Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit, Verlag Klaus Wagenbach 2019, 192 S., € 22,-
(Stand März 2021)
Eine Frau, die Mann und Kinder verlassen hat, wartet in einem Hotel in Toronto auf ihren langjährigen Geliebten. Sie weiß nicht, ob er kommt, wann er eintrifft und in welcher Verkleidung er auftaucht. Er ist in wichtigster Geheimmission unterwegs, es darf weder Anrufe noch schriftliche Dokumente geben, die auf ihre Beziehung hindeuten. In National Geographic Heften versteckt er kryptische Hinweise, mit denen sie ihr mögliches nächstes Treffen irgendwo auf der Welt erraten muss. Eine eigentlich unerträgliche Situation, besonders für die heutige Leserin.
Doch belässt es Helen Weinzweig, die diesen Roman mit 65 Jahren Lebenserfahrung veröffentlichte, nicht bei der Schilderung einer verlangenden passiven Frau mit Perlenkette. Ihre ineinanderfließenden Erinnerungen, Phantasien und vielleicht realen Begegnungen mit Menschen in heruntergekommenen Häusern, Läden und Fabriken überschreiten bei weitem die enge Welt der Hotellobbys, Bars und Museen einer Geliebten. Der Heldin erschließen sie Spiel- und Handlungsräume weit weg vorgezeichneter Konventionen inklusive einer verblüffenden Stippvisite bei ihrem Ehemann. Wie schön, dass Wagenbach diesen feministischen Klassiker aus Kanada hierzulande zugänglich gemacht hat. (Stefanie Hetze) Leseprobe