für die von internationalen Großkonzernen verschuldete Umweltkatastrophe in Nigeria zahlen müssen.
Der Roman war 2012 auf Deutsch bei Wunderhorn erschienen und lange vergriffen. Wir freuen uns sehr, dass er vom Unionsverlag nun als Taschenbuch wieder aufgelegt wurde. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Christelle Dabos: Die Spiegelreisende

Band 1: Die Verlobten des Winters, aus dem Französischen von Amelie Thoma, Insel Verlag 2019, 535 S., € 18,-, TB 2021, € 12,-,  ab 12

(Stand September 2022)

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Der Fantasy-Roman handelt von der Erde lange nach der heutigen Zeit. Die Erde ist in 21 große und Unmengen kleinere Archen zersplittert. Die Bewohner jeder Arche haben verschiedene Fähigkeiten, welche auf keiner der anderen Archen vertreten sind. Die Hauptperson Ophelia  lebt auf der friedlichen  Anima. Nun soll ihr Leben vollkommen verändert werden. Die Doyennen haben sie mit Thorn, einem Mann vom Pol, verlobt. Der Pol ist eine riesige eisige Arche. Ophelia, die ihre Arche noch nie verlassen hat, soll zukünftig mit ihrem  Mann Thorn auf dem Pol leben. Doch der unterscheidet sich stark von Anima …
Ein sehr spannendes Buch mit überraschenden Wendungen. Sehr gut geschrieben. Auch wird man in die Handlung ohne großen Prolog geworfen, was für mich ein Pluspunkt ist. Ein starker erster Band der Saga! (Konni, 14 Jahre, Schülerpraktikant) Leseprobe 

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Marisha Pessl: Niemalswelt

Aus dem Amerikanischen von Claudia Feldmann, Carlsen 2019, 384 S., € 18,-, TB Juni 2021, € 8,99, ab 14
(Stand Juni 2021)

Es geht um Bee. Nach dem Tod ihres Freundes Jim hat sie sich zurückgezogen und ihre sozialen Kontakte abgebrochen. Ein Jahr später wird sie von vier ihrer alten Freunde zu einem Wochenende in Wincroft eingeladen. Dort angekommen fahren sie alle zu einem Konzert. Da wird natürlich getrunken, weshalb sie auf dem Rückweg nur knapp einem Autounfall entgehen. Zurück in Wincroft klingelt ein alter Mann. Er teilt ihnen mit, der Unfall wäre wirklich passiert und nur einer hätte überlebt. Welcher der Fünf überleben soll, müssten sie selbst abstimmen mit maximal einer Gegenstimme. Bis sie das geschafft haben, müssten sie die gleichen 11,2 Stunden immer wieder erleben. Doch inwiefern unterscheidet sich die Niemalswelt von der normalen und können alle der Niemalswelt widerstehen?
Ein spannendes Buch mit einem unerwarteten Ende. Auch fühlt man mit Bee mit, was das Buch ebenfalls etwas emotional macht. (Konni 14 Jahre, Schülerpraktikant Januar 2019)

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Attica Locke: Bluebird, Bluebird

Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende, Polar Verlag,  327 S., € 20,-, TB Unionsverlag 2024, € 14,-

(Stand Februar 2024)

Ein Kaff in der tiefsten Provinz in Texas mit nur einem Café, in das die Schwarzen gehen, und einer Bar für Weiße, dem Treffpunkt der „Aryan Brotherhood of Texas“. Dazu der Highway durch den Ort, der außer dem Café der schwarzen Genoveva komplett einem Weißen gehört. Das ist das Setting, an dem zwei Morde passieren, der erste an einem unbekannten Schwarzen, einem durchreisenden  BMW-Fahrer in städtisch-teuren Klamotten, der zweite an einer jungen weißen Kellnerin, die mit einem Redneck verheiratet war. Der hiesige  Sheriff interessiert sich nur für den Mord an der blonden Weißen. Selbstverständlich ist jeder hier bewaffnet und lässt sich nicht in die eigenen Karten gucken, wie Darren Matthews, der übergeordnete schwarze Gesetzeshüter, ein eigentlich suspendierter Texas Ranger, schnell feststellt.
Was sich aus dieser hochexplosiven Gemengelage und den vielen Erscheinungsformen von Rassismus, von Hass, Angst und Gewalt entwickelt, ist leider erschreckend aktuell. Was diesen Krimi jedoch atemberaubend macht, ist wie die Autorin die Wucht alter und neuer Liebes- und Familiengeschichten mit den sozialen Beziehungen in einem zutiefst rassistischen Land verzahnt. (Stefanie Hetze)

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