Tarjei Vesaas: Frühlingsnacht

Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Guggolz 2025, 238 Seiten, 25 Euro

Es ist ein heißer Frühlingstag auf dem Land. Hallstein und seine Schwester Sissel frohlocken. Die Eltern sind in die Stadt gefahren und werden erst am nächsten Tag zurückkommen! Während der 14-Jährige fantasiert, was all jetzt Verheißungsvolles in Freiheit möglich sein könnte, hat Sissel Besuch von einem Verehrer, den sie aber im Streit wegschickt. Hallstein, der die beiden genauestens beobachtet hat, ihre Gefühlswandlungen aber nicht nachvollziehen kann, flüchtet sich in die explodierende Natur. Dies ist der Beginn eines atemberaubenden Romans, in dem der jugendliche Protagonist im Laufe einer Nacht, in der eine fremde zerrüttete Familie mit einer Gebärenden in ihre Privatsphäre eindringt, von widersprüchlichsten intensiven Gefühlen und Überlegungen durchgerüttelt wird. Er verwandelt sich von einem passiven Beobachter zu einem eher unfreiwilligen Akteur. Meisterlich, wie Vesaas ihn als Spielball einsetzt und ihn gleichzeitig seine Kindlichkeit verlieren lässt. Das erzeugt beim Lesen eine ungeheure Spannung, die Hinrich Schmidt-Henkel mit seiner Übersetzung dieser feuchten heißen Frühlingsnacht zum Schweben bringt. (Stefanie Hetze)

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R. Engler, D. Jaspersen, M. Engelke (Illustr.): So geht schlafen, kleiner Wombat

mairisch, 32 Seiten, 18 Euro, ab 4 

Die ganze Nacht hat der kleine Wombat mit dem großen Wombat nach Herzenslust gespielt. Jetzt geht langsam die Sonne auf, die Spielzeit ist vorbei und die Schlafenszeit beginnt. Aber die Tunnel sind doch noch gar nicht fertig! schimpft der Kleine. Bevor es ins Bett geht, muss er dem Großen deshalb noch zeigen, was er alles kann: Rennen, Drehen, Fliegen, es wird ins Bett gerollt und das große Finale ist das Schlafen. Der liebevoll erdachte Vorlesespaß ist kleinen Tobern wie auf den Leib geschrieben und die eigenwillig krackeligen Bilder enden im schönsten Kuscheln, vielleicht ja sogar Einschlafen! Bei uns hat es bestens funktioniert – Dantes jüngster Testleser war hellauf begeistert und wurde wombatmüde zugleich. (Jana Kühn)

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Mittwoch, 28. Mai 2025

Fiona Sironic: Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft (Ecco)

Es brennt. In den Wäldern und auf den Screens. Die 15-jährige Era lebt mit ihrer Mutter am Waldrand und versucht dem schleichenden Prozess der Zerstörung etwas entgegenzusetzen, indem sie das Aussterben der Vögel dokumentiert. In einem Stream beobachtet sie ihre Mitschülerin Maja und deren Schwester Merle, die auf der benachbarten Lichtung Festplatten in die Luft jagen. Maja ist die Tochter zweier Momfluencerinnen, die versucht, die Erinnerungen an eine öffentliche Kindheit auszulöschen. Während Era Notizbücher führt und Zeichnungen anfertigt, bildet Maja eine zerstörerische Gegenkraft. Dennoch sind Era und Maja verbunden in ihrer Suche nach Intimität und analogen Reizen. Während die Turteltaube ausstirbt, verlieben die beiden sich ineinander.

Eine erste Liebe zwischen Festhalten und Vernichten, Aussterben und Weiterleben. Souverän und klug überzeugt Sironic mit einer neuen literarischen Stimme.

wann? Mittwoch, 28. Mai um 20 Uhr
wo? in der Dante
Soli-Tickets 8/10/15 Euro

Vorverkauf & Reservierung in der Dante oder anmeldung@danteconnection.de

Fiona Sironic (_1995 in Neuss) studierte Sprachkunst, Kreatives Schreiben und Gender Studies in Hildesheim und Wien, wo sie inzwischen als freie Schriftstellerin lebt. Sie gibt Workshops und beschäftigt sich in ihrem journalistischen Schreiben mit digitalen Spielen. Für ihre literarischen Texte erhielt Sironic diverse Preise, Stipendien und Nominierungen. Sie war beispielsweise nominiert für den Wortmeldungen Förderpreis, gewann den Open Mike 2019 und erhielt sowohl das Arbeits- als auch das Startstipendium des BMKÖS, war außerdem Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses und der Kölner Schmiede und erhielt im Rahmen des Deutschen Preises für Nature Writing 2024 eines der Werkstatt-Stipendien für einen Auszug aus ihrem Debütroman »Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft«.

Save the Date!

26. Lange Buchnacht in der Oranienstraße

Die 26. Lange Buchnacht in der Oranienstraße findet am 17.05.2025 statt. Bei freiem Eintritt können alle Literaturbegeisterten die Oranienstraße entlang flanieren und immer wieder Halt machen, um den unterschiedlichen Lesungen zu lauschen.
Und das ist unser Programm:
16 Uhr – Projektraum O45
Buchpräsentation & Austtellungseröffnung: DAS FRIEDENSTIER (dtv)
20 Uhr – in der Dante
Lesung & Sneak Preview mit Esther Becker
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Samstag, 17. Mai 2025

Die 26. Lange Buchnacht in der Oranienstraße findet am 17.05.2025 statt. Bei freiem Eintritt können alle Literaturbegeisterten die Oranienstraße entlang flanieren und immer wieder Halt machen, um den unterschiedlichen Lesungen zu lauschen.

Das komplette Programm gibt es als Flyer bei allen teilnehmenden Veranstaltungsorten und auf dieser  Website … klick!

Und das ist unser Programm:

16 Uhr – Projektraum O45
Buchpräsentation & Ausstellungseröffnung: DAS FRIEDENSTIER (dtv)

Gemeinsam für den Frieden – Künstler*innen setzen ein Zeichen. Friedenstauben kennt jeder. In diesem Buch versammeln sich zudem geflügelte Kängurus, Wildschweine, Dackel, Kröten, Elefanten und viele weitere Tiere, um sich für mehr Frieden einzusetzen. Dazu gibt es Gedanken, Gedichte und Geschichten, die Hoffnung auf eine friedlichere Welt machen. Mit Beiträgen von Jutta Bauer, Ina Hattenhauer, Marc-Uwe Kling und Bernd Kissel, Anke Kuhl, Eva Muggenthaler, Jens Rassmus, Axel Scheffler – und Yves Kervoelen, der das Buchprojekt zu Gunsten von Ärzte ohne Grenzen vorstellen wird.

Öffnungszeiten der Ausstellung
Fr 23.5. / Sa 24.5. von 13 bis 18 Uhr
Fr 30.5. / Sa 31.5. von 13 bis 18 Uhr

 

Finissage
Sonntag, 1.6.2025
13 Uhr bis 18 Uhr

Workshop mit Yves Kervoelen
„Gestalte dein eigenes friedliches Tier“ 14.30 und 15.30 Uhr
Eintritt 5 Euro

 

20 Uhr – in der Dante
Lesung & Sneak Preview mit Esther Becker

In ihrem Debütroman »Wie die Gorillas«, der 2021 im Verbrecher Verlag erschien, beschreibt die Berliner Autorin Esther Becker das Erwachsenwerden junger Frauen in einer Gesellschaft, die behauptet, alle könnten selbst bestimmen. Lustvoll, pointiert, mit viel Humor und mit der Drastik, die es benötigt, erzählt Becker vom gesellschaftlichen Druck, der auf jungen Frauenkörpern lastet. Im Herbst erscheint ihr Erzählband »Notfallkontakte«, den wir bereits vorfreudig erwarten und aus dem sie erste Passagen vorstellen wird.

Jens Rassmus: Rosa und Bleistift

Edition Nilpferd, 40 Seiten, 18 Euro, ab 4

Am Ende eines Tages stellen Rosa und Bleistift fest, dass heute leider gar nicht mit ihnen gezeichnet wurde – wie schade! Staunend betrachten die beiden das toll zu Papier gebrachte Bild eines blauen Autos, das ohne sie entstanden ist. Ob das wohl fährt? Neugierig springt Rosa in das Bild hinein, um es auszuprobieren. Noch etwas ängstlich hüpft Bleistift hinterher und schon saust das blaue Auto durch die abenteuerliche Welt der Bilder. Farbenfroh und eintönig, schraffiert und lasiert, gepinselt und gestrichelt, minutiös gezeichnet und wild gekrakelt – in diesen collageartigen Tableaus passt alles herrlich oder wird von zwei mutigen Stiften fantasievoll passend gemacht. Und mit Fantasie geht es weiter – immer. (Jana Kühn)

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Dulce Chacón: Was Hortensia nicht mehr erzählen konnte

Aus dem Spanischen von Friederike Hofert, w_orten & meer 2024, 415 Seiten, 28 Euro

Spanien, 1939, der Bürgerkrieg ist gerade vorbei, die Protagonist*innen des Romans sind vornehmlich Republikaner*innen, Besiegte. Auf Grundlage von Zeitzeug*innenberichten und in erster Linie aus der Perspektive von Frauen schildert „Was Hortensia nicht mehr erzählen konnte“ die desaströsen Zuständen in den Gefängnissen, die Willkür, die Gewalt, Krankheiten. Der Roman erzählt aber auch von Zusammenhalt und Schwesternschaft, von kleinen Siegen und großer Treue, erzählt vom Leben der Guerillas in den Bergen und dem Leben der Zurückgebliebenen in der Stadt. Es werden Demütigungen beschrieben, die zu lesen kaum auszuhalten ist. Aber: „Widerstand heißt gewinnen“, so sagt es Tomasa, eine der Inhaftierten. In diesem Sinne ist „Was Hortensia nicht mehr erzählen konnte“ ein hoffnungsvolles Buch. Tomasa wird irgendwann das Meer sehen, wie sie sich das gewünscht hat. Aber sie wird an den Strand stolpern, weil sie – wie alle, die aus dem Gefängnis kommen – das Laufen erst wieder lernen muss.
Dulce Chacón wollte mit ihren Romanen auch auf die Geschichten derer hinweisen, die nicht auf der Sieger*innenseite standen. „Was Hortensia nicht mehr erzählen konnte“ erschien in Spanien bereits 2002. (Katharina Bischoff)

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Anna Langfus: Gepäck aus Sand

Aus dem Französischen übersetzt von Patricia Klobusiczky
AB – Die andere Bibliothek 2025, 288 Seiten, 48 Euro

Ein Roman gegen das Vergessen und Verharmlosen. Schonungslos zeigt er das Innerste eines traumatisierten Menschen, was beim Lesen selten tief berührt und aufrüttelt. Dabei deutet die Autorin sehr klug die erlebten Gräuel der Schoah nur an und konzentriert sich auf das Danach, ob und wie ein Weiterleben möglich ist. Völlig orientierungslos irrt die Protagonistin in „Gepäck aus Sand“ in ihrem Exil durch eine Gegenwart, die sie nicht betrifft.  Wie ein antiker Chor kommentieren die Präsenzen ihrer ermordeten Angehörigen unablässig ihr Tun und ihre Gedanken. Sie lassen nicht locker, selbst als sie eine Liaison mit einem älteren Mann eingeht und mit ihm in Südfrankreich versucht, Urlaub zu machen. Weder von diesem Mann noch von nicht verfolgten Verwandten erhält die junge Frau selbstlose Unterstützung. Auch als sie sich am Meer einer Gruppe Kinder anschließt und sich ein paar Momente der Hoffnung andeuten, zerfallen diese. Es gibt für sie kein Entkommen. Patricia Klobusiczky hat für ihre Neuübersetzung dieses Weltliteratur-Romans eine glasklare Sprache gefunden, da sitzt und schneidet jedes Wort. Ich möchte die Lektüre dieses Buchs nicht missen. (Stefanie Hetze)
Noch mehr Informationen über die Neuübersetzung

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Annett Gröschner: Schwebende Lasten


C.H. Beck 2025, 282 Seiten, 26 Euro

Magdeburg, 1938. Hanna Krause ist Besitzerin eines Blumenladens im Knattergebirge, dem verwinkelten, von Armut und Überleben gezeichneten Arbeiter*innen- und Elbhafenviertel. An ihrem 25. Geburtstag betritt ein Mann den Laden, übergibt ihr die Postkarte eines Stillebens des niederländischen Malers Ambrosius Bosschaert, 50 Mark und den Auftrag, den dargestellten Strauß für ihn nachzubilden. Der Kunde kommt nicht wieder, der Auftrag hingegen begleitet Hanna ein Leben lang. Wie schon in Moskauer Eis, mit dem dieser Roman in ganz enger Verbindung steht, hat Annett Gröschner auf die für sie typische Weise das Dokumentarische mit dem Erzählerischen verschaltet: Jedem Kapitel ist eine Blume dieses Straußes vorangestellt, die dem wechselhaften Leben der Protagonistin eine innere, wie äußere Struktur verleiht. Drei politische Systeme, einen Krieg und zwei Revolutionen später hat Hanna ihren inneren Kompass nie verloren. Aus der Blumenbinderin ist zwischenzeitlich eine Kranführerin geworden und Gröschner versteht sich blendend auf das Spiel mit den harten Kontrasten. In dichten, temporeichen Schritten erzählt sie mit Hanna Krause eine deutsche Geschichte, die mit viel Feingefühl an den richtigen Stellen innehält und die Lasten zum Schweben bringt.

Wäre diese Geschichte nicht so voller Leben, könnte sie fast ein Denkmal sein – für eine Stadt, ein Viertel, die Lebensgemeinschaft des in Trümmern versunkenen Knattergebirges, aber vor allem für eine widerständige Frauenbiographie, die nicht dem Leben trotzt, sondern ohne je Heldin oder Opfer zu sein, trotzdem lebt. (Kerstin Follenius)

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Freitag, 11. April 2025

Wir laden herzlich ein zur Lesung von Annett Gröschner aus ihrem neuen Roman Schwebende Lasten.

 

Hanna Krause war Blumenbinderin, bevor das Leben sie zur Kranführerin machte. Sie hat zwei Revolutionen, zwei Diktaturen, einen Aufstand, zwei Weltkriege und zwei Niederlagen, zwei Demokratien, den Kaiser und andere Führer, gute und schlechte Zeiten erlebt, hat sechs Kinder geboren und zwei davon nicht begraben können, was ihr naheging bis zum Lebensende. Hatte später, nachdem ihr Blumenladen längst Geschichte war, von einem Kran in der Halle eines Schwermaschinenbaubetriebes in Magdeburg einen guten Überblick auf die Beziehungen der Menschen zehn Meter unter ihr und starb rechtzeitig, bevor sie die Welt nicht mehr verstand. Annett Gröschners Roman erzählt die Geschichte eines Jahrhunderts in einem einzigen Leben und gibt, mit Hanna, denen ein Gesicht, die zu oft unsichtbar bleiben. Ein Roman über das Ende des Industriezeitalters und seiner Heldinnen im Osten Deutschlands – und über eine gewöhnliche Frau in diesem unfassbaren 20. Jahrhundert.

 

 

wann? Freitag, 11. April um 20 Uhr
wo? in der Dante

Soli-Eintritt 8/10/12 Euro

Ticketreservierung unter anmeldung@danteconnection.de, 030 – 615 76 58 oder direkt im Laden.

 

Annett Groeschner (geb. 1964), Autorin, fotografiert in Berlin-Schöneweide, 12.8.2024

Annett Gröschner, geboren 1964 in Magdeburg, lebt seit 1983 als Schriftstellerinin Berlin. Bekannt wurde sie vor allem mit ihre Romanen „Moskauer Eis“ (2000) und „Walpurgistag“ (2011). Zuletzt erschien bei Hanser ihr gemeinsam mit Peggy Mädler und Wenke Seemann verfasster Bestseller „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ (2024). Annett Gröschner wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Großen Kunstpreis Berlin.