Aus dem Italienischen von Babara Kleiner, Wagenbach Verlag 2020, 265 S., € 23,-, TB 2022, € 14,-
(Un giorno verrà, Bompiani 2019, ca. € 21,80)
(Stand September 2022)
Großes Kino gleich zu Beginn: Nicola zielt vor Angst triefend mit einem Gewehr auf seinen geliebten älteren Bruder Lupo, der keine Miene verzieht. „Der Große Krieg war auch bis hierher in diese Hügel gekommen…“ in diesen Ort armer Schlucker in den Marken. Nicola überwindet sich, schießt und rettet Lupo vor der Einberufung.
Zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten in dieser Bäckerfamilie, in der der Vater brutal herrscht und die als „Zuchtstute“ missbrauchte Mutter entkräftet dahinvegetiert. Lupo, der Vitale, sympathisiert mit den Partisanen, rebelliert gegen den verhassten Vater und beschützt seinen Bruder, wo immer er kann. Nicola mit dem „Prinzengesicht“ fällt heraus aus dieser Familie. Er liest, ist zart und zu nichts zu gebrauchen.
Ein Geheimnis steht zwischen den Brüdern, das sich peu à peu entschlüsselt. Die politischen und sozialen Verhältnisse (Erster Weltkrieg, Faschismus, Armut, Kirche, Widerstand dagegen) wirken sich vehement auf ihre Familie aus. Meisterlich und facettenreich verbindet Giulia Caminito die große Geschichte Italiens mit einem individuellen familiären Drama. Verblüffende Twists, das Mitwirken historischer Persönlichkeiten und eine ungemein plastische Sprache, perfekt übersetzt, machen diesen Roman zu einem einmaligen Lesegenuss. (Stefanie Hetze)


Italien in einer nahen Zukunft, das Land ist international abgeschottet, Gerichtsbarkeit, Medien, Handel, Verkehr, Regierung sind zusammengebrochen. Alltägliche Normalität existiert nicht mehr. Zurückgezogen und vorerst in Sicherheitsabstand zum brutalen Chaos (über)lebt Leonardo. Doch selbst dieser zurückhaltende, sanftmütige und konfliktscheue Mann muss schließlich einsehen, dass auch sein Leben endlich eine andere Gangart erfordert. Harter Stoff. Ein düsteres Buch, eine Parabel, die langsam beginnt, aber stetig an Spannung gewinnt. Longo stellt in aller Drastik existenzielle Fragen an eine (italienische) Gesellschaft, aber auch an jeden Einzelnen. Wie wollen wir leben? (Jana Kühn)