Danteperlen

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An jedem Monatsanfang veröffentlichen wir an dieser Stelle vier persönliche Buchempfehlungen, unsere Danteperlen, denen wir viel Aufmerksamkeit  wünschen.

Hier finden Sie unsere aktuellen Danteperlen aus diesem Monat. Stöbern und frühere Empfehlungen lesen können Sie auf den Unterseiten.

... für Erwachsene
Angela Steidele: Ins Dunkel
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... für Erwachsene
Anna Maschik: Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten
» Empfehlung lesen

... für Erwachsene
Lara Haworth: Das Abschiedsmahl
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… für Jugendliche
Candy Gourlay: Wild Song
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Angela Steidele: Ins Dunkel

Suhrkamp 2025, 357 Seiten, 26 Euro

Da hat sich eine einen ganz großen Spaß erlaubt, und so getan, als hätte sie intimste Kenntnis vom erotischen Privatleben der ikonischen Filmdiven Greta Garbo und Marlene Dietrich. Diese eine ist die Schriftstellerin Angela Steidele. In ihrem Roman lässt sie die junge Schwedin 1924 in einem Berliner „Damenclub“ auf die ebenso junge Dietrich, auf Erika und Klaus Mann treffen und versetzt sie nach ihren überwältigenden Erfolgen in Hollywood Jahrzehnte später in einen verschneiten Schweizer Bergort, wo sie wiederum auf Erika Mann und andere Berühmtheiten stößt. Steidele wirbelt durch Garbos Leben und dem manch anderer, schaut hinter die Fassaden, ist bei persönlichsten Momenten dabei. Das funktioniert, weil sie ihren Roman genial wie einen Kinofilm montiert hat. Sie spielt raffiniert mit Perspektivwechseln und Zeitsprüngen, mit Nahaufnahmen und mit Totalen, mit dokumentierten Fakten und phantasievollster Fiktion. Das geschieht nicht als luftleere Spielerei, sondern Steidele erzählt glasklar, wie sich das frühe Kino zu einem Macht- und Kapitalinstrument verändert hat und wie sich die gesellschaftlichen Verwerfungen auf das Leben, die Arbeit und die Liebe nicht nur dieser Ikonen ausgewirkt hat. Ein ungemein kluges und fundiertes Vergnügen. (Stefanie Hetze)

Das bestelle ich bei Dante!

Anna Maschik: Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten

Luchterhand 2025, 240 Seiten, 23 Euro

Und wieder so eine Geschichte, die im Titel beginnt und mitreißt, bevor die erste Seite überhaupt aufgeschlagen ist. Henrike, die Urgroßmutter, schlachtet heimlich ein Schaf, irgendwo auf dem südmarschen Land, auf ihrem Hof, den sie nach dem frühen Tod der Eltern alleine führt. Alma, ihre Urenkelin, schaut ihr dabei zu: Räuchern, Pökeln, Wurstmachen. Heiraten. Zwei Kriege. Kinder, gewollte und geschehene. Ein Onkel, der 15 Jahre lang schläft. Vier Generationen. Familie ist nicht immer die erzählte Geschichte, oft ist es die Auslassung, die Lücke, in der sich das gelebte Leben verdichtet. Jede Generation hinterlässt sie für die nächste. Jede Generation füllt sie für die vorhergehende. Mal ist das wortstark und bildreich, mal traurig, lustig oder eine Anekdote. Doch manchmal auch nur fadendünn. Eine Liste. Die Wiederholung eines einzigen Satzes, bis sich in seinem Nachklang ein Gefühl einstellt.
Anna Maschik traut sich das ganze Spektrum von Sprache auszuschöpfen, wagt zu verschweigen, im Detail zu verweilen oder mit einem einzigen Satz Jahrzehnte zu überspannen. Diese Form ist bestechend anders: zugänglich, dicht und gewagt zugleich. Ein wirklich schönes Buch. (Kerstin Follenius)

Das bestelle ich bei Dante!

Lara Haworth: Das Abschiedsmahl

Aus dem Englischen von Stefanie Ochel
Kjona Verlag, 2025, 144 Seiten, 23 Euro

„Was für ein Massaker denn? Welches?“ fragt sich Olga Pavić als sie den Brief mit dem amtlichen Stempel der Stadtverwaltung gelesen hat, in dem man ihr mitteilt, dass ihr Haus beschlagnahmt wird und einem Mahnmal weichen soll.
„Was für ein Massaker denn? Welches?“ fragen sich auch ihre Kinder Hilde und Danilo, fragen sich ihre Freund*innen, fragen sich ganz offensichtlich auch die drei Architekt*innen, die in den nächsten Tagen eintrudeln und ihre Ideen vor eine ebenfalls eintreffenden grauen Jury pitchen.
Währenddessen plant Olga ein letztes großes Abschiedsmahl in und für dieses Haus, dem Denkmal ihrer eigenen Lebens- und Familiengeschichte. Aus der Perspektive der verschiedenen Figuren fächert sich diese auf, erzählt von Festen und Gewalt, vom Scheitern, Sterben und Begehren.
In ihrem Debüt nähert sich Lara Haworth schwarzhumorig, klug und behutsam den drängenden Fragen der Erinnerungskultur. Wie kann ein Monument Geschichte einfangen. Wo liegt der schmale Grad zwischen erinnern und vergessen. Wie schreibt sich Erinnerung in den Körper ein. Wo treffen sich individuelles Erinnern und kollektives Gedächtnis. Das berührt und erheitert gleichermaßen. (Katharina Bischoff)

Das bestelle ich bei Dante!

Candy Gourlay: Wild Song

Übersetzt von Alexandra Rak, Rotfuchs, 319 Seiten, 19,90 Euro
ab 14

1904 ist die schwer zugängliche Region, im bergigen Norden der philippinischen Insel Luzon mit ihren dichten Wäldern und weitläufigen Reisterrassen von den Kolonialkämpfen nahezu unberührt geblieben. Die wenigen US-Amerikaner, die dort überhaupt ankommen, werden freundlich empfangen – so auch im Dorf von Luki. Das 16jährige Mädchen liebte schon als Kind am meisten, was den Jungen vorbehalten war: Kraftvoll und geschickt bewegt sie sich als Jägerin durch den Wald. Nach einer Auseinandersetzung mit den Dorfältesten kommt ihr das Angebot des vermeintlich freundlichen Truman Hunt, seinen Tross zur Weltausstellung nach Saint Louis zu begleiten, gerade recht. Die Menschen in den USA seien neugierig und wollten die Igorot, so die damals abschätzige Bezeichnung der indigenen Tribes, kennenlernen. Doch bereits am Tag der Ankunft zeigt sich, dass die Igorot vor allem Objekte der Gier nach Exotik sind. Für Luki wird die Reise zum schmerzlichen Erkenntnisprozess, der ihr wiederum vor Augen führt, wer sie ist und wofür sie steht – als Individuum und als Igorot. Wild Song stellt universelle Fragen über Macht und Privilegien, Zugehörigkeit und Entfremdung, Loyalität und Freundschaft. So ist dieser mitreißende Coming-of-Age Roman, bei aller Distanz in Zeit und Raum, im besten Sinne gegenwärtig. (Jana Kühn)

Das bestelle ich bei Dante!