Aus dem amerikanischen Englisch und mit einem Nachwort von Ann Cotten, Reclam 2020, 206 S., € 18,-
(Stand März 2021)
1901 ist Mary MacLane 19 Jahre jung und lebt in einer kleinen Bergbaustadt in Montana. Von der ersten Seite an springt der in Tagebuchform verfasste Text uns an, leidenschaftlich, ungestüm, mit jugendlicher Überheblichkeit und doch reflektiert spricht hier eine Frau, die an den Konventionen, der Bigotterie und Verlogenheit ihrer Zeit und der Provinz leidet, sich unverstanden und einsam fühlt und doch weiß, dass sie zu mehr bestimmt ist. Verzweifeln möchte sie an der Begrenztheit der Möglichkeiten, die ihr das Leben bietet, sie weiß „Ich kann fühlen“ – „Ich bin ein Genie“ schreit sie heraus, und bietet uns einen Blick in ihr Innerstes, das nur darauf wartet, leben und lieben zu dürfen, in einer sehnsuchtsvoll-poetischen, hoch rhythmischen, kraftvollen Sprache, die uns mitreißt wie ein Sog, aus dem wir erst mit der letzten Seite wieder auftauchen.
Mary MacLane sorgte mit der Veröffentlichung des Buches für einen Skandal. Sie verließ die Provinz, lebte offen bisexuell und war eine frühe Feministin. Hier dürfen wir den Anfängen ihrer Selbstfindung beiwohnen, einer Frau die noch bei ihrer Familie wohnt und doch schon sicher ist „Ich bin ausgesprochen originell, von Geburt an“. (Syme Sigmund)