Lucia Berlin: Was ich sonst noch verpasst habe

Stories. Aus dem amerikanischen Englisch von Antje Rávic Strubel, Arche Literatur Verlag 2016, 384 S., € 22,99, TB dtv 2017, € 12,90
(Stand April 2021)

3_berlin_wasEine Entdeckung! Lucia Berlins in kleinen Auflagen erschienene Erzählungen waren in den USA aus dem Bewusstsein der litterarischen Öffentlichkeit verschwunden, sind nun triumphal wiederentdeckt und toll übersetzt. Im Prinzip erzählt die Autorin in den Stories ihr von krassen Gegensätzen geprägtes Leben, von desaströsen familären Beziehungen, Alkoholismus, Armut, Missbrauch, aber auch von Vitalität, Wiederaufstehen, der Kraft des Humors. Ihre Protagonistinnen sind wie sie Einzelkämpferinnen, alleinerziehende Mütter, die sich als Krankenschwestern, Lehrerinnen, Putzfrauen in den USA und Lateinamerika durchschlagen. Waschsalons, Notaufnahmen, Schnapsläden, der öffentliche Nahverkehr bilden die Settings für ihre Außenseitergeschichten. Was sie aber auszeichnet, ist ihre unmittelbare Sprache, die tiefen Verletztheiten ihrer Figuren nachspürt, dabei jedoch immer das Absurde, Unerwartete aufscheinen läßt. (Stefanie Hetze)
Mehr über die außergewöhnliche Lucia Berlin

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Donatella Di Pietrantonio: Bella mia

Aus dem Italienischen von Maja Pflug, Verlag Antje Kunstmann 2016, € 18,95
(Bella mia, Einaudi 2018, ca. € 16,50)
(Stand April 2021)

17_di-pietrantonio-bella-mia-dante-connection-danteperle2009 wurde die süditalienische Stadt L´Acquila durch ein Erdbeben fast völlig zerstört. Der versprochene Wiederaufbau ist auch aufgrund von Korruption und mafiösen Einflüssen bis heute nicht erfolgt. Für die  obdachlos gewordene Bevölkerung ist das Leben in den eilig hochgezogenen Behelfsunterkünften nach Jahren des Wartens zum Dauerzustand geworden.
Caterina, die Ich-Erzählerin, ihre Mutter und Marco, Caterinas Neffe, der bei dem Erdbeben seine Mutter, die Zwillingsschwester von Caterina, verlor, leben zusammen in einer kleinen Wohnung, jeder in seiner ganz eigenen Trauer gefangen. Mit großem Einfühlungsvermögen, ohne Pathos und mit zartem Fingerspitzengefühl erzählt Di Pietrantonio wie die drei wieder ins Leben zurückfinden, Zuversicht, Liebe und den Glauben an eine mögliche Zukunft für sich zurückerobern. Der Text wurde von Maja Pflug mit viel Sprachgefühl kongenial ins Deutsche übersetzt. Ein Buch, das  in all seiner Tragik Mut zum Leben macht. (Syme Sigmund)

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David Grossman: Kommt ein Pferd in die Bar

Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Hanser 2016, 251 S., € 19,90, TB 2017, € 12,-
(Stand  April 2021)

Grossman_25050_MR.inddErwartungsvoll strömt das Kleinstadtpublikum in den Saal, “ein mickriges bebrilltes Männlein” fliegt förmlich auf die Bühne, knallt auf die Bretter, reckt den Hintern hoch, die Leute lachen und applaudieren. Sie wollen sich vom Comedian Dovele unterhalten und ablenken lassen. Ganz anders der Icherzähler, ein verwitweter Richter im Ruhestand. Als Jugendliche hatten er und Dovele Kontakt gehabt, sich dann aber völlig aus den Augen verloren.  Mißtrauisch gespannt ist der Richter der urplötzlichen Einladung des Künstlers gefolgt und wird von Doveles schrägen Witzen und seiner aus dem Ruder laufenden Schau tief in die Vergangenheit hineingezogen, in der er den Freund im Stich gelassen hatte. Im Publikum sitzt aber zufällig noch jemand, eine sehr kleine Frau, die Dovele von früher kennt und ihn völlig aus dem Konzept bringt. Mehr wird nicht verraten. Unbedingt lesen. (Stefanie Hetze) Leseprobe

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Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm

Mit einem Nachwort von Nicole Henneberg. Schöffling & Co. 2016, 400 S., 24,95 €, btb TB 2017, € 11,-
(Stand April 2021)

8_tergit_kaesebier1931 veröffentlichte die Gerichtsreporterin und Feuilletonjournalistin Gabriele Tergit erstmals bei Rowohlt ihren Roman “Käsebier erobert den Kurfürstendamm”, der damals ein riesiger Erfolg, von den Nationalsozialisten verboten und erst 1977 von dem Publizisten Jens Brüning in Deutschland wiederentdeckt und veröffentlicht wurde. Was die Autorin am besten kannte, eine Berliner Zeitungsredaktion mit ihrem Personal aus Journalisten und Setzern, aus Zuträgern, Schwätzern und Machern, löst das Geschehen aus. Der Volkssänger Käsebier wird in einem proletarischen Lokal an der Hasenheide entdeckt und systematisch zu einer Erfolgsfigur für die besseren Kreise aufgebaut. All die Marketingmaßnahmen, der schnelle Aufstieg des Sängers, an den sich korrupte Spekulanten und Immobilienhaie hängen, und der unvermeidliche Fall und Zusammenbruch erinnern an heutige Flops und Skandale…  Was den Roman aber heute so lesenswert macht, ist die Unmittelbarkeit von Tergits knapper direkter Sprache, da entsteht hautnah die Stimmungslage im Berlin am Ende der Weimarer Republik. (Stefanie Hetze)

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Mehrnousch Zaeri-Esfahani: 33 Bogen und ein Teehaus

Peter Hammer Verlag 2016, 148 S., € 14,90, TB Carlsen 2018, € 6,99, ab 12
(Stand März 2021)

1985 verließ Mehrnousch Zaeri-Esfahani mit ihrer Familie den Iran, der nach der Islamischen Revolution und mit dem Beginn des 1. Golfkriegs zum stetig bedrohlicheren Lebensort wurde. In dem Jugendroman „33 Bogen und ein Teehaus“ hat sie ihre Kindheitserinnerungen nun literarisch verarbeitet. Anschaulich berichtet sie von den verschiedenen Etappen: ihrem Aufwachsen in Isfahan unter immer brisanteren Lebensumständen, der Ausreise in die Türkei, dem Visaantrag für die DDR, um nach verschiedenen Orten in Westdeutschland endlich in Heidelberg eine neue Heimat zu finden. Auch wenn diese Geschichte so bereits vor 30 Jahren stattgefunden hat, erinnern doch die bürokratischen Hürdenläufe und Schilderungen von mangelhaften Notunterkünften geradezu absurd an die aktuelle und leider sehr reale Situation. In aller Klarheit und ohne erzählerische Schnörkel macht Mehrnousch Zaeri-Esfahani die Situation einer Flucht, das Gefühl des Kein-Zuhause-Habens für jugendliche Leser nachfühlbar. (Jana Kühn)

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David Garnett: Dame zu Fuchs

Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch, Dörlemann 2016, 180 S., € 17,-, TB btb 2017, € 9,-
(Stand April 2021)

Garnett-Fuchs-original-uc.inddDas junge Glück des Ehepaars Tebrick nimmt eine jähe Wendung, als Mrs. Tebrick sich auf einem Spaziergang unversehens in eine Fähe verwandelt. Ihr Mann ist erschüttert, doch erkennt er sogleich seine Gemahlin in dem Tier und nimmt sich ihrer voller Liebe an. Die Angestellten entlässt er unter einem Vorwand und kümmert sich allein um das Wohlergehen seiner Frau. Diese ist zunächst wirklich ein Mensch in Tiergestalt, sie möchte sich ankleiden, spielt mit ihm abends Karten und lauscht seinem Klavierspiel. Doch nach und nach gewinnt die neue Natur in ihr die Überhand, bis sie mit einem Fuchs im Wald eine neue Familie gründet. Wie Garnett diese schleichende Verwandlung zu beschreiben vermag ist zugleich tragisch anrührend und höchst unterhaltsam. Mr. Tebrick verzweifelt daran, dass seine Frau sich immer mehr von ihm entfernt, und findet doch stets einen Weg, sie auch weiterhin zu akzeptieren und zu lieben. Erzählt wird in diesem kurzen, 1922 erschienenen und nun in wunderschöner Gestaltung vom Dörlemann-Verlag wiederaufgelegten Roman nicht einfach eine skurrile Begebenheit, sondern eine Geschichte von Liebe und Abhängigkeit, von der Suche nach der eigenen Natur in einer zutiefst von gesellschaftlichen Zwängen dominierten Zeit. (Syme Sigmund) Leseprobe

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Malla Nunn: Tal des Schweigens

Aus dem australischen Englisch von Laudan & Szelinski. Argument Verlag 2015, 256 S., € 13,-
(Stand April 2021)

31_nunn_tal-des-schweigensSüdafrika 1953, Emmanuel Cooper, der mit der Geliebten seines Chefs im Bett liegt, wird nachts zu einem unerquicklichen Einsatz beordert. Fernab der Stadt wurde ein schönes Zulumädchen, Tochter des mächtigen ansässigen Chiefs, im Gebirge nur mit langem Fußmarsch erreichbar, blumenbeschmückt und auf einer kostbaren Decke liegend, ermordet aufgefunden. Rätsel über Rätsel tun sich in diesem “Tal des Schweigens” auf. Die Zuluclans samt ihren Kriegern, die weißen Farmer, die sich als Afrikaaner und Buren befeinden, die Ärztin, die örtliche Polizei, sie alle mauern und sind Teil des starren absurden Apartheitssystems. Selbst Cooper, Repräsentant der mächtigen weißen Polizei, aber auch nicht “reinrassig”, und sein Assistent Shabalala, ein Zulu im Maßanzug, die sich bestens verstehen, müssen jede ihrer Handlungen an den schizophrenen Regeln des Regimes austarieren. Direkt nachvollziehbar zu machen, wie sich die Apartheit auf die minimalsten menschlichen Beziehungen auswirkte, ist neben dem sehr spannenden Plot Malla Nunns großer Verdienst. (Stefanie Hetze)

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Luna Al-Mousli: Eine Träne. Ein Lächeln. Meine Kindheit in Damaskus

Deutsch-Arabisch. Mit Illustrationen der Autorin. Erweiterte Sonderausgabe Weissbooks 2016,128 S., € 14,-
(Stand April 2021)

Bis zu ihrem 14. Lebensjahr hat Luna Al-Mousli in einer liberalen bürgerlichen Großfamilie in Damaskus gelebt. Das quirlige Familienleben, der Pool im jasminduftenden Garten, die Soldaten vor der nahegelegenen amerikanischen Botschaft und der strenge Schulalltag bildeten ihre Koordinaten. In vierundvierzig Prosaminiaturen wird ein ganzer Kosmos eines Kindheitslebens aufgetan. Neben unbeschwerten Erinnerungen an wichtige Momente und Rituale erzählt Al-Mousli von Einschüchterung und Unterdrückung. Mit wenigen Worten erzeugt sie Bilder von einem Leben in Damaskus, das es nicht mehr gibt. Die zweite Komponente des Buches sind  verblichen wirkende Ausschnitte von Familienfotos, die das Fragmentarische von Erinnerungen thematisieren. “Eine Träne. Ein Lächeln” ist ganz besonders gestaltet: handschmeichlerisch klein, die rotunterlegten Doppelseiten lassen sich herausziehen, dazu die arabische Version. Ein Kleinod, das das, was in Syrien verlorengegangen ist, sehr persönlich macht. (Stefanie Hetze)

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Roger Deakin: Logbuch eines Schwimmers

Aus dem Englischen von Andreas Jandl und Frank Sievers, Matthes & Seitz 2015, 387 S., € 38,-
(Stand April 2021)

24_deakin_logbuchDie Entscheidung, Großbritannien, sein Heimatland, schwimmend zu erkunden und vom Wasser aus neu zu vermessen, erzeugt beim Autor Roger Deakin große Gefühlswellen. Tatsächlich realisiert er sein Vorhaben und durchschwimmt eiskalte englische Flüsse, Gräben, Tümpel, Meeresbuchten, Wildwasser, Küstenstreifen, Quellen und begegnet dabei nicht nur Fischen aller Art, Ottern, Teichhühnern, Anglern, Müll und vielem vielem Mehr. Mit seinem “Logbuch” toppt er jedwede skurrilen britischen Reiseberichte und plädiert nebenbei für die Freigabe von Gewässern.

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Elena Kostioukovitch: Italia!

Die Italiener und ihre Leidenschaft für das Essen: Eine Reise von den Alpen bis Sizilien und Sardinien. Mit einem Vorwort von Umberto Eco. Aus dem Italienischen von Rita Seuß, Maja Pflug, Friederike Hausmann und Burkhart Kroeber. Fischer 2015, 552 S., € 24,99
(Perché agli Italiani piace parlare del cibo, Odoya 2015, ca. € 49,-)
(Stand April 2021)

40_kostioukivitch_italiaEssen und vor allem das leidenschatliche Diskutieren darüber prägen in Italien Alltag, Kultur und  Kommunikation. Von den vielfältigen Facetten und regionalen Besonderheiten der Küche Italiens schreibt die Autorin kenntnisreich, sie nimmt uns mit auf eine Reise durch das ganze Land, erzählt Geschichten vom Essen, das sich längst nicht nur auf den Kalender, die Demokratie, den Eros und das Glücksgefühl auswirkt. Eine außergewöhnliche Kulturgeschichte, dazu angereichert mit stimmungsvollen SW-Fotos. (Stefanie Hetze)

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