Lola Shoneyin: Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi

Aus dem Englischen von Susann Urban, herausgegeben von Ilja Trojanow, Weltlese, Band 13, Edition Büchergilde 2014
Dieses Buch ist leider vergriffen.
(Stand März 2021)

shoneyin-baba_danteperle_dante_connection-buchhandlung-berlin-kreuzbergWarum nur entscheidet Bolanle, Baba Segis vierte Frau zu werden? Ein Leben als Nr. 4 an der Seite eines alten und dickbäuchigen Stumpfkopfes? Der klugen, jungen Frau mit akademischer Ausbildung hatten reichlich andere Türen offen gestanden; warum also wählt sie diese? Hinter der Entscheidung steht ein tragisches Geheimnis, das Bolanle vor der Welt versteckt. Auch Baba Segis andere Ehefrauen hüten sich, so manches Detail ihres Lebens preis zu geben. Doch entsteht dadurch keinesfalls Verbundenheit zwischen den vier Frauen. Binnen kurzer Zeit wackelt der gesamte Hausfrieden Baba Segis Großfamilie. Bolanle wird als Bedrohung wahrgenommen und ist nach anfangs harmlosen, kleinen Anfeindungen immer tückischeren Intrigen und Angriffen ausgesetzt. Nur so viel sei verraten, alles fliegt auf und Baba Segi bald sein scheinbar großes Patriarchenleben um die Ohren. Immer wieder zutiefst anrührend und in bedrückend klarer Sprache, dennoch mit viel klugem Witz ist der Roman ein erhellendes Porträt des heutigen Nigerias, wo nicht nur die Geschlechterrollen zwischen Tradition und Moderne balancieren. (Jana Kühn)

 

Teffy: Champagner aus Teetassen

Meine letzten Tage in Russland. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Aufbau Verlag 2014
Dieses Buch ist leider nicht mehr lieferbar.
(Stand März 2021)

av_teffy_champagner_rz.inddDie Journalistin und Satirikerin Nadeshda Lochwizkaja alias Teffy (1872-1952) bricht 1918 zu einer Lesereise nach Kiew auf. „Jeder, der kann, geht in die Ukraine“, erklärt ihr Odessaer Impresario Guskin, denn in Wirklichkeit fliehen sie wie viele andere Aristokraten, Künstler und Bürger vor den Bolschewiki, und Teffy wird ihre Heimat nie wieder sehen.  Es beginnt eine Reise durch das in Chaos und Schrecken versinkende Land, doch die Autorin beschreibt sie voller Komik, mit ausgesprochen viel Ironie und ohne jedes Selbstmitleid. So hält man mit diesem Buch sowohl ein äußert interessantes Stück aus dem innersten erlebter Geschichte als auch ein höchst amüsantes, mit großem Gespür für absurde Szenen und die Lächerlichkeit menschlicher Eitelkeiten geschriebenes literarisches Werk in den Händen. (Syme Sigmund)
Leseprobe

 

Juan Gabriel Vásquez: Das Geräusch der Dinge beim Fallen

Aus dem Spanischen von Susanne Lange. (Schöffling Verlag 2014), 296 S., Fischer TB 11,-

(Stand März 2021)

das-geraeusch-der-dinge-beim-fallen_dante_connection_danteperleKolumbien 2009, der Jura-Professor Antonio stolpert über eine Zeitungs-Notiz, die vom verwaisten Zoo des ehemaligen Drogenbarons Pablo Escobar erzählt. Die Lektüre ruft einen Sog der Erinnerung wach, an seine Billard-Bekanntschaft mit Ricardo Laverde, an einen gemeinsamen Spaziergang in Bogotá, auf dem Laverde ermordet und der Erzähler selbst schwer verwundet wird. Erinnerung an seine Suche nach den Puzzlestücken der Vergangenheit, die ihn unter anderem zu abgestürzten Flugzeugen und zurück in die von Gewalt geprägten 80er und 90er Jahren führt, ihn aber auch auf eine Liebesgeschichte zwischen einer Amerikanerin und einem Kolumbianer stoßen lässt und auf Laverdes Tochter Maya. Nach und nach erschließen sich die Zusammenhänge, zugleich erkennt Antonio, wie sehr das Leben von Dingen bestimmt wird, die wir selbst nicht in der Hand haben. Ein sehr intensives Buch, spannend und nachdenklich zugleich, das eine bestimmte Zeit und Gesellschaft mit den persönlichsten Fragen verknüpft, mit einer starken Erzählstimme und Bildern, die immer wieder überraschen und uns einen neuen Blick auf die Dinge werfen lassen, die uns jeden Tag umgeben. (Judith Krieg)

Leseprobe

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Stewart O’Nan: Die Chance

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. (Rowohlt Verlag 2014), 224 S., Rowohlt TB € 9,99

(Stand März 2021)

die_chance_danteperle_dante_connectionDer Titel “Die Chance” verharmlost die ausweglose Lage, in der sich das Mittelschichtsehepaar aus der Provinz befindet. Die Wirtschaftskrise hat Marion und Art wie Millionen anderer Amerikaner den Boden  unter den Füßen weggezogen. Marion ist arbeitslos und der Statistiker Art hat seinen Job bei einer Versicherung verloren. Das überteuerte Haus können sie nicht länger abzahlen. Auch ihre Ehe ist am Ende.  Da alles verloren scheint, setzen sie ihre Existenz auf eine einzige Karte  und wiederholen ihre Hochzeitsreise zu den romantisch aufgeladenen Niagarafällen von vor 30 Jahren, als ihnen die Welt noch offen zu sein schien. Mit ihrem letzten über die Grenze geschmuggelten Geld mieten sie sich in einer Hochzeitssuite ein, spielen tags die Touristen und versuchen nachts im Casino die statistische Wahrscheinlichkeit ihres kompletten Ruins auszutricksen. Stewart O’Nan nähert sich ihrer Verzweiflung, aber auch ihrem über alle Differenzen langjährigen Vertrautsein in knappen verdichteten Szenen und Dialogen, von Thomas Gunkel elegant-subtil übersetzt. Vielleicht gibt es ja doch eine Chance? (Stefanie Hetze)

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Das bestelle ich!

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Hanser Berlin 2014, 192 S., € 19,-, Goldmann TB € 11,-

(Stand März 2021)

ein_ganzes_leben_danteperle_dante_connectionAndreas Egger kommt als Kind in das Dorf im Gebirge, zum Bauern Kranzstocker, dem Schwager seiner verstorbenen Mutter. Und er arbeitet von Kindesbeinen hart auf dem Hof, später am Ausbau der Seilbahnen. Er heiratet und verliert seine Frau bald, übersteht die Kriegsjahre in Russland und kehrt wieder zurück in die Berge. Dort erlebt er die Modernisierung, erkennt die Welt nicht immer wieder, aber verliert sich selbst nicht. Wie ein widerständiger Baum wird er von den Ereignissen des Lebens geformt. Robert Seethaler beherrscht die Kunst, Dinge einfach erscheinen zu lassen, er erzählt diese Geschichte in ruhigem Rhythmus und Ton, auch die traurigsten Ereignisse sind wie sie sind. Wie aus einem Stück Holz geschnitzt nimmt Andreas Egger klar, kantig und überzeugend vor den Augen der Leser Form an, man kommt ihm nahe, aber auch nicht zu nahe, stets behält er seine Würde. Ein Buch, das in Erinnerung bleibt, auch wegen seiner Naturbeschreibungen. (Judith Krieg) Leseprobe

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Deniz Yücel: Taksim ist überall

Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei, Edition Nautilus 2014, überarbeitete und erweiterte Ausgabe 2017, 242 S., € 14,90

(Stand März 2021)

nautilus_pbAls es Ende Mai 2013 in Istanbul zu Protesten gegen den geplanten Abriss des an den Taksim Platz angrenzenden Gezi Park kam, wurden diese von der türkischen Regierung im Stil eines Polizeistaates und mit enormer Gewalt niedergeschlagen. Binnen weniger Tage weitete sich der Protest dennoch aus, wurde zum Kampf einer heterogen Gemeinschaft, die Studenten, Homosexuelle, Gewerkschafter, Alt-Linke und junge politische Aktivisten ebenso wie bis dato politisch nur wenig Interessierte vereinte. Ihnen allen ging es um weit mehr als um die Rettung einer Grünanlage. Nicht weniger als ein sozialer Aufstand gegen die islamisch-konservative AKP-Regierung und Erdogans autoritären Regierungsstil fand statt. Der taz-Redakteur Deniz Yücel verbrachte neun Monate in Istanbul, um von den Geschehnissen zu berichten. Aus seinen Aufzeichnungen entstand diese Flugschrift, die anschaulich politische, historische und stadtplanerische Zusammenhänge rund um den Taksim-Platz erklärt und eine Vielzahl an persönlichen Interviews enthält, die Yücel mit sehr unterschiedlichen TeilnehmerInnen des zivilen Widerstands führte. Die entsprechend vielstimmige Flugschrift zeigt ein komplexeres, gleichwohl verständlicheres Bild der Gezi-Bewegung als es bisher von deutschen Medien gezeichnet wurde und ist darüber hinaus ein sehr lesenswerter Bericht über die gegenwärtige türkische Gesellschaft. (Jana Kühn)

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Leonardo Padura: Ketzer

Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein, TB Unionsverlag 2015, 656 S., € 16,95

(Stand März 2021)

00_Padura_Ketzer.inddIn einem Londoner Auktionshaus steht die Versteigerung eines Gemäldes Rembrandts an. Der US-Amerikaner Elias Kaminsky erkennt in dem Bild die geheimnisumwobene und in Kuba verloren geglaubte Reliquie seiner jüdisch-polnischen Familie wieder. So viel zur Ausgangssituation, womit drei wichtige Themen dieses Prachtschmökers genannt sind: Kuba, Kunst und Glaubensfragen. Padura mäandert durch Zeit und Raum, springt vom 17. ins 21. Jahrhundert, von Amsterdam, Krakau und Berlin nach Havanna und zurück. Dabei gelingt ihm das Paradestück eines Historien- und Künstlerromans über das goldene Zeitalter der Niederlande und den Maler Rembrandt verknüpft mit eindrücklichen Einblicken in die kubanische Geschichte im 20. Jahrhundert bis in das heutige, von der Revolution ausgelaugte Land und – die dramatische Geschichte einer jüdischen Familie, die noch 1939 versucht aus Deutschland zu fliehen und deren Hoffnung zu überleben an eben jenes Gemälde geknüpft ist. So viel auf einmal – das geht nun wirklich nicht? O doch, und wie! (Jana Kühn)

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Gunnar Cynybulk: Das halbe Haus

Dumont 2014, TB 2015, 576 S., € 12,-

(Stand März 2021)

das_halbe_haus_danteperle_dante_connectionEin weiteres Buch über die DDR mag mancher denken, ein weiterer Mehrgenerationenroman. Und doch gelingt Gunnar Cynybulk mit seinem Debut ein literarisch und sprachlich anspruchsvolles, lesenswertes Werk.
Frank, verwitwet, mitte dreißig, unangepasst und mit seinem Leben unzufrieden, will weg aus der Leipziger Vorstadt, aus der DDR. Er träumt vom Westen, von Paris und Bob Dylan und verliebt sich ausgerechnet in eine Frau, die mit dem System eng verbunden ist. Sein halbwüchsiger Sohn Jakob träumt davon, als Leichatlet in die staatliche Sportschule aufgenommen zu werden und es bis zu Olympia zu schaffen, doch die wiederholten Ausreiseanträge seines Vaters machen ihn zum misstrauisch beäugten Außenseiter. Franks Mutter Polina ist als Rentnerin ihrem Sohn zuliebe schon mal in den Westen “vorgezogen” und vereinsamt unglücklich in einem bayrischen Kurort. Cynybulk erzählt die Geschichten dieser drei Hauptakteure aus ständig wechselnden Perspektiven, stilsicher, sprachgewandt und abwechslungsreich. Es gelingt ihm ein differenziertes Bild der Stimmung im Land Anfang der achziger Jahre zu zeichnen, ohne in Klischees abzurutschen oder eindeutig wissen zu wollen, wie ein richtiges Leben im Falschen denn nun auszusehen hat. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Ilma Rakusa: Einsamkeit mit rollendem “r”

Erzählungen, Droschl Literaturverlag 2014, 160 S., € 18,-

(Stand März 2021)

20rakusa_einsamkeitMarja, Maurice, Graz, Koljansk… so lauten die schlicht-prägnanten Titel der vierzehn Erzählungen, die einzelne Menschen und Orte skizzieren. Es sind alles Begegnungen einer Ich-Erzählerin, offensichtlich einem Alter-Ego der Autorin, die sich mit unverstelltem Blick, Leidenschaft und Empathie auf neue unbekannte Situationen einläßt. Es zieht sie hin zu den entwurzelten nomadisierenden Menschen, deren rollendes “r” sie als fremd verrät, die es schwer haben in einem Europa der Umwälzungen einen Platz zu finden. Immer wieder finden sie aber auch flüchtige Momente des Glücks. Mit all ihren Sinnen und ihrem eigenen großen  Erfahrungsschatz zwischen Orten, Kulturen und Sprachen notiert und verdichtet Ilma Rakusa diese Begegnungen und Augenblicke und läßt sie dann wieder weiterziehen. Unbedingt zu empfehlen. (Stefanie Hetze) Textauszug

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Amedeo Letizia und Paula Zanuttini: Sag nie, woher du kommst

Ein Leben im Schatten der Camorra. Aus dem Italienischen von Lea Rachwitz, Kunstmann 2014
Die deutsche Ausgabe ist leider nicht mehr lieferbar.
(Nato a Casal di Principe, Minimum Fax 2012, ca. € 17,50)
(Stand März 2021)

sag_nie_danteperle_dante_connectionSeit den Büchern Roberto Savianos ist der Name des kleinen Ortes “Casal di Principe” im Hinterland Neapels ein Synonym für das organisierte Verbrechen. Aus diesem Ort stammt der in Italien bekannte Schauspieler und Filmproduzent Amedeo Letizia und mit ihm zusammen hat sich die Journalistin Paula Zanuttini auf die Reise in seine Vergangenheit gemacht – eine Vergangenheit, die schwankend zwischen Resignation, Angst und Wut tiefe Spuren in seiner Seele hinterlassen hat. Seine Kindheit war geprägt von Freundschaften mit Jungen, die später zu bekannten – oder toten – Camorristi wurden, von einem tagtäglichen Umgang mit Schusswaffen, von einer uns fremden Welt mit eigenen Regeln und Gesetzen, in der die Clanchefs Idole waren. “Ich dachte immer, wir aus Casale sind die normalen und ihr seid die Bekloppten. Ich habe Jahre gebraucht, um das zurechtzurücken” sagt Letizia. Zwei Brüder verliert er an diese Welt. Der eine verschwindet spurlos, der andere stirbt bei einem tödlichen Autounfall. Wie der von den Clans schon zu Höherem bestimmte Junge sich nach und nach aus dieser von aggressivem, extremem Tribalismus geprägten, auf kultureller und rechtlicher Autarkie fußenden Welt mit bäuerlichen Wurzeln befreit, nach Rom geht, an sich arbeitet und doch immer wieder an seiner Hassliebe zur Heimat, seinen nächtliche Albträume heraufbeschwörenden Erinnerungen und der Ungewissheit über das Schicksal seines verschollenen Bruders verzweifelt, beschreibt dieses Buch sehr eindrücklich und fügt “Gomorrha” eine weitere, wissenswerte Facette hinzu. (Syme Sigmund)

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