Andrea Giovene: Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn, Galiani 2022/2023, 5 Bände, je ca. 350 S., je € 26,-

(L’autobiografia di Giuliano di Sansevero, Elliot 2012, € 27,-)

Anfang der 70er Jahre erschienen, passte diese fünf Bände umfassende fiktive Biografie nicht in die von der Avantgarde geprägte literarische Landschaft Italiens. Daher geriet das Werk nach anfänglichen Erfolgen – unter anderem wurde es von der Académie de la Littérature Française als bester europäischer Roman ausgezeichnet – schnell in Vergessenheit. Dabei ist die Lebensgeschichte dieses jungen, 1903 geborenen Adligen aus Neapel große Literatur, die zum Teil an den nur zehn Jahre zuvor veröffentlichten „Il Gattopardo“ erinnert.
Der junge Giuliano wächst in Neapel mit dem verblassenden Prunk seiner Familie auf und gerät nach dem Bankrott des Vaters in die politischen Wirren des 20ten Jahrhunderts. Einfühlsam und sprachversiert folgt Giovene dem Leben dieses Mannes zwischen Tradition und Moderne, ein beobachtender Außenseiter, mit dem wechselnden Geschick seines Landes verbunden.
Nun liegt das Werk erstmals vollständig auf Deutsch vor. Der erste und der zweite Band sind schon erhältlich, Band drei bis fünf sind für 2023 angekündigt. (Syme Sigmund)

Leseprobe

Das bestelle ich!

 

Giorgio Manganelli: Irrläufe

Hundert Romane in Pillenform. Aus dem Italienischen von Iris Schnebel-Kaschnitz, mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach, Wagenbach 2022, 160 S., € 22,-

(Centuria, Adelphi 2016, € 17,-)

Hundert Romane in 160 Seiten? Ist das möglich? Die Antwort ist ja, solange die Leser*innen bereit sind, die gewöhnliche Vorstellung eines Romankonzepts beiseitezustellen. Innovativ und unkonventionell, erkundet Manganelli in diesem legendären Band (1979 in der Originalsprache erschienen) die Möglichkeiten des Fantastischen in all seinen Facetten. Das labyrinthische und nicht immer direkte Werk Manganellis ist gleichzeitig eine Stilübung, ein Divertissement, eine meta-literarische Analyse und eine gnadenlose Dekonstruktion der Gattungen: Es verkörpert das Wesen der Literatur, weil es ihre Extreme von Leben und Tod umfasst. Dieses Buch enthält kleine surreale Bilder (à la Magritte, könnte man sagen) von raffinierter literarischer Eleganz. Es wurde zu Manganellis 100. Geburtstag in einer neuen, schicken Ausgabe im Wagenbach Verlag neu herausgegeben. Nicht zufällig – hat Klaus Wagenbach ihn doch sehr geschätzt und bewundert. (Giulia Silvestri)

Das bestelle ich!

Cesare Pavese & Bianca Garufi: Großes Feuer

Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Atlantis 2022, 128 S., € 20,-

(Fuoco grande, Einaudi 2022, ca. € 15,-)

Dieser knappe Roman hat es in sich: Ein Telegramm holt Silvia aus einer norditalienischen Stadt zurück in ihr Heimatdorf im Süden, zu ihrer Familie und Vergangenheit. Sie überredet ihren Ex-Freund Giovanni, sie zu begleiten, obwohl sie ihn eigentlich eklig findet. Ihm macht ihr Angebot Hoffnung. Bei ihr Zuhause treffen sie auf einen sterbenden Jungen, eine verstörte Mutter, einen übergriffigen Stiefvater und eine verschlossene Hausangestellte. Nehmen diese ihnen ihre vermeintliche Verlobung ab? Was hat es mit dem Jungen auf sich? Was ist damals passiert? Abgründe aus der Vergangenheit tun sich auf, die weit in die Gegenwart hineinreichen: Vergewaltigung, Mißbrauch, absolutes Schweigen. Ihre und seine Perspektive im vierhändig geschriebenen Roman erhöhen die Spannung enorm, lassen die unterschiedliche Wahrnehmung und Deutung der Geschehnisse nachvollziehbar werden. Maja Pflug trifft in ihrer schnörkellosen Übersetzung absolut den messerscharfen Ton des Originals. Atemberaubend! (Stefanie Hetze)

Das bestelle ich!

Giancarlo & Katie Caldesi / Helen Cathcart (Fotografien): Amalfiküche

Rezepte aus Italiens Süden. Aus dem Englischen von Christine Schnappinger, Prestel 2022, 272 S., € 30,-

Das ist Sehnsuchtsküche pur. Die Landschaft aus steilen Bergen, schmaler Küste und weitem Meer sowie die milden klimatischen Verhältnisse bieten die besten Voraussetzungen für die köstliche Mare e Monti– Küche aus regionalen Produkten wie Zitronen, Fisch, Mozzarella und Tomaten. Das italoenglische Ehepaar hat die amalfitanische Küste zusammen mit der Fotografin Helen Cathcart bereist, unzählige Lokale besucht, Menschen getroffen, die ihnen ihre Familienrezepte verraten haben und so ein inspirierendes Kochbuch geschaffen. Die Fotos schwelgen in der Schönheit der amalfitanischen Küste und der Genussfreude ihrer Bewohner.innen. Die Rezepte lassen sich gut nachkochen, besonders die Dolci haben es in sich wie die „Delizia al limone“ oder Tiramisù mit Erdbeeren und Zitronen. Das ist fast wie an die Amalfitana zu reisen! (Stefanie Hetze)

Blick ins Buch

Das bestelle ich!

 

Stefan Ineichen: Principessa Mafalda

Biografie eines Transatlantikdampfers. Wagenbach 2022, 256 S., € 34,-

In nur 16 Tagen gelang 1908 die Reise von Genua nach Buenos Aires mit dem schnellen neuen Dampfer, der stolz den Namen der italienischen Prinzessin Mafalda trug. Das Schiff, das für den Transport großer Mengen europäischer Migrant:innen vorgesehen war, die darin eng zusammengepfercht hausen mussten, aber auf ihr Glück in Argentinien hofften, bot gleichzeitig reichen Menschen privilegierten Komfort in einer Luxus- sowie der Ersten Klasse. Die spannenden Geschichten, Herkünfte, Reiseziele, Missionen dieser unterschiedlichsten Reisenden, die der Autor aus einer beeindruckenden Vielfalt an Quellen gehoben hat, reichen weit hinein in die damalige Historie Italiens und der ganzen Welt. Wie in einem Schmelztiegel begegnen sie einander in dem Ozeandampfer, der mit einer Pause im Ersten Weltkrieg bis zu seinem dramatischen Untergang 1927 zwischen Europa und Südamerika hin- und herpendelte. Eine kenntnisreiche und unterhaltsame Biografie nicht nur des Schiffes und seiner Passagiere, sondern auch der sehr bewegten analogen Zeiten. (Stefanie Hetze)

Das bestelle ich!

Dacia Maraini: Caro Pier Paolo. Briefe an Pier Paolo Pasolini

Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Rotpunkt 2022, 208 S., € 25,-

(Caro Pier Paolo, Neri Pozza 2022, ca. € 22,80)

Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem gewaltsamen Tod erscheint Dacia Maraini sanft lächelnd und sie direkt ansprechend ihr guter Freund Pier Paolo im Traum. Als sie ihn, glücklich ihn wiederzusehen, umarmen will, ist er verschwunden. Doch nimmt die Schriftstellerin die damit plötzlich wieder aufgetauchte Intensität an mit ihm verbundenen Erinnerungen zum Anlass, Briefe an ihn zu schreiben. Voller Zuneigung, aber auch mit dem liebevoll-kritischen Blick einer wirklich Vertrauten, erinnert sie sich an Pasolini, den Streitbaren, den Menschenfreund, den Dichter . . . An ihre Zusammenarbeit bei Drehbüchern, an ihre abenteuerlichen Reisen zusammen mit Alberto Moravia, manchmal mit Maria Callas, an ihren unaufhörlichen persönlichen und intellektuellen Austausch. Vor allem aber ist es ein intimes Buch über von einem großen Kreis rund um Pasolini, Moravia und Maraini innig und leidenschaftlich gelebte Freundschaften im Rom der Sechziger und Siebziger Jahre, die trotz aller Nähe und Zuneigung die innere Einsamkeit und Zerbrechlichkeit des Freundes nicht auflösen konnten. Fein ausbalanciert, was durch die meisterliche Übersetzung Maja Pflugs im Deutschen ein Genuss ist, ist das Buch nicht nur ein Muss für Pasolinifans. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

Das bestelle ich!

 

 

Serata Manganelli

Zum 100. Geburtstag des italienischen Schriftstellers Giorgio Manganelli wird auch in Berlin gefeiert! Seine Tochter Lietta Manganelli, Andrea Cortellessa und Giovanni Sampaolo sowie seine deutsche Übersetzerin Marianne Schneider werden über Manganellis Werk und seine Bedeutung sprechen und seine nachdenklichen und humorvollen audiovisuellen Streifzüge kommentieren.

Der 1922 in Mailand geborene und 1990 in Rom verstorbene Autor wurde in Deutschland sofort von dem Verleger Klaus Wagenbach geschätzt, der einen Großteil seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften, mehr als zwanzig Bücher, verlegte. Weniger bekannt in Deutschland sind posthume Veröffentlichungen von Texten Manganellis, und vor allem ist die nonchalante Art kaum bekannt, mit der sich der Schriftsteller durch die Medien seiner Zeit bewegte, nicht zuletzt im Fernsehen. Nicht zu vergessen sind seine Reportagen aus fernen Ländern.

Lietta Manganelli, die einzige Tochter von Giorgio Manganelli, hat sich schon immer für Literatur, Schriftstellerei und soziale Fragen engagiert. Sie gründete das Centro Studi Manganelli und veröffentlicht vergessene und unveröffentlichte Texte ihres Vaters.

Marianne Schneider, Übersetzerin zahlreicher italienischer Schriftsteller ins Deutsche, insbesondere auch von Giorgio Manganelli, mit dem sie befreundet war.

Andrea Cortellessa ist Professor für zeitgenössische italienische Literatur an der Universität Roma Tre und Literaturkritiker. Von und über Manganelli hat er mehrere Bände und Aufsätze herausgegeben.

Giovanni Sampaolo ist Ordinarius für germanistische Sprach- und Übersetzungswissenschaft an der Università Roma Tre und Mitglied des wissenschaftlichen Komitees für die Jubiläumsfeier Giorgio Manganellis.

Die neue Ausgabe von »Irrläufte. Hundert Romane in Pillenform« ist gerade bei Wagenbach (mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach in Person) erschienen.

Das bestelle ich!

E nei prossimi giorni uscirà per La Nave di Teseo «Giorgio Manganelli. Aspettando che l’inferno cominci a funzionare» di Lietta Manganelli, biografia del padre.

Dante Connection sarà presente con questo e molti altri libri del leggendario autore!

Die Veranstaltung findet auf Italienisch mit Simultanübersetzung statt. – L’evento si terrà in italiano con traduzione simultanea.

Wir freuen uns darauf!

wo? Istituto Italiano di Cultura di Berlino

wann? Dienstag, 22. November 2022 ab 18.00 Uhr

 

Helena Janeczek: Die Schwalben von Montecassino

Aus dem Italienischen von Verena von Koskull, Berlin Verlag 2022, 432 S., € 24,-

(Le rondini di Montecassino, Guanda 2018, ca. € 24,-)

Vier lange Monate dauerte es, bis die Alliierten 1944 die von den Deutschen besetzte Abtei Montecassino im Latium einnahmen. Eine Schlacht in mehreren Etappen, an der Soldaten verschiedenster Herkunft beteiligt waren. Ihnen gibt Helena Janeczek eine Stimme, entreißt sie dem Vergessen. Es waren arme Texaner, neuseeländische Maori, Inder oder polnische Juden – aus sowjetischen Lagern kommend gelangten diese über Samarkand, Persien und Afrika nach Italien – die hier ihr Leben verloren oder mit den Erinnerungen an diese entsetzliche Schlacht in ihre Heimat zurückkehrten, sofern es diese noch gab. Gekonnt verwirkt die Autorin Orte, Schicksale, Teile ihrer eigenen jüdisch-polnischen Familiengeschichte und verschiedene Zeitebenen zu einem ergreifenden Epos. Sorgfältig recherchierte historische Fakten, Zeitzeugenberichte und Fiktion verbinden sich zu lebendiger Geschichte. Montecassino wird hier „zum Krieg von uns allen, zu dem Ort, von dem wir alle kommen“ schrieb Roberto Saviano bei Erscheinen des Buches. Dies gilt heute mehr denn je. Eine unbedingte Leseempfehlung, damit das in Vergessenheit geratene nicht vergessen bleibt. (Syme Sigmund) Blick ins Buch

Das bestelle ich!

Ermanno Rea: Nostalgia

Aus dem Italienischen von Klaudia Ruschkowski, Marix Verlag 2022, 288 S., € 22,-

(Nostalgia, Feltrinelli 2016, ca. € 14,50)

Felice wächst in der Sanità auf, dem berüchtigtsten Viertel Neapels, beherrscht von organisierter Kriminalität und Gewalt. Von klein auf ist er eng mit Oreste befreundet, der ihn jedoch gegen sein eigenes Bauchgefühl zu immer riskanteren Raubüberfällen überredet. Als der Einbruch bei einem weithin bekannten Wucherer in einer Tragödie endet, schafft Felice – erst 16 Jahre alt – den Absprung und geht mit einem Onkel zur Arbeit bei einer Baufirma nach Beirut. 45 Jahre lang wird er nicht nach Italien zurückkehren, doch die Vergangenheit und der Mord, für den er sich mitverantwortlich fühlt, lassen ihn nicht los. Als seine Mutter im Sterben liegt, kehrt er in das Viertel seiner Jugend zurück und muss sich den Dämonen in seinem Kopf sowie Oreste – mittlerweile ein Boss der Camorra – stellen.
Ermanno Rea verwebt diese fiktive, mitreißend erzählte Story mit Abrissen über die Geschichte der Sanità, einst Vorstadt der Gärten, Grotten und Katakomben, dann bevorzugte Villengegend adliger Neapolitaner, und nach städtebaulichen Veränderungen, die das Viertel ins Abseits geraten ließen, sowie dem Niedergang des Lederhandwerks – hier wurden die feinsten Handschuhe Europas gefertigt – immer mehr Ort der Armut und Gewalt. Vermittelt durch die Figur des streitbaren Priesters Don Rega, der einer reellen Person nachempfunden ist, erzählt er aber auch von den engagierten Menschen, die es in den letzten 20 Jahren mit viel Zivilcourage und gegen alle Widerstände geschafft haben, an den Verhältnissen etwas zu ändern und die Hoffnung zurückkehren zu lassen.
So setzt er den Helden und den Opfern in seinem erst postum veröffentlichen Werk ein gerade für Neapelkenner spannendes und sehr lesenswertes Denkmal.
(Syme Sigmund)

Das bestelle ich!

Fabio Stassi: Ich töte wen ich will

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki, Edition Converso 2022, 304 S., € 22,-

(Uccido chi voglio, Sellerio 2020, ca € 18,-)

Was für ein Noir! Genretypisch ist Vince Corso, der Protagonist, ein mittelloser Einzelgänger mit einem reichen Innenleben. Das Setting ist hochaufgeladen und changiert zwischen einer banal einsamen Existenz und einer Vielzahl literarischer und psychologischer Anspielungen, möglicher Fährten und Irrwege.
Der Held verdient seinen Lebensunterhalt mit einer eigentlich harmlosen Tätigkeit, als Bibliotherapeut empfiehlt er Bücher als Ausweg aus Krisen. Als er einmal in seine kleine römische Dachwohnung zurückkommt, findet er seinen Hund vergiftet vor, das Zimmer verwüstet, Bücher und Schallplatten vernichtet. Dieser ihm unerklärliche Anschlag ist nur das erste ihn bedrohende Ereignis. Während seiner Gänge zwischen Tierklinik und Wohnung geschehen brutale Morde, die ihm angelastet werden. Ein Blinder spielt dabei eine nicht unwichtige Rolle… Ein rasanter Strudel seltsamer Begegnungen und Zufälle aus Realität und Literatur sorgt für Verwirrung und enorme Spannung und dies in der Stadt Rom, die ich so dicht und atmosphärisch beschrieben noch nie gelesen habe. Das meisterliche Zusammenspiel von Autorschaft, Stassi ist im Brotberuf Bibliotheksdirektor, Kopetzkis schnörkelloser Übersetzung und Ausstattung mit literarischen und geographischen Verweisen macht den Roman zu einem großen Lesevergnügen und bietet jede Menge Raum für die ureigene Lektüre. (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

Das bestelle ich!