Pari Thomson: Greenwild – Die Jagd nach dem Wunderlicht

Aus dem Englischen von Maren Illinger, illustriert von Elisa Paganelli, Fischer SAUERLÄNDER 2023, 380 S., € 17,90, ab 10

Daisys Mutter, eine erfolgreiche Journalistin, verschwindet auf einer Recherchereise im Amazonas-Gebiet. Sie selbst kann sich in letzter Minute vor grimmigen Verfolgern in den Londoner Botanischen Garten retten. Dort öffnet ihr eine geheimnisvolle Pforte den Weg nach Greenwild, einer fantastischen Welt voller wundersamer Pflanzen – vor allem voller Grüner Magie. Und offensichtlich kannte ihre Mutter diese Welt, war selbst eine Botanistin. Und: “Botanistin zu sein, bedeutet vor allem, darüber nachzudenken, was wir für die Natur tun können – und nicht nur, was sie für uns tun kann.” Daisy macht sich auf die Suche nach ihrer Mutter und erlebt zahlreiche Abenteuer, die bei aller Fantasie viele Anknüpfungspunkte in unserer Welt haben und en passant für den Schutz der Einzigartigkeit von Natur- und Pflanzenwelt sensibilisieren. Fesselnder Auftakt einer magisch-botanischen Trilogie in schönster Buchgestaltung, Teil II kommt schon im Herbst – wir sind gespannt! (Jana Kühn) Leseprobe

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Xi Xi: Meine Stadt

Aus dem kantonesischen Chinesisch und mit einem Nachwort von Karin Betz, Suhrkamp 2023, 253 S., € 24,-

Welch ein Fund, den Suhrkamp da gehoben hat und der von der Übersetzerin Karin Betz in ein nur so vor Lebendigkeit und Einfallsreichtum funkelndes Deutsch übertragen wurde! Meine Stadt erschien 1975 als Fortsetzungsroman in einer Hongkonger Zeitung. Er porträtiert diesen einmaligen Ort, der im Zentrum kolonialer und geopolitischer Macht- und Finanzinteressen stand, während die Bevölkerung, die durch die Ankunft vieler Geflüchteter enorm anstieg, versuchte, mit den verschiedenen Gegebenheiten umzugehen. In dieser vielfältigen Stadtgesellschaft, die den unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt ist, in der Chinesische Kaiser auf die Beatles und Reissuppen auf Schinkensandwiches treffen, lässt Xi Xi ihren jugendlichen Protagonisten, der mit Mutter und Schwester frisch angekommen ist, die verschiedensten Menschen und Lebensumstände kennenlernen. All diese Begegnungen, Szenen und Episoden sind ein Feuerwerk an Anspielungen, Wort- und Gedankenspielen. Gegenstände und Phänomene erzählen ganz poetisch ihre Sicht der Dinge, wie die Fähre, die sich vom Pier verabschiedet. Filme, Songs und Buchtitel werfen auf das Beschriebene noch einmal ein anderes Licht. Der Kultautorin von 1975 und der Übersetzerin aus der Gegenwart ist es gelungen, das Hongkong von damals plastisch nachvollziehbar zu machen und gleichzeitig die großen Probleme der Menschheit anklingen zu lassen. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Mercedes Lauenstein & Juri Gottschall: Splendido

Italienisch kochen mit besten Zutaten und viel Gefühl. Dumont 2022, 256 S., € 34,-

Manchmal braucht es, bis auch wir ein Buch entdecken, zu überbordend die Schwemme an italienischen Kochbüchern. Umso größer ist unsere Begeisterung für dieses Buch, das kompromisslos die Einfachheit der Küchen Italiens feiert und uns beim Selberkochen anregt und auffordert, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: auf die besten aller Zutaten und auf den selbstbestimmten Umgang mit den Rezepten. Die Geschichten zu den Gerichten sind kein schmückendes Beiwerk wie sonst üblich, sondern geben die nötigen Hintergrundinformationen, um in das Wesen eines Rezepts einzutauchen und ein gutes Gespür zu entwickeln, worauf es bei ihm wirklich ankommt. Da passt es auch, dass kaum Mengenangaben vorhanden sind, denn mal ist eine Artischocke winzig, mal riesengroß. Köstlich kann mit diesem Buch gekocht werden, kann der Essenz von Klassikern wie der Caponata oder Spaghetti all’Amatriciana nachgegangen werden oder vielleicht ganz Neues entdeckt werden wie einem Salat aus rohem weißem Spargel. Und sich zudem erfreuen an der Ästhetik und den sinnenfreudigen Fotografien. Prächtig! (Stefanie Hetze) Blick ins Buch

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Martin Muser, Sabine Kranz (Illustr.): Die Feuerwehr kommt nackig her

Carlsen 2023, 64 S., € 9,-, ab 6

Erstlesegeschichten sind eine wirklich knifflige Angelegenheit … sprachlich dürfen sie nicht überfordernd sein, aber eben auch nicht langweilig. Im besten Falle machen sie Lust auf Geschichten und motivieren mit Lektüre-Erfolgserlebnissen zum Weiterlesen. Martin Muser – Autor der von uns heiß geliebten dreibändigen Reihe „Kannawoniwasein“ – debütiert hier in diesem Genre. Und wie! Entstanden ist die als Kettenreaktion und gereimt erzählte, turbulente Geschichte eines Feuerwehreinsatzes. Das Ganze kommt als immer länger werdender Kettensatz in Erzählschleifen daher. Klingt kompliziert? Nein! Die Kinder lesen wieder und wieder, ergänzt um jeweils neue Details ähnliche Sätze. Das Wiedererkennen der Wörter hilft enorm beim Lesen. Die sehr lustigen Illustrationen von Sabine Kranz ergänzen wunderbar und helfen, der Geschichte auch auf der Bildebene zu folgen. Und mit einer Überraschung am Schluss erfahren wir schließlich doch noch, warum die Feuerwehr zu dem Haus rast, in dem Mika wohnt. (Jana Kühn)

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PS: Aus der thematisch sehr breit aufgestellten, neuen Erstleser*innen-Reihe „Einfach Lesen Lernen“ des Carlsen Verlags haben wir weitere, ebenfalls empfehlenswerte Titel im Sortiment.

 

Teju Cole: Black Paper

Schreiben in dunkler Zeit – Essays. Mit 8 SW- und 8 Farbabbildungen, aus dem amerikanischen Englisch von Anna Jäger und Uda Strätling, Claassen Verlag 2023, 320 S., € 24,-

Ein faszinierendes Spiel der Assoziationen, Verknüpfungen und gedanklichen Bezüge bieten uns diese Essays des nigerianischen Autors und Fotografs Teju Cole, der heute in den USA lebt. So folgt er den Wegen von Caravaggios Exil von Rom über Neapel nach Sizilien und Malta und verbindet dieses, und die dort entstandenen Kunstwerke mit den Spuren der heutigen Exilanten, die über das Mittelmeer kommen. In „Elegien“ würdigt er so unterschiedliche Künstler wie Tranströmer, Kassé Mady Diabaté oder Aretha Franklin und verbindet seine Hörerfahrung von Beethovens Streichquartett Nr. 15 op. 132 mit Erinnerungen an New York, Ramallah, Beirut und Berlin. Stets aufs Neue findet er überraschende Parallelen zwischen scheinbar voneinander unabhängigen Sphären, regt an, die Welt, auch die Dunkelheit, mit allen Sinnen zu erfahren, plädiert „für einen Haltung der wachen Sinne“, vereint immer wieder Ästhetik, Ethik und Politik, ohne dabei in Plattitüden zu verfallen. Es begegnet den Leser:innen ein intellektueller Autor im besten Sinne des Wortes, überraschend, anregend und inspirierend, der die Schönheit erfasst, ohne vor dem Elend der Welt die Augen zu verschließen. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Der Kulturpass kommt!

Für alle, die gerne lesen oder damit anfangen wollen!

Wir sind eine Kiez-Buchhandlung direkt am Oranienplatz in Kreuzberg mit tollen, selbst ausgewählten Büchern im Sortiment. Unser Fokus gehört spannenden diskriminierungssensiblen, empowernden Büchern.

Kommt einfach vorbei – wir zeigen Euch gerne unsere Schätze. Oder durchstöbert unsere Website bei den Danteperlen, z.B. bei YOUNG ADULT.

 

Mary Austin: Land des kargen Regens

Aus dem amerikanischen Englisch von Dieter Fuchs, mit einem Nachwort von Solvejg Nitzke, Matthes & Seitz 2023, 224 S., € 28,-

Der heiße Südwesten der USA zwischen Los Angeles, Arizona und Mexiko war die Wahlheimat von Mary Hunter Austin. Dieser kargen, großartigen Landschaft, ihren Pflanzen, Tieren und Menschen, fühlte sie sich zutiefst verbunden. In vierzehn Essays beschreibt sie mal die Wüste, mal die Berge der Sierra, mal ihre Bewohner und deren Geschichten, und immer tut sie dies als aufmerksam-sensible Beobachterin in einer lyrischen Sprache voller Anmut und Respekt, mit scharfem Blick für die Zusammenhänge der Natur. Nicht umsonst gilt sie als Pionierin der Umweltschutzbewegung (das Buch erschien 1903). Pflanzen, Tiere und Menschen sind für sie Teil eines großen Ganzen, in dem alles miteinander verbunden ist. Der Mensch gehört zur Natur, ist nicht unabhängig von ihr.
Aktueller könnte dieses schmale Band angesichts des Klimawandels kaum sein. Unvorstellbar, dass das Buch bisher noch nie ins Deutsche übersetzt wurde. Nun ist es zufällig fast zeitgleich sowohl bei Matthes Seitz in der wie immer von Judith Schalansky wunderschön gestalteten und mit vielen Anmerkungen versehenen Naturkunden-Reihe als auch bei Jung und Jung* erschienen. (Syme Sigmund)

*Unter dem Titel Wo wenig Regen fällt, übersetzt von Alexander Pechstein

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Frederick Kohner: Gidget – Mein Sommer in Malibu

Aus dem Amerikanischen von Hanna Hesse. Mit einem Nachwort von Volker Weidermann, Fischer 2023, 176 S., € 22,-

Strand, Sonne, Wellen, Kalifornien. Völlig begeistert ist die 15-Jährige Franzie von den wagemutigen Künsten der Surfenden. Um jeden Preis will sie auch aufs Brett, was aus den Augen der ausschließlich männlichen Surfer schier unmöglich ist. Schließlich ist sie ein Mädchen, sind es die Fünfzigerjahre, doch Franzie lässt sich nicht unterkriegen. Schnell kriegt sie den Spitznamen Gidget (kleines Mädchen) verpasst und gehört damit irgendwie doch dazu. Sie wird immer besser, verliebt sich, verändert sich und führt ein Doppelleben, einerseits die kühne Surferin, andererseits die brave bürgerliche Tochter, die mit Lügengeschichten ihre Eltern austrickst. Das wäre jetzt eine heitere befreiende Coming-of-Age-Geschichte, die hier jedoch einen ganz anderen Dreh nimmt. Der schier ahnungslose Vater alias Frederick Kohner, ein jüdischer Drehbuchautor mit deutschen Wurzeln, hat den Auftrag seiner eigenen Tochter erfüllt und mit viel Augenzwinkern und Selbstironie ihre wahre Geschichte aufgeschrieben. Sie selbst wollte lieber surfen gehen. Dieses liebevoll karikierende Spiel mit den Perspektiven hat ab 1956 Gidget enorm populär gemacht mit hohen Auflagen und Verfilmungen. Jetzt kann die frische Neuübersetzung, die gekonnt mit dem Vokabular der Zeit spielt, einfach als entspannte Lektüre genossen werden. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Sarah Crossan: Toffee

Wie Glücklichsein von außen aussieht. Aus dem Englischen von Beate Schäfer, Hanser 2023, 352 S., € 19,-, ab 14

Allison ist von zu Hause abgehauen, sie hat es mit ihrem gewalttätigen Vater nicht mehr ausgehalten. Als sie sich im Schuppen der alten Marla versteckt, und diese sie für ihre Jugendfreundin Toffee hält, nimmt Allison diese Rolle an – zunächst nur, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Doch langsam spinnt sich ein zartes Band zwischen der dementen Frau und dem 15-jährigen Mädchen. Denn Allison/Toffee nimmt Marla ernst, gibt ihr wieder Glück und Zuneigung, die sie von ihrem kalten Sohn und der regelmäßig vorbeischauenden Sozialarbeiterin nicht bekommt. Und auch Marla hilft Allison auf ihre ganz eigene Art, wieder Halt und Zuversicht im Leben zu finden.
Sahrah Crossan hat diesen Roman in freien Versen geschrieben, die von Beate Schäfer mit großem Sprachgefühl ins Deutsche übertragen wurden. Dabei fließt der Text doch gut lesbar, lässt uns aber immer wieder innehalten, wie schwebend, gebannt von leiser Poesie. Ein ganz besonderes Buch, das berührt, ohne jemals auch nur in die Nähe von Kitsch zu geraten, und dem viele junge Leser zu wünschen sind. (Syme Sigmund) Leseprobe

Hörprobe, gelesen von Nina Hrdina

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Toni Morrison: Rezitativ

Mit einem Nachwort von Zadie Smith. Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels, Rowohlt 2023, 96 S., € 20,-

Dieses schmale Buch hat es in sich! Dabei ist die Handlung relativ unspektakulär. Zwei Mädchen in einem Kinderheim werden zu unzertrennlichen Komplizinnen, trotzen gemeinsam den dortigen Zumutungen und der Trennung von ihren Müttern.  Als sich ihre Wege trennen, verlieren die einstigen Gefährtinnen einander aus den Augen. Bei zufälligen Begegnungen als Erwachsene können sie nicht an ihre Vergangenheit anknüpfen, sind sie einander mehr als fremd. Das Außergewöhnliche an dieser einzigen Erzählung Toni Morrisons ist, dass die Autorin schon auf der ersten Seite klarstellt, dass beide Mädchen eine unterschiedliche Hautfarbe haben, nur verrät sie nicht, wer von den beiden schwarz oder weiß ist. Das erzeugt bei der Lektüre große Irritationen, ertappt man sich immer wieder, dies an bestimmten Details herausfinden zu können. Aber warum eigentlich? Dieses geniale Spiel mit den Fallen und Klischees von Wahrnehmung tariert die Nobelpreisträgerin meisterlich aus. Sie hat diese geniale  Erzählung bereits 1983 veröffentlicht. Vierzig Jahre später können wir sie nun endlich auf Deutsch lesen, angereichert durch Zadie Smiths erhellendes Nachwort. (Stefanie Hetze)  Leseprobe

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