Aus dem Französischen von Rainer Moritz, Dörlemann Verlag 2015, 260 S., € 20,-
(Stand März 2021)
Brugnon ist Erbe eines großen Familienunternehmens. Impulsiv und unbeherrscht regiert er despotisch in seinem kleinen Reich, schont dabei aber auch sich selber nicht. Die Liebe zu einer jungen Angestellten, die ihn kaltblütig ausnutzt, führt in die Krise bis zur Katastrophe. Pierre Bost, ein Meister der psychologischen Studie und der Gesellschaftsanalyse, zeichnete hier schon 1928 das äußerst aktuell anmutende Bild der Midlifecrisis eines sich bis an die Grenzen des Burnouts verausgabenden Geschäftsmannes, eines Workaholics, ständig in Eile und das Telefon kaum je aus der Hand legend. Sich selbst überschätzend, von einer späten Leidenschaft hinweggerissen und alle Ratschläge in den Wind schlagend schlittert er unerbittlich in den totalen finanziellen und persönlichen Ruin. (Syme Sigmund) Leseprobe

Bukarest im flimmrig-heißen Sommer. Über allem liegt der intensive Geruch der Lindenblüten, die an den Schuhsohlen kleben. Victoria, nach Jahren in der Schweiz wieder zurück in Rumänien, erlebt als Angestellte einen Banküberfall. Freigestellt zur “Traumaverarbeitung” nutzt sie die freie Zeit, tief in ihre Kindheitserinnerungen einzutauchen und mit dem Heute zu vergleichen. Sie streift durch ihr altes Viertel in der Innenstadt, das das Zentrum der Nomenklatura, aber auch der Überbleibsel alter mondäner Familien ist. Wie in einem Palimpsest überlagern sich die Schichten von Vergangenheit und Gegenwart. Sie trifft Menschen von damals, Jugendfreunde, frühere Liebhaber, Nachbarn und hört ihre Geschichten, Lieder, Witze und was aus ihnen geworden ist. Treffpunkte sind Gartenlauben, Bars und zum Teil riesige dekadente Wohnungen. “Wie aus der Zeit gefallen” fühlt sich die Protagonistin, doch hinter der Folie dieser vielen scheinbar malerisch-skurrilen Begegnungen schlummert viel Brisanz, kriegt die Frage nach der Schuldlosigkeit aus dem Titel Bedeutung. Dana Grigorcea erhielt 2015 beim Bachmannwettbewerb den 3sat-Preis. (Stefanie Hetze)
Lydia Tschukoswkaja, enge Vertraute von Anna Achmatowa, deren Gedichte sie memorierte und vor dem Vergessen bewahrte, schrieb 1947 den Roman “Untertauchen”, der damals in der Sowjetunion nicht erscheinen durfte und dessen Veröffentlichung in den USA in den Siebzigern zu ihrem Ausschluss aus dem sowjetischen Schriftstellerverband führte. 1975 brachte ihn der Diogenes Verlag in der wunderbaren Übersetzung Swetlana Geiers heraus, er geriet hierzulande jedoch eher in Vergessenheit. Nun hat ihn der Dörlemann Verlag in einer zurückhaltend schönen Ausgabe neu verlegt. Eine bedeutende Autorin ist so zu entdecken, die undramatisch und unpathetisch von den Schrecken des Stalinismus erzählt, die auf Worte, auf die Sprache setzt, auf das, was überdauern wird.
Es sind vor allem Frauen mittleren Alters, von denen die zehn kurzen Geschichten dieses schmalen, schön gestalteten Bands erzählen. Jede von ihnen befindet sich an einem Punkt ihres Lebens, der ein Weitermachen wie bisher unmöglich erscheinen lässt: der Tod eines geliebten Menschen, eine nicht enden wollende Renovierungen, ein Seitensprung. Es sind Geschiedene, Desillusionierte, innerlich Einsame, die uns in wie hingetupften skizzenartigen Szenen begegnen. Es passiert nicht viel, doch man taucht in den atmosphärisch dichten Erzählungen ein in Beschreibungen von Seelenlandschaften, die von der Sehnsucht nach einem Neuanfang, wahrer Liebe und Trost geprägt sind. Siekkinen schreibt Sätze die schlicht scheinen und doch voller versteckter Abgründe sind, die tief berühren und im Leser nachhallen. Für diesen in Finnland schon 1991 erschienenen Band wurde die Autorin für den Finlandia-Preis nominiert. In Finnland gilt die viel zu früh verstorbene Siekkinen, die Ingeborg Bachmann verehrte, heute als moderne Klassikerin. Nun ist sie endlich erstmals auf Deutsch erschienen. (Syme Sigmund)
Perlen haben es in sich … In der englischen Provinz Ende der Zwanzigerjahre verliebt sich die unsichere achtzehnjährige Harriet in den gleichaltrigen selbstbezogenen Vesey, der von einer Karriere als Schriftsteller träumt und als drittklassiger Schauspieler endet. Unter Mühen realisiert Harriet, dass sie nicht auf Vesey zählen kann und heiratet einen älteren, langweiligen Mittelschichtsmann, mit dem ein vorhersehbarer Ehealltag beginnt. Viele Jahre und eine Tochter später taucht Vesey wieder in Harriets provinziellem Leben auf und rüttelt wie ein starker Erdstoß mehr als an der gesättigten Oberfläche.