Jesse Goossens: Unser wildes Zuhause

Tiere im hohen Norden. Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart, mit Illustrationen von Marieke Ten Berge, Aladin 2022, 88 S. im Großformat, € 20,-, ab 5 und für alle

Was gibt es in diesem tollen großformatigen Buch nicht alles zu entdecken! Vom Basstölpel über das Eurasische Gleithörnchen und den Pottwal bis zum Schopfalk und dem Walross kommen 33 Tiere hier zu Wort. Ja, zu Wort, denn jedes Tier erzählt selbst von sich, davon wie es aussieht, wie es lebt und was es Besonderes kann – der Gelbschopflund zum Beispiel sammelt bis zu 62 Fische gleichzeitig in seinem Schnabel – und auch, wie sehr und auf welche Weise es durch den Einfluss des Menschen und den Klimawandel bedroht ist.
Begleitet wird jede der unterhaltsam-informativen Doppelseiten durch wunderschöne Illustrationen – meist kolorierte Linoldrucke – der Autorin, die allein schon das Buch zu einem wahren Kunstwerk machen.  (Syme Sigmund) Blick ins Buch

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Tom Gauld: Der kleine Holzroboter und die Baumstumpfprinzessin

Aus dem Englischen von Jörg Mühle, Moritz 2022, 40 S., € 16,95, ab 5

Wie in so manchem Märchen sind da zu Beginn ein König und eine Königin, die sich lange schon sehnlichst ein Kind wünschen. Eine Erfinderin und eine Hexe werden zu Rate gezogen und siehe da, ein kleiner Holzroboter und eine Baumstumpfprinzessin beglücken ihnen von nun an die Tage. Bis, ja bis durch ein Versehen die Baumstumpfprinzessin verloren geht … Das war es aber auch mit der Erzähltradition, denn Tom Gauld lässt herrlich viel Raum für eigene Geschichten und Fantasien. In großen und kleinteiligen Bildtafeln wird das aufregende Abenteuer der wohl niedlichen, aber keinesfalls süßlich gezeichneten Geschwisterkinder erzählt. Ein Genie-Streich! (Jana Kühn)

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Hervé Le Tellier: Ich verliebe mich so leicht

Aus dem Französischen von Romy und Jürgen Ritte, Rowohlt 2022, 128 S., € 20,-, TB Dezember 2023, € 13,-

Unser Held – einen anderen Namen werden wir nicht erfahren – ist verliebt. So verliebt, dass er seiner zwanzig Jahre jüngeren Affäre nach Schottland hinterher reist – gegen jede Vernunft, was ihm schon im Flugzeug klar ist, und gegen ihren ausdrücklichen Willen. Sie ist liiert und bei ihrer Mutter zu Besuch, stimmt dann aber doch einem Treffen zu – und zeigt ihm deutlich, wenn auch mit Feingefühl, dass er nicht erwünscht ist. So bemitleidet er sich selbst in im Voraus gebuchten Hotelzimmern mit zu großen Betten, ruft sie erneut und erneut und erneut an, ringt um ein weiteres Treffen, weiß, dass er sich – anders lässt es sich kaum sagen – zum Affen macht … und kann doch nicht anders.
Ein äußerst amüsantes kleines Stück Literatur über das Altern des Mannes und die Vergeblichkeit der Liebe. Ein kunstvoll-ironisches, sehr charmantes Büchlein für ein paar Stunden der Leichtigkeit. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Chantal Akerman: Meine Mutter lacht

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz, Diaphanes 2022, 208 S. mit zum Teil farbigen Abbildungen, € 22,-

Eine Tochter versucht den Spagat, ihr eigenes Leben zwischen den Kontinenten zu bewältigen und gleichzeitig ihrer alten pflegebedürftigen Mutter in ihrer Wohnung beizustehen und nahezukommen. Die Mutter, eine Auschwitzüberlebende, die nicht über ihr Leid spricht, sich endlos über die unangepasste Tochter aufregt und gleichzeitig stolz auf sie ist. Die Tochter, die zwischen Brüssel, Paris, New York pendelt, schwierige Liebesbeziehungen zu Frauen lebt und mit schweren Depressionen kämpft. Das ist das Material, aus dem die Autorin Chantal Akerman ein intensives berührendes nachhallendes Journal gezaubert hat. So wie sie sich als Filmemacherin einen Deut um cineastische Konventionen scherte und mit ihrer rigorosen Herangehensweise die feministische Filmkunst prägte, findet sie in ihrem literarischen Vermächtnis, zwei Jahre nach der Veröffentlichung nahm sie sich das Leben, wieder eine ganz eigene Form. Ihr autofiktionaler Text, der zwischen Erinnerungen, Aufzeichnungen ihrer Mutterbesuche und Reflexionen und Empfindungen changiert und dem sie private Fotos und Standfotos aus ihren Filmen zugefügt hat, passt wie das Leben der Mutter und das Chantal Akermans in keine Schublade. Mehr als bereichernd. (Stefanie Hetze)

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Dacia Maraini: Caro Pier Paolo. Briefe an Pier Paolo Pasolini

Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Rotpunkt 2022, 208 S., € 25,-

(Caro Pier Paolo, Neri Pozza 2022, ca. € 22,80)

Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem gewaltsamen Tod erscheint Dacia Maraini sanft lächelnd und sie direkt ansprechend ihr guter Freund Pier Paolo im Traum. Als sie ihn, glücklich ihn wiederzusehen, umarmen will, ist er verschwunden. Doch nimmt die Schriftstellerin die damit plötzlich wieder aufgetauchte Intensität an mit ihm verbundenen Erinnerungen zum Anlass, Briefe an ihn zu schreiben. Voller Zuneigung, aber auch mit dem liebevoll-kritischen Blick einer wirklich Vertrauten, erinnert sie sich an Pasolini, den Streitbaren, den Menschenfreund, den Dichter . . . An ihre Zusammenarbeit bei Drehbüchern, an ihre abenteuerlichen Reisen zusammen mit Alberto Moravia, manchmal mit Maria Callas, an ihren unaufhörlichen persönlichen und intellektuellen Austausch. Vor allem aber ist es ein intimes Buch über von einem großen Kreis rund um Pasolini, Moravia und Maraini innig und leidenschaftlich gelebte Freundschaften im Rom der Sechziger und Siebziger Jahre, die trotz aller Nähe und Zuneigung die innere Einsamkeit und Zerbrechlichkeit des Freundes nicht auflösen konnten. Fein ausbalanciert, was durch die meisterliche Übersetzung Maja Pflugs im Deutschen ein Genuss ist, ist das Buch nicht nur ein Muss für Pasolinifans. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Monika Utnik-Strugala, Piotr Socha (Illustr.): Das Buch vom Dreck

Aus dem Polnischen von Dorothea Traupe, Gerstenberg 2022, 216 S., € 30,-, ab 10

Eine nicht ganz so feine Geschichte von Schmutz, Krankheit und Hygiene – so heißt dieses bildschöne Meisterwerk, in dem man so manches historische Detail erfährt, das wahrlich zum Himmel gestunken hat. Das großformatige und opulent illustrierte Sachbuch versammelt unterhaltsam und gelehrig Informationen über Badeanstalten und Klosetts aller Art, lausige Krankheitserreger, müffelnde Perücken und vieles mehr von der Antike bis ins hier und heute. Das polnische Autor:innen-Duo erklärt dazu beredt, welchen Einfluss Religionen auf die Hygienestandards im Wandel der Zeiten hatten. Erstaunlich ist, wie viele Dinge, die uns heute selbstverständlich erscheinen, Errungenschaften sind, die bereits in der Antike erfunden waren. Dennoch dauerte es noch bis weit ins 19. Jahrhundert, bis sie – wie zum Beispiel Kanalisationen – in den großen westlichen Städten etabliert und umgesetzt waren. (Jana Kühn) Blick ins Buch

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Vitali Konstantinov: Alles Geld der Welt

Gerstenberg 2022, 80 S., € 26,-, ab 10

Durchaus vergnüglich, dabei aber vor allem sehr informativ geht es in diesem Sachbuch zu, das viel Geschichte und viele Geschichten erzählt. Der noch im Odessa der UdSSR, in der heutigen Ukraine geborene und seit 1996 in Deutschland lebende Comiczeichner und Illustrator Vitali Konstantinov hat schon in zahlreichen Büchern bewiesen, dass er hervorragend in der Lage ist, fachlich, sachlich und historisch komplexe Zusammenhänge zeichnerisch zu veranschaulichen. Auch wenn eine jede Seite in Alles Geld der Welt auf den ersten Blick wahnsinnig wuselig wirkt, entpuppt sie sich bei genauerer Betrachtung  als virtuos durchdachtes Tableau, das eine wahrhafte Flut an Informationen gekonnt bündelt. Vom Muschelgeld zur Kryptowährung – so der Untertitel des Sachbuches – erzählt in kurzen Comic Stripes, Infografiken und Landkarten Entwicklung, Geschichte und Wandel des Geldes. Es erklärt seine Funktion als Wertaufbewahrungs- und Wertübertragungsmittel. Und erläutert finanzpolitische Prozesse wie Währungsunionen. Und falls das jetzt trocken klingen sollte – man legt dieses Buch kaum wieder aus der Hand so unterhaltsam und lehrreich ist es. (Jana Kühn)
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C.-M. Below, A. Russow: Psst! Gute und schlechte Geheimnisse

Dragonfly 2022, 208 S., € 16,-, ab 6

Ein Zusammenlesebuch für Kinder und Erwachsene. Renommierte Autor:innen und Illustrator:innen haben in Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund für diesen gelungenen Sammelband Kurzgeschichten und Gedichte rund um das Thema Geheimnisse zusammengetragen und jeden Text reich bebildert. Die vielen unterschiedlichen Aspekte von Geheimnissen finden hier alle Raum: die gefährlichen, die unbedingt unterstützenden Menschen anvertraut werden müssen, und die schönen prickelnden, die kind ruhig für sich behalten soll. Ergänzt werden die Geschichten und Gedichte durch Tipps und Ideen für die vorlesenden Erwachsenen, um die Gespräche mit Kindern zu vertiefen und sie zu ermächtigen, ihren Gefühlen zu vertrauen.

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Nicola Davies & Laura Carlin (Illustr.): Ein Baum ist ein Anfang

Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn, Aladin 2022, 48 S., € 15,-, ab 5 & für alle

Schmutziges graues Pflaster, abweisende Steinmauern, Zäune, Industriebauten, schäbige Gebäude, ungeschützt vor Kälte, Wind und Hitze. Eine junge Diebin stiehlt den Menschen ihr bisschen Etwas. Das ist auf den ersten Blick kein übliches Entree für ein Bilderbuch. Doch gerät das Mädchen an eine alte Frau, die ihre schwere Tasche vor der Diebin so lange festhält, bis sie ihr ein seltsames Versprechen, „sie zu pflanzen“ abnimmt.  Mit der Tasche, in der sie Geld und Essen vermutet, rennt das Mädchen weg. Doch es sind nur Eicheln, grün, vollkommen und so viele, dass sie begreift, welchen Schatz sie da in den Händen hält. Und sie beginnt, in all das Graue und Harte die Eicheln zu setzen. Ganz langsam verändern sich die Illustrationen, macht das Grün etwas mit dem Raum und den Menschen, den Tieren. Die Bilder werden farbiger, heiterer, abwechslungsreicher, längst hat sich der Radius der jungen Aktivistin ausgedehnt.  Das überraschende Ende macht noch mehr Mut. Zum Immer-Wieder-Anschauen. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Annabelle Hirsch: Die Dinge

Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten. Kein & Aber 2022, 416 S. mit 100 Abbildungen, € 35,-

Was für ein Schatz! Es sind kleine, eher unspektakuläre Dinge, die die Autorin ausgewählt hat, um profund und detailreich einschneidende Ereignisse der Geschichte der Frauen zu erzählen: Nützliche Dinge wie die Singer Nähmaschine oder die Menstruationstasse, Statuetten, Postkarten, Urkunden, Abzeichen wie die Anti-Sklaverei-Münze, Dekoratives wie der Lippenstift, Alltägliches wie eine Kaufhausquittung werden hier zu bedeutsamen Kristallisationspunkten von Frauengeschichte. Die Gegenstände zeugen von Unterdrückung und Selbstermächtigung, vom widersprüchlichen weiblichen Alltag, von plumpem Ausschluss und intelligentem Widerstand. Die Dinge ist eine Bereicherung fürs Bücherregal zum Immer-Wieder-Lesen und Entdeckungen machen. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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