Aus dem Englischen von Christine Richter-Nilsson. Mit Fotografien von Teju Cole. Hanser Berlin 2015, 173 S. (HC vergriffen), TB Ullstein 2024, € 12,99
(Stand Februar 2024)
Nach fünfzehn Jahren New York reist der namenlose Erzähler mit Doppelstaatsangehörigkeit zurück nach Lagos, seinen Kindheitsort. Schon die erste Station seiner Heimreise im nigerianischen Konsulat in New York, wo er auf abstruse Verfahren zum Erreichen einer Passverlängerung trifft, konfrontiert ihn mit dem, was ihn erwartet: Korruption, Bestechlichkeit, eine unduchschaubare Bürokratie. Als er dann endlich “zu Hause” auf dem Flughafen landet, fühlt er einen kurzen Moment der Ekstase. Schnell wird sie jedoch abgelöst von Irritation und Entsetzen angesichts des Chaos, der allgegenwärtigen Schattenwirtschaft und Gewalt. Doch der Erzähler gibt nicht auf, trifft Verwandte und Freunde, sieht extremen Verfall und Vernachlässigung in Museen, Buchhandlungen und Plattenläden. Er fühlt sich vertraut, ist fasziniert, dann wieder abgestoßen und voller Wut. Nachts bei Lärm und Stromausfällen suchen ihn die Schatten seiner Vergangenheit heim. Er hatte sich damals aus Nigeria davongestohlen und versucht jetzt, Erinnerungsfetzen mit dem Moloch Gegenwart zusammenzubringen und sie in Geschichten zu verwandeln. Ihn dabei beim Lesen zu begleiten, macht den ungeheuren Reiz dieser Reiseerzählung aus. Und Coles zwischen Schönheit und Tristesse changierende Fotografien geben da noch eins drauf. (Stefanie Hetze) Leseprobe

Andreas Egger kommt als Kind in das Dorf im Gebirge, zum Bauern Kranzstocker, dem Schwager seiner verstorbenen Mutter. Und er arbeitet von Kindesbeinen hart auf dem Hof, später am Ausbau der Seilbahnen. Er heiratet und verliert seine Frau bald, übersteht die Kriegsjahre in Russland und kehrt wieder zurück in die Berge. Dort erlebt er die Modernisierung, erkennt die Welt nicht immer wieder, aber verliert sich selbst nicht. Wie ein widerständiger Baum wird er von den Ereignissen des Lebens geformt. Robert Seethaler beherrscht die Kunst, Dinge einfach erscheinen zu lassen, er erzählt diese Geschichte in ruhigem Rhythmus und Ton, auch die traurigsten Ereignisse sind wie sie sind. Wie aus einem Stück Holz geschnitzt nimmt Andreas Egger klar, kantig und überzeugend vor den Augen der Leser Form an, man kommt ihm nahe, aber auch nicht zu nahe, stets behält er seine Würde. Ein Buch, das in Erinnerung bleibt, auch wegen seiner Naturbeschreibungen. (Judith Krieg)
Anthime ist ein junger Mann aus der französischen Provinz. So wie für ihn ist an jenem Sonnabend im August 1914, einem strahlenden Sommertag, die Nachricht vom Kriegsbeginn für eine ganze Generation junger Männer zunächst nicht fassbar. Echenoz beschreibt in seiner gewohnt knappen, distanzierten Sprache die folgenden Jahre am Beispiel dieses einen Menschen über den die Geschichte hereinbricht, ihn in den Krieg und den Schützengraben wirft und ihn eines Armes beraubt, ohne dass er je die Zusammenhänge erfasst. Die Kluft zwischen dem Erleben des Individuums, das sich an den täglich neuen Herausforderungen des Überlebens abarbeitet, und den großen historischen Ereignissen lässt die Monstrosität des Kriegen offensichtlich werden. In diesem schmalen Band von nur 125 Seiten ist alles enthalten, um die grausame Sinnlosigkeit des Krieges zu offenbaren. Wer sich für die Ereignisse zwischen 1914 und 1918 interessert und sie zu verstehen versucht, sollte an diesem kleinen Meisterwerk nicht achtlos vorübergehen. (Syme Sigmund)